AMS. oder: Die unheimliche Unberechenbarkeit der Beamtenschaft

Wenn die Flugzeuge wieder fliegen, dann müssen auch die Arbeitslosen wieder rein in die Maschine. Aber so früh? Nachdem mein letzter Termin entfallen ist, nachdem sich das AMS einfach wortlos nicht bei mir gemeldet hat, wo ich brav und doch aufgeregt mit meinen Argumentationszetteln bei mir am Tisch sitzend auf sie gewartet hab, hab ich eine Nachricht bekommen, die sich schon ein bisschen vorgreifend den trügerischen Namen „Teilnahmeschreiben“ voran gestellt hatte. Im Anhang fand sich ein Dokument, mit dem ich zu einer Informationsveranstaltung geladen wurde. Ich mein, das ist halt die Sprache, die wir da verwenden. Der Anstrich ist dünn und ich weiß auch, dass davon ausgegangen wird, dass ich dort bin.

Nicht all zu bald darauf hat sich dann jemand vom AkademikerInnenzentrum gemeldet und mir gesagt, worum s zirka gehen wird, wann s tatsächlich stattfindet und was ich bitte mitbringen soll. Ich hab mich zusätzlich auch für festes Schuhwerk entschieden, weil ich glaube, dass von mir erwartet wird, dass ich nicht in Flipflops zu meinen AMS Terminen erscheine. Wobei es wohl keinen Unterschied macht, aber ein bisschen diese vorgreifende Unterwürfigkeit, das ist sicherlich ein bisschen ein Thema.

Die Bebilderung hat heute weniger mit unheimlicher Unberechenbarkeit zu tun, man müsste sich schon ein bisschen verbiegen dafür. Aber zumindest unheimlich finde ich, wie hier versucht wird, einen Korb mit Wurst und Schinken in der gleichen Art und Weise darzustellen, wie man über einen Korb mit Obst und Gemüse eben Frische, Kraft und Lebensfreude darstellen würde. Aber hier sind s abgepackte Fleischmehlprodukte. Was mir offenbar nicht besonders berechenbar erscheint.

Weil heute war dann dieser Termin und ich hab am Sonntag noch ein Mail geschrieben, dem AMS nämlich, dass ich schön gefunden hätte, wenn wir da tatsächlich eine Besprechung gehabt hätten, weil ich das Angebot nicht irrsinnig zielführend finde. Nein, ich hab was davon gesagt, dass ich das Entfallen des letzten Termins bedaure und denke, wir wären gemeinsam vielleicht eher in der Lage gewesen ein passendes Angebot für mich zu finden. Ich hab da ein bisschen überlegt, wie ich das formuliere, vielleicht zu lange. Zurück habe ich dann bekommen:

sie beziehen die Notstandshilfe, diese Weiterbildung ist speziell für AkademikerInnen. Wenn sie von Alternativen sprechen, sprechen sie aber von Ausbildungen die das AMS nicht im Kursangebot hat.
Die Notstandshilfe besagt, dass jegliche Arbeitsaufnahme zumutbar ist. Ich schicke ihnen einen Termin (telefonisch) zu.

Das war die Aussicht aus dem AkademikerInnenzentrum. Ich bin da ja schon ein bisschen herumgefahren, bis ich s gefunden hatte. Weil Baustellen und die Türme haben alle Namen, aber das weiß ich doch nicht von da, wo ich aufgewachsen bin. Bei dem hab ich lustig gefunden, dass die Fensterputzgondel anscheinend da oben mitdesignt worden ist. Muss vielleicht auch, hab ich mir gedacht, weil dadurch, dass der diese Wellen macht, kann man wahrscheinlich keine Fensterputzgondel von der Stange kaufen, die mit ihren normierten Dimensionen womöglich dem ästhetischen Verständnis (ja, ich weiß) der ArchitektInnen widersprochen hätte…

Ich habe vor einigen Wochen eine Frau auf dem Fahrrad überholt. Also, es war nicht nur die eine Frau, es war dahinter noch jemand und dann noch jemand. Und das war da so am Donaukanalufer, der Weg war nicht superbreit, der Boden vielleicht ein bisschen kieselig und wir waren eh auch relativ flott unterwegs. Aber wenn man längere Zeit leicht unter seiner gewünschten Geschwindigkeit in der Kolonne fährt, dann staut sich diese zurückgehaltene Geschwindigkeit an und irgendwann sagt man sich: so. Das Problem war, dass da dann ein Hügel war und dann ist einer hinter dem Hügel aufgetaucht und den Hügel herabgebraust (das war mindestens so ein Flotter, dessen Schuhe in die Pedale klicken) und ich halt plötzlich doch Panik und bisschen abbremsen und bisschen zur Seite fahren und es ist sich alles ausgegangen aber wenn man auf Adrenalin ausrutschen könnte, wär s schiefgegangen. So hab ich von rechts einen entsetzten Ausruf gehört (etwa: „He!“), worauf ich mich kurz und leger entschuldigt hab um dann den Hügel hinauf schnell mein Überholmanöver zu einem Abschluss zu bringen. Jetzt war die Frau, die ich da in meinem misslungenen Versuch, zu meiner Idealgeschwindigkeit zu kommen, zur Seite gedrängt hab, damit aber gar nicht zufrieden und hat weiterhin hinter mir hergeschimpft. Ich kann mich daran erinnern, den Satz „so schlimm war s auch wieder nicht“ hinter mich gerufen zu haben. Weil so schlimm, wie ich da jetzt verbal abuse wegzustecken hatte, hatt ich tatsächlich nicht das Gefühl, dass es gewesen ist. As luck would have it hat sie an der nächsten Ampel zu mir aufgeschlossen gehabt. Was einerseits das ganze Theater – nämlich insbesondere das Überholen an sich – besinnfreit hat, aber andererseits auch ihr die Möglichkeit gegeben hat, ihren Ärger rauszulassen. So hat sie s nämlich selbst bezeichnet, nachdem sie mir unter anderem vorgeworfen hat, dass ich im Auto meinen Führerschein los wäre und solche Aktionen FahrradfahrerInnen zu dem schlechten Ruf führten, den wir in vielen österreichischen Augen nun einmal haben. Und ich konnte immerhin sagen, dass es mir leid täte, dass ich natürlich nicht zum Überholen angesetzt hätte, hätte ich gesehen, dass da einer kommt. Dass ich so viel jünger als sie wohl nicht sei, das hab ich nicht gesagt. Weil sie angedeutet hat, dass sie altersbedingt unter einem Sturz mehr gelitten hätte als ich… aber darum geht s jetzt gar nicht, hab ich mir gedacht, es brauche jetzt noch eine gewisse Ernsthaftigkeit, damit wir das abschließen können. Weil dann war s tatsächlich auch schon irgendwie gut. Sie hat ihrem Ärger Platz gemacht, ich bin aus meiner Defensive raus und habe den Platz gehabt, mich zu entschuldigen. Und wir sind beide ein wenig aus unserem Schreck rausgekommen. „Gut, dass wir das noch besprochen haben“ und ich hab s gemeint.

