Auf dem Flug von Seoul nach Cebu bin ich neben einem koreanischen Pärchen gesessen. Das hab ich von denen gesagt bekommen, weil die waren nicht gleich angezogen. Auf jeden Fall hab ich mich ein bisschen unterhalten mit der einen Hälfte von dem Couple und ich erzähl halt so dass ich herumfahre und wo ich war und was ich gesehen habe. Und sie sagt: “Oh, you must be rich!” Und das ist ja nicht etwas, was ich nie zu hören bekomme, weil, ja, das geht schon ins Geld, so das Lotterleben. Aber es gab einen Twist, weil ich sag drauf, dass, naja, ich ja schon versuche günstig und so. Weil das ist schon immer ein bisschen, da komm ich schon einmal in die Defensive ob ich will oder nicht. Aber sie sagt darauf, so hätte sie das gar nicht gemeint, sie meint „an Erfahrungen“. Und das ist schon schön, weil das ist auf jeden Fall nicht falsch. Aber es ist vor allem schön, weil jemand jemanden im Flugzeug kennenlernt und dann reich mit einer Bedeutung verwendet, die auf jeden Fall zulässig ist, aber im Alltag zumindest untypisch. Da denk ich immer wieder dran, weil ich das so schön finde, dass jemand glaubt, sie kann reich sagen und die Leute wüssten schon, dass sie „reich an Erfahrungen“ meint.
(Vielleicht war s auch einfach, dass sie nicht so gut Englisch konnte. Aber ein bisschen machen wir uns ja doch die Welt.)
Und dann natürlich kann man überlegen, was sind denn die Erfahrungen, an denen ich reich bin. Na, ich sag dir eins: Wenn tolle Erfahrungen in Eisvogelsichtungen gemessen werden können (und das ist aber auf jeden Fall ein Indikator), dann ist Thailand wirklich nicht schlecht.
Na denn. Ich war sehr überrascht, wie viel Stress mir eine simulierte Rettung macht. Weil ich die Stress and Rescue Ausbildung mach und da waren wir heute im Meer. Am Anfang hat der Marcus ein bisschen Panik unter Wasser simuliert, das ging ja noch. Da weiß man zirka was zu tun ist, da beruhigt man und stellt Kontakt her. Ich mein, nicht, dass da nicht auch was blödes passieren kann, wenn ich zum Beispiel meine Luft hergebe, wenn sie ihm ausgeht, aber nicht daran denke, dass ich selber jetzt keine Luft hab. Da kann man sagen: der große Fehler ist eigentlich gewesen, dass ich meine Luft angehalten hab, weil das macht man gar nicht, damit man sich nicht druckbedingt die Lunge beschädigt. Aber natürlich merkt man eher, dass man plötzlich keine Luft hat. Das ist so ein Ding irgendwie, da muss ich mich noch dran gewöhnen, dass es nicht nur möglich ist, unter Wasser zu atmen sondern ein Muss und dass es mir sofort seltsam aufstoßen muss, wenn ich nicht atme unter Wasser.
Wirklich Stress ist dann allerdings, wenn ich die Joanna hab suchen müssen, unter Wasser und sie hochholen und zum Boot bringen und auf s Boot bringen und Herzmassage und beatmen und dann heißt s irgendwann von hinten, passt schon, Patientin atmet. Jetzt also Sauerstoffmaske drauf und stabile Seitenlage und dann erst einmal entspannen. Das hat keine Fünf Minuten gedauert alles, aber ich war danach eine halbe Stunde mindestens mit Adrenalin geschwemmt… Jetzt noch, das war vor drei, vier Stunden, jetzt noch bin ich ein bisschen zittrig. Vielleicht mag man sich das überlegen, einen Erste Hilfekurs zu belegen statt in der Hochschaubahn zu sitzen. Natürlich einen mit Praxisteil. Und jetzt hatte ich s quasi eh einfacher, weil ich bin davor von der Joanna gerettet worden und da hab ich ja nur liegen müssen und das über mich ergehen lassen, dass ich der simulierten Notsituation halber etwas grob auf s Deck gehievt worden bin. Da konnte ich ja quasi zuschauen, was es alles zu tun gibt, was sie vergisst, wo ich mir vornehme, was anders, was besser zu machen. Aber dann erstaunlich stressig eben.
Und gestern bin ich mit der Zehe an so einem Betonboller hängengeblieben, die hier einen Gehsteig improvisieren. Oder einen Fahrradweg. Oder einen Kanal. (Es regnet doch täglich und dann schifft s ganz schön runter.) Da bin ich einfach nicht mit genug Abstand dran vorbei und peng, autsch. Und ich hab s wirklich erst ein paar Stunden später gemerkt, dass das doch etwas heftiger gewesen sein muss. Weil ich bin kurz davor mit dem linken Fuss und der dortigen Kleinen Zehe an einer Hausmauer hängengeblieben, als ich um die Ecke geschlurft bin. Und jetzt erlebe ich sozusagen noch die dunkle Seite von Flip-Flops. Weil natürlich ist da nichts, was bremst, was hält, was absorbiert. Aber links war nix. Rechts hingegen eben zwei Stunden später, sitz ich im Restaurant und lass den Regen passieren und beim Rausgehen merke ich, ich humpel lieber ein bisschen. Daheim hab ich erst einmal ein Wasser in die Eiswürfelbox gemacht. Weil ich wohne ja luxuriös mit Kühlschrank und Gefrierfach im Kühlschrank. Und dann hab ich in der Nacht quasi den Eiswürfelbeutel auf dem Zeh gehabt. Auch wenn das Problem natürlich ist, dass es mehr die Innenseite des Zehs ist, die ich mir da vermutlich verstaucht hab.
Für die simulierte Stresssituation und den dadurch ausgelösten Stress hab ich mir die Kleine Zehe dann an die… nun, an die daneben geklebt. Nicht, dass ich Schmerzen gespürt hätte, wenn ich sie gehabt hab, ganz ehrlich. Aber das war schon gut, weil ich hab heute in der Früh bisschen simuliert, wie ich in die Flossen steige und da ist mir ein bisschen der Phantasieschmerz durch die Gehirnwindungen gezuckt, so schmerzhaft hab ich mir das vorgestellt. Und das war sicher besser durch die Pseudoschiene, die der zweite Zeh von außen meiner Kleinen Zehe geboten hat.
Egal. Ich komm nachhause, nachdem ich ein bisschen im Restaurant gesessen bin, um den Regen passieren zu lassen, und hab mir gerade eine Folge Paulchen Panther angedreht, derweil ich mir wieder Eis auf den blauen Zeh lege. Es gibt nämlich ausführlich deutsche Folgen Paulchen Panther im Internetfernsehen. Und Paulchen Panther ist ja sowas, wo man sagen muss: es hat sich total ausgezahlt, dass man im deutschsprachigen Raum damit angefangen hat, zu synchronisieren. Weil stell dir vor, im englischen Original gibt s keinen Sprecher, der in schönen Gedichten die Handlung begleitet. Da ist einfach nur Musik drüber. Wer will denn sowas!?*
Jedenfalls bin ich da an der obrigen Titelsequenz hängengeblieben. Zunächst, weil der Text meinen Augen vorgegaukelt hat, dass Harry Potter in der Produktion seine Hände mit im Spiel gehabt habe. Aber dann hab ich erste entdeckt, welche Rolle der Harry in der Produktion übernommen hatte: er hat dort den Coördinator gemacht. Und das ist ja technisch gesehen, gar nicht falsch geschrieben. Aber diese Schreibweise in einem Artikel oder anderen öffentlichen Text zu verwenden, das wäre schon eine größere Pflicht. Also eine Pflicht-oder-Wahrheit-Pflicht.
Jetzt hab ich noch ein bisschen darüber nachgedacht, wie super Paulchen Panther nicht nur als Sendung ist, wegen der genialen Verse auf der einen Seite, aber dann auch was für ein großartiger Protagonist das Paulchen ist. Weil er ist ja moralisch oft ein bisschen ambivalent ist, manchmal gierig, manchmal jähzornig, nicht einmal immer sympathisch, meistens aber so-oder-so liebenswert. Und er wohl von Sketch zu Sketch ein bisschen unterschiedlich daher. Vielleicht will das jemand einfach „inkonsistent“ nennen und möchte dann eventuell argumentieren, dass mehr seine Einzigartigkeit als rosaroter Panther seine Person zusammenhielte, als tatsächliche Charaktereigenschaften. Aber das wäre eine Person, mit der man nicht unbedingt seine Zeit verbringen möchte, geschweige denn Kirschen essen. Aus dem Wasser holen würde ich sie aber jetzt dennoch können.
Es ist schon interessant, wo ich jetzt „was zu tun“ habe, wie schnell die Zeit vergeht und ich direkt in diesen Stress komme, den man so nennt und dann sagen die anderen, dass sie derartige Sorgen haben möchten. Ich zähle an meinen Fingern, wie viele Tage ich noch hier bin, weil ich an der anderen Hand bereits gezählt habe, wie viele Tauchgänge ich noch brauch, bis ich den nächsten Level erreiche. Die bei SSI wissen schon, wie sie ihr System gameifizieren müssen, damit sie solche Hanseln wie mich vor die Harpune bekommen.
Ich hab ganz schön unterschiedliche Tauchzentren mitbekommen, kommt mir vor. Und wenn dieses hier ein bisschen unsympathisch rüberkommt, muss ich doch sagen: der Typ, der hier mit mir meinen Stress and Rescue Kurs durchgeht, das ist mit Abstand der professionellste unter den TauchlehrerInnen, die ich bisher so gehabt hab. Der hat nicht nur einen Plan, was ihm wichtig ist, der hat auch ein Verständnis dafür, wie das SSI Schulungssystem funktioniert und warum da was beinhaltet ist. Als Schüler ist das immer so ein Ding, wenn da einer vor einem steht und sagt „na, da haben die s aber nicht übertrieben mit dem Stoff” und „sollte man eigentlich schon“ und „das ist eigentlich unglaublich, wer da alles Instructor sein darf”. Und man selbst irgendwie ja das Produkt dieser Lehrmethoden und wie viel liegt das in meiner eigenen Verantwortung, was ich gelehrt bekommen hab oder halt dass meine Tauchstunden sich oft einmal auf das konzentriert haben, was andere als das Notwendige empfunden haben. Er hat ja ganz offensichtlich recht, aber mich jetzt gegen diese Leute solidarisieren, von denen ich ja auch Sachen gelernt hab und mit denen es lustig war… es ist nie so einfach.
Ja, jedenfalls ist das der, dessen Namen ich nachgefragt hab. Und der ist eh ok. Wenn ich so immer wieder am protokollieren bin, was so passiert, was dann oft passiert, wenn ich mich nicht ständig von einem Ort zum nächsten bewege, dass sich meine Eindrücke am nächsten Tag schon wieder vollkommen umgedreht haben. Eigentlichen muss das der Wahrheit entsprechend heißen: meine Eindrücke einfach ständig falsch sind. Oder: ich ständig Einschätzungen vornehme, die sich kaum einen Tag später als Fehleinschätzungen, die sich wiederum kaum einen Tag später vielleicht wieder als Fehleinschätzungen und so weiter. Und weil das Leben ja nicht binär ist, oszilliere ich da nicht zwischen zwei Eindrücken sondern es geht von einem Erleben ins nächste. Vielleicht ist das auch tatsächlich ein Schärfungsprozess. Was weiß man. Jedenfalls hat sich der Tauchtyp als eh umgänglich und liebenswert herausgestellt. Und wenn er darüber schimpft, dass die Sachen nicht da sind und er sich alles selbst ausdrucken muss und wozu sie eigentlich einen Typen im Office haben… dann bin ich dafür auch einmal sehr empfänglich, weil ich mir ähnliche fragen auch schon mal gestellt hab. Und sein Chef hingegen, den ich anfangs als den lockereren erlebt habe, der bisserl pragmatischer wirkt und dessen Wiener-Schnitzel-Rassismus ich am Anfang noch versucht habe, als einen Spleen zu betrachten, der ist insgesamt mehr so ein bisschen so mit den etwas stabileren Meinungen über Leute von hier oder da und als ich gesagt habe, ich kann ihn erst morgen bezahlen, da sind ihm ein bisschen die Mundwinkel ausgekommen und ich hab mir gedacht, na dem fehlt aber auch ein bisschen der Idealismus.
Und jetzt ist das Problem, dass das Boot noch nicht fertig ist und ich meine Praxis nicht so recht machen kann und aber auch niemand mehr im Shop ist, weil die Saison noch nicht so wirklich angefangen hat und überhaupt hänge ich jetzt in der Luft, meine Resttage auf der einen Hand und die benötigten Tauchgänge auf der anderen. Jetzt muss ich morgen wahrscheinlich einfach einen Tag lang irgendwie abhängen, hier in Ko Lanta. Und wie gesagt, es ist noch nicht wirklich was los. Wenn ich was essen geh, sitz ich meistens allein im Lokal. Wirklich wahr. Mittags und Abends. Ich mein, ein bisschen was, vielleicht dass dann noch eine russische Familie kommt oder sich zwei holländische Mädels irgendwo niederlassen. Aber wenig. Und ich natürlich hin- und hergerissen, weil ich bin schon froh, dass ich hier meine Ruhe hab und ich auf der Straße mehr Einheimische seh als nicht. Aber gleichzeitig ist hier halt alles so für die Nicht-Einheimischen hergerichtet, dass es leer und verlassen wirkt. Und so geh ich dann an diesen Bars vorbei, mit ihren Bambusmöbeln und drinnen liegen die vier Angestellten herum und spielen auf ihren Handies und irgendwelche Neunzigergitarren dröhnen aus den Lautsprechern. Und dann eines nach dem anderen, die alle zirka so sind.
Was ich hab zum Beispiel sehr schön finde, ist, dass hier ja eigentlich, so sagt man mir, eher Muslime zuhause sind. Und die buddhistischen Thais sind eher in den letzten fünfzig Jahren hierher, halt für den Tourismus, weil s da halt ein Geld zu machen gibt. Und schön find ich das insofern, weil ich ja schon in Indonesien kaum etwas lieber hatte, als bekopftuchte Frauen, die geschminkt, die lachend, die zu dritt auf einem Motorrad oder von mir aus einem Moped die Straße entlangbrausen. Das gefällt mir einfach gut von wegen: es ist überraschenderweise nicht das Kleidungsstück, das Menschen den Zugang zur Gesellschaft verwehrt.
Weil ich wirklich mehr mit Tauchen oder Theorie beschäftigt bin, als mit allem anderen, bleibt für viel mehr Beobachtungen keine Zeit. Was sich allerdings ausgegangen ist, ist, dass das Wasser hier so… weich? Ich glaube, das ist weiches Wasser, wenn die Seife kaum von der Haut zu spülen ist. So stehe ich des Morgens (wenn ich nicht auf dem Weg zum Tauchen bin) oder des Abends (wenn ich nicht den halben Tag im Meer verbracht hab) unter der Dusche und summe das Lied über the hardness of water vor mich hin beziehungsweise vor mir her.
Und manchmal ist das Essen einfach so scharf, dass es mich fertigmacht. Ich hab das schon gern gehabt, wenn das Essen mal nicht so scharf ist. Auf der anderen Seite hab ich den Eindruck, es ist ja oft nicht nur scharf sondern das funktioniert mit Säure und mit Süße und das ist wirklich auch gar nicht schlecht. Ess ich halt zwei, drei Teller Reis dazu, es gibt ja eh nichts schöneres, als eine Küche, bei der Reis einfach mal die Basis ausmacht. Oh, und ich krieg auch wieder Obst und Gemüse. Das war auf den Philippinen ein bisschen schwerer. Da war ich zwar auch froh über den Reis, aber sonst gab s halt viel für PollotarierInnen und wenig für die, die manchmal auch einen Ballaststoff in ihrem Essen suchen.
