Beim James Acaster waren sicher tausend Leute. Im Internet steht, dass die Veranstaltungshalle bis zu über zweitausend Leuten Platz bietet, je nach Bestuhlung. Das ist schon viel. Dass man von der Comedy reich werden kann hätte sie sich nicht gedacht, sagt die V. in meiner Begleitung. Wird der James auch nicht, glaub ich. Der spielt fünf mal vor den zweitausend Leuten in Melbourne und dann geht er wieder zurück und macht seine Runden in Großbritannien. Und auch für Mock the Week kriegt man keine Millionen.
Aber gut war er, das Programm für mich ein bisschen überraschend, weil erstens flucht er jetzt, wie der Eröffnungsgag zeigt, zweitens bekommen wir nicht die elaborierten Wortspielereien und die Metaebene von Bringing-an-Apple-to-an-Orchyard Routine sondern ziemlich privates, ziemlich schmerzhaftes, ziemlich persönliches über vergangene Beziehungen, einen unsensiblen Agenten und eine irritierende Psychotherapeutin. Er kriegt das ganz gut hin, find ich, das distanziert zu erzählen und nicht in die Falle des beleidigten Mannes, der sich darüber aufregt, dass die Welt nicht so läuft, wie er sich das vorstellt, tappt. Das war schon ganz ok. Und letztlich auch ein gutes Anschauungsbeispiel um V. darzustellen, was ich an der britischen Comedy so schätze bzw. warum das ein bisschen ein Sehnsuchtsort für mich ist: Weil ich dort so viele Leute sehe, die es schaffen, ihre psychischen Probleme auszudrücken, darzustellen und in gewisser Weise zu überwinden. Zumindest so weit, dass sie darüber öffentlich sprechen können. Und das ist ja immer schon was: Sich öffentlich hinzustellen und eine Wahrheit zu sagen, eine Empfindung auszudrücken, einen Standpunkt einzunehmen und sich definieren, als diese bisschen verbogene Person, als die man sich vielleicht wahrnimmt. Und zusätzlich noch ein Geschäft zu machen.
Da war die Fern Brady nicht viel anders, für die ich mir am letzten Tag des Festivals noch schnell eine Karte gekauft hab. Damit hab ich zwar nur europäische Comedians gesehen, aber ich war zumindest noch ein bei einer Frau. Von den Männer hat übrigens jeder einzelne zumindest eine Bemerkung über ihr jeweiliges privilege gemacht, über den Fakt, dass sie hier als weiße, middle-classed Männer auftreten. Und Melbourne ist da sehr sensibel, sie haben bspw. den Barry Humphrey Preis für das beste Programm umbenannt, nachdem der namengebende Barry, der seinerzeit die Gründung des Comedy Festivals maßgeblich unterstützt hat, seine Meinung zu Transgender ausgedrückt hat, die das Comedy Festival, bei dem gerade Cassie Workman, eine Transgenderperson, für den eben den Preis nominiert wurde, nicht unterstützen wollte.
Bei Fern Brady waren knapp hundertfünfzig Leute, aber es war ausverkauft. Es war auch das Programm, das am ehesten Stand-Up war. Weil sie stand halt da vorne und das Publikum saß vor ihr es war übersichtlich genug, dass sie immer wieder auf Reaktionen aus dem Publikum reagiert hat. Das Publikum direkt ansprechen, das hat sie sich auch nicht gegeben, aber das hat sie auch dazugesagt, dass sie sich das nicht geben will. Weil auch die Fern stellt sich vorne hin und sagt, dass sie Ängste und Unsicherheiten hat und mit Menschen in der Regel überfordert ist. Aber dann sagt sie auch, dass sie es satt hat, die britische Höflichkeit und die katholische Gesprächsverweigerung ihrer Familie. Daraus ergeben sich natürlich diverse Kapriolen. Und dann redet sie viel über ihre Sexualität und das find ich schwierig, find ich als Comedy schwierig. Oft ist das dann billiger Tabubruchhumor und nicht so aufregend. Ganz so schlimm war das jetzt auch gar nicht, insgesamt hat sie auch dabei eine gute Interaktion mit dem Publikum gehabt. Man hat gemerkt, dass sie aufgeregt und auch einfach schon müde war, vom Festival oder was auch immer. Sie hat zum Beispiel das Telefon liegen gehabt, auf dem sie presumably die verstrichene Zeit gecheckt hat. Und manchmal hat sie sich ein bisschen verirrt in ihren Routinen. Und sie hatte da „weniger Professionalität“, wenn man so will, als die anderen, die ich gesehen hab. So hat sie das alles ins Programm eingebaut und das hat dem ganzen eine gute Lebendigkeit gegeben.
Der James Acaster hat übrigens den Preis für s beste Programm gewonnen. Und das find ich ok, auch aus meiner eigenen Auswahl. Ich hab den David O’Doherty zwar jetzt mindestens so gut gefunden wie den James, aber das Programm selbst war vom James Acaster wahrscheinlich das bessere. Es war stringenter und es war interessanter von der Balance aus Privatem und Öffentlichem. Ist das, frag ich mich natürlich, soll das ausschlaggebend sein in der Bewertung eines Comedyprogramms? Er hat auch Brexit nicht erwähnt, zumindest nicht wortwörtlich. Den David fand ich sympathischer von den beiden und seine Routinen, nicht zuletzt die Songs, liebevoller. Insgesamt hab ich s aber auf jeden Fall aufregend gefunden, wie viel los ist in Melbourne um das Festival herum und wie viele Leute sich dafür interessieren. Beneidenswert. Da werde ich s jetzt doch einmal auch nach Edinburgh müssen… Natürlich bedauer ich, keine AustralierInnen gesehen zu haben. Und überhaupt, nur die letzten vier Tage erlebt zu haben. Aber natürlich überwiegt die Freude, gesehen zu haben, was ich gesehen hab. Es ist ja normalerweise mehr eine virtuelle Begeisterung, wenn ich die Leute im Fernsehen und im Radio bekomme, da ist es schon eine besondere Freude die ich hier entwickeln kann. Wie gesagt, bisschen Sehnsuchtsort.