Jetzt also meiner AMS Beraterin schreiben, dass ich mich ärger, wenn ich so an den Rand gedrängt werde von ihrer legalistischen Argumentation. „Argumentation“. Ich mein, ich weiß schon, dass die das nicht als ein Feedback auffassen, als eine Unterstützung ihrer Arbeit, wenn ich anbiete mit ihnen darüber zu reden, was ich glaube, was für mich sinnvoll ist. Aber ich muss darüber nicht froh sein. Und irgendwo hab ich das Gefühl, da unprovoziert angeschnauzt worden zu sein. Das steckt da schon ein bisschen in meiner Formulierung mit drin, aber ich halte das für nicht-notwendig. Aber ich bin nun einmal auf der high road aufgewachsen und so hab ich dann eher damit zu tun gehabt, die Entschuldigungen wieder aus meiner Antwort zu löschen. Weil irgendwo hab ich da ein Bedürfnis, so zu bückeln, gegenüber jemandem in so einer Autoritätsrolle. Scheinbaren Autoritätsrolle. Aber da scheint noch so viel Willkür drin zu sein, dass man lieber vorsichtig ist. Sich anschnauzen lässt, aber nicht zurückschnauzt. Aber wo die Magengeschwüre herkommen ist ja vielleicht gar nicht so wichtig.

Warum ging der Oktopus über die Straße?

Bin ich vor ein ein, zwei Wochen die Mariahilferstraße hochgefahren und es ist nur ein Moment gewesen, wo ich mit den Radfahreraugen ein Polizeiauto seh und gleich mal bisschen abbremse. Unauffällig. Aber die Damen und Herren waren eh damit beschäftigt, einen jungen Mann zu beamtshandeln, zu fünft, sechst werden sie dabei schon gewesen sein. Ich weiß nicht, was die Situation war, aber da stand einer, bisschen Latino, bisschen Balkan, wenig bedrohlich, nicht offensichtlich berauscht. Aber im Halbkreis umzingelt. Was weiß man schon. Es war glücklicherweise drumrum auch noch genug los,quasi Zeugen. Nicht dass da vielleicht plötzlich jemand ungünstig umfällt und sich was tut, womöglich noch im Widerstand gegen die Staatsgewalt. Es kam mir jedenfalls unverhältnismäßig vor, das sicher. Und unverhältnismäßig war auch, dass, wie ich eben vorbeifahre, einer der Beamten, der nicht Teil der Umzingelung war, sondern leger an der Autotür lehnend die Übersicht behalten hatte, dass der auf irgendeine Bemerkung des Beamtshandelten aus seinen sieben Meter Entfernung ruft: „das ist eben nicht so und so!“. Ja, ich mein, er wird das etwas konkreter gesagt haben, aber es war auf jeden Fall so was in der Art. Aber eben etwas belehrendes. Etwas konträres. Und vor allem etwas aggressives aus einer Position der Unberührbarkeit, die keine direkte Antwort zugelassen hat. Ich hab das als ganz ungut wahrgenommen.

Dieses ganze Schild ist so daneben, schon weil das Wort „Lagerwiese“ im österreichischen Kontext bereits etwas bedrohliches hat. Mit dem dezidierten Bezug auf die Bevölkerung hoffe ich, dass hier regelmäßig TouristInnenzusammenkünfte aufgelöst werden.

Dabei hat der Florian Klenk grad erst wieder so menschlich über die Polizei berichtet, was gute Texte gewesen sind und gewissermaßen Hoffnung machen, weil schon eine Selbstreflektion durchscheint, zumindest in so Einzelkommentaren von Freiwilligen, die anonym bleiben wollen. Über die Verletzlichkeit und die Angst und den Mut und den Ekel und den Wunsch nach Anerkennung. Wo schon klar gesagt wird, wie viel Arbeit der Polizei eigentlich Sozialarbeit ist. Ich mein, die sehen das nicht unbedingt so, dass sie durch gute Sozialarbeit entlastet werden würden, das nicht. Aber dass es ein Problem ist. Aber die Polizei arbeitet halt mit Gewalt, das ist einfach ihr Ding, das ist ja auch gut so. Man muss halt schauen, was für Aufgaben können sich mit Gewalt lösen und welche sind vielleicht anders nachhaltiger zu bearbeiten. Und vielleicht müssen wir die Ordnung überdenken, die wir insgesamt, mit welchen Mitteln auch immer, schützen wollen. Aber ich hab mich schon in der Volksschule nicht getraut mitzusingen, wenn der Rest der Klasse gegrölt hat, ob das nicht die Polizei sei, ob da nicht ein Depp darunter sei. Im besten Fall würde ich sagen, ich hab mich halt schon als subversiv empfunden und Polizei auch damals nicht auf meiner Seite gesehen. Aber das ist ein schwieriges Argument für jemanden mit meinem ethno-sozio-gender-ökonomischen Hintergrund und ich hab mich einfach vor der Autorität gefürchtet, wollte sie einfach nicht provozieren, diese unberechenbare, nur schlecht verbeamteten Gewalt.

Im AkademikerInnenzentrum hat uns dann ein Herr einen Vortrag gehalten darüber, was wir alles falsch machen beim Bewerben. Er hat einen wirklich anstrengenden Lehrerschmäh gehabt, der zumindest den einen vorne links regelmäßig zum Lachen gebracht hat, also vielleicht halb so schlimm. Aber wenn man bedenkt, dass ich so zirka in der Mitte war, so altersbedingt (gesessen bin ich hinten links), dann ließe sich argumentieren, dass das ein unpassender Humor sei. Und es ist echt so, dass ich jetzt schon viel nachgedacht hab, zumindest ein Beispiel nennen zu können, aber es ist einfach nichts mehr davon da. Er hat gefragt, was unser wichtigstes Werkzeug wäre… nein, das war was anderes. Da wollte er „Lebenslauf“ hören. Aber es kann ja auch in einem anderen Moment was anderes mit der gleichen Frage gemeint sein. Er wollte sagen, dass wir nach einem guten Vorstellungsgespräch, bei dem wir aber abgelehnt worden sind, dass wir mal anrufen sollen und fragen wie s geht oder ich weiß nicht. Über den Inhalt hat er nicht geredet. Aber er hat, weil er s nicht einfach so sagen wollte, sein Telefon genommen und gefragt, was denn die primäre Funktion davon sei. Nämlich nicht das Wischen und das Spielen.

Na gut, ich weiß nicht, ich kann das offensichtlich nicht wiedergeben. Er hat das wie einen Witz ausschauen lassen.