Vor vielen Jahren hat Thailand ja einen mäßigen Eindruck bei mir hinterlassen. Bangkok war doch irgendwie eine neue Erfahrung und hab ich irgendwie etwas überfordert verlassen. Und wenn ich jetzt so an den Rest denke, dann kommt mir vor, es waren vielleicht wiederum mehr so Schwierigkeiten mit dem Mitreisenden, die das Erlebnis ins komplizierte gezogen haben und so hab ich mich eher erschöpft in Erinnerung. Noch dazu, wo ich ja das mit dem Strand und so, bin ich ja schon seinerzeit kein Fan gewesen.
Jetzt bin ich wieder da und hab am ersten Tag gleich so ziemlich alles Thailand erledigt: Buddha fotografiert ✔ Thaimassage während Sonnenuntergang ✔ Pad Thai zum Abendessen ✔ Streetfoodnudelsuppe ✔ Ewig lang herumgerechnet, bevor ich dem Bankomaten einen Betrag genannt hab ✔ Dem Sammeltaxifahrer dabei zugeschaut, wie er daran verzweifelt, dass ich nicht weiß wo mein Hotel ist, bis ich begreif, dass das nichts bringt, wenn ich ihm die Adresse zeig, weil er wahrscheinlich ebensowenig meine Buchstaben lesen kann, als ich ihm die Adresse auf Thai aufschreiben kann ✔
Und außerdem dürfte ich auf dem Weg her irgendwo ein Weißwurstmeridianäquivalent gekreuzt haben. Auf die Frage wo ich her sei, sag ich Austria und mein Gegenüber sagt Ah, Austria. Das war eine Überraschung, das ist schon lange nicht mehr passiert. Interessanterweise ist die Tierwelt aber immer noch eher Ostasien: Da sind immer noch die Hirtenmaina und auch Friedenstäubchen hab ich schon gesehen. Aber ich hab heute auch schon einen kleinen Vogel mit roter Frisur gesehen und einen Sperlingsverwandten, der in schillerndem Federkleid aufgetreten ist. Außerdem hab ich einen Eisvogel über den Pak Nam Krabi fliegen sehen, das war aufregend. Und einen Wassermonitor und massenhaft so Schlammspringer, weil gerade Ebbe war, als ich meinen Morgenspaziergang durch Krabi gemacht hab. Alles in allem ein zoologisch aufregender Morgen, an dem ich mich nur ein bisschen verflucht hab dafür, dass ich mein Fernglas nicht mit hatte.
Na und hier sind jetzt ein bisschen zu viele EuropäerInnen und von den EuropäerInnen sind vielleicht zu viele Deutsche. Weil selbst in dem Tauchzentrum, in dem ich dann am Nachmittag meine nächsten Tauchgänge organisiert habe, ist mir ein Deutscher gegenübergestanden. Und das war schon ok, ich hab ja nix gegen Deutsche. Aber er war wirklich so klischee damit, dass er dauernd gesagt hat, dass er erst seit zwei Monaten da ist und er seither versucht, hier Ordnung in den Laden zu bekommen, weil irgendwie alles nicht so läuft, wie er sich das vorstellt. Und nachdem ich in meinen Philippinenerinnerungen gerade eine Hymne auf das Provisorium verfasse, war das extra anstrengend jetzt jemandem gegenüberzustehen, der glaubt, in mir hinsichtlich seiner Vorstellung des Sind-wir-hier-professionell-oder-was? eine verwandte Seele oder zumindest basales Verständnis zu finden. Das ist ja auch nicht ganz falsch gewesen, also, basales Verständnis. Aber eigentlich find ich viel eindrucksvoller, dass man jahrelang ohne durchdachte Struktur in Ordnung arbeiten kann. Ist ja echt nicht mein Kaffee dort, dass ich dem jetzt meine Organisationsentwicklunserfahrungen kommuniziere.
Eine komische Situation war noch, die ich jetzt sicherlich überinterpretiere, aber hey! Warum nicht. Weil ich hab ihn dann zur Verabschiedung nochmal gefragt, wie er heißt, weil ich s vergessen hatte und nachdem ich auf den Philippinen zwei Wochen lang nicht mehr gewusst hab, wie die eine heißt, bin ich gerade in der Stimmung, das gleich nochmal nachzufragen, wenn s mir auffällt. Weil es ist halt schon so, dass oft Namen hier rein und wieder raus gehen, wenn ich sie zum ersten Mal höre. Und dann kommt irgendwo der Moment, wo man am dritten Tage merkt, das wär schon gut zu wissen, aber ich hab jetzt schon ein bisschen gar lang so getan, als ob ich den Namen eh wüsste. Aber er, der Tauchtyp reagiert mit der Gegenfrage, ob er sich denn nicht vorgestellt hätte. Und ich sag nein, nein, bloß, dass ich vergessen hätte. Aber gedacht hab ich mir, ist das jetzt komisch, dass er sofort einen Fehler in unserer Kommunikation sucht, in seinem Verhalten? Anstatt einfach zu sagen wie er heißt, weil niemand von einander erwartet, dass man sich das beim ersten Mal merkt. Aber er tut mit seiner Reaktion so, als würde man eigentlich schon. Und deshalb muss irgendwo was schiefgelaufen sein. Ich verkomplizier das ja auch alles nur so, weil ich eben gerade eben erst nicht nachgefragt hab und ob das nicht doch was kulturelles eben ist. Noch dazu wo die zwei Deutschen im Sammeltaxi auch schon immer wieder so analytisch unterwegs waren, warum Leute was wie machen. Eigentlich: Warum Leute in ihrem Alltagshandeln nicht stärker nach Effizienz streben.
Sonst finde ich Ko Lanta jetzt also bisschen dicht mit dem Tourismus. Dabei ist wirklich noch nicht viel los, die Saison dürfte gerade erst anfangen. Vielleicht drehen sie dann die Straßenbeleuchtung an… Momentan sitzen in den Restaurants die die dunkle Straße entlang das einzige Licht machen, oft gradmal ein Pärchen an einem von einem Dutzend Tischen. Da geht also sicherlich noch was.
Es ist viel zu schnell, viel zu kurz und vielleicht auch zu unstrukturiert und mittlerweile vielleicht einfach auch schon zu lange her. Aber wir erkunden Seoul ein bisschen so nebenher, schnell mal von Tokio nach Seoul gejettet, mit unserer super-kurzfristigen Buchung. Immerhin war der Plan das zu tun schon länger mal angedacht. Aber viel mehr Plan war dann auch gar nicht. Und dann passiert halt so was, dass wir am Flughafen Incheon ankommen und feststellen, dass das Hostel, in das ich uns Tags zuvor hineinbestellt hatte, antwortet, dass, sorry, aber nein. Und das, nachdem ich gerade erst die Kontaktadresse auf den Immigrationszettel ausgefüllt hatte. Das ist ein Pech und es würde mich vielleicht weniger stressen, wäre ich allein unterwegs. Aber so ist es ein bisschen eher ein Problem. Ich mein, nicht eines, das sich nicht lösen lässt. Weil wir haben von D eine Nachbarschaft empfohlen bekommen, das macht alles schon etwas einfacher. Insbesondere, weil mein präferiertes Kartenprogramm nicht so gut funktioniert in Korea, also nicht gut in der Republik. Ich sag einfach einmal Korea und mein damit nicht die Volksrepublik Korea sondern die Republik Korea, vulgo Südkorea. Aber da fängt das irgendwie schon an damit, dass diese ganze politische Identität von Korea sich mir gar nicht so einfach darstellt.
Jetzt bin ich aber am Flughafen und tatsächlich ein bisschen in einem emotionalen Ungleichgewicht, in die schlechte Laune tendierend, weil das Alternative-Hostel-Buchen nicht funktionieren will, weil ich von den einen wiederum Absagen bekomme und andere mich dazu zwingen, koreanische Software zu verwenden, die ich dann nur mit Mühe irgendwie auf Englisch zu laufen bekomme. Und der M ist auch nervös, weil das nicht funktioniert und es stimmt ja auch, es wäre ganz gut, einmal anzukommen. Wir kriegen dann ein Hostel gebucht, das nicht supersympathisch ausschaut, also, nämlich nicht einmal in dem, wie s sich präsentiert, aber was soll s, es liegt für uns günstig und es ist preislich, na ja, das passt auch. Immerhin gibt s ein Frühstück mit dabei.
Und dann stehen wir erst einmal ziemlich lange im Zug. Vielleicht ist das rückblickend ein wenig verzerrt, ich hab den Eindruck, wir sind schon viel mit der U-Bahn unterwegs gewesen. Aber das ist eh ganz nett, ostasiatisches U-Bahnfahren. Ich finde die Leute sind schon immer sehr ordentlich, wie sie stehen und sitzen und halt warten, bis sie ankommen. Ja, das klingt irgendwie jetzt nicht nach der großen Beobachtung, das geb ich schon zu. Ich glaub, was ich interessant finde, ist, wie die Leute in eine Nähe gerückt werden, dadurch, dass links und rechts im Waggon jeweils eine lange Bank ist, natürlich von den Türbereichen unterbrochen, an denen die Leute nebeneinander sitzen. Es und davor sind jeweils die Haltegriffe so angeordnet, dass man mehr oder weniger der Person gegenübersteht, die vor einem sitzt. Dann bleibt in der Mitte noch ein Gang frei, durch den andere PassagierInnen mehr oder weniger ungehindert den Waggon entlang gehen können. Es ist eine ziemlich effiziente Art und Weise, Plätze in einem Waggon anzuordnen. Aber dadurch sitzt sich niemand für ein Gespräch gegenüber, quasi niemand, der nicht neben einer Fremden sitzt, kaum jemand, der nicht einem Unbekannten gegenüber seine Reisezeit verbringt. Auf jeden Fall hab ich nicht viele Leute beobachtet, die die Zeit in der U-Bahn für eine Unterhaltung nutzen. Und vielleicht fördert die ganze Sitzplatzeinteilung noch die Telefonnutzung, weil viele, wirklich viele Leute sitzen halt mit ihren Telefonen da und lesen Mangas oder nutzen die Zeit, um Charaktere hochzuleveln oder virtuelle Bauernhöfe zu verwalten.
Nachdem wir nach einmal Umsteigen bei unserer Station ankommen, will uns die Maschine erst einmal nicht aus der Station lassen und nach einigen Versuchen und einigerem Zögern drücken wir den Bitte-wir-brauchen-Hilfe-Knopf, der an der Maschine angebracht ist. Prompt flötet Beethoven durch die Station und eine Dame kommt, lässt uns durch die Schranke, nimmt uns unsere Fahrscheine ab und wirft sie in einen Automaten. Wir rechnen damit, dass wir was nachzahlen müssen, vielleicht für die Kernzone oder wie auch immer das System funktioniert. Aber die Maschine wirft Geld aus und die Dame drückt uns die paar Münzen in die Hand und gebietet uns, uns auf den Weg zu machen. Wir scheitern daran, die angewohnte japanische Höflichkeit in koreanische Worte zu fassen – da hab ich eher noch Lesen gelernt als mit auch nur die zentralsten Begriffe auf Koreanisch zu merken – und verlassen die Station. Immerhin sind wir durch die ersten Stresssituationen und ich merke, wie ich insgesamt auch schon ein bisschen lockerer geworden bin, nachdem ich mir ein bisschen eine angespannte Schulterpartie in den ersten Stunden geholt habe, in denen nicht alles so gelaufen ist, wie ich mir das vielleicht vorgestellt habe. Und normalerweise – also: normalerweise – merk ich das nicht so, aber wenn man regelmäßig mit jemandem plaudert, dann wird das schneller augenscheinlich, dass ich da ein bisschen verzwickt bin.
Wir gehen dann auf einen Sprung ins Café, wo wir am Automaten Matcha Latte und einen Riesenbecher Kaffee bestellen, damit wir dort ein Internet ausborgen können, mit dem wir die zweihundert Meter zu unserem Hotel finden. Einen Gehirnfrost und einen halben Becher Kaffee später machen wir uns wieder auf den Weg. Erste Auffälligkeit: jedes zweite Geschäft, an dem wir vorbeigehen, scheint ein Kaffeehaus mit eigener Rösterei und blitzenden Glasfronten zu sein. Ich freu mich da zugegebenermaßen ein bisschen, weil ich doch jetzt hinter dem Kaffee her bin. In diesem Zusammenhang vielleicht ein kleiner Exkurs zu einem Geschäft, in dem wir in Tokio Kaffee getrunken haben. Das war nämlich schon sehr dritte Welle. Also die Bedienung hat uns eine Zeitung vorbeigebracht. Das sei das aktuelle Monatsmenü. A-ha. Und dann quasi auf A3 gab s… na ja, zwanzig, dreißig? Viele halt. Es gab viele Kaffees zur Auswahl und in Kategorien, die ich mir schon schwer getan habe zu unterscheiden, während ich das Papier vor mir hatte. Da waren irgendwie die Monatsangebote und dann die Preisgewinner und dann die Spezialitäten… alles ein bisschen austauschbar. Die Preise sind halt jeweils raufgegangen, je mehr Preise ein Kaffee gewonnen hatte. Und die waren halt alle mit ihrem Land und mit ihren BäuerInnen angeschrieben. Und mit ihren Geschmacksnoten, mit denen ich hier jetzt gar nicht anfange. Im Endeffekt war dann jeder zweite Kaffee ausverkauft, aber vielleicht war da ja auch schon ein bisschen Ende des Monats oder was weiß ich. Und dann, wie auch oft, konnten wir noch zwischen Zubereitungen wählen: Siphon oder… was anderes. French Press vielleicht. Wir sind alle auf Siphon gegangen, weil irgendwie gibt s das daheim nicht. Wenn das Klumpert aufgrund dessen, dass es aus Glas ist, blöd zum Transportieren wäre und aufgrund seiner Funktionsweise auf eine spezialisierte Hitzequelle angewiesen wäre, die man in der Supermarktversion mit einer Kerze oder ähnlichem ersetzen muss (was die Coolness, aber in erster Linie wahrscheinlich die Möglichkeit konstanter Hitze deutlich reduziert)… ach was! Selbst derart vielschichtig unpraktisch hab ich mir das Spielzeug wahrscheinlich hauptsächlich aus Konsumtrotz nicht gekauft. Vom Kaffee, nun, war schon gut, also, die haben wirklich aufregenden Kaffee gemacht dort. Nicht, dass das irgendwie die sechzehn Euro aufwiegen kann, die wir dafür… also, die wir dafür pro Tasse hingelegt haben, nicht dass die durch irgendwas aufzuwiegen wären. Es ist dann eher Erlebniskaffee. Wie der Herr am Nebentisch, der der Bedienung aufgeregt erzählt hat, dass er sich seit Jahren für das Kaffeegeschäft in den Sozialen Medien interessiert und er jetzt hier ist und so viel Kaffee wie möglich trinken möchte. Also: verschiedene. Und selbst die Barista, mit der ich mich zuletzt in Tokio unterhalten habe, hat Augen gemacht, als ich ihr gesagt hab, dass ich in diesem Geschäft war. Ist wohl berühmt. Schon eher in eine Nische hineinspezialisiert, die Damen und Herren.
