Na gut, let’s do this. Ich hab für Hiroshima jetzt ein paar Mal versucht das in Worte zu fassen. Vergleiche, die man nicht anstellen kann. Aber irgendwie steht man halt vor einem Kriegsverbrechen und denkt an die Kriegsverbrechen und vielmehr noch an die Verbrechen, die auch jenseits vom Krieg stattgefunden haben. Und eigentlich will ich ja doch nur die Erinnerungskultur vergleichen, aber irgendwie drängt da sofort die Schuldfrage mit hinein. Und so widmet sich auch Hiroshima dem Frieden und der Abschaffung von Atomwaffen.
Das ist gut gelungen. Und ich weiß nicht, ob das anderen Leuten auch so geht, aber ich finde der Museumsrundgang endet damit irgendwie positiv. Also nicht dass alles gut wäre, aber dass es etwas zu tun gibt. Und auch bei einem zweiten Punkt, weiß ich nicht, ob das nicht vielleicht mehr ich bin: Zuerst hab ich mich ein bisschen gewundert, dass Leute ihre Kinder mit ins Museum bringen. Und dann hab ich gesehen, dass – wie in jedem Museum – sich die Kinder für manche Sachen interessieren und für andere Sachen nicht interessieren und das passt dann schon. Und wenn Kinder dann vielleicht anfangen, zu spielen oder meinetwegen auch aus Hunger oder Langeweile zu weinen, weil sie vielleicht auch sogar noch Babies sind… Dann stört das nicht. Ich finde ja dass da schon einiges dazu gehört, dass Hiroshima so eine lebendige Stadt ist, in der Leute leben und ich glaube gerne leben. Eine Stadt, die ich nämlich auch als lebenswert kennengelernt hab. Und da sind die Geräusche der nächsten Generation ja etwas willkommenes, gegenüber dem Wahnsinn, der in dem Museum dokumentiert ist. Wie gesagt, vielleicht ist das auch eine Biologie, die mir das in den Sinn gesetzt hat.
Na gut. Auf jeden Fall bietet das Museum die Gelegenheit, ein bisschen eine andere Perspektive einzunehmen. Weil man sieht ja oft einmal so einen Atombombenpilz und ganz ehrlich: viel zu selten hab ich daran gedacht, was das für die Gegend unter diesem Pilz bedeutet. In einem Umkreis von zwei bis zweieinhalb Kilometern ist kaum ein Haus gestanden. Man kann sich das wirklich kaum vorstellen, aber wenn man die Luftaufnahmen der alliierten Aufklärungsflugzeuge sieht, dann muss man sich das nicht vorstellen. Und natürlich, selbst Überlebende müssen da in einem brennenden Chaos gelegen sein, in das von außerhalb wohl tagelang keine Rettungskräfte dazugekommen sind. Im Gegensatz zu Nagasaki ist die Atombombe in Hiroshima auch einfach mitten über der Stadt abgeworfen worden. Da war wohl eine Kaserne auch betroffen, aber halt auch ein Mädchenpensionat. Und dann komm ich natürlich ins Vergleichen, wie ein Blinder von der Farbe. Aber weil eine Atombombe halt doch einfach etwas anderes ist, rein qualitativ. Man muss sich das vorstellen, dass die Stadt ja nicht im Alarmzustand gewesen ist. Keine Warnung, niemand im Bunker, niemand in Deckung. Im Museum haben sie die Hand von einem gezeigt, der die aus dem Fenstern hat hängen lassen um 8:15 und wo einfach eine Linie ist, bis wohin die Finger verbrannt sind. Insgesamt fokussiert man sehr auf Einzelschicksale und das hat mich schon immer wieder zu Tränen gerührt, die Bilder zu sehen von Familien, von Schulklassen, von einzelnen Personen mit Hut und Schirm, Straßenszenen vom Tag davor. In dem Wissen, dass viele der Leute auf den Fotos nicht einmal einen Leichnam hinterlassen haben.