Aber ja, das andere waren diese Fragen. Und das ist mir dann irgendwann aufgefallen und ab dann sehr stark aufgefallen, dass alle seine Fragen auf Ein-Wort-Antworten hinausgelaufen sind. Da hab ich mir auch gedacht, das ist eine Technik, die so tut, mit der man so tut, als würde man das Plenum mit einbeziehen. Aber man kriegt eh keine Antworten, weil die Antworten so banal und einsilbig sind und – da kann er noch so viel behaupten, dass wir keine Note dafür kriegen – es ist eine Art, Fragen zu stellen, die im echten Leben nicht vorkommt, solange wir die Schule aus dem echten Leben herausnehmen. Die sich jedenfalls in erster Linie als Kontrolle anfühlt, ob die Leute noch aufpassen. Und da kann er noch so viele Jahre Erfahrung in der Erwachsenenbildung nennen, das ist keine Erwachsenendidaktik.

Am Heimweg (ich weiß nicht, warum ich jetzt unter den Videos immer zentrierten Text hab, vielleicht hilft mir ein 300-stündiger Social Media Management Kurs, das in die Hand zu bekommen) hab ich mich gefragt, ob wohl jemand einen frischen Text für My Sharona geschrieben hat und hab dann zuhause nach Kein Corona gesucht. Ich mein, ich find s ok witzig. Witziger auf jeden Fall als die 600 y pico Views, die das Video seit Mai hatte.

Das Hauptproblem ist vielleicht, dass man eine Fortbildung für AkademikerInnen anbietet. Das kommt mir irgendwie paradox vor, dass man für die – mit Verlaub – spezialisiertesten ArbeitnehmerInnengruppe eine Auswahl von fünf Weiterbildungen anbietet. Dass es da einen Gedanken gibt, der sagt, Menschen, die zumindest sechzehn Jahre lang in Ausbildungseinrichtungen gewesen sind, die haben dadurch eine gemeinsame Basis, dass decken wir mit fünf Kursen ab, bei denen sie zertifiziert werden, was zu managen. Und das mit der Spezialisierung ist da rein quantitativ. Ich würde auch kein Curriculum für quer durch die Bank Lehrabgeschlossene erstellen müssen wollen, von dem alle was haben.

Dieses Video mit dem gleichen Gag hat immer noch mehr Views, aber wie das Bild schon zeigt, stammt das aus unschuldigeren Zeiten. Vielleicht ist es, dass die AutorInnen (ich mein, hier das Gendern durchzuziehen ist schon fast sarkastisch) weniger Zeitdruck gehabt haben, aber ich glaube, es ist verdient öfter gehört. Jetzt bräucht s noch eins, dass von einem Sonnenfinsternisunfall handelt, aber das wär ja eine feminine Corona.

Anyway. Es war letzten Endes ganz interessant und vor allem Am – das gebe ich vielleicht am widerwilligsten zu – hat mich einfach das um halb sieben aufstehen echt energetisiert. Aufstehen und quasi gleich echt aufstehen. Und duschen und aus dem Haus. Und dreißig Minuten später die morgendliche Donau kreuzen. Ich mein: will ich nicht jeden Tag haben. Aber so für zwischendurch und einmal spüren, wie das ist, mit einem Sinn in den Tag zu gehen – auch wenn s nicht meiner ist. Aber wenn ich schon in der Gegend bin, bin ich dann noch ein bisschen auf der Donauinsel auf und ab gefahren, das war schön, am Vormittag ist endlich alles so leer, wie ich mir das wünsche. Und dann über das Kraftwerk und wieder hoch. Da bin ich dann auf einen Espresso in ein so ein generisches Flussuferlokal gegangen. Das war vielleicht schön! Die Rattansessel und die bisschen gleichgültige elektronische Musik. Und ich sitz drin mit meinem elektrischen Buch und einem Kaffee der noch dazu ganz gut war. Mir kam vor, dass das wirklich die globale Eichnull ist, was so Caférestaurantsinnendesign betrifft und ich hab mich da auch ein bisschen drin verloren. Es hätte genausogut Indonesien oder Neuseeland sein können, Tahiti, Japan, Georgien: Rattanstühle und elektronische Musik. Und der Blick auf s Wasser. Und Jugendliche, die nicht wirklich hier sein wollen, aber es ist nun einmal ihr Job. Herrlich. Ich hab dann wirklich bei den Wiener Tauchschulen nachgeschaut, mal wieder, was die so anbieten, ob da nicht was war, da war doch was. Richtiggehend, wie gesagt, energetisiert, so ein mit Sinn und Ziel aufstehen. Aber es ginge auch ohne einen Typen, der mir erklärt, dass ich mitunter schneller in Sankt Pölten bin und überhaupt, Betreuungspflichten sind der einzige Grund, warum man nicht volle reinhackeln müsste. Ich denk dann lieber an Segelboote, Eistauchen und am Ufer im Schatten sitzen. Muss ja auch wer machen.

…draht a schleifn umman eiffelturm und frågt mi, wo i hiwü.

Und ich sag: nach Lainz. Weil ab und zu ist mir dann mehr oder weniger anlassgebunden doch einmal kurz alles zu viel, wenn das AMS hat ein Mail schreibt (am Feiertag, Bullies!) und die Nachbarin die Abendfestivitäten einleitet. Zusammen mit dieser latenten Hintergrundanspannung durch die fortwährende Lebenswegsuche… Und nicht einmal, dass ich was gegen Hoffeierlichkeiten hätte, also lautstärkehalber oder so. Die machen schon gute Musik an. Eher weil ich selbst ja daran scheiter, in der Situation, wo ich allein nebenan sitze und drüben haben sie s lustig, denn mich tatsächlich dazu zu setzen – dafür scheint mir die leichte Schulter nicht belastbar genug zu sein. Aber ich hab gelernt aus den Wochen des Allein-Daheim-Sitzens oder aus den Monaten des Allein-durch-die-Welt-Fahrens. Oder aus Jahren des Allein-den-Alltag-Überlebens. Und das Lernen ist ja nicht einmal das wichtige, sondern, dass ich mich zur Anwendung des Gelernten durchgerungen hab.

Ich bin also auf mein Rad gestiegen und hab mir gedacht, ein bisschen die frische Luft, ein wenig die körperliche Betätigung, ein Stückchen eine andere Szenerie, trauen sich die Nerven vielleicht wieder ein paar Sprossen die Leiter herunter. Und zuletzt bin ich in die Stadt gefahren, was immer ein bisschen in die Richtung ist, die ich mit Arbeit assoziiere und von dem her schon nicht super. Aber darüber hinaus ist dann die Donau und da sind Verladebahnhöfe und Kraftwerke und allerhand industrielles Zeugs, das hat mir gut gefallen. Da bin ich dann schon beeindruckt, was alles geht. Und dann die Donauinsel und so, das ist ja wirklich schön, da kann die Stadt Wien schon froh sein, dass ihnen das passiert ist. Und das war auch schön, so viele Leute zu sehen und dass eh viel Platz ist und selbst wenn die Polizei der Meinung war, so viel Präsenz zeigen zu müssen (anstatt, eh das übliche: SteuerhinterzieherInnen nachzugehen, Sensibiliserungsworkshops und Deeskalationsfortbildungen zu besuchen oder den Staat dort zu repräsentieren, wo s nichts zu sehen gibt). Aber das ist schon lange her und längst vom Lauf der Coronaumgangsentwicklung überholt.

