Main tree, dain tree

Cairns ist in vieler Hinsicht ein sympathischer Platz, auf jeden Fall krieg meine asiatischen Restaurants. Wenn es letztlich aber doch etwas aufdringlich touristisch ist, liegt das wohl daran, dass ich in Wahrheit nur das Zentrum zu Gesicht bekomme. Cairns ist einundfünfzig Kilometer lang und an der breitesten Stelle bloß vier Kilometer breit, es läuft quasi die Küste entlang. Strandmaximierung. Insofern sind die einzelnen Stadtteile zum Teil weit entfernt und wie der Regenwaldchauffeur sagt, lassen die CairnserInnen den Kern der Stadt gern den TouristInnen. Und die nehmen das gerne entgegen: randvoll mit TouristInnen, von den BackpackerInnen bis hin zu den Hiltons. Ich mein, Gilligan’s, gegen das ich mich nur knapp entschieden hab, als ich in Hervey Bay Hostelflyer durchgegangen bin, die bespielen quasi den ganzen Block mit Jugendherberge, Dancefloors, Reisebüro, Freizeitgestaltung. S’wie Cluburlaub – unheimlich. Dahingegen ist mein Dreamtime richtiggehend dreamy, auch wenn ich dafür hinter s Einkaufszentrum muss. Aber wenn ich über die Auffahrt das Parkdeck erklimme, kann ich auch einfach mitten durch das Einkaufszentrum gehen.

Vorschläge für s Wochenendprogramm.

Was es auf jeden Fall gibt, sind Flughunde. Ich muss gestehen, im Dunklen unter einem kreischenden, unter ständigem Flattern oszillierenden Baum durchgehen, ist schon etwas unheimlich. Aber es ist auch ungschickt, wie ich schnell begreife, als mir bei meiner Sammlung exotischer Erfahrungen (oder halt Mutprobe) eines der Tiere auf die Hand kackt. Und dabei hab ich noch Glück gehabt, weil halt auf die Hand und nicht die Haare vollgeschissen oder orange Flecken am T-Shirt. Schaut insgesamt nicht gesund aus und riecht auch… naja, es riecht nicht viel anders, als es sowieso unter dem Baum riecht. Dass der Geruch hier fehlt, nimmt wirklich einiges vom Erlebnis. Dennoch, wie, frag ich mich noch, machen die das, wenn sie kopfüber hängen?

So geht das jeden Abend. Und jeden Abend stehen wir Touris an den Straßenecken und filmen mit unseren Handyfonen in den Abendhimmel hinein.

Was Cairns hingegen nicht hat, ist Strand. Also, natürlich hat Cairns Strand, wenn ich raten müsste, wohl achtundvierzig Kilometer davon. Aber halt grad nicht dort, wo der Hafen ist und nicht dort wo die Esplanade entlangläuft. Und das ist halt dort, was ich hier dauernd das Zentrum nenne. Aber, Cairns will nicht enttäuschen und hat um die üblichen öffentlichen Grillstationen herum einfach einen Pool gebaut. Da ist – quasi mitten in der Stadt – ein öffentlicher Pool. Kein Eintritt, keine Zäune, aber Duschen, Sandstrand und BademeisterIn. Und drei große Metallfische, die dafür sorgen, dass der Pool seinen Wasserstand erhält. Es ist schon schick, im ersten Moment erstaunlich surreal für meine Augen. Und natürlich, die Augen! Meine Reaktion, wenn ich über die Straße gehe und auf der anderen Seite liegen sie wieder, die Dudes und die Bikinimädchen. Ich weiß ja nicht, was ich mit meinen Augen machen soll, so viel Nacktheitspeinlichkeit erlebe ich sofort. Am zweiten, dritten, vierten Tag geht s dann schon etwas besser, aber ich hab s bis zuletzt nicht geschafft, mich bebadehost dazuzusetzen. Ich bin schon gesessen, Hemd, Hosen und He-reader, bisschen an eine Palme gelehnt, lieber auf der Wiese als im Sand. Und natürlich nicht in der Sonne, ich mein… nein. Zum Schnorcheln hab ich mir in der Früh den Rücken eingecremt, das ist weit mehr Arbeit als es es wert ist. Und wir haben ja dann eh Stingersuits bekommen. Weil eben, und das ist vielleicht auch ein Grund, warum Cairns ein Schwimmbad macht anstatt sich den Strand aufzuschütten: Das Wasser da oben ist voll mit Getier, von der Qualle bis zum Krokodüü. Und selbst die CairnserInnen baden an den schönen Stränden, an denen ich im Norden vorbeigefahren bin, nur von Netzen umgeben. Netze, die der Regenwaldtourguide als unangenehm großmaschig beschreibt. Und ja, die Quallen, die einen in drei Minuten dahinraffen, die passen da nicht durch. Aber die fingernagelgroßen sollen auch unangenehm sein und in Massen durchaus tödlich.

In meinem kleinen Phó Lokal scheint man dann doch fernab von allem zu sein, auch wenn die Musik sagt, dass jetzt dann schon langsam die Sperrstunde kommt, während im Hintergrund abgewaschen wird.

Für den Regenwald heißt s ebenfalls um sechs Uhr aufstehen. Und nachdem ich vom Schnorcheln müde eh um zehn im Bett war, ist das ja kein Problem. Außer mir sind schon zwei Mädels im Bus, die sich mit jeweils deutschem Akzent auf Englisch unterhalten. Stellt sich später heraus, dass die eine Niederländerin ist, aber eine Stunde lang denke ich, die hätten einander einfach nicht gefragt, woher sie sind. Währenddessen sammeln wir noch drei ChinesInnen, zwei Däninnen, zwei AustralierInnen, eine Schweizerin, eine Kanadierin und eine Deutsche ein, die ihre weltreisende Tochter besucht und meint, sie merke schon ein bisschen, irgendwie ständig nur arbeiten, das könnte es wohl auch nicht sein. Da kriegen wir halbwegs einen Bus voll, licensed to carry 21 passengers. Nachdem das wir erst einmal aus Cairns raus müssen und dann noch in den Urwald und schließlich wieder alles zurück, also wir verbringen insgesamt schon viel Zeit im Bus.

Gefahren werden wir heute von Wylie, der auf den Feedbackbögen, die am Ende rumgehen, von keinen zwei Leute gleich geschrieben wird – weil ich wollte nachschauen, wie man ihn schreibt, eh klar. Er arbeitet zum ersten Mal seit Jahren an einem Samstag und niemand fragt in wieso. Aber er hat (trotzdem?) einen guten Humor oder auch ganz gute Perspektive, sag ich jetzt einmal: was er sagt interessiert mich, wie er seine Prioritäten auf unserer Tour setzt, find ich gut. Und natürlich ist es das erste Mal seit Wochen, dass ich so wirklich einen Tag lang mit Leuten im Kontakt bin, das ist schon auch recht aufregend.

Erste Station ist eine kleine gemütliche Bootsfahrt über den Daintree. Heißt alles nach dem Herrn Daintree, der hier in der Gegend früher mal Geologie und Photos gemacht hat. (Früher, als man Fotos noch mit Ph geschrieben hat.) Obwohl wir selbst eine durchaus junge Partie sind, aus der ich altersmäßig schon deutlich nach oben raussteh, nivellieren mich die RivercruisebesucherInnen bis ich unterm Durchschnitt wieder rauskomme. Es ist ein bisschen eine PensionistInnenfahrt. Vielleicht dementsprechend werden wir mit Tee und Biscuits begrüßt, wer will kriegt auch einen Kaffee eingeschenkt. Aber der Tee wird hier in der Gegend angebaut und später seh ich meine erste echte Teeplantage. Natürlich nix mit Handarbeit hier. Sicher, man könnte die BackpackerInnen durchschicken, das würde auch nicht mehr kosten, aber man hat sich dafür entschieden, den Tee mehr oder weniger mit dem Mähdrescher zu ernten. Aber natürlich ist Tee trotzdem gut, wenn man das Gefühl hat, der ist… frisch. Oder halt von nebenan.

Rivercruisebootsaussicht mit kanadischem Ellenbogen.

Auf der Rivercruise sind wir vor allem auf der Suche nach Krokodilen. Natürlich. Wir kriegen dann in erster Linie Mangroven zu sehen, weil die verstecken sich nicht so gut. Und wenn das alles stimmt, was der Bootschauffeur erzählt, ist mitunter beeindruckender als Krokodile, weil der Daintree Rainforest eben so viele Millionen Jahre alt und irgendwie 80% (Hausnummer!) der weltweiten Mangrovenspezies kommen hier vor und manche natürlich überhaupt nur hier vor. Weil wir schon so nah beim Meer sind, dass bei der Flut das Salzwasser den Fluss hochspühlt. Und er sagt irgendwas mit Prozenten und Verdünnungsfaktoren und so, aber das sind so Zahlen… Und letztlich sagt er, alles grad ein bisschen in der Krise, weil die Unwetter der vergangenen Wochen so viel Sand über den Mangrovenschlamm geschüttet haben, dass da die Luft nicht mehr zu kann und ob die jetzt nicht ersticken oder verfaulen oder zumindest die kleinen Krebschen verrecken, die da sonst das Mangrovenlaub aufbereiten. Schnipp-schnapp. Ein kleines Fakterl, das mir außerdem gut gefallen hat: Mangroven hätten üblicherweise ein sog. Opferblatt an ihren Ästen: In das jeweils älteste Blatt wird das Salz, das sie nicht aus dem Wasser rauskriegen, abgelagert. Weil eigentlich machen die irgendwelche Special-Osmose oder was, damit das Brack im Fluss bleibt und nur feines Süßwasser in die Wurzeln kommt. Aber ganz sauber geht das halt nicht und deshalb ins Opferblatt. Und tatsächlich sieht man an einigen Spezies ganz gut, dass an jedem Ast ein gelbes Blatt hängt.

„That’s the cannonball mangrove…“

Noch eins, weil das auch aufregend ist: Die eine Mangrove ist quasi lebendgebärend. Whaaaa!? Ja, weil die macht nicht Samen, die sie fallen lässt, sondern da keimt es noch am Stengel und dann wächst richtig schon ein Setzling, vielleicht 30cm lang und fingerdick. Und wenn der fertig ist, fällt er vom Baum, rammt sich in den Mangrovenschlick und kann von dort weiterwachsen. Ich nehm an, im Salzwasser keimen ist einfach nicht besonders einfach.

Jedenfalls kriegen wir nicht so wirklich Krokodile zu Gesicht. Und natürlich ist das eine Lüge, weil da sind zwei, aber das eine seh ich einfach nicht, weil er irgendwo am Land liegt und die Unwetter alles mit Ästen und Baumstämmen zugeschüttet haben und das zweite kreuzt unseren Weg für einen Moment und geht dann auf Tauchstation. Was mir aber wirklich gut gefällt, ist unser Skipper (im obigen Audiofile zu hören), der die einzelnen Tiere namentlich erkennt und in seinem Funkgerät den anderen RivercruiserInnen durchgibt, wo er wen gesehen hat bzw. wo heute gar nichts zu sehen war. Da war dann auch so ein Moment, wo er, mehr zu sich selbst, gesagt hat: „It’s very quiet this morning…“ Aber in meinem Kopf hat er ergänzt, „…maybe too quiet.“ Und daraufhin wären Massen von Krokodilen neben uns aus dem Wald gebrochen und wären auf unser Schinakl zu gelaufen, hätten uns umgeworfen und aufgefressen. Und in diesem Moment, als unser Schicksal besiegelt wäre, hätte er vielleicht noch gesagt clever girl, und damit den Hinterhalt des Oberkrokodils anerkannt.

