Felsenfest

Die Tour zu den Felsen in den Northern Territories ist schon ganz ok. Wir besuchen was weitläufigerweise als Uluru bekannt ist, den der Herr Entdecker Ayer’s Rock getauft hat, als ob er noch keinen Namen hätte. Wir besuchen die drei Olgas, die Kata Tjuta geheißen haben, als ihnen der Name gegeben wurde und wir wandern durch den King’s Canyon. In den sich hunderte Aborigines zurückgezogen hatten, auf der Flucht vor den Briten, die sie letztlich auf den dortigen Felsen massakriert haben. Die Gegend wird von den Anangu verwaltet, die die traditionellen LandbesitzerInnen sind. Wenn man das jetzt vergleicht übrigens, mit der Karte von letztens, dann steht ist das die Region, in der Pitjantjatjara steht. Ich weiß auch nicht… wahrscheinlich ist das eine die Sprachgruppe und das andere die Bezeichnung, die sich die Gruppe dort selbst gegeben hat. Vielleicht erinnere ich mich richtig, wenn ich sag: Anangu heißt auf Pitjantjatjara etwas in die Richtung von Mensch oder Leute. Ich glaub, so war das. Aber man ist mit den drei, vier Begriffen, die man da auf so einer kleinen Einführung gesagt bekommt, eh schon überfordert.

Und es ist immer wieder das Alter, das mit imponiert. Das geologische Alter und die Geschichten von Superkontinenten, dem von Meeren überfluteten Australien, von Gebirgen, die niemals jemand gesehen hat, weil Erosion sie vor Millionen Jahren über das Land verteilt hat, Sandstein gebildet hat… Und die Geschichten vom kulturellen Überbau, von den Jahrtausenden, die diese Felsbrocken kulturell-historisch aufgeladen sind und richtungsweisend für die sind, die hier vor zehntausend Jahren vorbeigegangen sind.

Alter Baum vor altem Sandstein.

Das ist alles sehr schwierig zu verstehen für mich. Unser Fahrer erklärt uns das, aber sagen wir einmal, er erklärt das natürlich ein bisschen leger, weil im Bus sind wir BackpackerInnen, die ein Hakerl auf ihrer Welt-Sehen-Liste machen wollen. Und eine Geschichte über den Uluru bekommen wir auch erzählt – jetzt: prinzipiell würden Geschichten jeweils dort erzählt, wo sie spielen und es sei eigentlich nicht ok, die Geschichten woanders zu erzählen. Es gibt also ein mythisch-historisches Ereignis am Uluru, wo verschiedene TierrepräsentatInnen mit AboriginesrepräsentantInnen interagieren, wobei immer schön festgehalten ist, wer von wo kommt und wohin abwandert oder vertrieben wird. Der Raum spielt immer eine wichtige Rolle in diesen Erzählungen. Weil nicht zuletzt dienen die Geschichten der Orientierung und wer die Geschichten gut genug kennt, der kennt sich auch beim Queren der Wüste aus, der Wüste, aber des ganzen Kontinents letztendlich.

Das trifft sich etwa mit was ich bisher vom Bruce Chatwin gelesen hab: Dort kommt noch dazu, dass er die Geschichten immer in Form von Liedern beschreibt, über die die Landschaft erzählt und beschrieben wird. Sie erzählen, was sich am Anfang der Zeit, in der dreamtime, zugetragen hat. Da sind alle Tiere und Pflanzen unterwegs gewesen und haben sozusagen die Grundlagen festgelegt. Das sind einfache Sachen, wie die Geschichte vom Känguru und dem Delphin, die ich gestern in einem Kinderbuch gelesen habe. Wo das Känguru den Delphin bittet, auf ihr Kind aufzupassen, damit sie bush tucker sammeln gehen kann. Essen, das das Land hergibt. Und als es zurückkommt, bittet der Delphin das Känguru auf sein Kind aufzupassen. Als jetzt aber der Delphin vom Jagen und Sammeln zurückkommt, will das Känguru das Delphinkind nicht mehr hergeben und als es zu weinen anfängt beharrt das Känguru darauf, dass es nach ihm ruft. Es nimmt einen Stock und schlägt dem Delphin damit auf den Kopf. Daraufhin nimmt der Delphin einen Stock und schlägt dem Känguru quer über beide Arme. Der Streit eskaliert also und der Delphin geht ins Meer und sagt, er kommt nie wieder zurück. Und wenn man heute einen Delphin sieht, dann kann man auch das Loch in seinem Kopf sehen, durch das er Wasser bläst. Und das Känguru auf der anderen Seite kann bis heute mit seinen Händen nichts hochheben, sondern sie nur zum Abstützen verwenden.