Ich mein, man kann sich das durchaus auf der Zunge zergehen lassen: „das Betreten öffentlicher Orte [ist] grundsätzlich verboten. Eine Ausnahme ist, wenn Sie […] unterwegs sind.“ Dem dritten Absatz fehlt überhaupt ein bisserl die Grundlage, möchte ich behaupten, aber damit schließt er wohl auch mit der aufgeblähten Formulierung „wirksam einzudämmen“. Und wenn man dann noch Zeit hat, kann man noch „nicht gestattet“, „ersuchen Sie, dies zu unterlassen“ und „konsequent einschreiten“ gegeneinander abwägen. Entweder waren die für die Gestaltung dieser Hinweistafel zuständigen, sich nicht über die geltende Rechtssituation im Klaren oder man wollte sie nicht kommunizieren.

Für die Abwechslung bin ich dann also in die andere Richtung gefahren. In meinem zweidimensionalen Weltbild war das der Westen. Weil im Westen gibt s den Wienkanal und das ist mitunter das Schönste, find ich. So von Natur und Urbanität und Platz und Beanspruchung und Variation und Zugänglichkeit. Wirklich gut. Ein Pech, dass die Gestaltung nur oberhalb von Hietzing umgesetzt worden ist. Weil man könnte sagen, das ist eine Gegend, in der s eh relativ grün ist, die brauchen vielleicht nicht noch ein Naherholungsgebiet. Und vielleicht erklärt sich dadurch die verhältnismäßig dünne Nutzung. Aber das kann ja auch keine Taktik sein, dass man dort, wo man s nicht braucht, Naherholungsmöglichkeiten schafft, die dann attraktiv bleiben, weil sie nicht überlaufen sind.

Aber egal. Da bin ich ein bisschen vor mich hingeradelt und das war dann auch ganz schick. Weil das ist zuerst schon ganz hübsch und dann – stadtauswärts – wird s nochmal hübscher, weil grüner und wilder und dann, fast unerwartet, wird s nämlich nochmal hübscher, weil es dann fast schon grün und wild ist. (Ein Graureiher, bitte!) Bloß, dass es dann schon wieder zu Ende ist. Also, vorher kommt noch so eine Passage, wo der Weg plötzlich viel zu schmal ist und dann haben sie den nochmal halbiert und extra Kopfsteinpflaster gemacht, dass die Leute nur auf einer Seite rasen können, während die ihnen entgegenkommenden zum andauernden Holterdipolter und dementsprechenden Grimassenschneiden verdammt sind. Ich glaube, da hat s auch noch nie eine NutzerIn gegeben, die diese Gestaltung gelungen gefunden hätte. Und vielleicht ist das so ein Unterschied zwischen da wohnen und da entdecken: Ich bin schon froh, dass es den Weg gibt, weil eben Grün und Wild. Aber der Lösungsansatz ist offenbar, die Situation bewusst zu verschlechtern, um eine vorsichtigere (und geringere) Nutzung zu provozieren. Dabei bin ich ja nicht einmal grundsätzlich gegen diesen Ansatz ist, merke ich grad. Ich glaub, ich halte es einfach für unpassend, das in einer Naherholungssituation zu nutzen.

Da klingt s aus dem Wald. Unabhängig von Zeit und Lust, sollten sich übrigens hier alle auch durch die Geräuschkulisse eines britischen Waldtags scrollen.

In meinem Fall hat das dazu geführt, dass ich mir gedacht hab, lieber eine andere Route zurück. Immerhin bin ich da also schon auf anderen Gedanken gewesen. Ist ja auch ganz praktisch, wenn man sich einmal über was ärgern kann, was außerhalb einem selbst liegt. Und weil man da am Ende eh schon bei diesen Überlaufbecken ist, bin ich dort auf die andere Seite des Flusses und hab zuerst noch den Kamelen vom Circus Safari beim Essen zugeschaut, bevor sich mein Auge in den von der Abendsonne beschienen Überlaufbecken und der darin enthaltenen Natur verloren hat. Und dass ich dann über die Westausfahrt geklettert bin und auf der anderen Seite überrascht vor einem aus verzerrten Kindheitserinnerungen bekannt wirkenden Lainzer Tiergartentor gestanden bin, lass ich hier durchaus dafür stehen, dass ich mich nie besonders um meine Wienorientierung gekümmert hab. Aber so sind da mit den Becken auf der einen Seite und dem Tiergarten auf der anderen plötzlich zwei Sachen zusammengefallen, die ich aus verschiedenen Kontexten zwar gekannt, aber nie selbst wirklich genutzt gehabt hab. Immerhin fahrt da die Autobahn durch und dadurch wird das eh alles ein bisserl zum Unort.

So hab ich wieder was gelernt und schau an, war ich neugierig genug, dass ich tags drauf noch einmal auf s Rad gestiegen und in den Lainzer Tiergarten gefahren bin. Natürlich, da ist schon auch noch ein Reststress, dass ich lieber nicht daheim sitze, wo die Entscheidungen ungetroffen im Raum hängen. Aber es war schon auch diese Neugier und da etwas zu sehen, zu entdecken, zu erschließen. Es ist selbstverständlich schon anders, als wenn ich durch sagnwarmal Kagoshima spaziere. Entdecken hat schon einen anderen Geschmack. Weil eigentlich such ich ja doch etwas, was das Hier-Leben vielleicht lebenswert macht. Und warum nicht mal dort nachschauen, wo Wien seine 53% Grünflächenanteil versteckt. Nämlich hinter einer Mauer.

Zwei hatte ich schon im Mund, bis mir in den Sinn gekommen ist, zumindest das Erdbeerbild zu teilen. Damit ist jetzt quasi Sommer…

Der Lainzer Tiergarten ist prinzipiell wirklich ganz nett. Es ist schön, einen Wald zu haben, der… ein echter Wald ist. In der Stadt! Wo man ins Grün schauen kann und wo man den Wald hört und – wenn man erst einmal weit genug von der Westausfahrt weg ist – auch nur mal nichts anderes als den Wald hören kann. Wo man genug Entfernung hat um den Blick auch schweifen zu lassen und es bleibt Wald, wenn die Anhöhe es denn zulässt. Und wo man einem Wildschwein begegnen kann. Ich hab mir ja vorgenommen gehabt, nicht umzudrehen und mich sozusagen panisch aus dem Staub zu machen. Sondern wo auch immer ich das her hab, lieber mit dem Blick auf das Wildschwein langsam meine Schritte nach hinten zu setzen. Aber in dem Moment wo vor mir dann eines durch den Wald gelaufen ist, war ich mir doch nicht mehr sicher, wie sehr ich das nicht aufgescheucht hätte und vielleicht lieber doch einmal Distanz als Mindgames. Vor lauter Stolpern hab ich mir da aber schon gedacht, wäre auch ganz gut, wenn der Wald vielleicht ein bisschen besser aufgeräumt wäre. Aber abgesehen davon, dass ich gerne ein paar Hinweistafeln für den Umgang mit Wildschweinen gesehen hätte, sollte wohl mal jemand eine Grafik machen, welchen Tieren man lieber in die Augen schauen soll, damit sie einen nicht töten wollen und welchen Tieren man auf gar keinen Fall in die Augen schauen soll, damit sie einen nicht töten wollen. Ich hab das Gefühl, da gibt s solche und solche…

Da hab ich mich wirklich ins Zeug gelegt, um diese Akelei ordentlich ins Bild zu bekommen. Und weil ich mit Blumen schlecht bin, hab ich die ja erst vorhin identifiziert (letztlich mit Bildersuche: „violett Waldblume fünfblättrig“). Dreihundert Meter weiter sind dann ganze Büsche davon herumgestanden, in bunten Farben. Bisschen abgewertet hab ich meine einzelne Waldrandsakelei dadurch empfunden.