Normalerweise ist das hier angeblich ordentlicher und man erkennt ein bisschen was vom Ufer.

Also bisschen zu wenig Krokodil, um wirklich davon sprechen zu können, dass wir Krokodile gesehen hätten. Dabei, sagt man uns, gäbe es von Daintree (dem Dorf) bis zur Mündung des Daintree (dem Fluss) etwa ein Krokodil alle hundert Meter. Wirkt wie ein gesunder Bestand. Und ich denke da immer wieder dran, wenn mir danach ist, meine Hand neben mir ins Wasser schlenkern zu lassen, was ich letzten Endes nie tu.

Wylie holt uns mit dem Bus an der Anlegestelle ab. Insgesamt stehen sie dort zu viert, vier BusfahrerInnen in etwa den gleichen Outfits, alles in klassischem Khaki, Hut mit breiter Krempe, aber ohne die baumelnden Korkstoppeln. Rein in die Busse und schnell weg, damit wir zur Illusion zurückfinden, wir wären hier unabhängige RucksacktouristInnen, die sich den unberührten Urwald zeigen lassen und ganz anders als jene geriatrische Reisegruppe im Bus daneben, die das beste aus der wachsenden Diskrepanz zwischen stagnierendem Pensionierungsalter und steigender Lebenswartung machen. Ab in den Regenwald, der seinen Fortbestand wohl der Welle der 80er-Jahre-Ökos zu verdanken hat, als der Wald nicht zubetoniert und verhäuselt sondern im Gegenteil vernaturschutzgebietet wurde. Was an Siedlungen bestand wurde weitgehend aufgelöst. Da werden schon einige Leute geschrien haben, die sich heute daran nicht mehr erinnern wollen würden. Aber das scheinen immer so halb-zufällige Initiativen zu sein, wo dann mal jemand gesagt hat, na gut, dann machen wir unsere Millionen halt nicht oder woanders, wenn ihr euren… ah ja, schau an, ältester Regenwald der Welt und vielleicht nicht alles zubauen, was noch atmet.

Es ist vor allem still, hier im Regenwald.

Ab jetzt heißt es übrigens, Ausschau halten. Weil wir möchten alle gerne einen Kasuar sehen. Der Kasuar, der Kasuar… kommt in der Vogelhochzeit gar nicht vor. Großer, flugunfähiger Vogel mit blauem Kopf und einem Helm von dem man schon wieder nicht weiß, wozu der dient. Vor fast hundert Jahren hat ein Kasuar mal einem jungen Mann auf einer australischen Schaffarm mit seinen Klauen die Halsschlagader aufgemacht und spätestens seit dem nimmt man sich in acht vor ihnen. Zwei interessante Sachen: Erstens hab ich irgendwo gelesen, dass dem Kasuar sein Evolutionsast schon recht früh von den anderen Vögeln abbiegt. Das hab ich seit dem nie wieder gelesen und ich glaub, das stimmt auch gar nicht. Ist halt mit den anderen flugunfähigen Vögeln verwandt, wie s ausschaut. Ich mein, ja. Er schaut schon urig drein – aber das heißt im Grunde gar nichts, wirklich nicht. Wenn man mehr andere Vögel kennt, schaut er schon auch fremd drein und das heißt vielleicht eher was. Und zweitens: mal wieder eher so Einzelgängertiere, paaren sich dann und wann, wenn sie einander zwischendurch über den Weg laufen und dann übernimmt das Männchen die Aufzucht. Ob die Boyz auch die Eier ausbrüten oder ob s nicht eh dauernd warm genug ist, dass man sich das sparen kann oder ob sie nicht sogar geduldig warten, bis das Weibchen die Eier ausgebrütet hat und erst dann zum Pfeffer schicken… Auf jeden Fall verbringt das Männchen dann bis zu eineinhalb Jahre mit dem Jungen, bevor er es „brutalst verjagt“. (So wie in Wolfsblut stell ich mir das vor.)

Oh yeah! Kasuar leibt und lebt.

Wir gehen eine Runde über einen Regenwaldpfad und bekommen von den Wundern der Australischen Namensgebung erzählt. Dieser Baum heißt Peanuttree, weil er Früchte hat, die aussehen wie Erdnüsse. Diese Pflanze heißt Wait-a-While, weil sie so Haken hat, an denen man hängenbleibt und sich die Haut aufreißt, wenn man nicht einen Moment wartet um sie zu entfernen. Man merkt, dass zu dem Zeitpunkt, wo die WissenschaftlerInnen gekommen sind, die SiedlerInnen bzw. Exilierten schon eine Zeit lang die Nomenklatur übernommen hatten. Und ganz offenbar haben die sich auch untereinander nicht abgesprochen und es gibt dementsprechend viele Wait-a-Whiles. Fauna kriegen wir zwei Golden Orb Spiders zu sehen, die relativ groß und eigentlich sehr hübsch sind. Später lauf ich zwei-, dreimal nur knapp nicht durch ein Netz durch. Nicht unglücklich darüber, hätte ich sie doch trotz ihrer Nicht-Tödlichkeit nur ungern im Gesicht gehabt. Und natürlich Hände voll Papageien und Honigfressern und der ganzen Volierespartie. Aber fast weniger los als mitten in der Stadt, muss man sagen. Kasuar n’est pas la, aber auch keine Reptilien. Gerade in deren Richtung hat man für uns ganz schön in der Möglichkeitenkiste gekramt: Schlangen, Leguane, Eidechsen, Skinks – die ganze Palette. Aber jetzt alle mit Abwesenheit glänzen. Ist vielleicht auch ein bisschen darauf zurückzuführen, dass die Straße nebenan gerade erneuert wird, die das Unwetter weggerissen hat. Und vielleicht auch, weil wir einem abgesicherten Dschungellehrpfad folgen, der sich durch ein parklplatznahes Randstück jener Grüne Hölle schlingt. Möglicherweise nicht ganz das Urwalderlebnis, das man sich vorstellt.

Rein in den Bus, nächste Station: Cape Tribulation, quasi das Kummer Kap. Dazu gibt s eine Geschichte, aber im Wesentlichen machen wir hier ein eine Mittagspause (ja!, grad eins ist es oder was) auf einem schönen weißen Sandstrand, der direkt in den Urwald übergeht. Allerdings lieber nicht ins Wasser gehen, weil niemand will hier jetzt Krokodile sehen, die wir zuvor nicht zu Gesicht bekommen haben. Sehr charmant finde ich, dass uns Wylie erst während der Weiterfahrt die Krokodilwarnungen durchgibt. Weil auch hier gilt: die letzte Person, die in Queensland einem Krokodil zum Opfer gefallen ist, das ist schon wieder lange her und im Wesentlichen ist nächtenes Nacktbaden in den Gewässern da oben halt einfach nicht zu empfehlen und wenn man nicht ein bisschen mit der Vernunft an die Sache geht, dann… na ja. Ein wenig gesunde Vorsicht, aber man solle es nicht übertreiben mit der Tödlichkeit der Australischen Fauna. Oder Flora, weil zum Beispiel die Kasuarzwetschke ist nicht besonders gesund. Und man soll sich nicht an die Schleimhäute fassen, wenn man die gehandelt hat oder man schaut möglicherweise eine Woche so aus, als ob man sich geprügelt hätte. Also bisschen Strand, bisschen Urwald, bisschen Warnschilder, bisschen Mittagessen.

Schon schön.

Und am Heimweg besuchen wir noch schnell traditionelle LandeigentümerInnen, quasi Aboriginessiedlung. Hier wurden einst Häuser gebaut, in die die Aborigines einquartiert wurden. Da hat man damals ein bisschen Infrastruktur zur Verfügung stellt oder verpflichtet, mit einem Auge auf die Idee, dass man sie dadurch auch in die weiße Gesellschaft integrieren würde. Ich glaube, dass das so ein Fall war, wo die Kuku Yalanji, die dort traditionell gelebt haben, Anspruch auf das Gebiet gestellt haben. Der Australische Staat hat irgendwann in den späten 70ern nämlich Aboriginesvölkern, ihre Gebiete wieder zuerkannt, wenn sie nachweisen konnten, dass sie eben die traditional landownders seien und halt die Landschaften nicht verbaut waren. Auf jeden Fall ist die ganze Mossman Gorge Gegend heute als ein Zentrum kulturellen Austauschs eingerichtet. Wir sind allerdings vor allem da, um – hunderten Warn- und Verbotsschildern zum Trotz – eine Runde im Fluss zu planschen. Nachdem ich ohne Badehosen dastand, hab ich die Hälfte der Zeit überlegt, ob es sich jetzt eher schickt, bis auf die Unterhosen oder in der ganzen Unterhosen-Shorts-Kombo in den Fluss zu steigen. Weil ich hatte sowohl ein Handtuch, als auch eine zweite Hose einstecken. Ich bin ja vorbereitet, wenn ich einen Urwaldausflug mach, nur nicht für s Baden gehen.

In den nassen Unterhosen im Bus sitzend, geht mir ständig warnend das Wort Blasenkatarrh durch den Kopf. Hat sich aber ausgezahlt. Nachdem ich am Morgen schwer mit meinen riffausflugsbedingten Salzwasserhaaren zu kämpfen hatte, hab ich dort festgestellt, dass ich hundertmal lieber in einem kalten Fluss bade als im Meer. Vom Kulturzentrum kriegen wir nur zehn Minuten Shop mit.

Wiedereinmal nicht mein Foto, aber so schaut s dort aus, selbe Stelle, andere Leute.

Wir haben dann übrigens noch einen Kasuar erwischt. Nachdem Wylie schon einführend gesagt hat, wir sollen schreien, wenn wir einen sehen und dann noch warnende Geschichten erzählt hat, über TouristInnen, die im entscheidenden Moment nicht wussten, was sie denn schreien sollen, kam auf der Fahrt zum Gorge der ausgemachte Ruf: Bird! Und tatsächlich: als wir stehengeblieben sind, sehen wir durch die Rückscheibe einen Kasuar mit Anhang die Straße überqueren. Der kleine sei wohl so sechs Monate alt. Wir reversieren und wir folgen den Kasuar ein bisschen in eine Abzweigung in den Wald hinein. Der Vater schaut skeptisch, aber wir halten uns eh auf Distanz und sehen ihnen noch ein bisschen beim Rumstaksen zu. Natürlich letztlich vollkommene Überforderung: Kamera, Fernglas, Moment genießen. Aber das hat das ganze Meh vom Vormittag deutlich relativiert. Auch Wylie ist zufrieden, Kasuarzeigen ist sein Lieblingsteil der Tour und kann nicht garantiert werden.