Da ist es sogar, das Bilderbuch. Ja, hab ich einfach mal schnell gelesen im Buchgeschäft. Besser nichts in einem Buchgeschäft kaufen als irgendwas bei Amazon.

Solche Entstehungsfabeln halt. In all diesen Geschichten scheinen die Beziehungen zwischen den einzelnen Aboriginesgruppen, der Landschaft, der Tier- und Pflanzenwelt festgehalten zu sein. Und es gibt verschiedene Genauigkeitsgrade dieser Geschichten, die dann verstärkt Geheimwissen sind, das zu wissen aber notwendig ist, um sie tatsächlich zur Orientierung nutzen zu können, weil darin dann halt die Positionen von Wasserstellen etc. festgehalten sind.

Aber letztlich ist der kulturelle Aspekt, der interkulturelle Aspekt nur eine Anekdote, wir Außenstehenden finden das vielleicht ähnlich faszinierend wie die Landschaft und die Tier- und Pflanzenwelt. Und demensprechend plaudert unser Fahrer auch gern und lang darüber, wie er Uluru eigentlich weniger beeindruckend findet, als die Steine, die wir uns in den folgenden Tagen anschauen. Und es stimmt wohl sogar, dass die symbolische Bedeutung des Uluru vor allem eine westliche ist, etwas, wofür man in die Mitte des Kontinents fliegt, um sich dort ein Symbol anzusehen. Aber er ist wohl auch aus der Sicht der Aborigines nicht so viel bedeutsamer, als etwa Kata Tjula, das wir uns am zweiten Tag anschauen. Ich fand auch sehr interessant, wie diese Geschichte mit dem Nicht-Raufklettern tatsächlich abläuft. Es ist nicht verboten in dem Sinn. Es stehen Schilder, auf denen gebeten wird, nicht hinaufzuklettern, aber letztlich steht s den Leuten offen und auch unser Fahrer sagt mehr oder weniger, ja, bitte, schon, aber bitte nicht. Und es ist eine ganz komische Form von Anweisung. Interessant, jetzt wieder mehr von der geologischen Seite her ist, dass Uluru literally nur die Spitze des Eisbergs ist und fünf- bis neuntausend Meter unter die Oberfläche reichen soll. Das ist fast nicht vorstellbar. Und er drehe sich langsam, sodass die eine Seite noch nicht so lange an der Oberfläche sei, wie die andere. Aber alles erstaunlich schlecht untersucht, hier dann wahrscheinlich doch, weil die Aborigines nicht wollen, dass da diese wichtigen Plätze umgegraben werden. Als wir am Abend gemeinsam mit anderen TouristInnen aus dutzenden Reisebussen an einem Parkplatz stehen, Crackers mit Dip futtern und nach einem langen Tag von einem Glas Sekt schon ein bisschen ins Schwanken kommen, um das Farbspiel auf dem großen roten Sandsteinblock zu beobachten, stehen Wolken am Horizont und die Sonne enttäuscht, weil nichts mit Farbspiel. Ähnlich knapp an super vorbei ist es dann in der Nacht, wo wir unter offenem Himmel schlafen, aber erstens quasi Vollmond und zweitens Wolken. Und der Kompass auf meinem Telefon ist notorisch schlecht unterwegs und dementsprechend suche ich auch das Kreuz des Südens wo ich es nicht finden kann.

Also, wenn ich „Wüste“ sag, darf man sich natürlich einmal mehr nicht auf die Bilder verlassen, die einem dabei womöglich in den Kopf kommen. Es ist mehr halt trocken, aber es gibt viele Pflanzen, die sich da gut angepasst haben.

Am nächsten Tag stehen wir um vier auf, weil wir den Sonnenaufgang über dem Uluru erwischen wollen. Hier sind die Wolken jetzt von Vorteil, weil alles ein bisschen dramatischer machen. Das ganze mit anderen TouristInnen auf einer Plattform stehen und auf die Sonne warten ist mir gleich wieder nicht so sexy. Aber die Augen stehen gebannt am Horizont und das dauert ganz schön, bis sich dort was tut. Als erstes kommen die Fliegen zurück, die in der Nacht scheinbar auch schlafen gehen. Es gibt sehr viele Fliegen in der Wüste und sie lieben Gesichter und verschwitzte T-Shirts. Ich habe relativ bald einmal beschlossen, dass mir das jetzt egal sein wird, weil ich die Fliegen den Gelsen bevorzuge, aber sowas von bevorzuge und alle aufsetzbaren Fliegennetze verweigert bzw. hergeborgt hatte (weil die Alice’s Secret Leute haben mir eins ausgeborgt). Das hat mir kurzerhand den Spitznamen Flyboy eingebracht, nachdem Olly sich an den scheinbar aus meinen Augen kommenden Fliegen mit Teenagerfreude geekelt hat.