Aber deshalb herrscht ja, wie ich auf der Infotafel beim Ausgang gelesen habe, Weggebot. Für meine Wildschweinbegegnung habe ich dieses zugegebenermaßen gebrochen gehabt. Weil… schau. Erstens hab ich s nicht gewusst. Weil es gibt viele Regeln für den Lainzer Tiergarten und die sind in grün designt, die hab ich gar nicht erst gesehen, wie ich den Wald betreten hab. Und ich hab ja auch erst im Laufe des Ausflugs mein Bedürfnis für Hinweistafeln realisiert. Aber wer ist auf diese Idee gekommen, dass der Weg betoniert sein muss. Es ist wirklich, ich mein: wirklich frustrierend, dass man Wald und Flur auf Beton quert. Es war relativ viel Verkehr, also etwa eineinhalb Autos die Stunde und ich seh ein, dafür ist das praktisch. Dass dann wiederum Radfahrverbot ist, ist ein bisserl traurig, weil da wäre der Beton wiederum ganz willkommen. Mir zumindest, gibt ja solche und solche. Also nochmal Minuspunkte für die Weggestaltung, liebe Stadt Wien.

Lustig, dass der Person, die hier anschauungshalber das Weggebot verletzt, offenbar jemand die Beine zusammengebunden hat.

Wenn drei Autos in zwei Stunden viel sind, dann sind zwanzig Leute in zwei Stunden relativ wenig. Aber wiederum ist das ein bisschen schade, weil Wien gern von seinen Grünflächen redet und dann sperrt man in der Panik nebenher die Bundesgärten zusperrt, aber das ist ja nicht die Entscheidung der Stadt Wien. Aber zugegeben: wenn man im Sommer durch den Burggarten geht, dort noch Platz für seinen Babyelefanten zu finden: oft nicht so einfach. Und dann wiederum riesiges Waldgebiet und nur eine Handvoll nasale SeniorInnen. Wär natürlich ideal, wenn man den Leuten hüben wie drüben angemessen Grünflächen bieten könnte. Nicht tut man das, indem man Wege betoniert und beinhart das Rotkäppchen durchzieht.

Was aber, wenn Peter den Wolf nicht gefangen hätte, was dann?

Aber wodurch der Lainzer Tiergarten letztlich wirklich verliert, ist, dass er mir vom Pulverstampftor aus keine Runde macht. Und ja, er macht von anderen Toren aus eine Runde und man kann sich das ja vorher anschauen und drittens bin ich ja gerade extra bis zu dem Tor gefahren, weil s mir vom Schuss gewirkt hat. Dass jetzt die genannte verhältnismäßige niedrige SpaziergängerInnenfrequenz nicht unbedingt für den ganzen Lainzer Tiergarten gilt, sondern vor allem für die Ecke, wo man nur hin und her gehen darf, das kann natürlich sein. Da hab ich dann ein zweites Mal dem Weggebot widerstanden und bin hinter dem Grünauer Teich herum wieder zurück Richtung Fahrrad gegangen. Ad Grünauer Teich: Es ist wenig überraschend, das der eingezäunt ist. Und trotzdem: Da hat man einen Teich und dann… na gut. Lebt die Natur drin. Und kann nicht immer ein Rettungsschwimmer daneben stehen. Aber eines von diesen Hinweisschildern hätt s nicht auch getan? Dass man einen Stein über die Wasseroberfläche flitzen lassen kann vielleicht? Oder nach dem einen Biber Ausschau halten kann, dem der Grünauer Teich laut Auskunft Heimat bietet? Ein tristes Bild, übrigens, dass es da in Hietzig einen eingezäunten Teich gibt, in dem ein einsamer Biber sein Dasein fristet. Da kann er ja nicht mal einen Damm bauen, vor lauter stilles Gewässer.

Ein bisschen eine Kritik hätte ich da übrigens noch. Ich hab mir im ausländischen Wandern oft einmal gedacht, dass ich in Österreich immer wieder mal eine Quelle in Erinnerung hab, dass man sich nicht selbst sein Wasser tragen muss, weil man ja eh dran vorbeikommt. Also, dass da wo ein Hahn ist oder ein Trog. Das ist das wunderbarste, was man dem Wandersmensch unter die Arme und nicht zuletzt (nachdem man ja ein unverbindliches Angebot macht) müden Beine greifen kann. Natürlich ist das am Berg leichter, weil s da wirklich nur die Dings ist, dass man eine unterirdische Quelle halt kurz in ein Rohr leitet, den WandererInnen zu trinken gibt und dann wieder zurück in den Boden und mach dich wieder auf den Weg ins Tal, mein Wässerchen. Jetzt bin ich im Lainzer Tiergarten durchaus so einem Baumstammtrog begegnet, in den sich bedarfsweise das kühle Nass ergösse, nur ward dran ein Kein-Trinkwasser-Schild angebracht gewesen. Und wieso… wieso gibt s hier ein Kein-Trinkwasser? Für Leute, die beim Weggebotverletzen in den Schlamm gestiegen sind? Für die Nur-knapp-mit-dem-Leben-Davongekommenen, sich Wildschweinblut von Hirschfänger und Händen zu spühlen? Hat jemand gar die Schmutzwäsche auf einen Spaziergang mitgenommen? Könnte man besser machen. Ich nehm an, da ist irgendwo ein altes Rohr und anstatt das auszubessern klebt man halt ein Hinweisschild.

Auf der anderen Seite lässt der Lainzer Tiergarten seine BesucherInnen ab und zu auch in der Eigenverantwortung überlässt und es bleibt einem dann selbst überlassen, die aktuelle Hinweissituation zu interpretieren.

So bin ich letztlich wieder raus, beim Pulverstampftor. Das hat sicher auch noch eine spannende Geschichte, wie es zu dem Namen gekommen ist. Warum ein Tiergarten… ja, ich mein, das könnte man noch diskutieren. Aber das ist schon ok. Wien ist hier einfach ein bisschen Berlin, da darf man sich ja auch nicht immer erwarten was draufsteht. Also ganz ohne alles, wieder raus beim Tor und dann bin ich zurück wieder über s Wiental gefahren. Weil hin bin ich, für verbesserte Zielsicherheit, durch Hietzig. Was auch hübsch ist. Und ich kann mir schon vorstellen, dass wenn man in diesen Alleen lebt, dass einem dann ein bisschen das Gefühl dafür fehlt, wie trist wohnen in Grau in Grau ist.