Man muss auch sehen, dass viele Leute nach den Dokumenten der atomaren Verwüstung, der Vorgeschichte, die danach ein bisschen aufgearbeitet ist oder sogar am Ende, wo dann noch die Nachgeschichte und wie danach die atomare Aufrüstung einfach vollkommen aus dem Ruder gelaufen ist, dass viele Leute dafür kaum noch Zeit haben. Auch in Hiroshima wird die Rolle Japans kaum hinterfragt. Dass das faschistische Japan nach Hiroshima – weil das hab ich mich schon gefragt – nicht reagiert hat und der Meinung gewesen ist, das lässt sich aussitzen, das hab ich anderswo nachgelesen. Und das ist wirklich ein harter Brocken. Auf der anderen Seite waren scheinbar schon zwei Atombomben geplant, weil das war ja waren ja auch zwei verschiedene Modelle, Uran in Hiroshima und Plutonium mit noch einmal eineinhalb so viel Sprengkraft in Nagasaki. Und die WissenschaftlerInnen waren auch sehr schnell vor Ort, die japanischen, aber dann auch die alliierten, um die Auswirkungen zu dokumentieren. Die Rolle der Wissenschaft in der ganzen Geschichte ist sicherlich noch ein bis zwei genauere Betrachtungen wert. Aber es war auf jeden Fall die Entscheidung einer Politik, auch der Sowjetunion, die sich in der Gestaltung des Nachkriegseuropas bereits deutlich als Widersacher der Alliierten abzeichnete, zu zeigen, wer hier die Fäden in der Hand hält. Und eine bedingungslose Kapitulation Japans hätte man wohl auch erwartet und deshalb auch keinerlei Ankündigung des atomaren Angriffs gemacht.
Und dann leitet das Museum eben über auf die Hintergründe der Atomwaffenentwicklung, auf das Rennen, das sofort anschließend ausgebrochen ist, Wasserstoffbomben, Interkontinentalraketen, Indien, Pakistan, Nordkorea und die Drohung strategischer Atomwaffen im Handkoffer. Und die mal mehr mal weniger bemühten Versuche, auf beiden Seiten ein bisschen runter zu kommen. Ein amerikanischer Tourist hat hinter mir vom Erfolg der Drohung der gegenseitigen Vernichtung, naja, geschwärmt ist vielleicht ein bisschen übertrieben. Und vielleicht ist da was dran, dass der Wahnsinn für eine relativ friedliche zweite Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts gesorgt hat. Auf jeden Fall muss man schon um die halbe Welt fliegen, um daran erinnert zu werden, dass die Weiterentwicklung und -verbreitung von Atomwaffen, dass die Bemühungen Nordkoreas und des Irans in diese Richtung keinesfalls Ausreißer in einem stabilen System sind sondern die lineare Fortsetzung eines Prozesses, der seit siebzig Jahren vor sich hin entwickelt.
Am schrägsten ist aber vielleicht, dass es in Hiroshima bis in die Fünfziger gedauert hat, bis das Gelände geräumt und wieder aufgebaut wurde, bis die Menschen, die an den Nachfolgen der Bombe gelitten haben, versorgt wurden, bis überhaupt die Forschung sich mit den Auswirkungen der Strahlung auf die Menschen ordentlich auseinandergesetzt hat. Und länger noch, bis sich eine Gesellschaft wieder in eine Normalität zurückgefunden hat.
Es ist wirklich schwierig zu verstehen, wie man hier damit umgegangen ist, einerseits der Aggressor in einem imperialistischen Krieg gewesen zu sein und andererseits das Opfer eines furchtbaren Gegenschlags geworden ist. Und ich kann das nur durch die Augen eines auf die Taten der imperialistischen Verbrecher fokussierten, humanistisch veranlagten Mitteleuropäers sehen. Und da fehlt mir einfach etwas. Aber vielleicht ist das auch das katholische Erbe, das mich zur Schuldfrage zieht. Ich halte den Aufruf für den Frieden, den Hiroshima und Nagasaki glaubhaft formulieren, für einen positiven Schluss aus der Erfahrung. Aber basiert das auf der Verdrängung der Verbrechen des imperialistischen Japans? Mir geht das Video nicht aus dem Kopf, in dem eine alte Frau erzählt und sagt, dass sie es nach wie vor bereut, dass Japan so zum Frieden gezwungen worden ist, aber dass sie heute dankbar für den Frieden ist, in dem ihre Kinder und Enkel aufgewachsen sind. Da steckt eine Ambivalenz drin, die ich aus den Untertiteln heraus nicht entschlüsseln konnte.
Aber auch in Hiroshima ist das Leben weitergegangen. Lass mich mit ein paar allgemeinen Bemerkungen ein bisschen Luft schnappen: Es ist eine schöne Stadt. Ich hab das in Fukuoka kurz gesehen, wo ich am Weg von Nagasaki nach Hiroshima einen kurzen Stopp eingelegt hab, wie schön japanische Städte in ein Flussdelta hineingelegt sind. Die Stadt ist so von mehren Flussarmen gekreuzt und verteilt sich quasi auf mehrere Inseln. Das ist wirklich schön, aber hat mir gar nicht zur Orientierung geholfen. Oft einmal hab ich mich auf der übernächsten Insel gewähnt und hab dann erst wieder mit dem Telefon meine Position herausfinden müssen. Weil es ist auch nicht klein. Eine Million wohnen in Hiroshima und ich hab natürlich nicht viel mehr als das Zentrum gesehen, aber vielleicht dadurch, dass diese Inseln existieren, kommt man doch schnell einmal in verschiedene Gegenden.