In Seoul jedoch treffen wir in unserem Hostel auf eine etwas aufgedrehte junge Frau, die uns unser Zimmer zuweist und das Hostel erklärt und dann sitzen wir schon in der Hostelküche und kommen ein bisschen schwer wieder weg, weil wir von allen Seiten… von zwei Seiten. Also, wir sind über kurz oder lang zu sechst in der Hotelküche gesessen und da waren zwei MitarbeiterInnen und zwei Gäste und zwei neue Gäste. Das waren wir. Und alle anderen haben mehr oder weniger begeistert erzählt, was sie machen und wo sie wie oft wie günstig trinken gehen. Weil zuerst hat s angefangen mit was es in der Umgebung so gibt und was in Seoul so zu tun ist und dass man zur Grenze fahren kann und sich aus der Demilitarisierten Zone die Volksrepublik anschauen kann. Und es ist dann schnell in Hier-sind-die-Märkte-hier-sind-die-Bars ausgeufert und irgendwie sind wir da ein bisschen sprichwörtlich mit dem Rücken zur Wand gesessen. Bis natürlich sich alles plötzlich sehr schnell aufgelöst hat, ach, ihr wollt sicherlich einmal entspannen. Ja, das wär jetzt super, tschuldigung, schönen Tag, bis später, tschüssi, macht s gut. Ich glaub, wir haben dann keine von denen jemals wieder gesehen.
Am Abend machen wir uns auf die Suche nach einem Bibimbap. Das ist so der Inbegriff koreanischen Essens für, so scheint s, uns beide. Leider hab ich weder an dem Abend noch an den zwei anderen Versuchen, die ich der Bibimbapverkostung noch gegeben habe (zugegeben, einmal hab ich s nicht einmal bis zum Bibimbap geschafft und bin vorher schon in einem anderen Lokal gesessen), ein gutes Bibimbap gegessen. Ich mein, es war ok. Aber ich hatte in Neuseeland besseres, ich hatte in Australien besseres und ich hatte auch in Japan besseres. Aufregendes Essen war s dennoch irgendwo: Tintenfisch im Kimchi, eingelegte… Blätter. Auf der Beilagenseite alle Stückeln. Und nach dem Essen sind wir plötzlich auf einer neonerleuchteten Straße gestanden, auf der M mit der Idee spielt, für einen Virtual Reality Ausflug in eine Virtual Reality… Bar? zu gehen. Aber irgendwie fehlt uns dann doch die Willenskraft um die Hemmschwelle zu überwinden und wir aalen uns nur ein bisschen in der fremden Umgebung, die blinkt und leuchtet und trotz seiner Digitalität ein bisschen geheimnisvoll ist.
Frühstück nächsten Tag haben wir dann auch… ich weiß nicht. Ich mein, ich hab dann auch nicht mehr gefragt, aber M hat schnell daran das Interesse verloren. Das ist vielleicht einfach so was, wo ich mich dran gewöhnt hab zu sagen: Essen ist ja auch einfach eine Energie. Und wenn ich zwei Toastbrot mit der gleichen Anzahl an Spiegeleiern ess, dann ist das ein Anfang, der bringt mich durch den halben Tag. Aber das hab ich dann die folgenden Tage allein gemacht. Und es ist auch nicht jeden Tag dem Gespräch zwischen den jungen Männern zu folgen gewesen, die einander erzählen, wie toll sie wo überall wie viel Drogen genommen haben und wie sie dann wieder schlafen gegangen sind. Aber wir sind ja dann eh jeden Tag in eine der unzähligen Kaffeegaststätten gegangen, in denen es außer Kaffee noch leicht überdimensioniertes Süßgebäck der europäischen Stoßrichtung gegeben hat, was einem auch für den Vormittag reicht, aber mein Budget ein bisschen verwirbelt hat.
Halb so schlimm. Man braucht die Energie auch für Seoul. Und ich sag, wir sind viel U-Bahn gefahren, aber wir sind auch sehr viel gegangen. In der Tourismusinformation hat man mir später gesagt, dass eine Station jeweils etwa eine Viertelstunde zu gehen ist. Und das kommt wahrscheinlich hin, wenn nicht gerade der Fluss dazwischen ist oder jemand mit meinem Orientierungsäquivalent die Gruppenführung inne hat. Im Endeffekt heißt das aber, es grad ein bisschen zu weit ist, um wirklich zu Fuß zu gehen. Und wir sind halt doch zu Fuß gegangen. Sonst sieht man ja nichts. Vielfach gibt s auch gar nicht viel zu sehen. Wir sind halt von hier nach da, von einer der zweiundvierzig Universitäten zum Palast zum Palast zu TouristInnenvierteln, zu Einkaufsstraßen, zu dem netten kleinen Fluss, den sie auch hier mitten durch die Stadt fließen haben, zum Markt, den wir nicht finden, weil es ein Kleidungsmarkt ist, den wir nicht suchen.
Und dann stehen wir erschöpft an einer Ecke und wünschen uns besseres Internet und etwas zu Essen, als uns die Zeuginnen Jehovas ansprechen. Hallo, ja, nein, nicht besonders. Danke. Und dass wir gar nicht mehr da sein werden am Samstag. Aber ob sie uns vielleicht in die Richtung weisen können, wo wir was zu essen bekommen. In dem Moment bekommt M von einem missionierenden Buddhisten ein Armband ums Gelenk geschlungen und ich glaub das war so der Moment wo s dann wurscht gewesen ist und wir sitzen drei Minuten später vor einem Standl, aus dem wir koreanisches Mittagsessen bekommen. Ein Huhn, ein Reis und ein oder zwei von den Beilagen, die was die Abenteuerlichkeit betreffen so in der Mitte der Skala liegen. Nachdem wir ein bisschen mit der chinesischen Besitzerin ins holprige Gespräch gekommen sind, schenkt sie uns noch einen Teller koreanische Fischkuchen. Sagt man Fischkuchen? (Fun Fact: es gibt keinen deutschsprachigen Wikipediaartikel zu Fischkuchen.) Das ist so eines der Hauptnahrungsmittel, scheint s. Homogene Fischmasse, die in recht stabile Formen gebracht wird. Wenn sie wie Gnocci geformt sind, hat sie M schnell erkannt, aber es gibt sie auch am Spieß und da haben wir lange gerätselt. Es hat die Form eines Fischs schon lange hinter sich gelassen.
Als kleinen Verdauungsspaziergang wandern wir auf den Namsan, den Berg auf dem der große Funkturm steht. Das ist natürlich kein kleiner Verdauungsspaziergang sondern wir erreichen den Gipfel gerade so zu Sonnenuntergang, gerade rechtzeitig, dass wir mit hunderten anderen die untergehende Sonne fotografieren können. Ich stolper schnell auf eine Metaebene, auch weil ohne ein optisches Teleobjektiv eine untergehende Sonne ebensoschwer zu fotografieren ist, wie andere Himmelskörper. Man kriegt einfach einen kleinen Punkt auf sein Foto und das war s dann. Deshalb wundere ich ich dann schnell einmal über die ungebremste Freude, mit der die Leute ihre Kameras gegen Westen halten. Der Ort ist allerdings auch romantisch aufgeladen, an den Gittern sind tausende Schlösser angebracht, mit denen sich hier die eine oder andere Liebeserklärung manifestiert hat. Und natürlich: Sonnenuntergang und Liebeserklärungen – das geht Hand in Hand. Ich will s jetzt niemandem vermiesen, aber ich bin maximal ein bisschen nachdenklich geworden über den Enthusiasmus, der sowohl beim Liebeserklären als auch beim Sonnenfotografieren vielleicht oft einmal ein bisschen mehr eine Geste ist, als ein Inhalt. Insbesondere, weil der Ort so durchorganisiert ist für ein spezifisches Erlebnis: Hier sei verliebt, hier schau gemeinsam der Sonne beim Untergehen zu. Da bin ich schon ein bisserl ins Grübeln gekommen. Dabei hat Korea eine äußerst liebenswerte und öffentliche Partnerschaftskultur, in der Pärchen in ihren Zwanzigern gern öffentlich als das darstellen. Dadurch hab ich schnell den Eindruck bekommen, selten so viele Paare und ihre Interaktion gesehen zu haben. Zugegeben, wir waren da ein bisschen vorgeprägt durch Ds Erfahrungen, die uns mit dem Geheimnis des Couple-Couple vertraut gemacht hat, wobei sich die PartnerInnen gleich anziehen. Und ehrlich gesagt hab ich das wider meine Erwartung dann in der Praxis eigentlich gar nicht als unerträglich erlebt. Was findet man nicht alles interessant, wenn s nicht daheim passiert…
Nebenan ist in der Zwischenzeit eine Konzertbühne aufgebaut worden und eine Fangemeinde hat sich davor eingefunden. Wir stehen kurz davor, unser erstes K-Popkonzert mitzubekommen und wir haben uns gar nicht darauf vorbereitet! Oder auch nur damit gerechnet. Aber wir sind letztlich beide nicht in der Stimmung nach einem anderen als einem ironischen Zugang zu einer derartigen Veranstaltung zu suchen. M ist der Band (oder eine Band) schon an der Restaurantkassa begegnet und war nicht vom Hocker, während ich den AufheizerInnen dabei zugeschaut hab, wie sie das Publikum auf den bevorstehenden Auftritt vorbereitet haben. Dabei war aus meiner Perspektive halt auch zu sehen, wie die Band außerhalb des Publikumsbereichs herumgeht, während dort alle Augen auf die Bühne gerichtet sind… Es hat einfach ebenfalls ein bisschen wirr gewirkt. Und wir haben uns dann schnell einmal an den eh beleuchteten Abstieg gemacht. Weil es ist ja nicht so wirklich ein Berg, wenn der mitten in der Stadt steht.
Auch am nächsten Tag laufen wir noch ein bisschen zufällig. Weil eigentlich wollten wir in die Demilitarisierte Zone fahren. Aber die hat zu, sagen sie uns in der Früh am Bahnschalter. Also, zumindest, dass der Zug nicht fährt. Wegen „Schweinegrippe“. Wir sind uns insgeheim einig, dass das ein Euphemismus für die transpazifische Freundschaft sein muss. Aber ja, was soll s. Nachdem wir ein bisschen unsere Möglichkeiten durchgegangen sind, satteln wir spontan um auf einen weiteren Seoulrundgang. Und es ist ja nicht so, als ob s da nicht noch etwas für uns zu sehen gäbe. Da gibt s einen Stadtteil, in dem viele Häuser noch nach traditioneller Bauweise gebaut sind, da gibt s eine Überfahrung, die nie eröffnet worden ist und jetzt eine FußgängerInnenzone ist. Insgesamt ist Seoul irgendwie unorganisierter als die japanischen Großstädte, kommt mir vor. Es gibt auch das mit den kleinen, vertrauten Gassen, kaum dass man einige hundert Meter von den zentralen Verkehrswegen weg ist, nicht. Oder zumindest hab ich das nicht so erlebt. Es ist alles ein bisschen wilder, ein wenig offener und vielfältigter. Wir scheitern wieder daran, einen Markt zu finden, an dem wir ein Mittagessen bekommen. Oder vielleicht entspricht es nur nicht unseren Erwartungen. Als ich zwei Tage später allein in einen Streetfoodabschnitt eines Marktes stolper – nachdem ich zwanzig Minuten durch Kleider- und Stoffstände gewandert bin – bin ich auch wirklich überfordert mit dem Angebot. Es ist weniger einfach zugänglich, es gibt keine Speisekarten, keine Bilder, es gibt nur was da ist und das ist für das ausländische Auge oft nicht einfach zu identifizieren. Siehe Fischkuchen.
Abends machen wir einen Ausflug nach südlich (nam) des Flusses (gang). Gar nicht so sehr auf der Suche nach Psys Garage sondern auf dem Weg nach Lotte World, in einen Vergnügungspark. Der kürzeste Weg zur Enttäuschung. Ich mein, bravo für den Aufwand, ein generisches Disneyland zu basteln und zwar immerhin mit derartigem Erfolg, dass sich um die Figuren möglicherweise eine eigenständige Fanbase entwickelt hat. Zumindest gibt s tonnenweise Merch zu kaufen. Allerdings in einem Gang in dem jemand Knoblauchbrot verkauft, bei dem frisches Brot in einen Bottich voll Knoblauchmus getunkt wird und das ungelogen einfach den ganzen Gang vollstinkt. Das Geschäft bewirbt sein Produkt mit eine Reihe von Gesundheitsvorzügen, aber ich versteh nicht, wie das erlaubt sein kann, daneben versucht jemand Pfannkuchen zu verkaufen um Himmels Willen!
Aber
ja, das wollte ich sagen: das scheint schon ein bisschen ein Ding zu
sein, dass Korea seine eigenen Dinge entwickelt, aber insgesamt halt
total westlich orientiert ist. Und ich mein, wie sollen sie auch
nicht. In Wahrheit gibt s ja nur zwei Nachbarn, drei, wenn man sagt,
dass die Volksrepublik ein Nachbar ist. Aber sonst ist da ja nur die
andere Volksrepublik. Und das sind irgendwie nicht die FreundInnen,
weil immerhin unterstützen die ja die… wie auch immer man das
nennen mag. Die unrechtmäßige Trennung Koreas. Und dann bleibt nur
Japan, als befreundetes Ausland. Aber dass Korea eine angespannte
Beziehung zu Japan hat, von dem die KoreanerInnen in der ersten
Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts besetzt und systematisch
ausgebeutet, unterdrückt, verschleppt und ermordet wurden, das kann
man auch verstehen. Und das ist insgesamt interessant, das hier
tatsächlich auch Geschichte passiert ist, während bei uns
Geschichte passiert ist. Ich mein, das sag ich natürlich jetzt
ironisch, für den Fall… aber irgendwie ist es halt schon etwas,
mit dem man sich normalerweise nicht konfrontiert sieht. Grad Korea.
Was weiß man davon schon.
Naja. Im Museum lern ich tags darauf, dass sich Korea grad erst im späten neunzehnten Jahrhundert ein bisschen neu erfindet. Es beginnt eine neue Dynastie, Seoul wird renoviert, die Paläste erneuert und das Land ein bisschen modernisiert. Aber kaum, dass das in Fahrt kommt und sich Korea eine Form gibt, mit der sie international auftreten können, zwischen Nationalstaat und Kaiserreich, marschiert Japan ein und annektiert Korea schließlich 1910. Und nach dem Krieg befreit und doch gleich wieder selbst wieder Kriegsschauplatz. Und während das befreite Volk im Norden kein Glück unter seinen BefreierInnen hat, so kriegt auch der Süden eine korporative Militärdiktatur ab. Auf der deutschsprachigen Wikipedia kann man dazu diesen furchtbaren Satz lesen: „Obwohl es in dieser Zeit zu schweren Menschenrechtsverletzungen kam, gelang es unter der Militärdiktatur, der Wirtschaft zu einem starken Aufstieg zu verhelfen.“ Wenn das nicht einmal ein klassisches Ende-gut-alles-gut ist.
Ich weiß nicht einmal genau, woher ich diesen Eindruck hab, vielleicht ist es nur schiere Willenskraft von meiner Seite oder das Resultat einer falschen Vorsicht, wenn ich mit KoreanerInnen über Korea geredet hab, dass ich glaub, dass für Korea Korea immer noch Korea ist. Dass das Land in Nord und Süd geteilt ist, ist für die meisten Menschen in der Welt eine Tatsache und vielleicht eine scheinbar unumstößliche Tatsache. Aber für KoreanerInnen war die Idee eines vereinten, unabhängigen Koreas schon vierzig Jahre vor der Trennung eine zentrale Ideologie im Widerstand gegen die japanische Besetzung. Und die Familien- und Verwandtschaftsbeziehungen dürften nach wie vor stark sein, auch wenn sie über den 38. Breitengrad hinweggehen, an dem Korea geteilt ist. Ich glaube in Korea ist der Nationalismus immer noch ein Mittel zur Eigenständigkeit und zur Selbstbestimmung. Das ist ja überraschend für mich und gar nicht so einfach zu akzeptieren, die emanzipatorischen Aspekte von Nationalismus zu sehen. Auf jeden Fall vermute ich jetzt, es gäbe gar keinen besonders ausgeprägten südkoreanischen Nationalismus, es gibt nur Korea und das ist geteilt.