Fliegennetze und Sonnenaufgang (nicht im Bild).
Nach einer halben Stunde Warten habe ich leider die ersten erleichterten „there she is“ und „here we go“ verpasst, als das erste Stückchen Sonne über dem Horizont sichtbar wurde. Hier ein bisschen von der allgemeinen Geräuschkulisse.

Unser Fahrer hatte uns in der Früh noch mit Nachdruck daran erinnert, dass das beste am Sonnenaufgang natürlich die Phase vor dem Sonnenaufgang sei und wie wahre SonnenaufgangwertschätzerInnen das natürlich wüssten. Ich mein, der war schon okay unser Lochy, aber er hatte einen Zeitplan und wenn ihm der zu sehr durcheinander gekommen ist, dann ist er auch schon einmal bisschen grantig geworden. Und nachdem wir den ersten Tag eh vor allem Leute abholen rumgefahren sind, war er von Anfang ein bisschen im Minus, was die gute Laune betrifft – „We’re not in fucking Italy…“ Als jemand, der mit einer gewissen Sensibilität für Zu-spät-von-wo-Loskommen aufgewachsen ist, war der Umgang damit nicht ganz einfach. Aber es hat sich eingerenkt und am dritten Tag waren wir alle relativ entspannt und das Ende unseres Ausflugs durchaus etwas zu bedauern.

Auch die zweite Nacht haben wir unter freiem Himmel geschlafen, um ein Lagerfeuer herum. So schaut s nämlich aus. Ich nehm an, es war einfach so, dass die anderen da geschickter waren, aber ich bin natürlich voll im Wind gelegen und hab am nächsten Tag gerochen wie eine Selcherei. Plus, der Mond immer noch recht voll und wenig Sterne. Aber immerhin das Kreuz des Südens gefunden. Und ich glaub, ich hab einen Dingo gesehen, aber das war nur ein Schatten und ich glaub, den werte ich ein bisschen auf, nachdem einige von uns am nächsten Morgen von Dingos erzählt haben, die sich in der Nacht zwischen uns Schlafenden einen Weg gesucht haben. Dingos übrigens stammen nicht von europäischen Hunden ab sondern sind vor achttausend Jahren nach Australien gekommen und haben wohl chinesische Vorfahren.

Fliegen.

Der King’s Canyon ist dann vielleicht wirklich der schönste Spaziergang. Da ist so eine Schlucht, ein Canyon eben, der ganz gut Wasser für sich behält und dementsprechend dann auch Flora und Fauna. Es ist schon etwas anderes, einen Schwarm kreischende Wellensittiche zu sehen, als einen auf einer Stange sitzen zu sehen, das ist vielleicht die eindrucksvollste Erfahrung. Eindrücklich waren sonst die Warnungen, dass wir nicht zu nahe an die Abgründe gehen sollen, weil da ist vor nicht allzulanger Zeit eine runtergefallen und – da wird von Lochy wild ausgeschmückt – die sei auch nicht gleich tot gewesen sondern noch lange leidend dagelegen, er habe den Befund zuhause. Das ist irgendwie ein komische Situation, in der gleichzeitig diese drohenden Warnungen ausgesprochen werden und nebenbei dann noch ein Spiel initiiert wird, in dem, wer von anderen dabei ertappt würde, zu nahe an die Kante gestiegen zu sein, werde mit einem Löffel Vegemite bestraft. Es sind verschiedene Szenarien, die hier gleichzeitig aufgemacht werden. Und es gibt dann auch nur einen kurzen Vorfall, aber auf die Vegemitedenunziation verzichten zu meiner Erleichterung alle. Gute Gruppe.

King’s Canyon. Und da gibt s auch den relativ vollen Mond. Aber dass der gut rüberkommt, braucht man, glaub ich, einen optischen Zoom.
Eh zurückhaltend, die Wellensittiche aus dem King’s Canyon.

