Millionen in Medan

Die ersten Stunden in Indonesien sind voll der Überforderung. Ich lerne auch nur ganz langsam, dass es mir die Sache nicht erleichtert, wenn ich mich zuerst einmal in einer Millionenstadt niederlasse. Mit dem Zug fahre ich gemächlich vom Flughafen ins Stadtzentrum. Aus dem Fenster sehe ich Wälder und dann langsam einige Felder und die Leute, die darauf arbeiten. Einzelne Leute mit ihren Werkzeugen, die den Boden bearbeiten oder Familien, die sich um die Ernte zu kümmern scheinen. Kukuruz, vielleicht Reis ab und zu, aber ich weiß nicht wirklich, wie Reis ausschaut. Über den Gleisen dreht mal wieder ein Raubvogel seine Runden, aber die Vogelwelt ist mir so fremd wie alles andere.

Mit den Kilometern verschwinden die Felder und die Hütten reihen sich näher aneinander. Viel Wellblech und auch der Müll wird stellenweise dichter. Die Menschen sitzen vor ihren Häusern, viele Leute sitzen und schauen in die Gegend, das hat eine gewisse Gelassenheit, die Abwesenheit vom Dringlichen. Wenn wir an einem Bahnübergang vorbeikommen (oder aus der Zugperspektive wohl eher: wenn wir eine Straße kreuzen), stehen oft dutzende Mopeds mit zwei bis drei Personen darauf, die auf den erhobenen Schranken warten. Es sind, wenig überraschend, ausschließlich Einheimische.

Im Zug sind neben mir noch einige EuropäerInnen, da ist zumindest das deutsche Pärchen, die mit mir gemeinsam im Flugzeug aus Kuala Lumpur gekommen sind. Aber sonst ausschließlich AsiatInnen. Das ist einfach eine neue Erfahrung auf dieser Reise, weil bisher bin ich doch durch europäisch geprägte Gegenden gefahren und hier merke ich zum ersten Mal wirklich, dass ich nicht als Einheimischer durchgehe. Aber im Flughafentransferzug bin ich noch in einer Übergangszone, hier bin ich auf jeden Fall noch Tourist und die Welt ist noch weitgehend um meine Bedürfnisse herum organisiert.

Vor dem Fenster sind die Häuser noch etwas dichter geworden, die Hühner sind seltener geworden, ebenso ist die Erde, in der sie scharren könnten, dem Beton gewichen. Um die Zugstrecke herum verdichtet sich die Stadt Medan. Werbeflächen werden sichtbar, großteils flatternde Transparente oder schlicht bemalte Gebäudefronten. Ich ärgere mich ein bisschen über mich, dass ich mich nicht besser vorbereitet habe, als ich mir mein Hotel ausgesucht hab: vom Bahnhof sind es etwa drei Kilometer und tendenziell würde ich die zu Fuß gehen.

Als ich dann im Taxi sitze, merke ich, dass das die einzige vernünftige Entscheidung gewesen ist. Zum einen weiß der Taxifahrer selbst nicht, wo er hin muss, so gut ist die Stadt doch nicht organisiert. Wer mir das Hotel empfohlen hätte, fragt er. Niemand, sage ich, ich schau mir das einfach auf der Karte an und wähle das nach Gutdünken aus, antworte ich. Aber ja, ich denke, dass ich mir das besser vorher einmal anschauen hätte sollen. Ein bisschen unterhalte ich mich mit ihm, wo er herkommt, was es in Medan so gibt. Aber ich bin dann auch viel zu sehr damit beschäftigt, diese Stadt zu betrachten, den Verkehr, die Unordnung, die Dichte, die Leute, die Standeln. Wir biegen in eine Seitenstraße ein und stehen vor meinem Hotel. Den auf den Fünfzigtausender kann er nicht rausgeben oder will er nicht, ich weiß nicht. Obwohl das knapp drei Euro sind und am zweiten Tag kann ich schon sagen, dass das so unüblich auch wieder nicht ist. Aber so kommt er noch kurz hinein, wechselt den Schein bei den Boys, die im Eingang die Lobby machen und gibt mir noch seine Karte. For whatever.