Nachdem wir nochmal auf der Suche nach einem Abendessen, ohne so recht zu finden, was wir suchen, ein bisschen verloren gehen, auch wenn wir bald einmal beide nasse Füße haben. Es hat den ganzen Tag geregnet und wir haben zwar an verschiedenen Stellen der jeweiligen Interessenslage entsprechend Museen besucht ist, aber bei der Suche nach Streetfood patschen wir letztlich doch nochmal durch die Lacken. Es ergibt sich, dass wir einen Teil unserer Suche zwei KoreanerInnen hinterhergehen, die möglicherweise gemeinsam arbeiten…? So haben sie zirka auf mich gewirkt. Was mir aber sehr gut gefallen hat, war jedoch wie witzig es die beiden gehabt haben, wie viel sie beide gelacht haben. Da hab ich mir gedacht, ob das nicht ebenfalls etwas ist, was ich in Korea mehr gesehen habe als anderswo: dass Leute miteinander in der Öffentlichkeit lachen. So, dass man annehmen kann, dass sie was lustiges gesagt haben. Aber das ist natürlich sehr schwer nachzuvollziehen, wie sehr das ein verzerrter Eindruck ist oder etwas, was mir nach dieser Beobachtung einfach noch mehr aufgefallen ist. Aber es ist nicht so, dass sie so fröhlich wären. Oder so gut gelaunt. Es wäre wirklich, dass sie einfach viel lachen, weil sie s miteinander lustig haben.
Und jetzt ist das natürlich es schon wieder Zeit für eine Verabschiedung denn M macht sich in Richtung Flughafen auf, um noch ein paar Tage Tokio zu erleben. Und dann schon wieder nachhause. Vielleicht merke ich erst in dem Moment, unter welchen unterschiedlichen Voraussetzungen wir diese zwei Wochen miteinander herumgefahren sind. Und ich wieder das einzige Publikum meiner ungefilterten Alltagsbeobachtungen. (Nicht, dass das Publikum, dass sich über sie amüsiert hat, jemals eindeutig größer als eins gewesen ist…)
Und am Abend verirre ich mich noch einmal in jene Gegend, in der wir am Beginn unserer Seoulerkundungen von den blinkenden Lichtern so beeindruckt waren. Und ob das nur an jenem Abend war, aber auf jeden Fall ist an jeder Ecke eine Band gestanden, die dort Musik gemacht haben. Zuerst hab ich ein paar K-Pop Bands zugehört und den SängerInnen bei ihren extrem anstrengend aussehenden Tanzroutinen zugeschaut. Da war auch oft ein bisschen Interaktion mit dem Publikum, kam mir vor, dass die vielleicht ebenfalls eingeladen waren, da mitzumachen…? Ich weiß es nicht. D hat uns erzählt gehabt, dass da auch bereits bekannte Bands auftreten und so einerseits ihre Fanbase erweitern, aber es scheint auch einfach irgendwie dazuzugehören. Und bei einigen Bands standen dann auch EuropäerInnen für ein gemeinsames Foto an und natürlich weiß ich s nicht, aber das hat vielleicht schon so gewirkt, als ob die die schon vorher gekannt hätten. Ich weiß ja wirklich nicht, wie das ist, mit der modernen Musik.
An der nächsten Ecke hat ein junger Koreaner ein Gitarrensolo in die Länge gezogen, aber ich bin dann eher in die ruhigere Ecke und hab dann länger einer Chinesin zugehört, die ihr Publikum regelmäßig gebeten hat, doch näher zu kommen, weil sie sonst die Straße versperren und die Autos nicht durch können, respektive es für die ZuhörerInnen gefährlich ist, weil die Autos hinten an ihnen vorbeifahren. Das war aber nett, auch weil sie dann angefangen hat, chinesische Popmusik zu singen und ein zwanzigköpfiges Publikum mitgesungen hat. Das war irgendwie schon was schönes. Und hat mich auch daran erinnert, dass Korea halt doch so ein verhältnismäßig freies Land ist, für die Gegend dort. M und ich waren beide ein bisschen überrascht als ich gelesen habe, dass Korea das Land mit der best etablierten Pressefreiheit in Asien ist. Aber ja, auch wenig überraschend eigentlich, wenn man sich überlegt, welche Länder denn noch so in Asien liegen. Und irgendwie wirkt das unzeitgemäß, dass es da auch um persönliche Freiheiten. Vielleicht einfach um die Freiheit, Lieder zu singen, die man daheim vielleicht nicht singen darf. (Nicht dass ich dafür Evidenz hätte, das war allerdings so ein Gedanke, den ich bei der einen oder anderen Nummer hatte.) Aber immerhin wurden parallel zu meinem Ostasienaufenthalt in Hong Kong Proteste niedergeschlagen und das spielt natürlich schon mit hinein, wenn man versucht, sich ein Bild von der Gegend zu machen.
An meinem letzten Tag treffe ich noch Sunny. Die arbeitet im Hostel und sagt mir in der Früh, wo ich meinen Rucksack lassen kann. Und weil sie aber überraschend gar nicht überdreht ist und insgesamt sympathisch unterhalten wir uns ein bisschen und sie gibt mir noch ein paar Empfehlungen: ein nettes Viertel für Straßenspaziergänge und einen Kaffee, eine aufgeregte Ecke für ein Mittagessen und ein Freizeitareal auf der anderen Seite des Flusses. Auf ausgedehnten Spaziergängen erkundige ich die Hostelumgebung noch ein bisschen gen Westen, wo wir bis dato gar nicht hingekommen sind und bin schnell überrascht, was für eine sympathische Nachbarschaft ich dort entdecke. Die Straßen weitgehend leer und wenig Verkehr, aber auch wenig von den Neonschildern und der ganzen Feierlaune, der wir in der anderen Richtung schnell einmal begegnet sind. Ich komme noch einmal an dem kleinen Fluss vorbei, zu dem man in der Innenstadt einige Stufen hinuntersteigt und damit die laute Stadt ebenfalls schnell hinter sich gelassen hat, zugunsten von Reihern, Enten und anderen SpaziergängerInnen. Ich schau alten Männern im Park beim Schachspielen zu, nur dass es nicht Schach ist, sondern Changgi. Aber das Bild ist ja das gleiche. Und dann wandere ich noch am Südufer des Flusses entlang, wo eine Art Donauinselfeeling herrscht. Sprich: betonierte Ufer und Grünflächen. Auf den Grünflächen sitzen sie zu dutzenden, oft in mitgebrachten Zelten (diesen, die sich von selbst aufklappen) und reden, spielen, essen, trinken.
So steig ich nach meinen letzten Stadtrundgang nochmal hoch in die Küche um mich zu verabschieden und wir haben noch eine nette Unterhaltung über meine Koreaeindrücke. Als ich dann die Stufen hinuntersteige ruft sie mir noch hinterher: “Have fun in the Philippines. Though not as much fun as in Korea!” Und ich denk mir, dass die schon witzig sind, die KoreanerInnen und wahrscheinlich ist das einfach der Grund, warum ich sie so viel lachen seh.
Dann kam der Moment und der Moment brachte M. Ich bin nicht mehr allein unterwegs und das ist erfrischend. Die Welt direkt zu kommentieren, einen zweiten Blick zur Verfügung zu haben. Aber es eröffnet nicht nur Möglichkeiten, es frisst auch Zeit, frisst die Zeit, in der ich mich langweile und nach Gesellschaft sehne. Frisst die Zeit in der ich meinen Gedanken nachhänge und Zeit in der ich mich besinne und die Vergangenheit in eine Form bringe. Eine nachhaltige Form des So-ist-es-passiert. Geschichte schreiben.
Eben
war ich noch in der österreichischen Botschaft und erlebe die Heimat
als bürokratischen Verwaltungsapparat, wenn ich mich für den
Eintritt erklären muss und dann ein dickes Kuvert überreicht
bekomme. Aber mit Erleichterung stelle ich fest, dass ich nicht der
einzige, dass ich nicht der letzte bin, der hier seine Wahlkarte in
Empfang nimmt. Und dann viel zu viele Namen und Listen und ich mach
mein Kreuz und steck meinen Wahlzettel ins Kuvert, den Rest in meine
Tasche. Und jetzt liegt selber der Effekt dieser Handlung schon in
der Vergangenheit. Ein paar Tage später lese ich übrigens die
Listen und wunder mich, warum Parteien mehr Leute auf ihre Listen
setzen als es Plätze im Parlament gibt. Ja, ja, da sind wohl
irgendwelche Vorzugsstimmenwahlkämpfe versteckt, aber so die Listen
durchzublättern und auch nur 183 Leute auf einer Liste zu sehen
wirkt ein bisschen nach Arroganz.
Insgesamt
gibt s für mich sonst nicht viel zu tun in der Botschaft. Ich
überfliege schnell einen Prospekt über österreichische
Kulturveranstaltungen August bis September und sehe, dass ich eine
Klimtausstellung in Osaka verpasst habe. Aber ich bin insgesamt
schnell wieder draußen und wander noch ein bisschen verloren durch
die Gassen des – wie ich annehmen muss – Botschaftsviertels.
Warum sonst würde ich hier so viele blonde Frauen auf
Fahrrädern-mit-Kindersitz-hinten-drauf sehen. Und obwohl ich Tokio
deutlich weniger fordernd finde, als vor zwei Wochen, lauf ich dann
vor lauter Tokio doch noch über eine rote Ampel. Neben mir bremst
ein größeres Auto, aber so sanft, dass ich es überhaupt erst
bemerke, als es bereits stehengeblieben ist. Natürlich ein bisschen
ein Schreck auf meiner Seite. Und sofort denke ich, dass das jetzt
wirklich nicht… also natürlich war das mein Fehler. Ich hab nicht
damit gerechnet, dass zwei aufeinanderfolgende Ampeln nicht
gleichgeschaltet sind, selbst wenn die Verkehrsinsel zwischen den
zwei zu überquerenden Straßen nur drei, vier Meter breit ist. Auf
besagter Verkehrsinsel steht eine uniformierte Person und sofort bin
ich als braver österreichischer Staatsbürger für eine unterwürfige
Geste zu haben. Aber nichts da: die Person in Uniform schlägt selbst
die Augen zu Boden, reagiert das offizielle Tokio also eher mit
Enttäuschung als mit Strafe auf meine Gesetzesschramme?
Auf dem
Weg zurück zum Bahnhof such ich mir noch ein schickes Kaffeehaus, in
dem ich nicht nur eine Tasse indonesischen Kaffee trinke, sondern
mithilfe der Möglicherweise-e-die-Besitzerin meine Postkarte an das
hiroshimanesische Restaurant adressiere. Und dann heißt s mich
sputen, damit M nicht allzu verloren auf dem Bahnhof herumsteht. Wir
haben noch einen Zug zu erwischen und er hat elf Stunden Flug hinter
sich, ich bin mir sicher, der möchte sich setzen. Ich hab noch ein
Internet auf meinem Telefon, aber die freien Wifis, die in der Stadt
zu finden sind, sind nicht immer einfach und ich bin nicht sicher, ob
meine Beschreibungen des idealen Treffpunkts so verstanden werden,
wie ich mir das erträume.
Aber
alles kein Problem, da steht er schon, unerwartet frisch und munter,
den Railpass in der Tasche und ein dementsprechendes Lachen im
Gesicht. Es geht fast alles ein bisschen zu glatt. Ein fröhliches
Hallo und auch nach acht Monaten gleich in die selbe Vertrautheit
zurück, wie in die Lederhandschuhe vom vorigen Jahr. Im Shinkansen
kriegen wir bloß Sitze hinter- beziehungsweise voreinander, aber mit
einem Blick durch die Sitzreihen zurück stelle ich fest, dass das
auch nicht so schlecht ist, weil dann kann sich M noch ein bisschen
ausruhen. Ist ja doch eine lange Reise. Von Wien nach Tokio, von
Tokio nach Hakodate.
Weil
wir sind jetzt noch stundenlang unterwegs, inklusive einer
unauffälligen Querung der Meerenge zwischen Honshu und Hokkaido.
Weil es draußen bereits dunkel geworden ist, merken wir kaum, dass
wir in einen Tunnel hinein und aus einem Tunnel wieder hinaus sind.
Glücklicherweise bekommt M von seinem Sitznachbarn über gemeinsames
Gestikverständnis erklärt, wie ein Tunnel funktioniert, erfahre ich
später. Und eine getrocknete Jakobsmuschel, die zugegebenermaßen
sehr wie ein Karamellbonbon ausschaut, und deshalb umso mehr für den
eben noch aus Europa geflogenen Gaumen ein bisschen eine Überraschung
darstellt.
In
Hakodate finden wir zu unserem Schachtelhotel, ein kleiner
Spaziergang durch unsere erste Stadt Hokkaidos. Es ist schon einmal
deutlich kühler als in Tokio, mich friert s fast ein bisschen auf
den von meiner Hose nur halbbedeckten Wadeln. Im Schachtelhotel
werden wir enthusiastisch begrüßt und es wird uns ein Foto mit
Fahne in der Hand abgenommen. Ich mein, einfach weil sie tatsächlich
eine österreichische Fahne dort stehen hatten, das hat mich einen
Moment lang beeindruckt. Weil zuerst hat man uns die australische
Fahne angeboten und wenn ich nicht gedacht hätte, dass sie jetzt
sicher keine österreichische da stehen hätten, hätte ich die ja
nicht abgelehnt. Im Zweifelsfall nämlich sowieso lieber mit der
australischen, nicht weil ich lieber mit einem australischen Pass
herumlaufen würde, einfach weil die Abstraktion eine größere ist,
wenn ich mich weniger mit der Fahne identifizier (ob ich will oder
nicht), die ich in der Hand halte. Und dabei sind wir bei weitem
nicht die einzigen euro-amerikanischen Gäste. Der Enthusiasmus
scheint wirklich Standard zu sein.
Ein
erstes japanisches Abendessen für den Freund von daheim in einem
guten aber von sehr distanzierten Unternehmern geleiteten
Rahmenlokal. Daheim gibt s noch einen Becher Gerstentee, bevor wir in
unsere mit Rollo verschließbaren Bettkabinen kriechen. Wie
Aschenbecher, sagt er und meint den Tee. Aber auch in unseren
Schlafverschlägen ist es spätestens am Morgen heiß und stickig.
Wir
verlassen das Hotel ohne die hunderttausend Freizeitangebote in
Anspruch genommen zu haben, die uns zur Verfügung gestellt werden.
Ich hab kurz die Kalligraphie ausprobiert und schnell festgestellt,
dass mein Asienaufenthalt meinen plumpen Pinselstrich nicht
beeinflusst hat. Am Klavier spiele ich wohl nicht einmal eine Melodie
sondern tappe nur ein kurzes ping-ping um eine Idee vom Klang
zu bekommen. Sofort springt jemand hinter der Rezeption auf und man
deutet mir zur Motivation, ich solle doch, ich würde doch bitte.
Aber wir haben schon die Rucksäcke umgeschnallt und machen uns auf
den Weg zum morgendlichen Fischmarkt.
Den
morgendlichen Fischmarkt haben wir um zehn natürlich längst
verpasst, aber es gibt noch den, naja, den normalen Fischmarkt, I
guess, auf dem die größte Attraktion ein Aquarium ist, aus dem
sich KundInnen selbst ihren Tintenfisch angeln können. Das kommt mir
dann doch ein bisschen gar grob vor, irgendwo hat ein Tintenfisch ja
doch ein zur Empathie einladendes Goscherl und die zwei großen Augen
und die eindeutige Panikreaktion, als er am Haken aus dem Wasser
gezogen wird und selbst Wasser auf die AngreiferInnen spritzt.