Und wenn man einen Ausflug macht, dann kann man schnell einmal mit dem Schiff auf Miyajima fahren, das ist so eine kleine vorgelagerte Insel, wo man relativ zahmen Rehen begegnet und dann gibt s natürlich wieder Tempel und Schreine und ein großes Tor, das im Wasser steht und vor lauter Berühmtheit gerade einer Renovierung unterzogen wird. Aber das macht nichts, weil wie ich dort angekommen bin, war das Licht gerade so gut, dass der blaue Himmel, die grünen Bäume und die roten Tempelanlagen an sich schon so gut ausgeschaut haben, dass ich den scheinbar auf dem Wasser schwimmenden Itsukushima Schrein gar nicht auch noch gebraucht hab.
Außerdem war ich müde, weil ich auf den Berg rauf bin. Ach, in der Anreise bin ich irgendwie derart in den TouristInnenstrom geraten, dass ich, wie ich von der Fähre runter bin, gleich einmal in die andere Richtung los bin und das war schon nett, weil da waren diese Rehe und dann war da ein bisschen ein Hügel und dann bin ich über kurz oder lang vor einem Schild gestanden, wo mir die lokalen Wanderwege aufgezeichnet waren und da hab ich gesehen, der geht auf den Berg, bin ich auf den Berg. Und ich war halt wirklich nicht gut ausgerüstet, mit meinem kleinen Wasserflascherl und der Müsliriegelabsenz in meiner Tasche. Zumindest war ich nicht in Sandalen, wie die, die mir da teilweise entgegengekommen sind. Also, hab ich mir gedacht, so schlimm wird s schon nicht sein. War s ja auch nicht, nur lang hat s trotzdem gedauert, bis ich da oben war. Und oben gab s ein Internet, aber kein Trinkwasser. So schlimm kann s mit mir nicht gestanden sein, weil bei dem einen Schrein unterhalb des Gipfels hätt s Wasser im Automaten gegeben, aber ich war nicht bereit, zweihundert Yen dafür zu zahlen. Das hat die Hälfte zu kosten! Dabei hab ich mich beim Runtergehen dann noch einmal verirrt, weil ich den gleichen Weg runter bin, den ich rauf bin und dann erst an der nächsten Kreuzung festgestellt hab, dass ich eigentlich auf der anderen Seite vom Berg runter wollte. Also zurück. Immerhin wird am Berg freundlich gegrüßt und mein Konichiwa kam fast mit Selbstsicherheit. Bis ich dann am Abstieg einen Herren dergestalt gegrüßt hab und der mir ein akzentfreies Hello entgegnet hat und ich mir gedacht hab, o-em-dschie, hab ich da gerade einen Touristen auf Japanisch begrüßt. Ich bin da ja schon ein bisschen sensibel mit dem ganzen Ding. Mit den Begrüßungsformeln. Weißt, weil irgendwie geht man als von Gott abgewandte ÖsterreicherIn ja durch die Phase, wo man sich denkt, das ganze Grüß Gott ist doch eigentlich ein Unsinn und dann hab ich drauf geschaut, mir das aus dem Sprachgebrauch rauszuholen. Und wenn mir jetzt am Berg einer ein Grüß Gott sagt, dann denk ich mir womöglich, dass da jemand eine Phrase gelernt hat, die für mich ein bisschen ideologisch aufgeladen ist und das weiß die wahrscheinlich gar nicht, weil sie, nachdem sie beim Aufstieg dreimal so begrüßt worden ist, das jetzt einfach verwendet. Und so frag ich mich natürlich, wie kontextabhängig sind meine Begrüßungsformeln.
In meinem Lokal, das ich mir in Hiroshima gefunden hab, hat die Gastgeberin einen Gast einmal mit einem Oyasuminasai! verabschiedet. Und das weiß ich noch von früher, dass ist Gute Nacht. Aber natürlich hab ich mich nie des Abends aus einem Geschäft oder Lokal mit so einer familiären Formel verabschiedet. Und anderswo hab ich dann vom Hostelstaff ein Ohaio! bekommen. Und das, weiß ich aus meinem Duolingo heißt Guten Morgen. Aber ist das vielleicht auch eher was, was man seiner PartnerIn ins Ohr flüstert als seiner KasernenkommandantIn entgegenruft?
