In Wirklichkeit hab ich mich ganz flott an Medan gewöhnt. Nein, das ist nicht einmal richtig, ich würde sagen, ich habe eigentlich ganz flott gelernt, einiges in Medan lieb zu gewinnen, sodass es mir heute fast leid getan hat, dass ich etwas verfrüht abgerauscht bin. Aber ich hab dann eine etwas günstigere Mitfahrgelegenheit bekommen, um in den Urwald zu kommen. Und stell dir vor: ich bin jetzt im Urwald. Also, nicht so richtig, weil ich hab Internet und wohne in einem Haus mit Dusche und einem Ventilator. Aber es sind Affen auf meinem Dach und der Wald ist hinter mir.
Es sind Affen auf meinem Dach!
Aber ja, Medan. Ich war gestern einmal spazieren in der Stadt. Das schwierige ist, dass es so wenig zum Niederlassen einlädt. Also, es sitzen schon Leute auf der Straße herum, wie gesagt, auch in der Stadt sind die IndonesierInnen große FreundInnen des Rumsitzens. Aber ich stech so heraus aus dem Ganzen, dass ich mir das einfach nicht gemütlich vorstelle. Aber immerhin, das Rausstechen ist schon auch das Gute. In den letzten zwei Tagen bin ich doch ein bisschen aus meinem Hotelzimmer und aus mir selbst heraus und sei s nur, um meine Geschäfte zu erledigen: Hier ein Huhn mit Reis, hier zwei Flaschen Wasser, hier eine Obstmischung. Und die Auseinandersetzungen sind eigentlich total lieb. Die Unterhaltungen. Aber oft ist halt nicht genügend Englisch, geschweige denn Indonesisch zur Verfügung. Aber weil sie gemeinsam rumsitzen, wird oft einmal jemand zur Hilfe herangezogen, die dann zwei Wörter übersetzt. Oder wir sagen einander einfach solange in unseren jeweiligen Sprachen, was wir von einander wollen, mit der Unterstützung von Händen und Füßen, bis wir verstehen, was geht.
Rausstechen schaut dann übrigens so aus: Im Supermarkt werde ich geheim von zwei Mädels gefilmt (aber schlecht geheim). Im Hühnergeschäft lass ich auf Wunsch Selfies mit mir machen – das Wort ist längst ein Synonym für Foto. Dabei werde ich übrigens zum Lächeln aufgefordert und merke, wie wenig ich Zähne zeige und wie schnell mir das Gesicht einfriert, wenn ich mich bemühe, Zähne zu zeigen. Insgesamt finde ich das schon charmant, aber ich komm mir natürlich auch komisch dabei vor.
Aber sonst, ja, ich mag das schon, das sind so ein paar Momente, wo ich das Gefühl habe, Leute freuen sich einfach, mich zu sehen, sind auf eine seltsame Art und Weise von mir fasziniert – ist ja in Wahrheit schwer vorstellbar für den Herrn von Welt und dementsprechnd plump ist hier die Beschreibung meines Gefühls dazu. Natürlich schmeichelt mir das, aber letztlich weiß ich kaum damit umzugehen. Wenn mir die eine Standlverkäuferin beim Vorbeigehen so offen zulächelt, dann reißt mich das heraus aus meiner allgemeinen Überforderung mit der Stadt. Aber es irritiert mich natürlich, nicht zuletzt, weil ich so viel über Weißes Privileg gelesen hab in V.s Dissertation.
Aber natürlich ist nicht jeder Kontakt auch eine Freude, nicht zuletzt weil s da auch noch eine Tendenz zum Genderbias gibt. Von den Männern hab ich öfter so ein Hey, Mister von der Seite oder sogar erst hinterher gehört. Und da weiß ich echt nicht, was ich damit tun soll. Oft ein Hey, Mister, manchmal ein Sir, einmal wohl ein Monsieur und von einem alten Mann, der in einer Schubkarre gelegen ist ein Hello friend. Aber es geht mehr darum, so von hinten angesprochen zu werden, what gives, oida! Und von dem einen Typen bei mir aus der Gasse, der hat mich wohl gefragt, ob ich Hunger habe, aber die Geste, die er dazu gemacht hat, wo er mit der flachen Hand vor dem Gesicht Kreise gezogen hat und und sich dann an den Mund fasst, das war eher seltsam als einladend.
Aber ich war heute quasi noch für ein Frühstück bei meinem Hühnerstand, wo man mich fröhlich begrüßt hat und ja, ich denk mir, schade eigentlich, diese zehn Minuten, die ich auf mein Essen warte, da komm ich ein bisschen ins Sozialisieren, da freu ich mich gemeinsam mit anderen über gelingende Kommunikation und über Wertschätzung. Ich mag das Essen und sie mögen, dass ihnen ein exotischer Ausländer im Geschäft steht. Das ist ein schöner Moment, das kann mir abgehen, das wäre eventuell ausbaufähig. Und tatsächlich hab ich s auch mit dem Obstmann, zwanzig Meter weiter ganz lustig, auch wenn wir gar keine Wörter haben, um einander zu verstehen. Es sind Menschen, die mich ein bisschen aufgefangen haben in meinem Verlorensein. Und ich werde sie nie wieder sehen.
Ich werde abgeholt und wir fahren nach Bukit Lawang. Im Auto sitzen K. und D. aus Deutschland, die gerade zwei Tage in Kuala Lumpur verbracht haben und ein bisschen Indonesienurlaub vor sich haben. Der Verkehr ist ein Wahnsinn, die Hupe klingt dauernd um jedes Überholmanöver anzukündigen und da sind viele Überholmanöver. Dann wiederum fahren wir zehn Minuten im Schritttempo, weil wir Schlaglöchern ausweichen müssen. Und wir stehen eine halbe Stunde in der Tankstelle, weil Effizienz im Handel hier einfach klein geschrieben wird. Selbst im Supermarkt dauern zwei Flaschen Wasser und ein Sackerl Bohnensnacks eine Minute und länger, obwohl man die scheinbar auch nur über den Scanner ziehen muss. Aber ich hab ja keinen Stress.
Bukit Lawang (je öfter ich den Namen schreib, desto eher merke ich ihn mir jetzt einmal…) ist im Urwald. Zumindest auf einer Seite, weil die letzte halbe Stunde sind wir durch Palmölplantagen gefahren. Das hat zuerst ausgeschaut wie Urwald, aber dann ein bisschen zu ordentlich, zu wenig Busch. Und ich hab mich die längste Zeit gefragt, mit was die großen Trucks beladen sind. Adieu, cher Regenwald. Aber deshalb gibt s ja auch den Nationalpark. Und der Nationalpark beheimatet gut fünftausend Orang-Utans und auch darüber hinaus plenty of wildlife, aber die OUs sind die Stars. Und die geh ich mir dann anschauen, ab Montag. Jetzt einmal „nur“ die Affen, die hier herumturnen. Was ist das, Gibbons? Aber das ist schon sehr cool, Affen auf dem Dach. Cooler als Papageien in den Bäumen? Schwer zu sagen. I guess frei fliegende Papageien sind sogar lässiger, weil die Affen sind letztlich nicht viel anders als die auf der Affeninsel in Schönbrunn. Aber ist ja kein Wettbewerb!
Insgesamt bin ich allerdings erschöpft. Ich weiß nicht genau: der Kulturschock? Das Essen? Die Luft? Ich bin nicht ganz auf der Höhe, merke ich, bisschen Kopfweh, bisschen einfach überanstrengt, obwohl ich kaum was unternommen habe, die letzten Tage. Vielleicht ist es auch, dass ich seit drei Tagen keinen Tee getrunken hab.