Letztlich hindert s mich aber doch nicht daran, mir in der nächsten
Halle ob der begrenzten Auswahl einen gegrillten Tintenfisch zum
Kaffee zum Frühstück zu bestellen. Aber der Vegetarier in mir werkt
schon in derartigen Situationen und er ist in den letzten Wochen
lauter geworden, stellt Ansprüche während ich „einfach nicht
dazukomme“ nachzusehen, ob es der Gelbflossenthunfisch oder der
Blauflossenthunfisch ist, der derart überfischt ist. Es ist einfach
nicht richtig.
Nächster
Halt: Asahikawa. Lustigerweise kommt da gar nicht das Bier her
(Asahi), zumindest nicht, dass wir das herausgefunden hätten.
Es gibt nämlich zwei, sagen wir, drei. Es gibt drei große Bier in
Japan. Kirin. Sapporo. Asahi.
In Japan und außerhalb. In Australien zum Beispiel gibt s kaum ein
japanisches Lokal, das nicht Asahi ausschenkt. Es ist auch
sonst ein beliebtes Bier, so weit ich mich erinner. Und vor einem
halben Jahr hab ich noch gedacht, dass es sich bei Asahi um
eine Kette japanischer Restaurants handelt, weil ich das so
miteinander verbunden hatte ohne mich wirklich für s Bier zu
interessieren. Und jetzt ist das ja auch nicht im Fokus, wenngleich
man sagen muss, dass der Besuch von zuhause schon auch die eine oder
andere Gewohnheit von daheim mitgebracht und in meinen Alltag
zurückimportiert hat. Also zum Beispiel, dass ein Bier nicht nur
eine Begleitung für ein Abendessen ist, sondern so einem Glas in den
Zustand innerer Leere zu verhelfen auch ein abendliches
Zusammensitzen begleitet. Das kommt wie von selbst und ich bin ein
bisschen unzufrieden damit, wie schnell das wieder den Rang einer
Selbstverständlichkeit angenommen hat. Das ist doppelt schade, weil
einerseits torpedier ich mir damit ein bisschen das Zusammensitzen,
wenn ich mir nicht gegen die schlechte Laune zu helfen weiß und auf
der anderen Seite ist es halt auch einfach ein bisschen bedauerlich,
dass das eine gemeinsame Freizeitbeschäftigung ist, zu der mir in
der Situation auch keine Alternative einfällt. Ich mein, wir
schießen uns ja nicht weg, aber das eine Bier, das vor ein paar
Wochen noch eine erwähnenswerte Ergänzung meiner Abendessen in
Japan war, das sind halt jetzt zwei.
Asahikawa
ist jetzt aber wirklich schon weit im Norden und es ist kühl genug,
um im Rucksack nach den Jeans zu kramen. Die Leerstelle ist schnell
mit den Flipflops gefüllt, auch die brauch ich heroben nicht. Als
wir in einer kleinen Gasse unsere Unterkunft gefunden haben, sagt die
Besitzerin, dass sie keine Duschen hat und ich denk mir, das erklärt,
warum das so billig war und sag, das sei kein Problem, es sind ja nur
zwei Nächte und wenn sie sagt, nebenan gibt s ein öffentliches Bad,
dann passt uns das. Ob ich mich einmal nach M hätte umdrehen sollen,
bevor ich den neuen Umständen zugesagt hab – könnte sein. M ist
in mehrfacher Hinsicht nicht ganz glücklich mit dem etwas urigen
Ambiente. Und es stimmt schon: die Stufen sind so steil, dass sie
durchaus an die Gefährlichkeit grenzen, das Klo ist drei Stockwerke
entfernt und der Eingangsbereich ist eine Mischung aus Bar und
Wohnzimmer, tief hinten in einer Einfahrt und bar jeglichen
Sonnenlichts. Außerdem ist das Zimmer einfach nicht hoch genug, dass
M aufrecht stehen kann. Und wo die Besitzerin freundlich und bemüht
ist, kann man das möglicherweise auch als ein bisschen zu wenig
distanziert wahrnehmen. Das ist dann auch irgendwo die Schwierigkeit
zwischen meinem Driften, meinem Willen zur Sparsamkeit und dem Mann,
der doch gekommen ist, um Urlaub zu machen und nicht unbedingt bereit
ist, mit Komforteinschränkungen für seine Übernachtungen zu
zahlen.
Aber
schön, mit dieses Bedürfnisschräge werden wir die nächsten zwei
Wochen zu tun haben und jetzt sind s ja nur zwei Nächte. Und jetzt
sitzen wir erst einmal über einem mongolischen Grill, was einfach
als Genre Dschingis Khan heißt. So wie ein Essen Fondue
heißen kann oder Brettljause. Ich glaub nicht, dass das
ok ist, das so zu nennen, aber es schmeckt auf jeden Fall. Und es ist
das erste Mal, dass ich am Boden sitzend mein Essen einnehme. Vor ein
paar Jahren bin ich mit dem Funfact herumgelaufen, dass die
JapanerInnen heute (und ein paar Jahren) im Schnitt um
so-und-so-viele Zentimeter größer sind als noch vierzig Jahre
zuvor, weil sie die traditionelle Art des
Am-Boden-Kniens-Slash-Sitzens zugunsten von Stühlen aufgegeben
hätten. Natürlich ist der Fun in dem Fact eher, dass es eine
Behauptung ohne Quellenangabe ist und vielleicht letztlich… es
erscheint jetzt einfach nicht besonders logisch.
Am Plan
steht eine Besteigung des Asahidake im Daisetsuan Nationalpark.
„Spielplatz der GöttInnen“ heißt es in den Broschüren und in
der Gondel, die wir letzten Endes doch den Berg rauf nehmen. Weil
unten ist es gatschig und der Weg scheint, seit sie die Gondel gebaut
haben, nicht mehr tip-top in Stand gehalten zu werden. Aber
vielleicht war er s nie und mein impliziter Vorwurf der
kapitalistischen Logik ist ungerechtfertigt. Beim Erkundschaften
möglicher Besteigungsrouten haben wir immerhin zwei Herren mit
Helmen im hohen Gras erspäht, die schienen den Weg zu erneuern, aber
das waren nur die ersten hundert Meter und das ist zu wenig für
einen Zweitausender. Außerdem hab ich im hohen Gras eine Schlange
gesehen und der M hat sowieso nur seine Laufschuhe mitgebracht, also
verzichten wir auf das Abenteuer durch den Busch und, ja, Gondel.
Leider
ist die Situation oben auch nicht ideal. Oder: kommt wahrscheinlich
drauf an, was man sich wünscht. Es liegen nämlich zwanzig
Zentimeter Schnee und dass es noch ein bisschen zu warm für den
Schnee ist, ist dann auch keine Erleichterung, weil so hat M bald die
Schneeschmelze bis zu den Knöcheln, während wir mit den vielen
anderen BesucherInnen gemeinsam über die engen Wege rutschen. Es ist
schon schön, das lässt sich auf jeden Fall sagen und auch M
vergisst die nassen Füße, als die Luft schwefeliger wird und die
Begeisterung für die aus dem Berg stoßenden Dampfschwaden einsetzt.
Ein Vulkan ist einfach was lässiges. Und wenn der heiße Dampf aus
einer Schneedecke hervorquillt, dann ist das noch eine Stufe
lässiger. Leider sind die Kontraste nicht so gut, weiß auf weiß
und bewölkter Himmel. Und auch wenn s nicht Indonesien ist und
deshalb schon dreißig Meter vor den Austrittslöchern eine
Absperrung aufgebaut und fleißig bewarnschildert wurde, es ist halt
trotzdem super. Irgendwer hat auf dem Rastplatz ein Schneeschwein
geformt, das war auch super. Sonst gilt als die lokale
Hauptattraktion die Ausstellung der Jahreszeiten und jetzt eben der
Herbst-Winter Übergang. Daisetsu Nationalpark sei üblicherweise
jene Gegend, wo sich die Blätter zuerst verfärben, wo der erste
Schnee fällt und so für Japan jene Jahreszeiten einläutet.
Immerhin der höchste Berg Hokkaidos. Es wirkt jedoch fast ein
bisschen frühlingshaft, aber die Blumen, die da scheinbar als die
ersten durch den Schnee stoßen, sind eher die letzten, die von der
Kälte gerafft werden, aber das sieht ja nur, wenn man s weiß. Nur
hie und da zeigt sich der Herbst auf dem Laub, das satte Grün ist
vielerorts nur vom Schnee verdeckt.
Zurück
im Tal gibt s einen Onsen, der die schneenassen Füße wärmt (wer s
braucht) und uns außerdem die fehlende Dusche in der Unterkunft
kompensiert. Wir kaufen unabsichtlich zwei Handtücher, weil
Ausborgen spielt s nicht für uns, die wir nicht Gäste im Hotel
sind. Aber die damit verbundenen Kosten sind so gering, dass ich
nicht auf die Idee gekommen wäre, dass wir die tatsächlich
erwerben. Gut vielleicht, dass wir uns mit kleinen Handtüchern
zufrieden gegeben und nicht das volle Set erstanden haben.
Aber
alles in allem ist alles in Ordnung. Der Bus schupft uns heim und wir
machen uns ein gemütliches Abendessen in einem Ramengeschäft. Wir
sind vielleicht ein bisschen irritiert über den offenbar
europäischen Hintergrund der einen Kellnerin, es ist einfach sehr
unüblich, die nicht-asiatischen GastarbeiterInnen in Japan. In der
einen oder anderen Jugendherberge sitzt mal eine EuropäerIn an der
Rezeption, aber das ist es wirklich. Und lustig, wie das von außen
dann immer gleich so so ausschaut, als spräche sie ein makelloses
Japanisch. Die Sprache ist so fremd, dass ich ja wirklich nichts
verstehe (ab und zu mal eine der ersten drei Ziffern) aber schon gar
nicht beurteilen kann, wie eloquent oder auch nur wie flüssig sich
jemand auszudrücken weiß. Und selbst die Gestik und paraverbale
Gesprächsanteile unterscheiden sich noch einmal merklich, sodass
jemand mit ein bisschen Japanischkenntnissen dann oft schon extremst
bewandt.
Nach Asahikawa sind wir nach Sapporo. Zunächst haben wir das ja anders herum geplant gehabt, dass wir zuerst einen Sprung nach Sapporo machen und von dort weiter nach Asahikawa. Aber schau an, es hat kurzfristig echt null Unterkunft für uns gegeben. Ok, nicht null, Sapporo ist ja doch recht groß. Aber in der Nähe des Zentrums und in einer recht engen Preiskategorie haben wir für den nächsten Tag nichts gefunden. Jetzt kann man sagen: Zufall. Oder man sagt: Rugbyworldcup. Hab ich mich mit meinen Befürchtungen doch ein bisschen bestätigt gefühlt. Wahrscheinlich war s so herum dann eh besser, weil wir ja auch einen Taifun mitgebracht haben und das schlechte Wetter in der Stadt sicherlich leichter zu umgehen war als draußen am Spielplatz der GöttInnen. Viel leichter nämlich, hat sich dann herausgestellt, als wir mit bereits nassen Füßen nach einer halben Stunde Stadtquerung herausgefunden haben, dass zumindest das Stadtzentrum mehr oder weniger untertunnelt ist und wir zumindest von unserem Kaffeehaus aus einfach unterirdisch herumgelaufen. Ich mein, viel gibt s nicht: Geschäfte und Lokale. Aber was braucht man schon viel mehr. Ich laufe meinen Spielkarten hinterher, die s nirgendwo gibt und für s Mittagessen sind wir dann sogar aus dem Untergrund heraufgekommen und haben uns die Füße auf dem Weg zum Fischmarkt benetzt. Essen gehen ist gemeinsam ja auch um ein vielfaches schwieriger, als allein. Ich mein, erstmal, dass die Hungerzyklen synchronisiert werden. Dass die Snacklust angepasst ist. Das ist alles nicht so einfach. Auf der anderen Seite erlaubt s halt auch ein bisschen was experimentelleres, wenn ich mein Gegenüber endlich auf Austern überredet hab, die ich mir allein nicht geben wollte. Jetzt sitzen wir auf jeden Fall über Sashimischüsseln, für die Aufregung hier verschiedenen Krebsen ans Bein zu nagen und Seesternrogen zu futtern, hab ich dann doch ganz schön auf s Wechselkurserinnern verzichtet. War dann eh auch fein, wobei ich sagen muss, dass mir nicht zuletzt in Erinnerung ist, dass ich dort den besten Reis gegessen hab.
Am Abend sitzen wir mit zwei Flascherl Sake in unserem vergleichsweise schicken Hotelzimmer. Sein Sake in den Eiswürfeln, mein Sake im Wasserkocher. Ich hab viel Zeit für ein Getränk, das sich warm und kalt trinken lässt ohne ekelhaft zu sein. Beim Aufräumen hat das Hotelpersonal mein unabsichtlich gekauftes Handtuch eingepackt und ich bin ok damit. Kurz überlege ich, dafür eines der hotellernen einzustecken. Aber erstens: nein. Und zweitens brauch ich ja kaum ein zweites Handtuch und sollte froh sein, dass mir das mit so wenig Eigeninitiative abhanden gekommen ist. Im Fernsehen gibt s Rugby und Go und eine Gesprächsrunde bei der sechs Leute um einen Tisch herumsitzen und Whisky trinken: Zwei Japanerinnen, drei Japaner und ein Ausländer, der bei uns daheim wohl nicht als solcher auffallen würde. Dann gibt s noch eine Sendung mit zwei Chinesinnen Anfang zwanzig, die durch die von einer Kamera verfolgt durch die Stadt spazieren und verschiedene Touristenattraktionen besuchen. Ehrlich gesagt kommt mir aber die Zeichentrickserie auf dem nächsten Kanal, in der die ProtagonistInnen in erster Linie Frauen mit way überzeichneten Proportionen sind, weniger sexistisch vor. Letztlich sitzen wir dann vor der zweiten Hälfte von Back to the Future Part III, die ganzen Ungenauigkeiten kritisierend, die man als Teenager gerne mal übersehen hat.
Am Vortag, unter passablen Wetterbedingungen, sind wir sogar ein bisschen an Sapporos Oberfläche herumgelaufen. Wir haben jetzt aber auch nicht irre viel für uns in der Stadt entdeckt. Ein bisschen durch die Straßen spaziert, den Fluss entlang und durch einen Park wieder zurück. Wobei wir, nicht uninteressant, auf eine Hochzeitsgesellschaft gestoßen sind. Also, zuerst war da so Krach im Park und auf dem Plan hat s ausgeschaut, als ob dort irgendein Musikhaus wäre. Interessant, hab ich gedacht, da machen sie vielleicht ein Gegenprogramm zum Rugger. Aber dann sind wir auf einer Parkbank gesessen und haben aus sicherer Entfernung (sowie des einsetzenden Abends) da wirklich einer Zeremonie zugeschaut. Dann ist die Gesellschaft plötzlich aufgebrochen und an uns vorbei und ich wollte ja die Gelegenheit gerne nutzen um „zufällig in die gleiche Richtung“ zu gehen und ein bisschen den Leuten zuzuschauen, aber da hat mir M nicht mitgespielt. Da tut man sich vielleicht allein leichter, ein bisschen in den Kontakt zu kommen oder zumindest in der Umgebung eines derartigen Ereignisses seine Kreise zu ziehen. Und ich versteh s eh, dass das schnell einmal ein bisschen herausfordernd wirken kann und rückblickend ist es schwer zu sagen, wem gegenüber ich mich hier provokanter erlebt hab. Wir sind dann zu einem unterirdischen Schnitzelwirten abgebogen.