Die Lobby ist ein Tisch mit einem Computer und einem Buch, in dem die Gäste eingetragen werden. Insgesamt ist das Hotel sogar ganz nett. Also, es ist insgesamt etwas vom Schuss, das ist mein eigenes Ding. Die Zimmer sind schlicht, aber das ist ja fast schon euphemistisch für ein bisschen traurig. Ich denke, der große Fernseher hebt das Zimmer zu schlicht. Auf jeden Fall ist es sauber und das ist gut. Die Matratze fühlt sich ein bisschen an wie ein Wasserbett obwohl es sich um Federkern handelt. Dementsprechend rutsche ich ein bisschen hin und her, wenn ich mich beispielsweise auf die Kante setze. Und das Bad ist ein Klo in dem eine Dusche an der Wand hängt. Literally. Das ist auch ok, ich erinnere mich an diese Konstruktion aus Thailand und hab damit keine Probleme. Schwieriger ist, dass es ein klopapierfreies Klo ist und ich nur eine Brause neben der Schüssel zur Verfügung hab. Auch das geht, stelle ich später fest. Weil es muss gehen. Aber ein seltsames Gefühl ist es trotzdem, nicht recht zu wissen, wie, was, wann… ich fertig bin.

Während ich mich also nach wie vor ein bisschen über meine Unfähigkeit wundere, meine Verlorenheit in der großen Stadt antizipiert zu haben und auf diese Verlorenheit bereits im Vorfeld einzugehen, mache ich einen kleinen Spaziergang um den Block. Dabei gehe ich gleich ein bisschen verloren, aber nachdem die Straßen alle verhältnismäßig rechtwinkelig aufeinander treffen, eben nur ein bisschen. Viel mehr Schwierigkeiten habe ich mit der Temperatur oder vielleicht der Luftfeuchtigkeit. Innerhalb von Minuten beginnt mir der Schweiß durchs T-Shirt zu treten und ich merke auch wie schnell sich die Haut unter der Sonneneinstrahlung strafft, spüre die Belastung. Aber insgesamt ist es das Gefühl hier in eine Welt getreten zu sein, in der ich mich so fremd fühle und nicht zurechtfinde, was mir zu schaffen macht.

Ich bin auch einfach müde merke ich, als ich im Hotel ankomme. Ich hole mir von den Lobbyboys das Kennwort für das Internet und tippe ein bisschen auf meinem Telefon herum, aber ich bin schnell auf meinem wackeligen Bett eingeschlafen. Am Abend gehe ich nochmal außer Haus und in den kleinen Supermarkt, den ich nebenan entdeckt habe, um mir Wasser zu kaufen. Ich bin nicht sicher, wie das ist, mit dem Wasser hier, aber im Zweifelsfall gehe ich es wohl lieber vorsichtig an. Die erste Flasche ist schnell ausgetrunken und im Großen und Ganzen lege ich mich auch bald wieder hin.

Ich versuche, meinen Aufenthalt ein bisschen zu planen und stoße immer wieder auf s Geld. Einerseits schlicht auf die Umrechnung, die sich so kompliziert anstellt (für dreiundsechzig Euro hab ich eine Million Rupien bekommen), aber vor allem über die Schieflage zwischen Touristenpreisen und Einheimischenpreisen. Soll ich für eine Autofahrt hunderttausend Rupien ausgeben oder das sechsfache? Es ist schwierig, mich zu der teureren Version durchzuringen, um den Ärgernissen und dem Stress, allein mit dem Rucksack den richtigen Bus zu finden, zu entgehen. (Aber es schaut so aus, als ob es das wird.) Und mein seltsamer Unwillen, mit Taxis zu fahren, macht mich hier besonders immobil.

Ich habe mich für bisschen off the track entschieden, als ich den Flug hierher gekauft habe, das hab ich schon gewusst. Ich bin momentan noch ein bisschen überfordert, aber immerhin hab ich heute einige Notwendigkeiten erledigt, hab mir ein Huhn mit Reis gekauft, meine Wäsche in der Wäscherei abgegeben und einem Kind gewunken, das hinten auf einem Moped gesessen ist. Es schien, als ob der Vater zehn Meter die Straße runter extra stehengeblieben sei, damit sie einen Blick auf mich werfen können.

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