Heißt Wylie und sucht einen blauen Vogel mit komischem Kopfschmuck – ist nicht irre überraschend.

One fish, two fish

Als ich am nächsten Tag aufwache, mache ich mich erst einmal über das inkludierte Frühstück her. Continental, wie man auf diesem Kontinent hier sagt, das heißt Cornflakes, Toast und Marmelade. Aber ich mache mir eine Tasse Tee und nehme mir von der Milch. Ich hab ja in jeder Stadt bisher jeweils eine Halbliterflasche Milch gekauft, für den Tee. Das ist schon ein bisschen ein Luxus oder halt ein Festhalten an etwas… Ich hab dann ein bisschen darüber nachgedacht: Tee und globale Machtverhältnisse und wie unpraktisch Milch ist, wenn man in der Hitze unterwegs ist. Und wie sehr das ganze Milch-im-Tee vielleicht vielmehr imperialistisches Gehabe, jolly good in merry old London, aber eben in der Kolonie wohl auch ein bisschen den Checker raushängen lassen. Ich hab mir zuletzt eine Schachtel Grüntee gekauft, der ist milchhalber einfacher zu handeln, und man kann sich ja auch in der Imperialismusorientierung kontemporär geben.

Like, literally, nothing like a nice cup of tea. Aber man sieht, es ist warm (links).

Anyway, mit dem Tee auf der Theke gehe ich am Morgen mit Mac meine Möglichkeiten durch, was Riff- und Urwaldausflüge betrifft. Cairns – so wird man nicht müde mir darzulegen – liege an der Grenze von zwei UNESCO Weltkulturerberegionen: Das Great Barrier Reef im Wasser und am Strand geht das Riff direkt über in den Daintree Regenwald, wohl der – ebenfalls nicht müde – älteste Regenwald der Welt.

Jetzt tu ich so, aber natürlich bin ich Feuer und Flamme, wenn man mir hier ein bisschen Geologie serviert. Da geht man gern einmal 400 Millionen Jahre zurück, um zu erklären was es mit Australien auf sich hat, weil da ist Australien Teil vom Superkontinent und da ist ja alles eins. Aber vor sagen wir 160 Million Jahren, macht sich Australien zuerst von Pangea und schließlich auch von der Antarktis los und beginnt seine weitgehend isolierte Unabhängigkeit. Auch dann war Australien noch lange oder auch immer wieder über Indonesien quasi über den Landweg erreichbar, aber beginnt auf jeden Fall seinen eigenen Charakter zu entwickeln. Im Übrigen haben sich dann auch die Beuteltiere vor etwa 120 Millionen Jahre von uns Nicht-Beuteltier-Säugern unabhängig gemacht und ihre eigene evolutionäre Richtung eingeschlagen.

Den mit den Ohren hab ich gestern im Desert Park gesehen. Die hat den Beutel nach hinten raus, weil sie viel graben und die wollen sich die Erde natürlich nicht in den Beutel schaufeln.

Und jetzt sagen sie, der Regenwald in Australien sei bis zu 180 Millionen Jahre alt, während der um den Amazonas herum nur, was weiß ich, 60 Millionen Jahre alt ist. Und natürlich sehr interessant, dass die Leute auf diesem hier Kontinent einerseits dauernd sagen, wie alt das alles ist und Geologie ist insbesondere für die diversen TourleiterInnen ein wichtiges Thema. Aber das gilt eben nur für die nicht-indigene Bevölkerung, Aborigines haben auf der anderen Seite wohl andere Prioritäten, was so Geschichte betrifft, ist da ja auch ganz anders konzipiert. Aber für die Nachfahren der SiedlerInnen ist es vielleicht sogar ein bisschen Kompensation dafür, dass ihre Gesellschaft kaum so alt ist, wie sie einen Stein werfen können.

… einen Stein werfen können.

Das muss man sich nämlich vorstellen – und zwar geh ich auf der Metaebene jetzt langsam aber sicher ins nonlineare Erzählen: Ich sitz in Alice Springs und da ist Aborigines viel mehr ein Thema, weil die haben ja der ganzen Wüstengegend hier so viel Bedeutung gegeben, dass selbst die SiedlerInnennachfahren die nicht übersehen können. Aber vorstellen: die Aborigines sind vor bis zu 50 000 Jahren hier angekommen, ich sag nur: Zunge zergehen lassen. Und jetzt zwar in erster Linie keine Schrift aber Zeichnungen auf Felsen und in Höhlen und da lässt sich auch kulturell sagen: es gibt eine Kontinuität, die zumindest 20 000 Jahre zurückreicht. Alles unvorstellbar.

Hier eine Karte, die die traditionellen Gebiete der unterschiedlichen indigenen Völker Australiens abbildet. Man sagt, die seien z.B. sprachlich sehr unterschiedlich und natürlich in ihrem Wissen über die Natur und ihrer Lebensweise. Da gilt es jedenfalls mehr zu erfahren. (Klicken für das Originalbild, das man auch lesen kann…)

Aber ja, Regenwald war am Samstag, Freitag fahr ich erst einmal ins Riff. Weil ich hab dem Mac dann schnell den Riffausflug abgekauft, für den er – nur noch zwei! – Ermäßigungen hatte. Und irrsinnig viel zu Essen wird versprochen, auf der Hinfahrt, auf der Rückfahrt und zwei Stationen und wenn ich tauchen will kann ich das auch kurzfristig am Boot sagen, das sei überhaupt kein Ding. Das sind alles so Sachen, mit denen sich BackpackerInnen schon locken lassen. Ein bisschen halt früh aufstehen, aber alles erst nach Sonnenaufgang und in Wahrheit will man sich eh lieber vor 9 Uhr bewegen, weil es sonst warm wird und dann unerträglich.

So schaut s im Hostelgarten aus, ca. halb zehn. Da scheint die Sonne schon ganz schön rein.

Das Riff ist für eine geologische Formation sehr jung, so jung, dass mir nie jemand gesagt hat, wie alt das Riff ist. Aber natürlich ist das Riff nicht in erster Linie eine geologische Formation sondern ein Ökosystem. Eine Biosphäre und als solche lässt sie sich etwa 20 000 Jahre zurückzuverfolgen. Und jetzt – sadface – das dürfte letzten Endes auch schon ziemlich genau das Alter sein, dass das Riff erreichen wird. Ich hab zwar sowohl bei den Greyhoundbuchungen als auch bei meinem Flug nach Alice extra Geld für s Riff gespendet, aber das wird s nicht rausreissen. Jetzt war das Riff aber großartig. Oder halt die ganze Erfahrung, pass auf.

Also steh ich um 6 Uhr auf, weil da muss man vorher lang einchecken und dann fährt das Schiff eh erst um 8 Uhr los. Legt ab. Ich frag mich das immer wieder, was in von der Rolle des Kapitäns alles übriggeblieben ist, insbesondere: muss ein Kapitän wissen, wer alles auf seinem Schiff ist? Oder ist das bloß so eine Traumschiffromantik, dass der dort auf diesem Steg steht, über den wir alle das Schiff betreten. Irgendwie denk ich mir, das macht schon Sinn irgendwo, aber dann mit dem Einchecken und alles, ist das ja sowieso nur noch Relikt. Wenn s denn überhaupt… you know? Jedenfalls steht der so da und sagt allen Hallo und dann sieht man ihn nicht mehr, weil der auf seiner Brücke sitzt und schaut, dass wir das Riff nicht kaputtfahren.

Jetzt von Anfang an Überraschung, weil wir sind etwa zwei Drittel ChinesInnen auf dem Schiff. Schon im Hafen ist ersichtlich, dass die sich den Rausch vom Vorabend aussonnenbadenden Bikinimädchen und ihre Dudes (so many dudes!) eher auf den anderen Schiffen untergekommen sind. Aber damit kann ich ganz gut. Unter den ChinesInnen fühl ich michweniger verloren, weil die in der Regel immer noch mehr verloren sind als ich. Die wichtigen Ansagen gibt s dementsprechend auch auf Chinesisch durchgegeben. Also in erster Linie, wann s Essen gibt und dass man sich zum Kotzen bitte nicht im Klo einsperren soll, weil da stinkt s und über kurz oder lang ist das ganze Boot angespieben. Immer brav ins Sackerl und das Sackerl draußen in den Mist.

Das Boot.

Eigentlich recht eindrucksvoll hab ich gefunden, wie ich mich zur Ausrüstungsvergabe hinsetze, der Mitarbeiter mit dem Schuhgrößenwissen vorbeikommt und nach einem Blick auf meinen nackten Fuß sagt: Fourty-one. Jetzt zweifach interessant: erstens erkennt er meine Schuhgröße mit den Augen und zweitens verwenden die scheinbar die gleichen Schuhgrößenmaße wie wir. Oder natürlich: andere Schuhgrößenmaße und dementsprechend auch danebengegriffen bei der Schuhgrößenbestimmung. Ich probier dann nämlich dann ein ein zweites Paar Flossen, weil das erste Paar etwas locker wirkt, bleib dann aber beim ersten, weil lieber ein bisschen zu locker als so eng, dass es mir den Fuß schon beim Reinschlupfen krampft. Ich bin ja eh nicht gut mit Flossen eigentlich und hab mir oft einmal einen Krampf geholt damit. Wohl, weil es keine Flossengröße gibt, die mir tatsächlich passt.

Das anstrengende ist dann aber erst einmal die Hinfahrt. Ich mein, wir haben sehr, wie sagt man da? „Die See“ ist irgendwie – Ruhig? Still? Flach? So was in der Art. Es geht kaum ein Wind, die Wellen machen wir mehr selbst (Stichwort: Bugwelle), mir ist damit aber nicht gut. Die Dings an der Bar hat mir zwar anfangs so erdbeergeschmackige Tabletten verkauft, die mich stabilisieren sollen, aber ich hab sie wohl ein bisschen zu spät genommen für prophylaktisch und muss mich die erste Stunde eher festhalten und den Blick in die Weite richten. Ich glaub, so was in Thailand auch einmal genommen zu haben, in der Vorbereitung auf stundenlange Serpentinen. Aber dieser Vergleich basiert im Wesentlichen darauf, dass den Tabletten 1) eine ähnliche Wirkung zugeschrieben wurde und 2) sie zirka gleich groß und ebenfalls unglaublich günstig waren. Ich mein, für eine Tablette mit Wirkung viel zu billig. In Thailand lagen die noch dazu wohl einfach offen in einer Schale, hier sind sie verpackt und wenn ich mir die Mühe machen wollte, könnte ich auch den Wirkstoff von der Verpackung runterlesen.

Meine Reling, danke für die Stütze.

Einmal seh ich sowas wie einen Delphin, also so ein zwei Meter langer Fisch (jaja…), der neben dem Schiff taucht. Aber ich zeig zwar drauf und dreh mich um, ob da nicht jemand ist, mit dem ich diese Beobachtung teilen kann, aber da ist er auch schon wieder weg und letztlich kann ich mich nicht erinnern, ob die Schwanzflosse so herum oder so herum war und ob s jetzt ein Delphin war oder vielleicht ein verirrter Tunfisch oder was vergleichbares. Ich glaub, solche gibt s hier auch und das wäre ja auch nicht schlecht gewesen.