Ich hab schon ein anderes Gefühl gehabt in den Städten da oben im Norden. Ein bisschen wilder ist es mir erschienen, weniger aufgeräumt, weniger streng. Vielleicht insgesamt etwas weniger von dieser japanischen Kultur, wie ich sie archetypisch zwischen Osaka und Tokio erlebt habe. Japan halt auch nur ein Nationalstaat, in dem von einem kulturellen Zentrum heraus die Peripherie kolonisiert wurde. Sowohl in Hokkaido als auch auf den Inseln im Süden flockt der kulturelle Einfluss halt auch ein bisschen aus: An beiden „Enden“ gibt s eigenständige ethnische Gruppen, die bis heute überlebt haben, die Ainu auf Hokkaido und die Ryukyuan auf den südlichen Inseln um Okinawa. Von den Ainu sind nur wenige übrig, die nicht bereits in die japanische Leitkultur assimiliert wurden. Aber man scheint noch Feste zu feiern und in den U-Bahnstationen gibt es Schmuck mit Ainu Designs zu kaufen.
Abends schauen wir uns ein paar Minuten Rugby in der Fanzone an. Das hat uns beide ein bisschen Überwindung gekostet, aber ich hab letztlich darauf bestanden, wenn wir schon hier sind, wo sich hunderttausende die Finger danach abschlecken. Es war dann besagten Hunderttausenden zum Trotz wenig los in der Fanzone. Und auch im Stadion, hat man uns einmal gesagt. Ich wollte ja tatsächlich einmal Karten kaufen, aber wir hätten die wohl auch einfach vor dem Stadion noch geschenkt bekommen. Man sieht s dann auch auf den großen Schirmen in der Fanzone, dass die Stadien halbleer sind. Aber wir erwischen s ganz gut, mit zwanzig Minuten die Togo noch gegen England durchhalten muss. Das ist gerade genug Zeit für uns, dass wir die Regeln ein bisschen aus dem ableiten können, was vor unseren Augen passiert. Vor allem aber ist es ganz amüsant, ein bisschen zuzuschauen, mit was für einem Körpereinsatz sich diese Spieler ihrem Sport hingeben. Noch dazu in einer Situation wo das Match bereits dermaßen entschieden war. Das kann ich nicht leugnen, dass das eindrucksvoll ist. Aber natürlich ist eine halbe Stunde dann auch schon genug.
Wir sitzen schon wieder im Zug und sind auf dem Weg nach Tokio. M macht einen kleinen Umweg, den mir mein ablaufender Railpass nicht erlaubt, aber ein bisschen freue ich mich ja auch darauf, einen Tag allein im Kaffeehaus zu sitzen. In Tokio treffen wir dann noch D, die gerade aus Seoul auf einen Abstecher nach Tokio kommt. Klar, wenn man schon in der Gegend ist. Und wir laufen ein bisschen zu dritt durch die Stadt, erstes Ziel: Das Café in dem man nicht reden darf. Im Leon haben sie nämlich große Boxen aufgestellt, durch die den ganzen Tag von Schallplatten aus klassische Musik gespielt wird. Dazu gibt s mittelmäßigen Kaffee. Ein schönes Konzept, natürlich. Ich mein, man kann nicht direkt sagen, dass sie da unprätenziös an die Sache herangehen. Aber es ist angenehm in einem unscheinbaren Haus versteckt, es hat eine angenehme Heruntergekommenheit und die paar Leute, die drin sitzen, scheinen mehrheitlich zum Arbeiten hergekommen zu sein. Es wirkt also tatsächlich nicht nur wie das überdrehte Geisteskind einer Anerkennung heischenden Hipsterverbindung. Dass man weniger hierher kommt um, wie (ich glaube) Joseph Roth über die Architektur des Burgtheaters sagt, von den anderen ZuseherInnen gesehen zu werden, wird dadurch verstärkt, dass die Sitzplätze größtenteils in die Richtung der gigantischen Lautsprecher gerichtet sind und man schon deshalb still sitzt, weil jede Bewegung ein Knarzen und Rascheln zur Folge hat. Und der als Deejay doublierende Kellner sagt seine nächste Schallplatte so entschuldigend und zurückhaltend an, dass es das schon einen Besuch wert war. was so die richtige Stimmung ist, um durch die vielen Abteilungen des Geschäfts zu laufen, das nicht Super Hans heißt. Tokyu Hands, das ist es. Da gibt s alles und in jedem zweiten Stock muss sich der eine oder die andere von irgendwas losreißen. Oder auch nicht, auch einkaufen ist erlaubt, warum nicht. Nur in der Kleintierabteilung beschränkt man sich bitte auf fassungsloses Starren.
Das war s dann auch fast schon wieder. Weil ich bin in Tokio dann tatsächlich mehr im Kaffeehaus gesessen und in der unmittelbaren Nachbarschaft des Hostels abgehangen. Das war eine angenehme Abwechslung im Gegenzug zur Überforderung, mit der mir Tokio ja doch ab und zu zugesetzt hat. Und wiederum: es ist schon auch eine Leistung, wie es in der Stadt gelingt, dass neben einem vollkommen überdrehten, touristisch überanspruchtem Viertel, nicht nur tote, ausgelaugte Gegend liegt, sondern sympathische Nachbarschaften, mit ihren eigenen kleinen Straßenlokalen, in denen schon wieder kaum jemand Englisch spricht. Ich verbringe meinen interessantesten Nachmittag allerdings in einem Kaffee, in dem sie durchaus Englisch sprechen. Es ist mal wieder so etwas, wo man mir einen Platz an der Bar anbietet und ich sitze dann neben einer, die gerade ihre Schicht vorbei hatte und wir plaudern die nächsten vier Kaffee (in vielen der Cafés, die Single Origin Kaffees zubereiten, kriegt man die zweite Tasse desselben Kaffees für kaum die Hälfte der ersten…) über Kaffee, über das Café, über Japanisch, über Japan und die Welt.
Und das ist eigentlich die schönste Erinnerung, die ich aus Japan mitgenommen habe: wie schön ich oft mit JapanerInnen ins Gespräch gekommen bin, meistens über ein Essen oder halt einen Kaffee. Aber dass der Zugang irgendwie so schnell da war und das Interesse und die Lust am Plaudern und dass das alles nur sehr wenig eingeschränkt war von irgendwelchen Vorannahmen über wie man sich zu verhalten hätte. Wenn ich Japan insgesamt immer wieder als das erlebt habe, als eine Gesellschaft, die ihren BürgerInnen viele Vorgaben macht, wie man sich im Alltag zu verhalten habe, wo man jeden Tag tausenden uniformierten Salary-Men gegenübersteht, den Angestellten, die tagsüber durch die Straßen hetzen, abends in der U-Bahn an ihren Telefonen hängen oder des nachts betrunken aus einem Isakaya herausstolpern, hab ich gleichzeitig nirgendwo so schnell freundschaftliche Kontakte geknüpft, wie in Japan. Und jetzt war diese Barista, mit der ich in Tokio zuletzt noch geplaudert hab, dann sogar noch kritisch gegenüber Japan. Nämlich über das politische Desinteresse der JapanerInnen oder zumindest ihrer Generation oder halt auf jeden Fall über ihr eigenes, da ist sie schon unzufrieden gewesen, das sagen zu müssen. Und dass ihr Gefühl sei, dass sich Japan so blind gegenüber der Welt verhalte, dass insbesondere China einfach bewusst ignoriert werde. Stattdessen gebe es halt nur Europa und Amerika, dorthin blicke man. Aber den Stolz auf Japan, das war trotzdem da: Als ich gesagt habe, dass ich auf mein Heimatland einfach nicht stolz bin, da war sie schon ein bisschen erstaunt, quasi: wie das sein könne. Nun, hab ich gesagt, es sei vielleicht eher, dass auf Dinge, auf die ich in meinem Heimatland stolz wäre, mein offizielles Heimatland einfach nicht stolz ist. Aber das ist natürlich kryptisch und ich glaube, ich hab s einfach dabei belassen, dass mir da kaum etwas dazu einfalle, auf das ich stolz sein würde.
Zweimal haben wir unseren Abflug nach Korea vor uns hergeschoben, es war uns dann immer ein bisschen zu kurzfristig, zwei Tage vorher zu buchen. Aber wir haben s dann geschafft, gleichzeitig zu verlängern und zu buchen, und uns selbst so ein Schnippchen geschlagen.
Nachdem ich gestern schon kurz meine Hobarterinnerungen referenziert hab: heute bin ich mit folgendem Artikel aufgestanden. Dass ich seinerzeit die Aurora Australis im Hafen von Hobart entdeckt hab, ist offenbar kein besonderes Erlebnis, weil sie da den ganzen Winter liegt. Aber es ist trotzdem aufregend, dass sie ein Eisbrecher ist, auch wenn ich das erst im Nachhinein erfahre. Das war ein aufregendes Konzept, ganz früher, dass da ein Schiff ist, das sich einfach so seinen Weg durch das Polareis bahnt, ich erinner mich, auch wenn es unwahrscheinlich ist, dass es die Aurora Australis war, die in diversen Kinderlexika unter dem Begriff abgebildet war. Immerhin ist sie erst seit 1992 unterwegs. Aber die Farbe der Eisbrecher war oft eine ähnliche; im obigen Artikel wird sie als international orange bezeichnet. Und im jetzt langsam beginnenden Sommer wird sie ihre letzte Runde machen.
Nachdem ich die letzten zwei Wochen mein Gereise mit FreundInnen geteilt habe, hat mich ein bisschen ins Hinterher gebracht. Es ist nett, die Zeit nicht allein zu verbringen, jemanden zum Plaudern und Reflektieren zu haben, da brauch ich vielleicht auch weniger das Hinsetzen-und-drüber-Nachdenken. Und auch beim Spazierengehen ist mir dann eher ein aktuelles Gespräch im Kopf (und im Mund), als dass mich so ein fremdes Land einfach voll trifft. Und dann brauch ich vielleicht jetzt sogar im Gegenteil ein bisschen wieder das Reinkommen-ins-Hinsetzen-und-drüber-Nachdenken. Außerdem bin ich zuletzt von Korea auf die Philippinen geflogen und ich muss sagen, dass mich das Wetter ein bisschen mitnimmt. Herhaut. Es ist so heiß, wurscht ob tags oder nachts, es ist einfach zu warm. Und natürlich schwül und drückend. Wieder einmal fällt mein Widerstand gegen Klimaanlagenbenutzung innerhalb weniger Stunden.
Und nicht zuletzt natürlich der Kulturschock wieder einmal. Wobei ich gar nicht weiß, ob das das richtige Wort ist. Was ist das richtige Wort dafür, wenn man über Nacht in einem Land ankommt, wo einem bei jedem Augenaufschlagen das globale ökonomische Ungleichgewicht in den Schoß tritt? Es ist nämlich schon ein bisschen wild hier. Mein erstes Erlebnis diesbezüglich war, als ich gestern die Straße entlangspaziert bin, dass ein Bub aus einer mir entgegenkommenden Kindergruppe ausschert und ich seinen Zuruf als Good Morning! verstehe. Die PhilippinInnen scheinen ihr Good Morning! zu lieben, als ich um halb zwei in der Früh aus dem Flughafen gestiegen bin, haben sie mir alle ein Good Morning! zugerufen, während ich gedacht hab, meint s ihr das ironisch oder was soll das. Meinen sie nicht. Und auch nicht ironisch hat der Bub gemeint, als er mir mit ausgestreckter Hand mein Missverständnis auf Money! ausgebessert hat. Da muss man einfach durch. Natürlich hab ich zuerst einmal das Gefühl, dass alle meine Interaktionen mit Einheimischen vom Geld geprägt sind. Wenn man mich im Hotel fragt, was meine Pläne sind, dann hat sie schon einen Plan für mich. Wenn mir die Männer aus dem Schatten einen Gruß zuwerfen und mich fragen, wohin mich meine Beine tragen, dann folgt kurz darauf ein Angebot zum Island Hopping oder eine andere lokale Version von Want to see the ruins, my friend? anbieten. (Ich denke, wie sich kürzlich herausgestellt hat, bei dem Filmtitel Arrival immer noch an The Arrival mit Charlie Sheen. Immerhin geht s in beiden um Außerirdische geht, die auf der Erde landen. Aber während der von 2016 ein guter Film ist, der auf einer empfehlenswerten Kurzgeschichte basiert, hält der Eindruck des zwanzig Jahre älteren vor allem, weil er diesen im formelastischen Lehm meiner jugendlichen Seele hinterlassen hat.)
Aber es geht. Ich muss das ein bisschen vergessen… nein, akzeptieren und darüber hinwegsehen. Und das hab ich ja noch aus Indonesien im Gehirngedächtnis. Das soll gar nicht so tautologisch klingen, ich mein so was wie das Körpergedächtnis, aber halt im Sinne von Geisteshaltung, in die ich leichter zurückfinde. Es ist allerdings fast ein bisschen schade, hab ich mir gestern noch gedacht, dass mein Eindruck von den Philippinen jetzt von diesem einen Ort geprägt wird und ich kann natürlich überhaupt nicht sagen, ob das überall so ist. Dass der Dreck und der Rost und der Sperrmüll so präsent sind. Dass neben der Straße Hähne und Ziegen zwischen dem Plastikmüll und den schlafenden Hunden herumstehen. Dass die Geschäfte schon wieder so viel Fertigessen in Kleinstverpackungen verkaufen. Das macht schon alles ein Bild, vor dem man als mülltrennende MitteleuropäerIn mit Sozialstaatsträumen ein bisschen verzweifeln kann. Aber dann bin ich heute an zwei Mädchen vorbeigegangen, die auf der – for lack of a better word – Terrasse gelegen sind, offensichtlich über ihre Hausübungen gebeugt, singend, miteinander blödelnd. Da hab ich gleich das Gefühl, da geht ja doch was in die richtige Richtung.
Na und heute war ich dann schon eine Runde Tauchen, deshalb bin ich ja hier. Und da bin ich dann in einem Kontext, in dem ich mich ja eh schon der Rolle der GeldausgeberIn eingefunden hab und dann ist auch der Umgang entspannter. Natürlich ist ein Tauchgang für zwanzig Euro geschenkt. Aber dafür muss ich auch zu Fuß vom Strand ins Meer gehen. Unter Wasser sieht man auch, dass bis vor einigen Jahren hier ebenfalls der Sperrmüll entsorgt wurde und auffällige Rohre, die tief in die Lagune hineinführen. Allerdings ist allein an der hiesigen Tauchgeschäftdichte erkennbar, dass der Ozean mittlerweile als eine Ressource verstanden wird und das ist alles bereits ganz gut mit Algen überwachsen. Was gab s also besonderes? Nun, ein paar Schnecken hab ich gesehen und zwar sogenannte nudibranch oder dann auf deutsch mit ein wenig weniger mysteriöser Erotik: Nacktkiemer. Find ich gleich einmal sehr, sehr lässig. Ich hab ja nicht gewusst, nach was ich hier Ausschau halte, deshalb hat s ein bisschen gedauert, bis ich die Zeichen vom Tauchtypen verstanden hab, wenn er mich auf was aufmerksam machen wollte. War schon aufregend, in einem neuen Gewässer zu tauchen. Wenig überraschend war hingegen, dass die Kamera nach zwei Fotos den Geist aufgegeben hat, da dürfte einfach die Software abgestützt sein.
Oft ist man ja einmal mit der Situation konfrontiert, ob man jetzt noch das alte Brot aufessen soll, obwohl man gerade mit einem frischen Laib durch die Wohnungstür gestiegen ist. Natürlich ist das ein Problem für Gesellschaften, in denen Brot eine wichtige Rolle spielt und insofern schon einmal ein Gleichnis, dass für Ostasien relativ unpassend scheint. Ich hab nicht vor, zehn Tage Japan, fünf Tage Korea zu unterschlagen. Aber für jetzt erst einmal was aktuelles.