Ja, die gute Gruppe, das sind Sabrina, Olly, Sophia, GP, June, Joy, Yuko, Hikaru und die dritte Japanerin, Jack, Vanessa und ich. Wir sind gut ausgekommen, selbst wenn ich den Namen der dritten Japanerin nicht griffbereit hab. Wir waren ein bisschen weniger als erwartet, hieß es, weil da waren noch drei – möglicherweise FranzösInnen – die sich beim Buchen vielleicht ein bisschen beim Monat vertan hatte und in Sidney waren, anstatt am Flughafen des Uluru Kreisverkehrs. Weil nachdem das Flugfeld direkt neben dem Uluru angefangen hat, Spuren am Felsen zu hinterlassen, haben sie eine Siedlung aus dem Boden gestampft, inklusive Flughafen, in der vom Campingplatz bis zum Fünfsternhotel alle Gäste nebeneinander untergebracht werden. Und keines der Gebäude ist höher als die Dünen, die drumrum sind, sodass man s von ein paar hundert Metern entfernt schon nicht mehr sieht.

Hier warten wir am Flughafen von Yulara, ob nicht noch jemand von unserer Gruppe zu finden ist. Ich hab das lustig gefunden, dass da ein Schild steht, das die Leute dazu auffordert, hier nicht zu stehen. (Wahrscheinlich richtet sich das Schild in Wahrheit an FahrerInnen.) Die anderen haben das nicht so witzig gefunden. Und dann hatten wir noch eine kurze Diskussion über die Persönlichkeitsrechte der Leute auf dem Bild.

Auf jeden Fall sind immer wieder ein paar neue Leute in den Bus eingestiegen, nachdem wir aus Alice Springs zunächst nur zu dritt losgefahren und dann nach und nach immer ein paar dazugekommen sind. Dann haben wir natürlich auch unser Essen selbst gemacht, weil die Mulgas günstig sind und da lernen wir dann, wie man in Korea, Australien und England eine Gurke schneidet oder einen Salatkopf aufbereitet. Das verbindet natürlich. Und beim UNO Spielen hab ich dann noch vier Farben auf Japanisch gelernt: hiiro, mídori, und aka. Wobei ich bei mídori mit dem Akzent eine Betonung kennzeichnen möchte und bei vielmehr, dass es da mit der Stimme nach unten geht. Nicht wie ein jaulender Hund, weil mit dem hat sie mich zuerst verglichen.

Altersmäßig stoße ich mit dem Kopf mal wieder deutlich aus dem Durchschnitt hervor, aber darüber lässt sich eigentlich weitgehend hinwegsehen. Jetzt ist das gegenseitige Alter interkontinental eh oft schwierig festzustellen und außerdem sind wir ja alle unter fremden Himmel und mit ähnlichen Eindrücken konfrontiert, die uns allen neu sind. Am zweiten Abend diskutieren wir mal ein bisschen die Alter – an unterschiedlichen Tischen, weshalb ich bis zum Schluss nur von der Hälfte weiß, wie alt sie tatsächlich sind. Und das war vielleicht gar nicht ideal, weil uns das ein bisschen eine Unschuld genommen im Umgang miteinander.

Zu sechst geht es am dritten Tag nach Alice Springs zurück, die anderen haben sich großzügige vier Tage gebucht. Und nach unserer Rückkehr nach Alice Springs, nehmen sie mich trotzdem zum Feiern mit. Also, zum Trinken. Und dann haben wir eine interessante Variante von Pflicht, Wahl, Wahrheit gespielt und eine Runde Never-Have-I-Ever, wobei eine in der Runde eine Behauptung aufstellt, dieses oder jenes noch nie getan zu haben und alle, die dem nicht zustimmen können, nehmen einen Schluck von ihrem Getränk. Oder: Man flüstert seiner NachbarIn eine Frage ins Ohr, wer wohl in der Runde am ehesten oder häufigsten dieser oder jener Tätigkeit nachginge und die muss dann auf jemanden deuten und dann kann man Trinken, um die Frage zu hören. Ich möchte glauben, dass diese Spiele letztlich dann doch alle spüren haben lassen, dass ich doppelt so alt bin wie andere in der Runde. Es ist da aber eh schon stärker auf das Trinken fokussiert worden und dann braucht man glücklicherweise auch keine Trinkspiele und intimen Geständnissen mehr.