Irgendwann sind wir endlich im Riff angekommen, ich hab mir eine Tour beim dreamy Marine Biologist gebucht, ein bisschen für die Eckdaten und so. Außerdem sind wir die ersten im Wasser, während die anderen noch die Zeichensprache der Bademeisterin lernen. Weil da steht eine, die ein bisschen aufpasst, dass die Leute nicht zu weit wegschwimmen oder ertrinken oder zurückgelassen werden, wenn das Schiff wieder aufbricht. Und ich sag dir, das ist schon toll, Riffschnorcheln. Der Herr Biologe erklärt da ein bisschen, wie das mit den Dings, den Korallen ist, umgedrehte Polypen und so, man weiß es ja eh so mehr oder weniger. Aber dann halt, wie langsam sie wachsen und interessant für mich, dass alle Polypen in einer Kolonie oder in einem so einem Korallenast, wie auch immer man da sagt, dass die genetisch alle ident sind. Aber vielleicht auch gar nicht überraschend, weil natürlich schon sexuelle Fortpflanzung bei den Korallen. Das soll ein ziemliches Hallo sein, weil die in einer Frühlingsvollmondnacht alle gemeinsam ihre Gameten ins Wasser abgeben und das schillert, das Wasser und die Luft sollen schwer vom Hormonschwall der Rifforgie sein. Aber das hängt halt sehr von Temperaturen und… vor allem von der Temperatur ab.

Letztlich kann man tun, was man will, auf Bildern schaut das alles ein bisserl unspektakulär drein.

Aber da merkt man auch schon ein bisschen, wie sensibel das ist, dass das ganze Riff, die ganzen verschiedenen Korallenspezies, das gemeinsam erledigen, abhängig von Temperatur und Mond. Aber das wirkliche Problem ist wohl die symbiotische Beziehung zwischen den Korallen und den Algen, die sie ernähren. Wobei ich nicht genau verstanden hab, wie sie tun: Ich glaub, die Algen wohnen auf den Korallen und machen Photosynthese. Weil natürlich ist es für eine Spezies, die sich darauf spezialisiert hat, in einem harten Panzer zu leben, aber auch an einem Felsen festgewachsen zu sein, relativ schwierig, an ihr Essen zu kommen. Hat der Riffmeister erklärt. Jetzt sind da die Algen und die kriegen das halt easy-cheesy mit der Photosynthese geliefert. Und jetzt hab ich mir gedacht, aha, die Korallenpolypen werden dann halt die Algen essen. Aber nein, die Algen geben den Korallen einfach die Kohlehydrate ab, die sie aus dem Wasser rausholen bzw. aus dem CO2, ich nehm an, da gibt s genug davon im Wasser. Na und das Problem ist jetzt, dass diese Beziehung nur innerhalb einer gewissen Temperaturspanne funktioniert und wenn das Wasser zu warm ist, dann kriegen die Stress miteinander und die Korallen stoßen die Algen ab. Und die Korallen verlieren dann ihre schönen Farben, weil eigentlich sind die schicken Grün- und Blautöne natürlich Chlorophyll und Korallenbleiche und da ist der Salat. Aber, was ich ebenfalls nicht wusste: Korallenbleiche heißt nicht, dass sie tot sind. Ich mein, es heißt, dass sie jetzt langsam verhungern, aber das dauert und in der Zwischenzeit mögen sie sich erholen und das Wasser wird vielleicht wieder etwas kühler und während die Korallen zwar leiden und nicht wachsen und vielleicht ein Teil stirbt, na, aber als ein Ganzes mögen sie sich wieder erholen. Das hab ich mit Erleichterung wahrgenommen.

Manchmal will man auch gar nicht so genau wissen, was das ist, was man da sieht…

Und während die Korallen in Wahrheit auch aufregend sind, sind natürlich die Fische schon ein bisschen die Attraktion, wegen der man hinfährt. „Zutraulich“ ist das falsche Wort, ich würde annehmen, sie sind sich einfach ihrer Agilität bewusst und deshalb ist es ihnen relativ egal, wenn man bis auf Zentimeter an sie herankommt. Es gab den einen Fisch, von dem ich glaub, dass er schon auch ein Interesse an den SchnorchlerInnen hatte, weil der wirklich viel so um mich herumgeschwommen ist und dann hab ich ihn zwei-, dreimal erwischt und ein bisschen die Flanke gestreichelt. Aber was weiß man schon, ob ein Fisch „interessiert“ sein kann.

Tom Hanks & Leonardo DiCaprio 2002

Ich hab mir jetzt aber nicht mehr die Mühe gemacht, die Fische zu bestimmen. Da sind die großen Papageienfische, die hörbar am Riff knuspern. Und immer mit einem Schwarm kleinerer Fische, die die Bruchstücke auffangen, die beim Knuspern ins Wasser gewirbelt werden. Und dann sind da die Schwärme aus kleinen blauen Fischen, durch die ich mir ein paar Mal den Spaß gemacht habe, durchzutauchen. Natürlich geht das nicht ganz so gut, wie man sich das in einem phantasievollen Moment vorstellt, aber ein bisschen sehe ich sie schon auseinanderstieben. Und das ist wiederum sehr faszinierend, dass jetzt die eine Evolution macht einen großen Fisch und sagt, alles auf diese eine Karte und die andere Evolution sagt sich, nein, wir machen lieber einen Schwarm von vielen kleinen Fischen, da kann ruhig mal einer gefressen werden, aber the pack survives. Und jetzt aus der Perspektive der BeobachterIn muss ich sagen, der große Fisch ist toll anzuschauen und Hammer und so. Aber faszinierend wirklich ist vielleicht mehr der Schwarm, die Individuen und das gemeinsame Ganze. Und wahrscheinlich ist es bei den Fischen besser erkennbar, als bei anderen Tieren, weil halt dreidimensionaler Raum und verhältnismäßig statisch. Es ist zwar gestern ein Schwarm Wellensittiche über mich drübergeflogen und gemeinsam mit ihren Rufen ist das ein Gänsehauterlebnis (gute Gänsehaut, selbstverständlich). Aber so ein Fischschwarm ist mittelfristig einfach einfacher zu beobachten.

Knusper, knusper Knäuschen…

Und die Drückerfische, die ihre Seitenflossen mehr nur zum Lenken verwenden und ein Kugelfisch, der mir so unausgeglichen, so angespannt wirkt, weil er dieses Potenzial in sich hat, aufzugehen. Und diese Fische, die der Biologe Romeo and Juliet of the Sea genannt hat, weil die immer zu zweit unterwegs sind und wenn sie ihre PartnerIn verlieren, schwimmen sie in sich ausweitenden Kreisen, bis sie sie wiedergefunden haben. Und die Muscheln, also diese großen, die haben die irrsten Farben. Und einen Clownfisch hab ich gesehen, der ein bisschen verloren… aber auf so einen matten Pun wollte ich jetzt nicht hinaus. Na ja, und dann halt der Hai, nicht wahr. Das ist schon, wo ich den seh und die erste Reaktion ist: Scheiße, ein Hai. Aber sofort die Neugier und die Faszination und wenn wir schon keine Schildkröten zu sehen bekommen, dann seh ich meinen Hai. Ganz allein und ein bisschen abseits der Gruppe. Aber ist ja ganz ein kleiner, zwei Meter oder so und der tut ja nichts, der will noch nicht einmal spielen. Ich also in gutem Abstand hinterher, den Stress hat eher der Hai, sind wir uns ehrlich.

Also, was hier passiert ist, ist, dass ich zu oft auf den Aufnahmeknopf gedrückt hab und jetzt kaum eine Sekunde Hai auf Video hatte. Ja, ausgerechnet. Deshalb hier ganz laaaaangsam , auf drei Sekunden gestreckt. Dafür hab ich sechs Minuten Video von einer Kamera, die mir um den Hals schlenkert…

Na und dann wieder auf s Boot und ich bin wirklich sehr begeistert und ich will gar nicht aus dem Wasser. Für blaue Lippen zahlt es sich vielleicht aus, für verlängertes Planschen einzustehen, aber nicht für im Riff gelassen werden. Ich nehm an, dass wir jetzt eine kleine Mahlzeit nehmen. Mein Magen steht immer noch auf etwas wackeligen Beinen, aber etwas Couscoussalat und ein paar Süßkartoffeln aus diesem… was ist das? Es hat auf jeden Fall Süßkartoffeln drin. Und dann nehm ich mir sogar noch zwei so Garnelen. Und dann nochmal zwei, weil ich merk, gar nicht so schlimm, wie ich zuerst gefürchtet hab, dass mein Magen jetzt auf gekühltes Fischfleisch reagiert.

Ein kleiner Strampler durch s Riff, dem Drückerfisch hinterher. Den Soundtrack liefert ein Herr, der abends auf der Cairnser Esplanade seine Gitarre gespielt hat (weil sonst ist nur so Geblubber…).

Im zweiten Riff, same procedure as before, rückwärts einparken, damit wir hinten auf s Riff raus sind, rein ins Wasser. Das Riff ist gleich merklich anders als das erste und ich hätte mich nicht beschwert, wenn der Meereswissenschaftler nochmal ein bisserl was erklärt hätte. Aber 25$ sind nur für einmal erklären und dass es hier anders ausschaut akzeptiere ich einfach. Ich versuche ein bisschen tiefer zu tauchen und merke jedesmal, wie schnell mir der Druck im Kopf ein Problem wird, so zwei, zweieinhalb Meter geht s, würde ich sagen. Und geht s auch schnell, weil die Flossen tun was sie sollen und Krampf krieg ich auch keinen, alles picobello. Auch hier keine Schildkröten und kurz vor Aufbruch zeigt sich wieder ein einzelner Hai. Als wir uns am Bootsrand die Flossen ausziehen, hab ich eine kurze Unterhaltung mit einem fellow Haisichter, der mir von zwei viel größeren Haien erzählt, die er im Zuge des Schnorchelgangs unter einem Felsvorsprung gesehen hätte. Da ist das Verpasste kurz ein bisschen wichtiger als das Erlebte.

Wahrscheinlich waren s solche Zebrahaie.

Als ich daheim ankomme, bietet Mac gerade zwei SchottInnen den gleichen Ausflug an, von dem ich gerade zurückkomme. Schaut aus, als ob er nur noch zwei Ermäßigungen hätte… Enthusiasmiert wie ich bin schwärme ich ihnen ein bisschen was vor, sag, dass es sich auf jeden Fall ausgezahlt hätte. Und das stimmt auch. Natürlich ist die Hälfte im Prospekt gelogen oder zumindest übertrieben und Preise vergleichen, dafür müsste man mal ein bisschen was gesehen haben. Aber im Grunde genommen zahlt es sich einfach aus, weil eineinhalb Stunden Schnorcheln in diesen Riffen großartig ist. Schildkröten und Haie sind natürlich eine Attraktion, eben der große Fisch, der beeindruckt. Aber das Erlebnis selbst, das große Ganze, dass sich aus den vielen einzelnen Teilen ergibt, für das ist es wirklich egal, ob es zwischendurch Scampi oder Dosenfleisch gibt.