Von Osaka nach Kyoto ist es wirklich kaum eine Zugfahrt. Das ist wirklich mehr eine Art S-Bahn als eine ordentliche Eisenbahn. Eine Frau bietet mir einen Stehplatz in der Ecke an und obwohl ich in der Mitte des Stehplatzbereichs mit meinem Rucksack zwischen den Knien hin- und herschwanke, sagt der Reflex zuerst einmal sagt, dass das schon passe, vielen Dank. Aber mithilfe schierer Willenskraft korrigiere ich mich und steh dann dankbar in der Ecke. Man sieht: nicht mal einen Sitzplatz hab ich, aber nicht einmal einen Sitzplatz brauch ich. Und aus dem Fenster raus ist da auch nicht viel Landschaft zu sehen, da sind Häuser und Straßen und vielleicht einmal eine Wiese. Da bekomme ich ein hübsches Gefühl für Mega-City, die verschmolzenen Großstädte der nahen Zukunft, die den Hintergrund für Cyberpunkgeschichten darstellen. Wo Menschen ihre Sinne und Fähigkeiten mithilfe elektronischer Implantate verändern und erweitern, wo jeder Widerstand gegen die von global agierenden Riesenunternehmen gestaltete Lebenswelt von ebendiesen mit militärischer Gewalt skrupellos niedergeschlagen wird. Es ist nicht nur die Geografie, die diese Fantasie weniger abstrahiert erscheinen lässt, als durch doppelverglaste Fenster auf alte europäische Straßen blickend.
Während vor meinen Augen also die eine Stadt in die nächste greift, denke ich daran, dass ich tatsächlich kaum etwas von Osaka gesehen habe. Abgesehen von meinem ersten Spaziergang, habe ich eigentlich kaum etwas von der Stadt zu Gesicht bekommen. Vielleicht ist das der Moment, wo mir gerade alles ein bisschen zu schnell wird für die nächsten Tage. Vielleicht ist es auch nur oder vor allem, dass ich wieder einmal jemanden vermisse, wieder einmal eine konkrete Person vermisse, nicht nur die Sehnsucht, die abstrakte Leerstelle eines fehlenden Gegenübers gefüllt zu bekommen. So wie ich das Gefühl habe, dass Osaka an mir ein wenig vorbeigezogen sei, erscheinen mir in Kyoto jetzt meine Eindrücke ebenfalls gedämpft, als durch einen sanften aber dämmenden Schleier.
Und ungeduldig bin ich auch: Auf dem Weg zu meinem Hostel biege ich von der großen Straße ab, weil mir zu viel los ist und hoffe, über eine der Seitenstraßen schneller und ungestörter zu meinem Hostel zu kommen. Vielleicht auch ohne auf dem Weg den Unmengen von TouristInnen ausweichen zu müssen, die sich langsam die Straße entlangschieben. Pech gehabt, weil die Parallelstraße führt quer durch den Markt und wenn der TouristInnenstrom zuvor nur am Mäandern war, gerate ich hier in die reinste Moorlandschaft. Nicht zuletzt ist es auch der schwere graue Rucksack, der meine Agilität hemmt und mich am eleganten Durchgleiten hindert. Sorry, sorry, argh, fuck it… Aber natürlich ist das nur ein kleiner Einblick in meinen inneren Monolog und wird nicht Teil der aufgeregten Geräuschkulisse, so bin ich auch wieder nicht, dass ich mich mit so einer Sprache öffentlich erwischen lasse. Aber so bin ich immerhin, dass ich mich an TouristInnen vorbeidränge, die getrocknete Fische und eingelegtes Gemüse bewundern, und dabei vielleicht auch einmal vergessen, dass was für sie ein Stehplatz für ein kulturell-kulinarisches Schauspiel geworden ist, für andere immer noch die kürzeste Route von A nach B darstellt. Sorry, sorry, grmblrgh, beiße ich mir inmitten des lokalen Naschmarktäquivalents auf die Zunge und lasse mich von der stockenden Flut tragen: eine Querstraße, eine zweite…
Ohne Rucksack ist alles schon viel leichter und ich mach einen kleinen Spaziergang durch das abendliche Kyoto. Ich kreuze ein fröhlich bevölkertes Flussufer, wo die Menschen im Grünen sitzen und den erfrischend flott vorbeiziehenden Fluss Kamo beobachten. Immer wieder diese einfach gelungenere Integration von Flüssen in die Stadtlandschaft. Wie auch in den Gärten das Wasser eine wichtigere Rolle spielt. Bei uns versteckt man den Wienfluss unter dem Naschmarkt, hier gibt man diversen Nebenflüssen Platz die ganze Stadt zu umarmen. Es wirkt so besonders auf mich, dass ich nach Erklärungsansätzen suche: Ob damit einst ein fehlendes unterirdisches Kanalisationsnetz kompensiert wurde? Auch als Transportwege sind so Kanäle natürlich (!) praktisch. Weiter geht s durch die vergleichsweise leeren Tempellandschaften und verlassene Parks. Ab und zu zieht eine Reisegruppe an mir vorbei, aber sonst kommt es mir vor, als hätte ich in einer halben Stunde Spaziergang die ganze Stadt bereits hinter mir gelassen.
Auf dem Weg zurück zum Hostel lauf ich durch Gion. In vielen japanischen Städten gibt s so einen Bezirk, wo man sagt, da sind oder da waren oder da kann man einen Blick auf eine Geisha werfen, mit etwas Glück höre man aus einer kleinen Gasse eine auf ihrem Shamisen üben. Aber wohl nicht um zehn in der Nacht. Und macht nicht schon das Wort Geisha einen seltsamen Eindruck? Ich werd mit dieser westlichen Miskonzeption nicht aufräumen, aber schau einer an, es gibt durchaus eine formalisierte Prostitutionstradition in Japan und schau einer an, wenn man so eine Oiran im traditionellen Outfit neben eine Geisha im vollen Getakel stellt, dann müsse man sich schon gut auskennen, dass man die eine von der anderen zu unterscheiden weiß. Und wenn man eine Gruppe pubertierender JapanerInnen an einen Kebabstand stellt, dann kommen die vielleicht vor lauter Ayran aus dem Kudern gar nicht mehr heraus.
Tags darauf hab ich möglicherweise eine Geisha auf einer Brücke stehen sehen. Aber ich hab sie nicht gefragt, meine Annahme basiert darauf, dass sie extrem unpraktische Schuhe angehabt hat, auf denen sie dem Himmel ein gutes Stück näher war. Und wen, wenn nicht einer Praktikantin althergebrachter Künste würde man derartige Schuhe verpassen. (Wieder einmal vermischen sich Moderne und Tradition in der japanischen Praxis aufs Ununterscheidbare.) Sonst hab ich mir für Kyoto noch einmal eine Handvoll Sehenswürdigkeiten aus dem Reiseführer in meinen digitalen Stadtplan geschrieben. Das ist ganz hilfreich, wenn man wo steht und sich denkt, wohin jetzt und dann schlag ich mein Telefon auf und klick mich durch die Blasen, die in meiner unmittelbaren Umgebung aus der Gegend ragen. Oder ich geh einfach noch ein bisschen eine Straße entlang. Es ist ja ganz hübsch, ein bisschen verloren zu gehen, wenn man s nicht eilig hat. Und dafür sind japanische Städte dann auch schon wieder mehr geeignet als anderswo, insbesondere in der Nacht in einer unbekannten Gegend, wo man vielleicht anderswo hinter einer Ecke eine Übeltäterin oder einen Grobian befürchten würde. Aber nicht hier. Hier fallen zwischen zehn und halb zwölf nur betrunkene Angestellte aus den Bierschuppen, die sich bis zum nächsten Tag wieder folgsame Untergebenheit annüchtern müssen.
Am nächsten Morgen stelle ich mehr mir als mich einer der größeren Herausforderungen, indem ich einen Abstecher ins Mangamuseum mache. Es ist ja so: Manga. Was soll denn das überhaupt sein. Und tatsächlich lerne ich schnell einmal, dass es auch gar keine besondere Definition gibt, so sehr ich mich nach einem Satz sehne, der mir sagt: so und so der Strich, so muss der Stift sein und überhaupt, dieses und jenes. Aber das ist es nicht. Die Einleitung sagt mir, dass man, wenn man will, die Geschichte von Mangas auch in der Höhlenmalerei zu finden im Stande wäre. In japanischen Höhlen versteht sich. So bekomme ich zu verstehen, dass sich Manga am ehesten über die Herkunft auf den Punkt bringen lässt. Und natürlich hat sich da ein Stil entwickelt und eine eigene Formsprache, die Mangas zu eigen ist, die sich teilweise aus der Not erklären lässt, wie so vieles in so vielen Künsten, dass man dem finanziellen Notstand entsprechend irgendwo reduzieren musste. Am deutlichsten ist mir das aus den Anime in Erinnerung, wo sie beispielsweise nur einen Bruchteil der Bilder pro Sekunde verwendet haben, als zeitgleich in westlichen Zeichentrickfilmen Usus war, woraus ein bisschen holprige Bewegungen entstanden sind, die mittlerweile einfach Teil der Technik sind. Ebenso dass es diese seltsamen Momente gibt, wo Figuren einige Sekunden in einer energiegeladenen Haltung eingefroren sind, bevor sie die Bewegung durchziehen.
Parallel zur Geschichte der Mangas waren auch die Lebensabschnitte der JapanerInnen dargestellt, also Vorschul- und Schuleintritt, Wahlrecht, Universität. Aber das ist dann weitergegangen mit Berufseintritt, Heiratsalter, erstes Kind… Zugegeben, es waren dann ab Beginn des dritten Lebensjahrzehnts vermehrt deskriptive Maßzahlen, aber das ganze hat immer noch sehr präskriptiv gewirkt: Hier ist das Leben der JapanerInnen, von der Geburt bis zum Tod, ein jeder Lebensabschnitt zum Abhakerln. Der Sinn lag darin, zu zeigen, dass es homogene Zielgruppen gibt, auf die einzelne Mangas sehr stark zugeschnitten sind. Wie sehr da Abweichungen passieren, wie sehr sechzehnjährige Frauen zu den Mangas greifen, die dezidiert für achtjährige Burschen geschrieben sind oder mittelalterliche Männer Comics konsumieren, deren AutorIn damit auf zehnjährige Mädchen gezielt hat, das würde mich schon interessieren. Tatsache ist, dass das Museum voller Menschen aller Altersgruppen war, die auf den Bänken gesessen, am Boden gelegen und mitten im Raum gestanden sind, während sie in ihre Mangas vertieft waren. Das Museum ist wirklich mehr eine Bibliothek, in der zehntausende Mangas zur Entnahme stehen. Wobei die Abteilung für fremdsprachige – nämlich: übersetzte – Mangas zwar klein ist, aber selbst da würde sich eine Jahreskarte wohl auszahlen. Aber das war wirklich schön anzusehen, wie sie da alle gesessen sind, auf Sprechblasen und Bewegungslinien konzentriert. Die Diskussion wie sehr Comics einen schädlichen Einfluss auf die Entwicklung der Jugend haben, wie sehr Comics Teil einer breiten kulturellen Identität sein sollen, hat Japan wohl bereits hinter sich und die Entscheidung ist ziemlich eindeutig ausgefallen. Eines der schönsten Bilder, das mir aus dem Museum in Erinnerung ist, ist ein großer, beplüschter und beteppichbodenter Raum, in dem selbst die Kinder bis auf einzelne Ausnahmen den Fernseher in der Ecke zugunsten ihrer Comics ignoriert haben.
Neben einigen Jahrzehnten Mangageschichte und den Comics selbst, hab ich noch einen Raum gefunden, in dem Abgüsse der Hände von KünstlerInnen ausgestellt, die dem Museum einmal einen Besuch abgestattet hatten. Das war schon nochmal zwanzig Minuten wert. Einerseits einfach, weil da so viele unterschiedliche Handhaltungen zu sehen waren, mit denen sie ihren Bleistift gehalten haben. Einzelne Ausnahmen haben offenbar auf einen Pinsel oder – wer lustiges – einen Radiergummi beharrt. Aber auch interessant, weil ich da dem Mahler seine Hand gefunden hab. Der hat meine eben erst gefundene Sicherheit in Manga-ist-Comic-aus-Japan gleich mal wieder ins Wackeln gebracht. Zugegeben, es gab für die Nicht-JapanerInnen einen eigenen, spärlich gefüllten Schrank, neben dem Dutzend Vitrinen, in denen eine offenbare Berühmtheit der nächsten die Hand reicht. Wahrscheinlich bedeutet der Begriff in Japan einfach etwas anderes, als das, was sich die weltweite Popkulturgemeinschaft als Manga angeeignet hat.
Na und dann bin ich halt nochmal durch die Stadt gelaufen und dabei – Überrschung – in einem Tempel gelandet. Oder in einem Garten. Oder einem Teehaus. Es war auf jeden Fall eine sehr gemütliche, ästhetisch ansprechende Umgebung. Schlagartig die Aufregung der Straßen hinter mir gelassen… und das ist eigentlich übertrieben. Kyoto ist an der einen oder anderen Ecke sehr dicht mit Tourismus und meine Seitenstraßenidee hätte in vielen anderen Seitenstraßen tadellos funktioniert, weil man schnell einmal ein bisschen Ruhe bekommen hat, wenn man die Pfade zwischen den zentralen TouristInnenattraktionen verlassen hat. Das ist ja schon eine Überraschung manchmal, dass man die „falsche“ Abzweigung nimmt und aus dem Einkaufszentrumstrubel plötzlich auf einer leeren Wiese steht, umgeben von Bäumen, über die sich Tempelgiebel strecken. Aber der Shōren-in Monzeki (so hieß nämlich der aktuelle Tempel) hat schon eine besondere Ruhe ausgestrahlt. So, dass Leute automatisch geflüstert haben, wenn sie überhaupt miteinander geredet haben. Und selbst die Bauarbeiter, die in einem der Schreine am renovieren waren, schienen ihre Hämmer und Stichsägen mit Schalldämpfern ausgestattet haben.
Da sitzt man auf diesen schönen Matten und schaut durch eine Tür durch eine Tür auf den Garten. Der Wind durchs Laub, daneben plätschert ein Wasserfall. Das haben die schon gut gemacht, die Natur zu inszenieren. Der Obermönch, der über den Tempel bestimmt hat, war traditionell Teil der kaiserlichen Familie. Was auch lustig ist irgendwo, weil bei uns die Karriere in der Religion tatsächlich eher als ein Ausstieg aus dem Weltlichen zu betrachten wäre, aber die Verbindung zwischen Religion und Politik ist naturgemäß etwas enger in einer Gesellschaft, in der sich das Staatsoberhaupt über die göttliche Gnade definiert und seine Familie bis in ihre göttliche Verwandtschaft zurückverfolgen. Da besetzt man die hübschesten Tempel wohl auch mit Brüdern und Onkeln.
Eine zweite Tempelanlage hab ich mir noch gegeben, Fushimi Inari-taisha, eigentlich eine Anlage von Schreinen, an denen Inari verehrt wird, die ein kami ist, wie ich lese: eine übernatürliche Kraft, in der sich irgendwelche Konzepte im entferntesten Sinne des Wortes: manifestieren. Und Inari vertritt Reis, Sake, Tee und allgemeiner Fruchtbarkeit, aber auch Produktion und wirtschaftlichen Erfolg. Deshalb ist der Schrein wohl auch in vergangenen Jahrhunderten stets gut besucht gewesen. Dank der Tradition, sein Gebet in Form einer torii Schenkung darzubieten, stehen heute hunderte rote Tore, eines an das nächste gereiht auf dem Gelände. Was wiederum schicke Instagram-Bilder ermöglicht. Wer weiß, wie sowas dann auf wirtschaftlichen Erfolg oder gar Fruchtbarkeit zurückwirkt. Andererseits wird Inari oft durch ihre weißen Füchse vertreten, die als ihre BotInnen agieren. Und, wenn ich das richtig verstanden habe, denen werden keine Schreine gebaut sondern einfach der Wald stehengelassen, über den sie quasi kontaktierbar sind. Und deshalb steht dann auch viel Natur um den Schrein herum. Ist auch nett, wenngleich sich das wiederum in Insektenbissen auf dem Knie manifestiert.