Mei, was die Shots wegstecken… nicht nur können sondern auch wollen! Und natürlich diese Kultur des Rundenkaufens, die möglicherweise zweimal etwas gestockt hat, als sie bei mir angekommen ist. Aber auch weil ich ab einem gewissen Punkt festgestellt hab, ich pass hier grad ein bisschen mehr auf eine Gruppe von mehr und mehr betrunkenen Teenagern auf. Und dann bin ich ein paar mal Wasserholen gewesen und irgendwelche Leute einfangen, während die anderen schon in die Bar daneben gewandert sind. Lustig ist es trotzdem gewesen und dementsprechend kaputt bin ich auch am nächsten Tag, nachdem alle gut nachhausegebracht worden sind. Aber ich hab auch nichts anderes zu tun als in der Hängematte zu liegen.

Und als ich am letzten Tag in Alice Springs meine Wäsche zum Trocknen aufgehängt hatte, hat s echt noch zum Regnen angefangen…

Don’t know why she’s leaving…

Und von Cairns dann mit dem Flugzeug nach Alice Springs. Und man sagt, man sagt nur Alice, wenn man cool ist, aber ich bin nicht cool und schon gar nicht cool genug. Ich bin versucht Ms Springs zu sagen. (Eine Fußnote in die Gegenwart: meinen aktuellen Dorm mitbewohnt ein Mann aus Texas, der am Frühstückstisch den Mädchen mit seinem verschriebenen Cannabis imponiert, mir hingegen damit, dass er zur Engländerin, die ebenfalls mit uns das Zimmer teilt mit yes, m’am antwortet. Da leuchten alle Südstaatenromantiklichterln auf, dafür bin ich ein bisschen anfällig.)

Im Anflug.

Als erstes gleich einmal Probleme: meine Kreditkarte ist ausgereizt und ich wusste natürlich nicht einmal, dass ich da ein Limit hab. Check ich mein Konto und ruf bei den Visaleuten an. Das dauert ein bisschen, weil ich da einen PIN hab und den weiß ich nicht, zumindest nicht, als das Telefon von mir eine fünfte und sechste Stelle haben will. Worauf ich ersteinmal den PIN ändern muss und dabei zwei Sicherheitswarnungen von Google ignoriere. Ich telefoniere dann mit einem Deutschen, nicht weil die Deutschen bei der österreichischen Visahotline arbeiten (was sie sicher tun), sondern weil die ÖsterreicherInnen über Nacht die lokale Visahotline zusperren und nach Deutschland verlinken. Da könne er mir leider nicht helfen, ich müsse bei den ÖsterreicherInnen anrufen. So schaut strukturelle Benachteiligung aus. Aber er ist hilfreich und gut und klärt mich über die Grenzen auf, die mir in meinem finanziellen Leben gesetzt sind. About time.

Ich geh dann nach in die Stadt, auf der Suche nach einem Bankomaten, weil auf dem kleinen Handgerät, auf dem ich versuche im Hostel meinen Code einzugeben, erinnern sich meine Finger nicht und mich braucht man gar nicht erst fragen. Auf der Todd Street klappt s beim ersten Mal und ich hab wieder 400$ in der Hand und die geb ich dann auch gleich dem Hostel weiter. Weil ich bin schon wieder am Toureneinkaufen: einmal Uluru und zurück. Ich muss den Namen (glücklicherweise) gar nicht aussprechen, ich sage nur, ich hätte vielleicht die eine oder andere Tour noch nicht gebucht und bekomme gleich die richtigen Kataloge vorgelegt. Uluru ist es übrigens, die Betonung auf der hinteren Silbe. Das war jetzt gar nicht so sehr der Grund – also, dass ich das falsch betont hätte – dafür, dass ich s nicht ausgesprochen hab, ich wollte einfach nicht so wirklich schon wieder in den Tourtourismus einsteigen. Tu ich aber natürlich doch, weil in Alice Springs weiß man, warum die TouristInnen vorbeikommen. Und dementsprechend liegen die Broschüren schon da. Und am nächsten Morgen geht s schon los! Aber nachdem ich so früh geflogen bin und noch eine halbe Stunde Zeitverschiebung (eine halbe Stunde!) bekommen habe, ist das nicht wirklich ein Problem. Und ich hab den ganzen Tag Zeit, mich zu orientieren und ein bisschen Alice Springs zu sehen. Und so viel gibt s da ja gar nicht.