Red fish, blue fish.

CAAAAAAAIRNS!

Good evening.

Als ich mich letzten Endes dann doch auf den Weg gemacht hab, hab ich schon ein paar Tage lang nachgedacht, ob ich mich nicht für das Work for Accomodation Programme melden soll, das die Jugendherberge anbietet. Aber erstens vielleicht nicht bei der ersten Gelegenheit verpflichten und so spannend ist Hervey Bay auch wieder nicht. Und zweitens wär ich dann sicher gleich bis Juli geblieben. (Weil halt die Wale erst im „Winter“ kommen. Falls das bisher zu subtil war, ich würde wirklich gern Wale sehen. Und alles nur, weil mir dieses Instagram das so reingedrückt hat, weil ich dort jetzt ein halbes Jahr Walvideos bekommen hab… Ich bin ja sonst nicht so ansprechbar dafür, wenn mir jemand ein Erlebnis verkaufen möchte, aber eben in diesem Fall: schon unheimlich beeindruckend.)

Man kann da auch den Ton ausmachen, es ist trotzdem beeindruckend.

Insofern war ich dann ganz froh, dass sich das Wetter beruhigt hat, die Krokodile wie gesagt wieder raus aus der Stadt und die Straßen nicht mehr einen Meter unter Wasser oder unauffindbar und deshalb auch nicht mehr gesperrt. Nachdem ich in den ersten paar Wochen ja nur die 300km von Brisbane nach Hervey Bay geschafft hab, war mir jetzt ein bisschen nach größeren Sprüngen, sonst verzettel ich mich da ewig entlang dieser Küste. Also hab ich mir den Bus gleich einmal bis nach Cairns genommen, das sind 1500km. Zwei waren’s in Wirklichkeit, weil ich für etwas günstiger nach 1100km in Townsville umgestiegen bin, komm ich insgesamt auf etwa 26 Stunden Busfahrt.

Also hab ich mich am Montag fertig gemacht und mein Zimmer geräumt. Ich hab direkt umdekoriert, so viele neue Gelsenflecken hab ich an den hellen Wänden hinterlassen. Und dann hat mir der Chef beim Auschecken quasi noch ein Special Treatment gegeben, weil eigentlich verlangen sie, was weiß ich, 5$, wenn man zwischen Check-Out und Abend noch in der Hängematte knotzen und die Toiletten benutzen möchte, aber: you’re welcome to stay and use the facilities. Das war anständig, weil ich hab ein bisschen drauf gewartet, ob er was sagt. Aber ja, gut gemacht, das hat schon einen Einfluss auf die Meinung, mit der man dann das Hostel verlässt. Wär vielleicht doch nett gewesen…

Dass mein Zimmer Schweine an der Tür hatte, wo doch gerade das Jahr des Schweins begonnen hat, hat sich übrigens auch sehr glücklich gefügt.

Und so bin ich dann abends in den Bus gestiegen. Gemeinsam mit 60 großteils europäischen, großteils Teenagern. Oder halt von mir aus Twens. Wie ich um 5h nach einer raschen Runde Zähneputzen in der Tankstellentoilette wieder eingestiegen bin, hat s auf jeden Fall gerochen wie – ich weiß nicht, ob du das kennst, aber das Bild ist vielleicht auch so nachvollziehbar – wenn man sich Ende des Semesters den ausgeborgten Fechthelm aufsetzt, in den jetzt vier Monate lang täglich viereinhalb Stunden lang StudentInnenköpfe geschwitzt haben. Das sind, also mit Aufwärmen sagen wir nur drei Stunden echtes Schwitzen mal fünf Tage mal vier Monate zu vier Wochen… 240 Stunden Schweiß in einen gut gepolsterten Helm. Damit kann man ganze Landstriche für Jahre unfruchtbar machen, was da an Salzen drin hängt. Und es kann einem auch die Lust auf weitere Nachtbusfahren beschädigen: Der Umkleidekabinenmief und der Englische Jugendliche an meiner Schulter. Weil es ist natürlich so, wenn mir schon beim Auf-den-Bus-Warten einer ganz besonders auf die Nerven geht mit seinem and then we went over to James’ house and his mum wouldn’t even make us sandwiches and all we ever got were crisps so I’m never again going back to James’… derartig auf die Nerven geht, da kannst du wetten, dass ich ausgerechnet mit dem acht Stunden lang um den Zugang zur gemeinsamen Armstütze rangeln werde. Subtil rangeln, weil doch ein bisschen die – sagen wir – Britische Schule genossen, wo man mehr so zufällig dauernd in meine Richtung rutscht.

Auf diesem Pfosten hab ich mich übrigens bei der ersten Raststation abgestützt. Als es mich am Ellenbogen gezwickt hat, hab ich das Licht angemacht…

Aber der Englische Bub ist am Dienstag eh schon früh ausgestiegen und so ist uns das erspart geblieben, dass wir uns tagsüber auch noch, quasi am Tag darauf, uns im wachen Zustand, auf Basis der Unannehmlichkeiten der holprigen Nacht jetzt weiterhin arrangieren müssen. Und aus dem Fenster hab ich ihn dann noch gesehen, wie er wieder bei seinem Freund gestanden ist und schon wieder lustig war, weil er die ganze nach so brav seine nervigen Monologe ausgelassen hat. Der Freund hat zwei Sitze weiter neben einer Irin übernachtet. Und ich weiß nicht genau, aber die Irinnen und die Iren, die machen mir alle weiche Knie in diesen Wochen, mit ihrem Akzent. Stundenlang könnte ich ihnen zuhören, wie ein klarer Bergbach, so erfrischend in dieser tropischen Umgebung. Oder ist es nur Sharon Horgan. Aber ganz offenbar gab s für die andere unfreiwillige Paarung in Reihe 9 ebensowenig Konversationsstoff. Am meisten unterhalten sich die Deutschen in den ersten fünf Reihen.

Die haben wohl schon ein bisschen im Voraus gebucht.

Zu Mittag dann ein kurzer Spaziergang in Townsville, frisches T-Shirt auf der Herrentoilette. Und weiter geht s, den Bruce Highway entlang. Und ich hab wirklich lachen müssen das erste, zweite, dritte Mal, als das gesehen hab, weil Monty Python und Bruce und so? Außerdem kommt mir die eine oder andere geographische Bezeichnung vor, als ob sich der G.R.R. Martin hier ein bisschen bedient hätte, aber außer dass es einen Fluß gibt, der Tully heißt fällt mir natürlich grad nichts ein. Aber als wir um halb neun endlich in Cairns ankommen, ist das bisschen Verspätung, für das sich der Busfahrer entschuldigt, schon egal. Schön, aus dem Bus rauszukommen. Und so schlendern wir die abendliche Spence Street entlang, eine kleine Gruppe BackpackerInnen, aus der regelmäßig jemand abbiegt, Cairns ist dicht mit Jugendherbergen. Nach einigen Querstraßen beginnen wir uns sogar von einander zu verabschieden. Enjoy your stay!, Have fun!, Bye!. Mein Hostel ist am weitesten entfernt, aber mein Rucksack liegt gut auf den Hüften und das Gehen ist angenehm nach dem vielen Sitzen. Ich überlege, wo man sich eine Steißbeintransplantation abholen kann.

Schließlich lasse ich mich selbst in meine Jugendherberge – Rezeption nur bis acht besetzt. Ich finde meinen Schlüssel und mein Zimmer, wunder mich darüber, warum ich eine echte Decke hab, mit Polsterung und Überzug, drehe den Ventilator auf 1 und leg mich hin. Alles andere hat Zeit bis morgen.

Sorry for the mess, didn’t expect any visitors…

Am nächsten Tag dreht mir Mac, der Ire an der Rezeption einen Ausflug ins Riff und eine Busfahrt in den Urwald an. Ich bin nicht in der Lage, irgendeinen Widerstand zu leisten.

Aber das… ist eine andere Geschichte.

Not quite seven days

Das Wetter ist besser geworden. Es regnet nicht mehr so viel, die Flüsse sind nicht mehr über alle Ufer und in Townsville muss man sich beim über die Straße gehen auch nicht mehr vor den Salzwasserkrokodilen in acht nehmen. Dass das Unwetter seine Spuren hinterlassen hat sehe ich persönlich nicht, auch wenn ich einige Tage später durch Townsville selbst fahre. Die Menschen haben Mobiliar auf die Straße geschafft – zum Trocknen oder zum Wegschmeißen weiß ich nicht. Aber die toten Kühe und die ruinierte Infrastruktur, das krieg ich nicht mit. Im Gegenteil, in Townsville schneiden sie munter den Rasen in den öffentlichen Parks und alles glänzt und blinkt vor Sauberkeit.

Aber da bin ich schon am Weg nach Cairns. Davor war ich eine Woche in Hervey Bay. Das ist zwar jetzt auch nicht eine Stadt in dem Sinn, aber es gibt Kaffeehäuser und zumindest ein hippes japanisch Lokal. Stadtplanerisch gibt s eine Straße, an der Ferienhäusern, Hotels und Wohnwagensiedlungen aneinandergereiht sind. In Hervey Bay scheinen auch die meisten der hiesigen AustralierInnen auf Urlaub zu sein.

Ist ja auch schön. Und dank der Bay halt auch relativ wenig tödliche Quallen, Haie und Krokodile. Wale halt wiederum von Juli bis November.

Dass ich auf der Straße einfach so angesprochen werde, bleibt hingegen so. Das hat offenbar wenig mit der Ortsgröße zu tun. Die unterhalten sich einfach gern, die AustralierInnen, bloß so: Einander fremde Leute reden sich auf der Straße an und erzählen sich was. Und ich merke, mein kultureller Hintergrund ist eher der, wo sich drei Chinesen ob einer öffentlichen Unterhaltung schon der Ruhestörung verdächtig machen. Der Kontrabass dabei eher sekundär. Deshalb bin ich es so überhaupt nicht gewohnt, einfach so angesprochen zu werden. Weil – ungelogen – meine erste Reaktion ist: Was hab ich falsch gemacht? Sofort denke ich einen Fehler oder anderweitige Übertretung begangen zu haben, auf die ich im Sinne der Ordnungserhaltung aufmerksam gemacht werde.

Jetzt rechne ich aber immer noch nicht damit, unprovoziert erzähltzu bekommen, dass ein Bruder eine Sheila in Kanada geheiratet hätte, und dass es dort wohl kalt sei. Ok, aha, danke? Eine andere bestätigt mir tags darauf ungefragt, dass sie jetzt surfen geht und dass sie das gerne macht. Und der ältere Herr im Park, nun, da bin mir bis zuletzt nicht sicher, ob mir der gesagt hat, wo s wieder raus geht oder mir eine Frage gestellt hat, die ich wohl lächelnd nickend unbeantwortet gelassen habe. Verschwitzt war ich und mag verloren gewirkt haben.