Aber dann war ich auch schon wieder weg aus Kyoto und auf dem Weg nach Kanazawa. Das ist an der Westküste Honshus, am Scheitelpunkt der Innenkurve. Eine exklusive Exkursion, zu der mich meine Udonbekanntschaften motiviert haben. Mein erster Eindruck, als ich abends aus dem Bahnhof steige, ist geprägt von meiner Idee, dass es sich um eine kleine Stadt handle. Einfach, weil sie in meinem schicken Reiseführer nicht vorkommt (aber der lässt viel aus) und ich deshalb noch nie was davon gehört habe. Und erstens leben auch hier über vierhundertausend JapanerInnen und sogar etwas mehr als in Nagasaki und zweitens stimmt nicht einmal die vermeintliche absolute Unbekanntheit. Kurz darauf, bei der wiederholten Lektüre des Haus der schlafenden Schönen, stoße ich auf eine Erwähnung Kanazawas, die ich heute, wie schon vor Jahren unbemerkt überlesen hätte, wäre ich nicht diese eineinhalb Tage durch seine Straßen gelaufen.
Die breite Straßen querend, die mich gleich einmal an der Kleinstadt zweifeln lässt, finde ich flott zu meiner Jugendherberge, die mehr meinem Bild einer Jugendherberge entspricht, als die meisten anderen die ich in Japan zu sehen bekommen hab. Die Zimmer sind dann eh wieder die üblichen Holzverschläge, die mit Strom und Licht und etwas zu wenig frischer Luft ausgestattet sind, aber in den Gängen sind Postkarten aus aller Welt, Köffer und Landkarten an die Wände genagelt und hier und dort gemahnt uns ein Spruch daran, wie sehr eine Reise unsere Leben bereichert, wie froh das Bekanntschaftenschließen macht. Wenn da bloß nicht wieder die österreichische Familie gewesen wäre, deren Unterhaltungen mich wieder einmal an den eigenen Kräften zweifeln lassen, ob ich mich den Ketten der Heimat widersetzen werde können, die mich in den ungeliebten Sumpf alter Gewohnheiten zu ziehen drohen. Einen Trost bietet die Erfahrung, dass das Abenteuer Abenteuer bleibt, egal ob man sich der âventiure willen in die Welt geschmissen haben oder ob man den engen Wänden der eigenen vier entkommen wollten.
Ich bin einige Stunden mit Haushalten beschäftigt (Wäsche gewaschen, Erinnerungen aufgezeichnet), als es plötzlich elf Uhr ist und ich dem Hunger nachgebe, der mich noch einmal aus dem Haus und in Richtung Zentrum lockt. Hinter der Tür des von mir angestrebten Izakayalokals ist gerade eine private Feier im Gang und ich stehe einen Moment einer Gruppe JapanerInnen gegenüber, die Biergläser und Musikinstrumente in den Händen halten, bis sich die Gastgeberin mir mit einem closed zuwendet und ich mich entschuldigend rückwärts aus der Tür schiebe. Gegenüber finde ich noch einen Platz in einer Ramenhandlung. Die zwei anderen Gäste haben offensichtlich ebenfalls bereits die eine oder andere Stunde gefeiert und stolpern bald nach meiner Ankuft aus dem Beisl. Ich schlürfe meine Ramen während die EigentümerInnen bereits die Küche putzen, also noch einmal schneller als es ja sonst oft einmal schon die Mode ist. Trotzdem schaffen es die zwei irgendwie, dass ich das Gefühl habe, ich hätte mir wirklich etwas mehr Zeit lassen können, als ich mich einige Minuten später in die Richtung der Tür hieve, mein neugewonnenes Völlegfühl im Schlepptau.
Um halb drei erwache ich aus einem Albtraum. Ich war ein Kind und seine Eltern, als die ich eben dabei war, ein halbes Bett glatt zu streichen, in dem ich als Kind scheinbar zuvor jemanden im Schlaf erschlagen hatte. Als Kind war ich zunächst nur ein Körper ohne Gliedmaßen, aber ich schien vor kurzem einen Cyborgkörper erhalten haben, spezifischerweise war ich in die Lage versetzt, mithilfe von Kraftfeldern meine Umgebung zu manipulieren. Jedenfalls war das Kind diese Ohnmacht gewohnt und hatte die unerhörten Kräfte des künstlichen Körpers bei weitem nicht unter Kontrolle: Die mithilfe der Maschine nun in die Realität wirkenden Bewegungen meiner Phantomgliedmaßen äußerten sich als weitläufige Gewaltausbrüche. Als Eltern stand ich dem aber ebenfalls hilflos gegenüber, dem Kind die Freiheit der eigenen Mobilität zu nehmen und weiterhin in der Unbeweglichkeit einzusperren, erschien uns nicht als Option. Letztlich bin ich aber aufgewacht, weil das Gefühl der Leere zwischen den Eltern so erschreckend war, die über die furchtbaren Erfahrungen des gemeinsamen Kinds jeweils in die eigene Entfremdung gerutscht sind.
Immerhin ein kreativer Alptraum und auch der psychologische Horror eigentlich ganz interessant, der sich da gesponnen hat. Trotzdem lieber keine Ramen mehr spät in der Nacht.
Am nächsten Morgen mach ich mich zu meinem Spaziergang auf. Kanazawa ist immerhin klein genug, dass ich keine Ewigkeiten unterwegs bin, bis ich vor der ersten Attraktion stehe, die ich mir auserkoren habe: der ehemaligen Wohnung eines Samurai. Wieder einmal stehe ich barfuß auf Tatamimatten und schaue an einer papiernernen Schiebetür vorbei in einen Garten. Diesmal gibt s aber eine Audiotour, die mir aus versteckten Lautsprechern etwas über die Samuraifamilie erzählt, wenn man s eine Tour nennen kann, die sich auf ein Zimmer beschränkt. Und „Samuraifamilie“ ist eher eine Väter-Söhne Geschichte, auch wenn die Vorstellung einer traditionellen Vater-Mutter-Tochter-Sohn Familie in Samurairüstungen ein herziges Bild abgibt. Der Garten ist besonders, weil auf Wasser verzichtet wurde. Dafür bleibe ich ein-, zweimal nur knapp vor einem Spinnennetz stehen, das sich über den Weg spannt. Spinnen eben durchaus positiv besetzt, bisschen Glücksbringer. Oder aber, das Samuraihaus ist nicht so gut besucht, wie man meinen möchte.
Als nächstes schlendere ich gleich einmal wieder durch einen Park, in dem alle paar Meter eine Bronzestatue steht. Keine Buddhas sondern Mädchen und Frauen, nur ab und zu ein männlicher Körper. Vielleicht ist es ein falscher Eindruck, aber mir kommt vor, dass die nackt abgebildeten öfter europäische Gesichtszüge aufweisen, während die mit asiatischen Gesichtern tendenziell angezogen sind. Ich bin auf dem Weg zu einem Museum, das an das Leben Daisetsu Teitaro Suzukis erinnert. Das war wohl ein japanischer Theologe… Philosoph? Auf jeden Fall wohl ein Lehrer und Autor, der dazu beigetragen hat, Zen Buddhismus einem westlichen Publikum zugänglich zu machen. Ein hübsches Museum, das nur ein bisschen ein Museum ist. Und – ganz offensichtlich Tag der Audioguides – ein guter Audioguide, der mir Schritt für Schritt Details ins Ohr flüstert: Der Baum, den du hier durch das Fenster siehst, ist um die zweihunderfünfzig Jahre alt. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass ein junger Daisetsu an einem warmen Sommertag durch seine Äste geklettert ist… Im einzigen Ausstellungsraum verweist die Stimme in meinem Ohr dann jedoch auf die schriftlichen Erklärungen, weil die ausgestellten Spruchbänder und Bücher des Herrn Suzuki oft wechseln. Ich sitze neben einem japanischen Mädchen wir schauen uns gemeinsam Fotos von Suzuki im mexikanischen Garten von Erich Fromm an.
Um die nächste Ecke mache ich einen neuen Eintrag auf der Liste des Museumsangestellten, der die Herkunftsländer der BesucherInnen dokumentiert. Austria: 1. Dann sitze ich über zen-buddhistische Kinderbücher gebeugt in der Bibliothek. Und dann ist da noch der große, flache Teich, dessen Spiegel alle paar Minuten durch ein konzentrische Kreise werfendes Blubbern unterbrochen wird. Im Kontemplationswürfel sitzen TouristInnen aus aller Welt und checken ihre Telefone nach neuen Nachrichten. Ich habe gelernt, dass die Suzukis generationenlang die Ärzte der Familie Honda gewesen sind und weder die einen noch die anderen sind ein Auto. Dafür hat der T.D. Suzuki in den Dreißigern den japanischen Imperialismus gerechtfertigt und zwar „einzelne Individuen“ bedauert, die Opfer der nationalen Politik damaligen Deutschlands wurden, aber prinzipiell sei das zu unterstützen, wenn es die nationale Identität Deutschlands stärke. Na ja, auch ein Zen Buddhist ist nur ein Mensch und kann sich irren.
Von der Reinheit der geraden Linien im Suzukimuseum mache ich mich auf in den berühmten Garten von Kanazawa, einer von nur drei „perfekten Gärten“ die es in Japan gibt. Ich bin nicht dazu gekommen, mir die Kriterien anzusehen, die der Garten alle erfüllt, aber ich hoffe stark, dass es irgendwo eine Liste gibt. Natürlich ist der Garten schön, aber er ist so groß und wir schlendern Kieswege entlang und so erinnert er mehr an einen französischen Garten. Ich vermisse die Intimität, die mir an vielen japanischen Gärten gefällt, aber hier gehe ich eher in der Weite verloren statt im Detail. Natürlich gibt es auch hier die eine oder andere Ecke, in der man ein kleines Geheimnis entdecken mag, eine hübsche Laterne oder eine beeindruckende Brücke, eine schöne Aussicht. Und es gibt Geschäfte, Eiscreme und Ansichtskarten. Ich kaufe eine Ansichtskarte für die BesitzerInnen meines Udongeschäfts um tags darauf damit konfrontiert zu sein, dass ich ja die Adresse gar nicht auf die Karte schreiben kann.
Am Abend versuche ich es nochmal im Izakaya, in dem ich am Vorabend die Feier unterbrochen hab. Irgendeine Bewertung hat mich da so beeindruckt gehabt, dass ich das nochmal versuchen wollte. Außerdem lag mein Hostel einfach auf der weniger aufregenden Seite der Stadt und so viel Auswahl war da nicht. Zuerst sind die GastgeberInnen ein bisschen zurückhaltend, als ich hereingekomme. Sie geben mir zu verstehen, dass sie keine englischsprachige Karte für mich hätten und insgesamt nur wenige Worte zur Kommunikation. Aber mit meiner Bestellung des most popular komme ich ihnen wohl etwas entgegen und schon habe ich mein Bier und ein paar Vorspeisen vor mir stehen, während der Koch an meinem Sashimiteller bastelt. Nicht nur die Situation ist aufregend, auch mein Essen. Ich habe eine dunkle, stachelige Seeschnecke bekommen, die ich als ganze aus ihrem Schneckenhaus ziehe. Die steck ich mir schnell in den Mund, ich merke, dass ich über die nicht lange nachdenken möchte, weil es mich doch ein bisschen ekelt. Ich bin mir jetzt gar nicht mehr sicher, irgendwie muss die wohl schon zubereitet gewesen sein, weil sonst hätte sie sich kaum so leicht aus dem Haus ziehen lassen… sie schmeckt auf jeden Fall etwas modrig, leicht bitter, aber insgesamt eigentlich ganz gut. Neben der Schnecke ist eine Art Salat, den ich zuerst für Quallensalat halte, relativ feste, leicht nach Meer schmeckende, lichtdurchlässige Streifen in einer Marinade. Die hilfsbereiten Japaner neben mir, mit denen ich mittlerweile ins Gespräch gekommen bin erklären mir aber, dass es sich um Fugu handelt. Da hab ich den Salat schon aufgegessen. Fugu also, sag ich ungläubig. Aber ja, es ist Fugu bestätigt auch die Gastgeberin. Allerdings sei das nur die Haut. Für die eigene psychische Gesundheit nehme ich an, dass man das tödliche Nervengift nur im Fleisch serviert bekommt und nicht als gleichgültige Vorspeise.
Mit meinem Sashimiteller bleibt das Essen aufregend. Das spannendste ist eine weitere Schnecke, etwas größer im Durchmesser, sodass auch die Schnecke hier aufgeschnitten serviert wird. Das Stück, das ganz offenbar zuhinterst im Schneckenhaus war enthält, so erklärt man mir, die Organe. Das Stück ist deutlich dünkler und schmeckt angenehm nach Leber. Verschiedene Fische sind auf meinem Teller sowie zwei dünne Scheiben rohen Rindfleischs für das ich bitte Sojasauce mit Ingwer anrühren soll. Wasabi und Sojasauce bliebe dem Fisch vorenthalten. Meine zwei Nachbarn sind mittlerweile beim zweiten Gang gelandet und vor ihnen steht ein Topf, in dem Kraut mit allerhand Gemüse, Tofu und einigen Stücken Fleisch eingekocht wird. Aus dem Topf wird das Gargut dann noch in ein rohes Ei getunkt, bevor sie sich s in den Mund schieben. Ich bin zum Kosten eingeladen, das schmeckt schon. Damit ich nicht vor meinem leeren Teller sitze, stellt mir die Gastgeberin noch einen Salat hin und eine halbe Stunde später hab ich noch ein Saketrio bestellt, durch das ich mich durchkoste.
Mittlerweile sitzt auf der anderen Seite ein weiterer Stammgast und der Gastgeber hat angefangen, uns mit Zaubertricks zu unterhalten. Das klingt jetzt sicherlich nicht weniger absurd, als es sich in der Situation angefühlt hat. Eine Menge verblüffender Kartentricks später, bekomme ich einige kleine Zaubereien geschenkt und während die Gitarre aus dem Gang zum Klo geholt wird, bezahle ich und verabschiede mich vergleichsweise herzlich auf den Heimweg. Wieder einmal bin ich beeindruckt davon, wie freundlich ich aufgenommen werde und wie wenig gemeinsame Sprache uns genügt, um eine Art Freundschaft zu schließen.
Und während ich mich hier zurückerinnere, setzt sich der Robert neben mich, den ich damit kennenlerne und wir reden ein wenig darüber, wie nett das ist, wenn man durch Japan reist – insbesondere allein durch Japan reist – und sich irgendwo reinsetzt, wenn man dann ins „Gespräch“ kommt, obwohl man kaum Wörter hat, mit Hilfe derer man sich unterhalten kann. Wie unerwartet das ist, wie Japan einen damit überrascht, dass es neben den TouristInnenströmen und den Bilderspeisekarten mit den lustigen englischen Übersetzungen so viele kleine Ecken hat, die zu beschreiben man vielleicht doch zu dem schwierigen Wort authentisch greifen muss. In die man ohne gröbere Probleme hineinstolpert und so schnell einmal einen unvergesslichen Abend verbringt, weil man wie ein satter Koi in der Glückseligkeit von Abendessen, Gast- und Alltagsfreundlichkeit schwimmt.
Aber ich bin schon wieder unterwegs und auf dem Weg nach Tokio um meine Wahlkarte in der Botschaft auszufüllen. Nicht vergessen…