Nu, und nach diesem Ausflug hat sich die körperliche Müdigkeit grad so mit der geistigen Angeregt gepaart gehabt, dass es sich geradezu richtig angefühlt hat, mich damit an die Maschine zu setzen. Fast, als ob das was wäre, dem ich Ausdruck verschaffen möchte. Und vielleicht den Hinweis, für die Zukunft: Wer auf heranfliegende Käfer schreckhaft reagiert, vielleicht nicht im gelben T-Shirt durch den Frühlingswald laufen.

+ Neu

Hindsight, so sagt man, is twenty-twenty. Dementsprechend lädt mich die Jahreszahl eh schon einmal mehr dazu ein, eher zurück zu blicken, denn nach vorne. Mittlerweile mischen sich Tulpen unter die Weihnachtssterne, die hier und da noch herumstehen, aber ich wehre mich immer noch ein bisschen dagegen, anzukommen. Oder auch ohne: wehre ich mich dagegen, anzukommen. Ich würde das so sagen: Wie ich angekommen bin, hat es noch gewirkt, als würde ich ankommen. Aber dann hat sich irgendwie der Eindruck durchgesetzt, ich sei einfach zurückgekommen und Wien ist nicht die nächste Station auf einer Reise, dieser – weil ich jetzt schon in dieser schalen Metapher Platz genommen habe – lebenslangen Reise. Es war eine Ausnahmesituation und ich bin zurück und es ist schwierig, den Erinnerungen und Erfahrungen einen Raum zu geben in diesem Alltag, den ich immer schon als so eng erlebt habe.

In Wahrheit bedeutet 20/20 auch nicht mehr, als dass man normale Sicht hat, also aus sechs Metern Entfernung erkennt, was man normalerweise aus sechs Metern Entfernung erkennen sollte. Und das sind dann halt auch etwa zwanzig Fuß. Das hat sich der Herman Snellen der Ältere ausgedacht (Utrecht, 1962).

Es ist schön, in Wien zu sein, es ist, auch so sagt man, schon schön, wieder in Wien zu sein. Ich bin bloß noch ein schönes Stück hilfloser als zuvor, in dem Versuch, meine Zeit zu gestalten. Es war ein bisschen eine gemeinsame Anstrengung, dass ich s Ende letzter Woche tatsächlich einmal ins Museum geschafft hab. Immerhin hab ich einen Kulturpass, den ich uneingeschränkt als ein großartiges Konzept herumreiche. Aber er es nach drei Wochen zum ersten Mal aus meinem Geldbörsel geschafft hat. Und dann hat mich die Frau an der Albertinakassa kostenlos reingelassen. Das war auch gar nicht so einfach, weil ich gemerkt hab, da liegt schon auch ein bisschen ein unangenehmes Moment darin, einen Ausweis für freien Eintritt zu haben, ob ich da nicht jemandem etwas wegnehme, was sie vielleicht dringender… Ja, soll ich mich nicht so anstellen. Aber in so was spiegelt sich halt der beständige reaktionäre Backlash wider, der mein erwachsenes Leben begleitet, die ständige Provokation einer Neiddebatte von einer Seite, die spontan kaum die Frage nach der Anzahl an Stellen im Milchpreis richtig zu beantworten weiß. Obwohl es beim Kulturpass ja nicht einmal VerliererInnen in dem Sinn gibt. (Auch wenn mir die Schweigsamkeit meines AMS gegenüber dem Kulturpass das Gefühl vermittelt, dass hier mit einer finiten Ressource gehandhabt wird.) Ach ja, so geht halt der Kopf, wenn ich nicht ab und zu jemanden da hab, die mir helfen, ihn mir ein bisschen gerade zu richten.

Das war natürlich ein Versuch, ein bisschen so einen Tag zu machen, wie ich ihn vor drei, vier Monaten vielleicht gemacht hätte, wenn ich nach Wien gekommen wäre, wenn man in Europa unterwegs nach Wien kommt. Zwei Tage Wien bevor man sich auf den Weg nach Budapest, Venedig oder Salzburg macht. Das man s halt gesehen hat. Ich hab in der Früh schon ein bisschen gebraucht, weil wenn ich nicht im Hostel aufwache, dann wach ich eben bei mir daheim auf und da ist der soziale Druck, gleich einmal in die Gänge zu kommen, etwas geringer. Noch dazu ist da ein Kühlschrank und ein, zwei Kaffeemaschinen, eine Schublade voller Tee und jetzt dann auch zwei Katzen. Es gibt also gleich allerhand zu tun und dann setze ich mich üblicherweise auch noch ein bisschen hin und schon ist es Mittag. War s eins, war s zwei, als ich mich endlich auf den Weg und in traditioneller Manier erst einmal zu Fuß in die Stadt aufgemacht habe. Gehört auch ein bisschen dazu, ein bisschen verloren zu gehen und vielleicht ein schönes Haus zu sehen. Wer weiß, schafft s die Stadt mich zu überraschen? Nein, eh nicht. Es ist windig und kühl, aber immerhin schaut der Himmel ab und zu durch die Altostratus und wo der lokale Stolz auf die Donaufarbe im Anblick derselben vielleicht ein bisschen verfehlt erscheint, der Himmel kennt keinen Patriotismus und zeigt sich überall in mehr oder weniger gleichermaßen erfrischenden Tönen.

In der Albertina bin ich zuerst einmal im Keller. Es ist schon erstaunlich und vielleicht ist es nur selektive Wahrnehmung. Aber ich war jetzt schon oft einmal im Museum in den letzten Monaten. Und oft spielt die Inszenierung natürlich schon eine Rolle, wie freistehend ein Objekt ausgestellt wird, wie zugänglich etwas gemacht wird. Da spiegelt sich natürlich auch ein bisschen die Zugänglichkeit und wie sich gerade modernere Kunst dann oft auch einmal vielleicht ein bisschen greifbarer präsentieren will, ohne Rahmen, direkt, greifbar. Aber dabei wird dann doch oft einmal darauf gezählt, dass die Leute ihre Grenzen selber setzen, nämlich dort oder früher dort setzen. Die Freiheit endet da, wo, naja, das Museum sagt dir schon, wo die Grenze ist. Im allerersten Raum eines österreichischen Museums bin ich keine drei Minuten da meldet sich der Wärter und ruft lautstark eine russische Touristin vom Exponat zurück. Achtung! oder Vorsicht!, auf jeden Fall ein gewisses Heda! Und zweimal muss er walten, weil sie sich nicht angesprochen fühlt. Zugegeben, sie hat das Bild einer gründlichen Betrachtung unterzogen und da war wohl ein Finger, der ein Detail hervorgehoben hat. Aber von da, wo ich gestanden bin, hätte ich nicht gesehen, dass da eine Berührung im Spiel gewesen ist. Aber das dürfte der werte Herr Ausstellungsraumsbeschützer auch nicht gesehen haben. So bekomme ich in den ersten fünf Minuten gleich einmal vorgeführt, dass im Wiener Museum (wie im Kaffeehaus), Gäste eher aus einer gewissen Gnade zugelassen werden.