Ganz ehrlich, ich finde das ganz super. Also die Fähigkeit, die Aufmerksamkeit mit der man hier auf der Straße seinen Mitmenschen begegnet. Ich komm aber praktisch einfach schwer damit zu recht. Als Angesprochener fühle ich mich zunächst nach wie vor ertappt. Und dann verstehe ich ja wirklich oft nicht, was man ich da aus heiterem Himmel gesagt bekomme. Zweimal frag ich nach, aber dann ein freundlichen Nicken und ab.

Am zweiten, dritten Tag hab ich mir ein Fahrrad ausgeborgt und hab mir gedacht, ich fahr jetzt einmal ins Zentrum. Das war natürlich ein Irrtum, weil wir wir wissen, ist Hervey Bay in der Geographie eher eindimensional. Aber ich bin eh ganz in meinem Mantra „links, links, links“ aufgegangen und wie ich an der Esplanade dann den Radweg entdeckt habe, war ich froh, einfach einmal 20 Minuten lang geradeaus zu fahren. Fun Fact: Alle Busstationen entlang der Esplanade heißen „Esplanade“. Ich mein, da war entweder jemand sehr lustig in der Abteilung oder irgendjemand hat eine Weisung ausgeführt, die möglicherweise überdacht gehört hätte. Oder es war einfach wurscht, weil man muss schließlich irgendwas draufschreiben.

Die Busstation bei meinem Hostel hat wiederum eine ausgesprochen hilfreiche Bezeichnung.

Jetzt bin ich irgendwann einmal nach rechts, mit dem Ziel da ein bisschen in die Urbanität abzubiegen. Nichts da. Da hat s dann erst wieder ausgeschaut wie in TCB: Häuser mit großzügigen, grün-gelben Vorgärten. Also bin ich stehengeblieben und hab auf den Plan geschaut. Nachdem auch da die Gehsteigtechnologie eher noch in den Kinderschuhen steckt, bin ich auf jemandes Rasen abgestiegen. Während ich wische (Schweiß, Stadtplan) und zoome (Stadtplan), höre ich einen offensichtlich aufgeregten Hund hinter den Palmwedeln. Ein schöner, großer, viel zu großer und lauter werdender Boxer, schält sich aus dem Geäst heraus. Einen Moment lang erhebt sich in meinem Kopf ein Zeigefinger, der mich darauf aufmerksam machen möchte, man müsse doch Hunden gegenüber Standhaftigkeit beweisen, keine Angst zeigen, verdeutlichen, wer hier anschafft und das sei immer noch der Mensch. Aber das war mehr so eine Begleitungerscheinung, mein Körper reagiert währenddessen ganz brav ohne viel auf das Ergebnis meiner Kontemplation zu warten. Telefon in die Tasche und über blödes Fahrrad mit Rücktritt ärgern, wo die Pedalstellung sich beim Stehenbleiben immer so ungut ergibt, dass das Pedal nicht ganz über den Zenit ist. Also ein bisschen holprig antauchen, das Pedal weiterschieben und dann endlich zum Treten beginnen und laaaaaangsam beschleunigen.

Boxer (Symbolfoto)

Aus dem Augenwinkel stelle ich fest, dass mit Zähmung des Biests durch die Herrschaften HundebesitzerInnen nicht zu rechnen ist. Zum Glück immerhin großzügiger Vorgarten und der Hund braucht ein bisschen bis er bei mir ist. Mittlerweile hab ich durch meine offensichtliche Flucht auch alle Ambivalenz der Situation vernichtet, quasi Schuldeingeständnis, der Hund darf sich in seinem Angriff bestätigt fühlen. Mein Rad und ich gewinnen nur langsam an Geschwindigkeit, dank Linksverkehr, muss ich auf der Hundeseite der Straße bleiben. Schon ganz hübsch anzusehen, so ein Muskelpaket. Mittlerweile lassen sich ja einzelne Muskelpartien erkennen, die sich unter dem kurzen, milchkaffeebraunen Fell zusammenziehen und wieder entspannen. Nicht die beste Situation irgendwie, aber warum nicht auch ein bisschen das Schöne an der Situation genießen, jetzt wo es nicht mehr über die Möglichkeit des Keine-Angst-Zeigens reflektiert, wird mein Hirn eh nicht wirklich gebraucht. Meine Beine treten, meine Arme klammern sich an den Lenker.

Aber ich hab natürlich überlebt. Während ich mich mit der Gelassenheit eines Todgeweihten die Ästhetik der wirbelnden Hundesmuskulatur hingebe, merke ich, dass der Hund nicht auf die Straße springt, sondern mich parallel durch die Vorgärten der NachbarInnen verfolgte. (All animals are equal but some animals are more equal than others…). Nichtsdestotrotz beschleunige ich nach besten Kräften bis der Hund mein Bemühen anerkennt und stehen bleibt. Well played, everyone, let’s go home. Ich sag nur, es ist nicht so, als ob er mich nicht erwischt hätte, hätte er wollen. Aber daran erkennt man wohl einen guten Wachhund.

Könnte etwas besser in der Beschleunigung sein.
Hier schiebe ich mein Fahrrad durch den Botanischen Garten von HB. Und wenn man genau hinhört, kann man noch die Ente… bzw. meine Schuhe knarzen hören.

Hervey Bay ist großzügiger mit den Attraktionen als TCB, wobei das wichtigste, wie fast überall hier, erstens Strand und dann eventuell noch Natur sind. Fraser Island heisst K’gari in der Sprache der Butchalla, die hier früher gewohnt haben – quasi Paradies. Während die Sprache selbst ausgestorben ist, bzw. während jene Menschen, die diese Sprache gesprochen haben, alle tot sind, gibt es – laut einer Erhebung von 2016 – noch 24 Personen, die einen Dialekt davon sprechen. Heute kann man in einer Autokaravane durch das Paradies brausen, Dingos anschauen und in den Süßwasserseen der Insel planschen. Es ist die größte Sandinsel der Welt und seit 1992 UNESCO Weltkulturerbe. Hab ich auslassen.

Aber ich war im Aquarium. Als erstes ist auffällig, dass es seinen Charme total vom Haus des Meeres abgekupfert hat. Also vom Haus des Meeres ca. 1992, weil später war ich eigentlich nicht mehr. Alles schön in Beton gehalten. Und dann halt Aquarien und Fische drin. Und da geht man dann eine Runde und irgendwie denkt man sich, das war s jetzt eigentlich schon. Ist schon ganz ok, da ist ein Hai und ein Rochen und schau, eine Seegurke und ein Feuerfisch. Und hier, lauter Steinfische, wie viele findest du?

Jetzt ist es mir fast unangenehm, weil ich den Delphinen gegenüber noch ein bisschen abfällig gewesen bin. Aber die Attraktion ist ja dann, dass es die Tiere zum Füttern gilt. Um 11:00 füttern wir einmal die Schildkröten. Die großen Wasserschildkröten planschen in ihrem Außenbecken vor sich hin. Der sehr nette, weil so nuschelige Typ, der das sich im Familienbesitz befindliche Aquarium schupft, erklärt, dass da zwei Männchen und ein Weibchen sind und wie man sie unterscheidet und dass nur das eine, ältere Männchen, das so Mitte 60 ist, geschlechtsreif sei. Während die anderen zwei so Mitte 40 sind. Das Weibchen, hebt er hervor, hätte noch gute 10 Jahre, bevor man sich was was überlegen muss, ob sie, wo sie, wie sie vielleicht einmal Eier auch legen kann. Das allein ist schon recht scharf, wenn man erst mit 50 in die Pubertät kommt. Alles vielleicht auch ein wenig entspannter.

Schildkrötenfütterung. Wer Pech hat kriegt über die Brandungsmauer manchmal eine Welle voll Meer ins Gnack.

Und dann geben wir ihnen Salat. Die drei Schildkröten bekommen gemeinsam ca. einen halben Kopf Eisberg am Tag. Das wirkt nicht viel und ich denke mir, dass es schon seine Vorteile hat, wenn man nicht dauernd selbst dafür zuständig ist, seine Körpertemperatur zu regeln. Jetzt, das Blatt immer schön am Ende halten und leicht ins Wasser hängen lassen, nicht zu knapp und ja, schau – schnapp! Spaßig, wie sie durch die Nasenlöcher das Wasser aus dem Mund pressen, zwei kleine Springbrunnen. Aber natürlich hätten die sonst während ihrem Frühstück das halbe Becken schon leergetrunken. Und man will ja auch nicht den ganzen Mund voll Salzwasser haben. (Kleine Fußnote am Rande: Nachdem ich vorgestern beim Schnorcheln am Riff doch relativ viel Salzwasser getrunken habe, ist das Taubheitsgefühl in meinem Mund bereits gut abgeklungen.)

Dann war erst einmal Pause, aber am Nachmittag ging s weiter, da werden die Haie und die anderen Rifffische gefüttert. Da finden wir uns wieder ein und die Mehr-oder-weniger-Freiwilligen bekommen – zack! – eine Hand voll Fischköpfe in die Hand gedrückt. Rauf auf die Leiter und „sprinkle it over the water, like so.“ Der aufgeregte Rochen schießt die Aquarienwand hoch und ist ein bisschen unheimlich. Aber der hat den Mund quasi auf den Fußsohlen und hat halt besondere Bedürfnisse bei der Nahrungsaufnahme. Die großen Barsche kriegen ihr Futter mit Unterdruck in den Mund serviert, die müssen angesichts so eines Fischkopfs nur den Mund aufreißen und – schwupp! Schon sehr cool. Einzelne Fische, die bei den amateurhaften Fütterungsmethoden der TouristInnen keine Chance haben, bekommen ihre Fischköpfe an einem Stecken serviert. Der Katzenhai verbeißt sich brutal in den Spieß, dass ich mir sofort Sorgen mache. Aber der nuschelnde Besitzer weiß: da geht nur Gewalt, der lässt nicht los. Der Andere Hai hingegen will seinen Fischkopf nicht angreifen. Der rieche das Metall durch, heißt s.

Dann werden auch die Fische im Freibecken gefüttert. Die Haie werden nervös, sagt der Chef, wenn sie nicht zur gewohnten Zeit ihre Mahlzeit bekommen. Außerdem müssen sie sich dauernd bewegen, man muss ihnen also das Futter geschickt einen Meter vor die Nase werfen, sonst sind sie schon wieder vorbei, grad dass sie s bemerken. Da sind sie gar arme Hascherl, so schüchtern und nur schlecht an ihr Essen kommend. Die Barsche stehen (dank Schwimmblase) gelassen im Wasser und schnappen sich das Zeug einfach. Und dann kommen auch nochmal die Schildkröten, die vielleicht den Salat vom Vormittag schon verdaut haben, die holen sich auch noch ein Sushi.

Ja, das sind Fotos von der Homepage, na und…

Das war schon ein Abenteuer. Ich frag mich natürlich, wie die jemals überleben können, mit ihrem kleinen Aquarium. Wir waren vielleicht 15 Leute, Kinder ausgenommen. Aber vielleicht werden wir mit unseren Fischkopffingern auch subventioniert von denen, die nur in der Früh einmal reinkommen und ohne Fütterung wieder von dannen ziehen.