Oh ja, ich hab ein Lokal in Hiroshima gefunden. Das war das mit dem Fritz-San (siehe Folge so-und-so). Das war wirklich nett. Weil ich bin da hin, an meinem ersten Abend. Oft einmal, wenn ich spät ankomm, dann lass ich s dabei und verzichte auf mein Abendessen. Aber ich hatte da irgendwie Lust, nochmal raus und das hat vielleicht damit zu tun, dass in meinem Schlafsaal achtzehn Betten gestanden sind. Gut, nein, ganz so kann man sich das nicht vorstellen. Das war so ein bisschen schon ein Kapselhotel, wo man seine fünf Wände hat und an einem Ende ist das durch einen Vorhang verschließbar und drinnen hab ich Licht und einen Rauchmelder und mein eigenes kleines Zuhause. Das ich mit meinen Rucksäcken geteilt hab, aber es war trotzdem ok Platz. Man soll ein bisschen auf seine Verdauung schauen, weil die Luftzirkulation nicht ganz top notch ist und ein schlechter Geruch bleibt da eine Zeit lang hängen. Wandersocken sind auch nicht ideal.
Also hab ich mein Telefon aufgeschlagen und hab dinner eingegeben und dann hab ich zwei, drei Sachen in der Umgebung angeschaut, beschlossen, dass ich meinem Udongusto gerne nachgeben möchte und hab mich auf den Weg gemacht. Dann bin ich ins Lokal und hab mit meinem Zeigefinger gesagt, dass ich eine Person bin. Da hat mir die Gastgeberin einen Platz an der Theke zugewiesen, neben den bereits dort sitzenden Gästen. Und bevor sie das getan hat, hat sie kurz überlegt. Und während sie das getan hat, hat sie ein Gesicht gemacht, wie man macht, wenn man jemandem das Gefühl vermitteln möchte, dass man keine Verantwortung darüber übernimmt, wie gut die andere das findet, dort zu sitzen. Aber freundlich. So: Das ist der Platz den ich hab, aber ich weiß, dass das nicht der beste Platz ist. Hm, immer noch nicht ganz. Hier kann jetzt alles passieren. Auch nicht wirklich. Schau mal, was passiert, wenn du dich hier hinsetzt.
Turns out dass die drei neben mir Stammgäste sind und der neben mir hat heute Geburtstag. Warum der, der Geburtstag hat, nicht in der Mitte gesessen ist, hab ich mich nachher mal gefragt. Na ja, weil sonst nicht mehr viel los war, sind wir schnell einmal ins Gespräch gekommen und die Gastgeberin hat mich schnell einmal bei den Runden mitinkludiert. Da gab s zum Beispiel eine gebratene Wurst als Spezialität. Das hab ich nicht ganz verstanden, wie das eine Spezialität ist, eine Scheibe Knacker in der Pfanne gebraten. Aber die Wurst hatte die Form einer Blume, also vielleicht doch was besonderes. Und dann hat sie gesagt, es tät ihr leid, aber sie hätte jetzt vergessen, wollte ich meine Udon warm oder kalt. Und dann hat sie mir meiner Antwort zum Trotz warme und kalte Udon gebracht und ich hatte vorher schon Sashimi und Tempura. Das war so als Abendmenü angeboten und da hat sie nicht gelogen: Das war ein guter Deal. Und dann hat mir das Geburtstagskind einen Sake eingeschenkt und ich hab ihm scherzhaft zum Fünfundzwanzigsten gratuliert und dann waren wir eigentlich alle schon FreundInnen.
Da bin ich dann am nächsten Abend wieder hin, weil ich hab einerseits gewusst, dass ich kalte Udon jetzt lieber hab und zweitens war s halt wirklich ein guter Deal mit dem Menü. Da waren die Stammgäste dann aber gar nicht da oder war s schon so spät, dass die halt nicht mehr da waren. Weil man kann auch nicht jeden Abend Geburtstag feiern und am nächsten Tag wieder brav helles Hemd mit dunkler Hose tragen. Aber ich hab mich ein bisschen mit den zweien hinter der Theke unterhalten und dann kamen zwei Herren herein, die sich über das Ergebnis des gerade zu Ende gegangenen Baseballmatches gefreut haben, auf ein kleines Bier und eine Schale Udon und die haben sich dann ihr weniges Englisch mit großen Enthusiasmus kompensiert und mir gerne auf die Schulter geklopft, mein braves Udonessen bejubelt und mir zum Abschied einen Fächer geschenkt. Und zwischendurch ist die ganze Fritz-San Geschichte passiert und es war dann fast ein bisschen traurig, mich da zu verabschieden.