Die Albertina überrascht mit viel Text. Auf den ich im Folgenden mit viel Text reagiere…

(Und der Gnade des langwierigen Überarbeitungsprozesses verdanke ich die Erinnerung an eine Ausstellung in Japan, wo man sozusagen ganz und gar durch das Exponat waten musste, da waren Bälle und Nebelschwaden und Regale und alles zusammengewürfelt. Bin ich auch zurechtgewiesen worden, weil ich mich ein bisschen zu sehr an der Kunst beteiligt hab. Fand ich auch doof.)

Worüber ich dann auch überrascht bin, ist wie viel Text sich die KuratorInnen haben einfallen lassen, um von den Bildern abzulenken. Ha! Nein, das ist natürlich eine Übertreibung, das wird sicherlich nicht im Sinne der AutorInnen gewesen sein. Aber ganz ehrlich, ab dem fünften, sechsten Raum, bin ich tatsächlich mehr mit Lesen beschäftigt. Zuerst bin ich fasziniert von der Betonung des Österreichbezugs der KünstlerInnen. Nach dem dritten, vierten Text, der Österreich als Geburtsland, als Ausbildungsland, als Arbeitsland oder als Urlaubsland, in dem sich die KünstlerIn für zwei Wochen vor der einer mehr oder weniger produktiven Phase ihres Schaffens aufgehalten hat, verliere ich mich mehr und mehr in den Texten. Natürlich ist das nicht ganz fair, mich darüber derart zu amüsieren, ich vermute ja hinter den teilweise übertrieben hochgestochenen Formulierungen ja auch nur die eine oder anderen Unsicherheit, die dort zu verstecken versucht wurde. Ich weiß nicht, welchen Stellenwert diese Texte bekommen, wer die schreibt und mit welchem Auftrag. Und nicht einmal wirklich mit welchem Ziel – worüber vielleicht als erstes Klarheit zu schaffen wäre. Was es vielleicht auch schwieriger macht… ich frage mich, wie viel Feedback die AutorInnen für ihre Texte überhaupt bekommen, weil eigentlich geht s natürlich um die Werke. Ob sich nicht die ganze Textgattung derart ein bisschen verselbstständigt.

Eine e relativ normale Biografie zum Anfangen. Aber man kann sich schon die eine oder andere Frage stellen. Einerseits von der Satzstruktur her: warum diese Nebenherformulierung „der in Österreich geborene“? Und wo hat der Herr Schmalix vor 1987 gearbeitet, nachdem er sich 1983 schon neuen Motiven zuwendet? Wer sind Herbert und Hubert?

Jetzt war ich in den Tagen darauf einen Sprung im Leopoldmuseum und da war letztlich auch viel Text. Und wie haben die das dort jetzt geschafft, dass die dort weniger aufdringlich herübergekommen sind? Pass auf, ich glaube, das ist eine technische Frage. Die haben dort normal die großen Einführungstexte genauso gestaltet, wie auch in der Albertina: links ist Englisch, rechts ist Deutsch und dann hat man einen Meter Text an der Wand. Aber für die einzelnen Bilder gab s die Informationen auf kleinen Taferln, die neben einigen Werken angebracht waren. In der Albertina haben sie aber auch neben den Objekten diese Klebebuchstaben verwendet. Und während ich das ja überhaupt für eine ziemlich affektierte Methode zur Affichierung halte, müssen die aber wohl auch eine gewisse Größe haben. Jetzt kann man die dadurch auch aus zwei Meter Entfernung fast noch zu lesen und damit verhält sich der Text so bisschen aufdringlich gegenüber der im Idealfall in der inneren Versenkung befindlichen BetrachterIn. Ich hab ja die Brille auf. Und dann lenkt das tatsächlich ein bisserl vom Bild ab.

Vor diesem erste Satz, mit dem die Frau Krystufek hier beschrieben wird, bin ich mehrere Minuten gestanden: Sie ist eine Vertreterin von etwas, das selbstverständlich ist? Außerdem kann man den zweiten Absatz auch zur Illustration einer weiteren irritierenden Technik heranziehen, dass nämlich die LeserIn über sich selbst liest, wie sie sich in der Betrachtung der Werke erlebt.

Aber eigentlich fallen mir die kuriosen Formulierungen und der wichtigtuerische Stil auf. Nicht zuletzt, weil ich das ja auch von mir kenne, dass ich mich hinter Formulierungen verstecke, weil die eine Interpretation vielleicht ein bisschen wackelig daherkommt oder das andere Zitat ein bisschen aus dem Kontext gerissen ist und der Text die vielen dahergeredeten Wattebäusche benötigt, damit es im Karton nicht zu rappeln beginnt, wenn ihn jemand ein bisschen zu schütteln beginnt. Ein Schelm… Aber es ist halt schon so, dass man vielleicht ein Auge dafür, gerade die eigenen Unzulänglichkeiten in anderen etwas deutlicher zu erkennen. Und wie auch ich mich im Zweifelsfall immer wieder einmal gefragt habe, ob es denn den Text wirklich brauche, so würde ich den AutorInnen jener Wandtexte diesen Gedanken ebenfalls vorsichtig ins Blickfeld schieben. Weil nicht nur, dass von den vielen verschiedenen KünstlerInnen, die oft mit zwei, drei Werken ausgestellt werden, jeweils diese österreichfixierten Kurzbiografien an die Wand geklebt sind, wird in den Texten zu den einzelnen Bildern tatsächlich oft einmal beschrieben, was auf dem jeweiligen Bild zu sehen ist. It’s right there, mate! Noch dazu, wenn dann im Text beschrieben wird, wie „[a]uf Hitlers Kopf […] der Aktionskünstler Nam June Pail eine Gitarre [zertrümmert]“ (Jörg Immendorff 2006, Ohne Titel) und am Bild ist unverkennbar eine Geige zu sehen. Oder eine Viola. (Also nicht unverkennbar.)

Ich bin ja schon ein bisschen bekannt dafür, dass ich mich vielleicht nicht super-easy auf etwas festlege. Aber hier wird nicht nur einfach festgestellt, dass die „politische Aussage von Kunst“ in Deutschland wichtiger sei, als anderswo in Europa – was ich natürlich schon einmal hinterfragen möchte. Und dann macht das das Immendorf’sche Œvre auch noch deutlich, nicht schlecht. Deutlich macht hingegen der zweite Absatz, dass man die „Weltprobleme“ doch am liebsten in der eigenen Ecke feststellt. Ob man mit der gleichen Vehemenz jene für unbegreiflich halten würde, die globale Brisanz nicht kapieren, die jeweils in der Trennung Koreas, in der indonesischen Palmölindustrie oder im langsamen Tod des Great Barrier Reef liegen?