Die andere Attraktion, die Hervey Bay zu bieten hat, ist der Urangan Pier (nämlich so wie der Stadtteil). Das ist so das Programm für die kulturell-historisch Interessierten – die sich aber trotzdem nicht von einem Genozid den Badeurlaub vermiesen lassen wollen. Der ist 1917 fertiggestellt worden und damit immens historisch. Und 868 Meter von einem Ende bis zum anderen. Also, wohl nur ein Ende, also vom Anfang bis zum Ende. Und dort ist ein Zaun, dass man vor lauter Geradeaus nicht noch am Schluss einfach über die Planke läuft. Noch dazu ist das noch nicht so lange her, da wer der Pier noch über einen Kilometer lang und jetzt ist da ein Zaun, ein Fahnenmast und eine Aussicht.

Die hinteren paar hundert Meter des Urangan Pier.

Alles in allem muss man ihn wohl nicht gesehen haben und sicherlich muss man nicht den ganzen Pier entlanggelaufen sein. Das aufregendste sind die links und rechts Hervey BayerInnen mit ihren Angelausrüstungen. Aber ich hab meinen Pierspaziergang zufällig gemeinsam mit einer jungen Frau begonnen und wir haben einander auch, na sagen wir: anerkannt. Man lächelte einander zu, vielleicht sogar unter Zuhilfenahme von abgenommenen Sonnenbrillen. Und dann sind wir da gegangen, mal nebeneinander, mal versetzt, weil der Weg ist sehr klar abgesteckt und ja nur so zweieinhalb Meter breit. Und man geht schon eine Weile, gute zehn Minuten, und wir hatten es ja auch nicht eilig. So ab der Hälfte war klar: wir gehen da jetzt bis ans Ende – all the way. Auch etabliert hat sich langsam, dass wir einander schweigend folgen. Jetzt unter dem Eindruck des Wortlos-hinter-einander-Herlaufens hab ich uns stellenweise schon eher so erlebt, wie wenn man sich auf einer gemeinsamen Reise vielleicht ein bisschen in die Haare gekommen ist. Dann probiert man sich einmal dadurch auszudrücken, dass man einander leicht trotzig hinterherschleicht.

Und vielleicht war das schon ein bisschen vorgegriffen, weil am Ende angekommen hab ich mich dann auf Anhieb mehr mit der Aussicht beschäftigt, als dass ich einen Kontakt her- und etwa einen Kaffee in Aussicht gestellt hätte. Ob sie da jetzt wirklich etwas beleidigt gewesen ist und so mein Eindruck zuvor sogar prophetisch gewesen sein mag, das wird schon auch ein bisschen eine Projektion sein. Im Sinne von: Wenn wir von diesem Spaziergang etwas gemeinsames mitnehmen, dann die Enttäuschung, dass nichts aus diesem Gespräch geworden ist, auf das wir uns die letzten 868 Meter vielleicht beide jetzt schon ein bisschen gefreut haben.

Urangan, Hervey Bay aus 868m Entfernung

Letztlich hat mich meine Sprachlosigkeit nicht überrascht und die 250 Meter, um die er seit 1985 kürzer ist, hätten mich da auch nicht rausgerissen. So kumuliert die Hervey Bay Erfahrung wohl in der Feststellung, dass sich die einen leicht tun damit, Unbekannten von ihren Schwägerinnen oder Leidenschaften für s Wellenreiten zu erzählen, während andere ihren diesbezüglichen Spielraum mit gemeinsamer Enttäuschung über eine nicht stattgefundene Unterhaltung schon ganz gut ausschöpfen.

Aber ich verbringe eine gemütliche Woche der wirklich netten Jugendherberge, liege in der Hängematte und lese Wolf Haas. Ich mache meine täglichen Ausflüge und Spaziergänge. Die BackpackerInnen kommen und gehen währenddessen, außer mir bleibt kaum jemand länger als ein, zwei Nächte. Da ist der, der mit dem Fahrrad von Sydney hochgefahren ist und ein paar Tage lang seine Energien sammelt; da sind die, die von hier aus schick zum Tauchen auf Lady Elliot Island weiterfahren, von denen ich ein You’re still here? bekomme, als sie auf ihrer Rückreise noch einmal Station machen. Für mich ist, meinen Tee unter Papageien zu trinken, nach wie vor eines der größten Abenteuer.

Parrot Poop on Shirt.

Das Essen wird weggesperrt damit das Opossum nicht kommt, obwohl ich eigentlich gern einmal gehabt hätte, dass das Opossum kommt. Sonst kriechen abends die Kröten aus ihren Löchern und die Flughunde beginnen pünktlich mit Sonnenuntergang über uns hinwegzuziehen. Sie haben ihre Höhle ein Stück nördlich und fliegen abends gemeinsam aus. Ich hab so viele Fragen dazu, wie die sich organisieren, dass sie so einen nicht abreißen wollenden Schwarm hinbekommen. Ein Strom riesiger Fledermäuse, die langsam durch die Luft… segeln? Auf den ersten Blick erinnern sie gar nicht an Fledermäuse, und auch ihre Laute lassen mich am ersten Abend eher an Gänse als an Säugetiere denken. Aber auch hier: keine Besonderheit. Flughunde sind australischer Alltag, zumindest hier an der Küste. Und machen auch Probleme und Krach. Aber für mich natürlich trotzdem Höhepunkt der Exotik.

Angeblich australischer Alltag

Fauna, australische

In Tin Can Bay gab s wenig zu tun, wer sich erinnert. Es hat Wale und Delfine und Vögel. Die Wale sind leider im Sommer nicht da, die kommen dann erst wieder Juli bis November. Da kommen die Kälber zur Welt und die fressen sich da ihren Blubber an, damit sie im „Sommer“ die kühlen Gewässer der Antarktis überleben, wo sie dann mit der festen Nahrung anfangen. Bis dahin kriegen die halt Milch und zwar irrsinnig viel davon. Ich weiß jetzt nicht genau, aber halt Unmengen. So eine Zahl wo man sich sofort denkt „gibt s doch jetzt aber nicht, wo soll denn das Platz haben“. Und dann rutscht sie einem halt wieder aus dem Kopf, kaum dass man sie gelesen hat. Allerdings, wenn man schon dabei ist, sich Badewannen voller Walmilch vorzustellen, darf man nicht den Fehler machen, da gedankenexperimenthalber Rindermilch – weil die Walkuh ist ja letztlich auch eine Kuh – hineinzugießen. Nein, die ist viel dicker, da stellt man sich besser vor, die Badewannen sind mit Zahnpasta gefüllt. Wo die ganze Zahnpasta so riecht wie jemand, der nach seinem Wikingersandwitsch halt noch nicht zum Zähneputzen gekommen ist. Die Milch ist so dick, weil natürlich wahnsinnig hoher Fettgehalt, dass einem der Anteil gleich wieder verloren geht nach dem Lesen. Aber so schwimmt sie gut im Wasser und ist für s Kalb leichter zu fressen. Weil natürlich Säugetier hin oder her, aber ohne Lippen kein Saugen und Wale eben keine Lippen.

Jetzt also keine Wale für mich. Die Delfine hab ich dann auch, naja, sagen wir mal: nicht in Anspruch genommen. Ich wollte nicht so recht für 10$ im Meer stehen und unter den Blicken von den Leuten, die dort in der Früh das Geld entgegennehmen, akwardly mit Delfinen interagieren. Vielleicht bin ich da eigen. Hab ich das sein lassen, obwohl s wohl die einzige verlässliche Attraktion in TCB ist. Um ehrlich zu sein, als ich das gestern erzählt habe, bin ich ein bisschen, also nicht direkt ins Strudeln gekommen. Aber es bestand schon Erklärungsbedarf.

Letztlich gilt das ja insgesamt für meine Unternehmung als solche. Wenn ich im Bus mit den 20-jährigen EuropäerInnen sitze, denke ich mir schon manchmal, dass ich da was eigenes hab mit meinem Middle-age Gap Year, meinem ergebnisoffenen Sabbatical. Aber es renkt sich üblicherweise dann wieder ein, ist bloß ungewöhnlicher als die Mid-20er, die ihre iPads auch mal auf der anderen Seite der Welt ausprobieren wollen. (Dreht sich der Ladekreisel südlich des Äquators in die andere Richtung?) Aber halt auch nicht ganz was Neues.

Insofern also keine Wale, keine Delfine. Jetzt aber: die Vögel. Auf die hab ich mich dann eingelassen. Und da gibt s die Papageien (Trichoglossus haematodus und T. chlorolepidotus), von denen ich gerne erzähle. Weil 30 Grad hat s ja bei uns auch schnell einmal. Und wenn du früh aufstehst, kannst noch vor dem Mittagessen aus dem Auto direkt ins Meer. Aber Papageien vor dem Fenster, die um fünf in der Früh den Schnabel nicht halten können, das zeichnet gleich ein Bild.

Weitgehend wertlose Aufnahme von zwei T. haematodus im übereilten Abflug aus einer Baumgabel.
Morgendliches Geschnatter der T. haematodus oder T. chloroleptidotus (TCB).

Dann gab diesen Kakadu (Eolophus roseicapillus), da war ein ganzer Schwarm davon gegenüber vom Einkaufszentrum. Also, „Einkaufszentrum“, weil das waren ein paar Geschäfte nebeneinander. A butcher, a baker, a – wait for it – pizza place. Und ich gestehe wohl zu, dass ich mit meinen Augen auf 10 Meter nicht immer scharf sehe. Aber man kann ruhig auch mitdenken, dass ich nicht mit einem Schwarm Kakadus gerechnet hab, die sich neben einem Parkplatz Nahrungsmittel aus der Wiese picken. Hab ich sie für eine Taubenart gehalten. I guess, weil sie grau sind und weil ich vorher schon einmal eine Taube identifiziert hatte (Ocyphaps lophotes). Da hab ich mir schon gedacht: Eins muss die Australische Tierwelt schon noch draufsetzen, können nicht einfach eine Taube machen, nein, sie muss ein bisschen lässiger sein, als was bei uns zu bebirdwatchen ist.

Ich hab dann noch verschiedene Möwen gesehen (Larus dominicanus, Chroicocephalus novaehollandiae). Dabei ist mir als erster Unterschied aufgefallen, dass alle weiße Augen hatten und nur eine darunter war, mit ganz schwarzen. Es hat gewirkt, als würden sie auf die Ebbe warten und auf die vielen kleinen Krebschen, die aus dem Sand kriechen und… irgendwie was essen, was sie im frisch entdeckten Sand (Watt) finden? Für die Möwen aber überhaupt kein Problem, dass da eine ist, die andere Augen hat, Krebschen genug für alle, überhaupt kein Stress. Ich glaub, selbst mich hätten die mitnaschen lassen, weil wir haben uns wartend eine Zeit lang beäugt. Dabei sind mir eben die unterschiedlichen Augenfarben aufgefallen, und dann auch noch, dass sie die Pupille nicht bewegt haben sondern immer nur den ganzen Kopf. Das hab ich noch nie bewusst beobachtet. Ich geh jetzt einfach davon aus, dass Vögel insgesamt ihre Augäpfel statisch haben und den Kopf drehen müssen, wenn sie was anderes anschauen wollen. Ganz ehrlich, vielleicht ist das bei allen Tieren so, die nicht nach vorne gerichtete Augen haben. Außer halt: Chamäleon. Schwierig genug sich vorzustellen, wie man die Welt erlebt, wenn man dauernd sieht, was links und rechts ist, aber nicht wirklich, was von vorne auf einen zukommt? Man lauft halt auf der Straße eher jemandem hinein, als dass man überfahren wird, I guess.