Durch Alice Springs fließt der Todd River. Aber meistens gibt s kein Wasser an der Oberfläche. Die lustigen AlicerInnen machen ein jährliches Bootsrennen, wo sie Löcher in den Bootsboden schneiden und die Füße durchstecken. Es hat, so heißt s, zuletzt zweimal abgesagt werden müssen, weil zu viel Wasser im Todd gewesen ist.

Aber wirklich schön, fand ich. Der blaue Himmel, die roten Felsen, die weite Weite und die allgemeine Gelassenheit. Gleichzeitig, ich mein, ich red jetzt immer wieder schon ein bisschen von Aborigines und es ist schwierig, nach wie vor, wenn nicht schwieriger, hier ein entsprechendes Bild zu entwickeln. Zuletzt hab ich den Bruce Chatwin hergenommen, den ich vor achtzehn Jahren für meine anstehende und niemals durchgeführte Australienreise geschenkt bekommen habe. Und da ist ein Satz drin…

What could be done for Aboriginals was to preserve their most essential
liberty: the liberty to remain poor, or, as he phrased it more
tactfully, the space in which to be poor if they wished to be poor.

Hilft das? Es ist so, dass wo ich hinkomme, mir Aborigines in erster Linie als scheinbar obdachlose Bevölkerung auffallen. Sie sitzen auf den Wiesen im Schatten der Bäume – was nur vernünftig ist. Und ich könnte jetzt gar nicht sagen, dass mir bettelnde Aborigines aufgefallen sind, in dem Sinne, in dem ich hier Weiße durchaus sehe: die auf der Straße sitzen mit einem Hut, einem Becher, einem Schild einem Schlafsack und mitunter verhaltensauffällig. (In Melbourne wird mir eine Woche später einer auffallen, der, den Kopf auf seinem Schlafsack an der Hauskante liegt und ein Buch liest. Das werde ich ganz amüsant finden und verstärkt die Heterogenität unter Obdachlosen wahrnehmen.) Aber es gibt jene, die schnorren, also aktiv um ein Bier bitten oder vielleicht auch um ein Geld und jene, die einem Kunst verkaufen wollen. Und viele machen keinen besonders gesunden Eindruck, schon allein wegen häufigem Übergewicht, aber da ist auch die Kleidung, die die TrägerInnen oft verwahrlost aussehen lässt. Angesichts jener fünfunddreißig Jahre alten Beobachtung vom Bruce Chatwin, die eigentlich auf seinen russischen Kontakt in Alice Springs zurückgeht, muss man das vielleicht aus einem anderen Blickwinkel sehen. Und ich hab mir schon immer wieder gedacht, dass man sich das nicht zu einfach machen und mit meinem europäischen Auge nicht zu unsinnigen Schlüssen kommen darf. Das wäre ja noch schöner, wenn das die einzige Sichtweise wäre.

Man kann jetzt sagen: Gut so, kritisch und mit offenem Ohr, offenem Dingsda, Herzen. Da muss man doch nur auf einen zugehen und sagen: „…“. Ja, nein. Natürlich, so stell ich mir das vor. Aber das ist wieder etwas, was sich nicht ausgeht für mich. Fast einmal. Aber dann war keine Zeit. Weil man direkt dazu aufgefordert wurde, in dem kulturellen Zentrum, das dem Uluru zu Fuße eingerichtet ist. Weil man da reinkommt und das wie Beschäftigungstherapie wirkt, wenn zwei Frauen verloren in einer Galerie sitzen und malen. Mit einem leicht widerwilligen Ausdruck, aber das mögen auch wieder nur meine Augen sein. Und dann steht an der Tür: Jedes Bild erzählt eine Geschichte, sprechen Sie mit den KünstlerInnen über ihre Arbeit. Und da hab ich mir gedacht, ja, das wär schon möglich, das wäre ein Schritt um aus dieser seltsamen, menageriehaften Situation rauszukommen. Aber da sollten wir schon los, da musste ich schon weg, da bin ich grad nochmal ausgekommen.

Auf jeden Fall ist Alice’s Secret Traveller’s Inn ein Schatzkistchen. Und das ist insofern erstaunlich, als dass mir schon von einer Alicespringerschen Jugendherberge geschwärmt worden ist, die aber dahin ist, wohl der Konkurrenz mit ASTI zum Opfer gefallen. In Alice Springs entstehen offenbar ganz einfach die schönsten Jugendherbergen. Ist vielleicht der Umgebung zu verdanken.

Ich mein, wenn das am Klo hängt. Bei der Gründung dürfte auch ein Deutscher seine Hände im Spiel gehabt haben.