Man könnte jetzt sagen, eigentlich war ich ja wegen der Sammlung Batliner dort. „Den ImpressionistInnen“, wie ich jetzt immer gesagt hab, wenn mir der Name Batliner nicht eingefallen ist. Aber mir ist dann fast schon ein bisschen die Geduld und der Rücken und das viele Stehen… und ich hatte noch einen Termin, an den ich mich jetzt anstelle des Namens Batliner nicht erinnern kann. Und das war auch noch ganz nett, weil da ein Masterstudent mit einem Fragebogen gestanden ist. Das war interessant, weil er hat ein bisschen was vorher-nachher erhoben, wo er mich, bevor ich reingegangen bin, gefragt hat, wie viel ich positive Gefühle habe und wie viel ich negative Gefühle habe und wie emotional ich erregt bin. Und das hab ich gleich spannend gefunden, dass man das so, auf drei Skalen erhebt anstatt auf einer. Es hat sich auch gleich erprobt, weil ich durchaus ein bisschen negativ aufgelegt war, nachdem ich zwei Stunden lang Bilderbeschreibungstexte kritisiert hab. Das macht die Seele nicht schöner, ganz ehrlich. Zumindest nicht, wenn man nicht darüber redet und sich doch ein bisschen als jemand sieht, der mit einer gewissen Freude auf die Fehltritten anderer… Ja. Aber ich war nicht grauslich im Kopf oder bitter im Herzen, bloß ein bisschen kleingeistig zwischen den Augenblicken: Drei von sieben. Und positiv war ich ja viel mehr, mindestens fünf von sieben. Emotionale Erregung hab ich mir wahrscheinlich vier gegeben. Aber das ist eine schwierige Frage, die vielleicht ein bisschen eine Pilotierung vertragen hätte. Einerseits ist das natürlich so, dass ich mich zwar oft einmal frag, wie s mir so geht und dann vielleicht auch meine positive Stimmung und meine negative Stimmung nebeneinander stellen kann, aber ich merk, ich frag mich zu selten, wie s mit meiner emotionalen Erregung ausschaut. Und andererseits bin auch ich nicht gegen soziale Erwünschtheit gefeit und wenn ich weiß, dass ich da vorher-nachher gefragt werde, bevor ich zu den ImpressionistInnen hineingehe, dann muss ich mir Platz nach oben lassen. Das würde ich sagen, wenn ich da ein bisschen eine Kritik an der Methode anbringen wollen würde: Wenn ich vor dem Raum abgefangen werde und nur gesagt bekomme, dass es diese Erhebung gibt und wenn ich bereit wäre mitzumachen, er sei übrigens Masterstudent von der Kunstuni, ob ich dann nach dem Raum gleich nochmal rauskommen würde, ich könne mir so viel Zeit lassen, wie ich will, aber ob ich dann gleich nochmal rauskommen würde, weil er habe zweieinhalb Seiten Fragebogen für mich, sei gleich erledigt, ja?, super, vielen Dank, total lieb von mir, und er wünsche mir einen schönen Kunstgenuss. Und dann einen zweieinhalbseitigen Fragebogen gibt, der mich am Anfang fragt, ob sich meine positive Stimmung, meine negative Stimmung und meine emotionale Erregung in dem Raum nach oben oder nach unten entwickelt hätten – ich glaube, mit den Antworten wäre mehr anzufangen. Weil natürlich sagt man, lieber keine Erinnerungsfragen und schon gar nicht nach Befinden, das würde ich auch nicht unbedingt machen. Auf der anderen Seite aber eben halt soziale Erwünschtheit und nach einer Viertelstunde die gleichen Fragen und dass das vorher schon absehbar und sicherlich nicht nur für mich, weil ich mein, immerhin, das hab ich schon gelernt, aber trotzdem. Abgesehen davon, dass der Typ wirklich sehr nett war und wahrscheinlich meine positive Stimmung um einen Punkt hochgehoben hat. Oder zumindest, im Zweifelsfall hätte ich aufgerundet.

Eins noch: Öde Behauptungen in langweiligen Hauptsatzaneinanderreihungen und ein fulminantes Finale in einer der erzwungensten Österreichreferenzen: Sein Bildtitel A.E.I.O.U. erinnert vielleicht an den österreichischen Imperialismus, aber Absicht wagt der Text Anselm Kiefer dann doch nicht zu unterstellen.

Was mir noch gut gefallen hat, war, dass sie Geschlecht und Alter einfach mit offenen Fragen abgefragt haben. Weil das ist ja auch so ein Ding, das manchmal nicht so leicht ist, heutzutage, dass man in seinem Fragebogen sagt, Geschlecht: eins, zwei… Aber braucht s nicht langsam mehr als zwei Antwortmöglichkeiten? Weil man darf jetzt nicht vergessen, es gibt da auch eine gewisse moralische Dings, also, nicht, dass es nur darum geht, dass man dann auswerten kann, a-ha, die, die sich als andere klassifizieren, die zeigen eine Korrelation mit diesem oder jenem Verhalten und/oder Einstellungen. Sondern auch, dass man seinen freiwilligen Ausfüllenden nicht noch hinschmeißt, dass man an einem mitunter zentralen Aspekt ihrer Identität eigentlich nur soweit interessiert ist, als er sich in eine von zwei Kategorien pressen lässt, die man sich dafür überlegt hat. Jetzt hab ich das elegant gefunden, dass sie das halt offen gefragt haben. So viele werden die da nicht erheben, hab ich mir parallel dazu gedacht, weil ich natürlich daran gedacht hab, dass das manuell in den Datensatz Eingang finden muss. Elegant fand ich aber auch, dass es nicht einmal einen Hinweis zum Datenschutz gegeben hat, insbesondere, weil ich unten noch meine Emailadresse draufgeschrieben hab. Nicht dem Masterstudenten, sondern da war ein Feld dafür, für eine Folgeerhebung.

Die detaillierte Erhebung des sexuellen Spektrums der TeilnehmerInnen ist auch nicht immer im Sinne der Befragung. Aber ich würde das zum Beispiel schon einmal im Mikrozensus mitlaufen lassen.

Na und dann hab ich mir noch ein bisschen die ImpressionistInnen angeschaut. Hat mir gut gefallen, hat mich emotional noch ein bisschen erregt, zumindest am Papier. Irgendwann war dann eben, dass ich mir gedacht habe, ich bin jetzt eigentlich schon wieder genug gestanden (und ich kann ja jederzeit wiederkommen), ich schenk mir jetzt dem Dürer seine Drucke und selbst den Picasso werd ich jetzt nicht mehr näher studieren. Dann bin ich aber doch noch vor der Eingeschlafenen Trinkerin stehengeblieben und hab überlegt, ob ich der nicht im Sommer in Hiroshima gegenübergestanden bin. War sie nicht, aber für einen Moment ist diese Trinkerin trotzdem eine Leine in etwas hinein oder aus etwas hinaus gewesen. We’ll always have…, mon amour.