TCB Ufer bei Flut. So schaut das Seeufer in Gmunden auch aus.

Dann war da noch die Australian Magpie (Cracticus tibicen) und ihre verlercherlte Schwester (Grallina cyanoleuca). Ich mein, da begebe ich mich jetzt schon auf ein dünnes Eis, wo ich mir nicht mehr sicher bin, was was. Aber: Die erstere ist mit unserer Magpie, also mit unserer Elster gar nicht besonders verwandt, obwohl die Familie immerhin Würgerkrähen. Auf Deutsch heißt sie unmissverständlich Flötenvogel. Ich muss aber zugeben, dass sie sehr krähenartig gewirkt haben und auch irgendwie in der Interaktion den Eindruck gemacht haben, die schätzen das jetzt schon ab, wie nahe sie mir kommen können um die Brösel vom Tisch zu picken. Und wie ich dann aufgestanden bin und ein, zwei Schritte zur Seite, haben sie das auch anerkannt, haben den Tisch leergefuttert und sind wieder weg. Also, schon, wenn man so möchte, wie man vielleicht von Krähen und Verwandtschaft kennt. Aber offiziell halt Cracticidae und nicht Corvidae.

C. tibicen auf sauberem Picknicktisch.

Auf der anderen Seite die Magpie-Lark, wie sie heißt, ist auch keine Lark, also keine Lerche. Noch, möchte man hier bildungs- bzw. kleinbürgerlich anführen, eine Nachtigall. Aber Hamlet schon nicht ganz falsch, weil sie gehört zu den Monarchen (Monarchidae). Dementsprechend bei uns auch Stelzenmonarch oder eben Drosselstelze – was buchstäblich vorne und hinten nicht stimmt, weil eben auch keine Drossel, keine Stelze. Jetzt aber halt dich fest, weil jetzt wird s schwindlig: Wenn du dir anschaust, wie die Corvoidea sich aufteilen, dann ist die G. cyanoleuca näher mit den Krähen verwandt als die C. tibicen! Da denkst man sich vielleicht „gibt s doch nicht“ aber die Natur ist so und Namen gibt man vielleicht doch wieder ganz andere.

Sehr präsent sind die Honigfresser, aber die hab ich leider wirklich nicht gut unterscheiden können bzw. zum Beobachtungszeitpunkt hatte ich keine Ahnung, nach welchen Merkmalen ich hätte Ausschau halten sollen. Ich merk mir halt so grob die Größe, Muster am Kopf, Farben von Körper und Flügeln. Schnabelfarbe hab ich mittlerweile gelernt, da drauf zu achten und halt sonstige besondere Kennzeichen. Aber wenn s dann post-sighting ans Bestimmen geht, hab ich das wichtigste meistens doch nicht parat. Mögen Lichenostomus chrysops gewesen sein, obwohl eher zu viel schwarz um die Augen. Oder L. leocotis oder Meliphaga lewinii. Oder der etwas grob benamste Lichmera indistincta. Was es scheinbar nicht war: Manorina flavigula, weil die leben weiter im Norden. Obwohl s am besten zu meiner Erinnerung passt, im Nachhinein, aber bitte.

Und schließlich noch meine Lieblinge, weil die sind mir richtig ans Herz gewachsen in den paar Tagen. Heißen tun sie sie Masked Lapwing oder halt Maskenkiebitz (Vanellus miles). Wiederum aufgrund der schlechten Augen (was erlebt man nicht alles ohne Korrektur) habe ich mir am Anfang wirklich schwer getan, die Form des Kopfes zu erkennen. Aber sie bewegen sich einfach großartig. Sie können ziemlich laut rufen, wenn man ihnen zum Beispiel zu nahe kommt. Da stelzen sie so bisschen weg, drehen sich nach mir um, sind dann eben überraschend unangenehmer Warnruf und ab die Post. Wenn sie einen nicht so bedrohlich wahrnehmen, kann man ihnen schön zuschauen, wie sie zu viert den Streifen Wiese an der Uferpromenade abgehen und sich dort Zeug aus dem Rasen picken – nicht direkt systematisch, aber doch zumindest konstant in eine Richtung.

Einzelner V. miles im Wackelzoom.

Das soll jetzt nicht wirken, als würde ich am Ende noch die Limitations schreiben, aber natürlich ist keiner von den Vögeln selten. Für keine Beobachtung habe ich mir Mühe gemacht, bin ich extra aufgestanden oder habe mich zur Beobachtung in den Busch gelegt. Nicht einmal ein Fernglas hab ich verwendet. Gerade in den warmen Regionen der Welt, steigt einem die exotische Natur gern einmal ohne Einladung durch die Tür. Oder, wenn man s genau nimmt, natürlich in erster Linie umgekehrt. Aber an Vögeln kann man letztlich kaum vorbeischauen, wenn man angefangen hat, den Dinosaurier in ihnen zu erkennen.

I mean, you might think it’s a long way down the road to the chemist’s…

Ich bin in Australien. In Brisbane ankommen ist erst einmal prima gelaufen. Insbesondere nämlich im Gegensatz zu in Abu Dhabi übernachten müssen, weil mein Flugzeug in Belgrad nicht sauber betankt wurde und deshalb ein Stunde lang aufgewischt wurde. War mir letztlich auch nicht unrecht, lieber als auf halbem Flug draufkommen, dass der linke Flügel brennt.

Weil auch die Abu DhabierInnen ihren Flughafen nicht mitten in die Stadt pflanzen, krieg ich nicht allzuviel mit von der Hauptstadt und ihren gerne betonten humble beginnings. Was ich mitbekomme, ist ein Hotelbuffet, das zu meiner Freude die Equidistanz europäischer und indischer Küche gleichermaßen widerspiegelt und dessen großartige Datteln nicht stückweise abrechnet werden – fools! Die internationalen Steckdosen, die for my convenience im Hotel installiert waren, waren britische und ich hab mein Telefon über den Fernseher aufgeladen (“slow charge, 9 hours remaining”).

Sonst finde ich in Abu Dhabi trockene Luft und schier endlose Baustellen. Ich mache einen Ausflug in die nahe Ferrari World und schüttle dort den Kopf ob was es nicht alles gäbe. Nebenan gibt s auch einen Warner Brothers Themenpark, der schien hingegen weit weniger gut besucht. Aber das Bewusstsein über das zu diesem Zeitpunkt schon etwas überanspruchte T-Shirt boykottiert meine abfällige Nonchalance gegenüber den Auswüchsen des Petrokapitalismus und meiner dergestalt angeschlagenen Überheblichkeit gelingt selbst gegen solchen Wahnsinn letztlich nur ein knappes Unentschieden.

push the button
Ferrari Engine anhören gibt s gratis in Ferrari World Abu Dhabi.
Ferrari Engine anhören gibt s gratis.

Mein Gepäck hilft währenddessen dabei, dass vom Flughafenboden in Zukunft auch gegessen werden kann.

In Brisbane angekommen, huscht erst einmal eine Eidechse an der mir Halt gebenden Wand entlang. Die Leichtigkeit reptilen Huschens erleichtert auch mich: Zeichen in der Fremde angekommen zu sein. Gleichwohl ich da als transalpiner Europäer schon zweimal hinschauen muss, denke ich bei kleinen, die Wand entlang laufenden Tieren doch eher an ein Käferchen, sprich: Schabe. Und auch die bei uns allgegenwärtige Taube ist in Brisbane durch den edlen Ibis (threskiornis molucca) ersetzt. Mag sein, dass das nur das Zentrum betrifft, wo sie im botanischen Garten ihre Homebase haben. Aber man sieht sie eben auch auf der Straße durch den Müll stelzen.

Die ersten Tage sind von meinem Jetlag definiert. Ich lege verrückte Schlaf-Wach-Rhythmen an den Tag. Mehr als einmal denke ich, das überwunden zu haben, um dann erst wieder nachmittags schon nicht gegen die Müdigkeit anzukommen. Dazu kommt noch, dass es doch wesentlich wärmer ist als daheim. Und ich hatte wahrscheinlich auch ein bisschen eine Verkühlung von daheim oder vom Fliegen, die mich zusätzlich angestrengt hat.

Zwischen körperlicher Müdigkeit, gesundheitlicher Schwäche und allem, was ich an mentaler Krise mitgebracht hab, komme ich dann nicht viel herum. Zwei Tage verbringe ich damit, einen Ersatz für meinen kaputten E-Reader zu besorgen. (Der alte ist mir nach der belgradischen Sicherheitskontrolle auf den Boden gefallen – knacks – aus die Maus.) Und Essen. Bereits die Woche vor meiner Abreise war ich voll freudiger Erwartung der Vielfalt asiatischen Essens. Die wurde letztlich auch nicht enttäuscht. Dabei war es gar nicht so sehr die Hoffnung auf Großartiges, sondern die Selbstverständlichkeit von soliden Mahlzeiten, japanisch, koreanisch, taiwanesisch. Und das war s dann auch.

Schattenblick
Blick von der Gallery of Modern Art in Brisbane auf Brisbane im Schatten der Gallery of Modern Art.

Jetzt ist das eine gute Woche gute eineinhalb Wochen her. Ich hab ein ganzes Wochenende Australia Day erlebt, Leviathan Wakes gelesen und Brisbane hinter mir gelassen. Gestern Am Mittwoch war ich der einzige, der in Tin Can Bay aus dem Bus ausgestiegen ist. Im erste Eindruck enttäuschte der Name nicht, pretty much what it says on the tin. Ein Kontrast zu Brisbane und sicherlich ebenso Australien: Hier sind keine asiatischen Suppengeschäfte, hier wohnen lauter Menschen europäischer Abstammung. Einige Kinder, aber sonst viele 50+. Es gibt kaum Gehwege, zwischen der Straße und den Zäunen gibt es grün-gelben Rasen, fein-säuberlich kurzgeschoren. Die Gärten selbst sind ordentlich wie in einer etwas überdimensionierten Kleingartensiedlung. Der Ort ist klein genug, dass man mich auf der Straße grüßt. Es gibt Delphine, Fischerei und einen Vogellehrpfad. Letzterer ist nicht ganz unerwartet in einer besitzanspruchstellenden Wir-Form gehalten à la the only bird of prey that we have in Tin Can Bay… Der zweite Punkt auf den im Hotel ausliegenden What to do in Tin Can Bay Empfehlungen ist, die Nachbarstadt zu besuchen.

Hitze und Hochwasser nicht im Bild
Red Sky at night/No-one’s delight!/Weil Hitze und Hochwasser right/Hühr/Vor der Tür.

Es ist zu heiß für mich, um Mittags aus dem Haus zu gehen, ich hab noch Winterhaut. Wenn ich einkaufen gehe, hab ich zum ersten Mal mein Kapperl auf.