Bastille Day

Es geht so schnell, dass ich dann zum Schreiben aufgelegt bin. Ich muss nur in einem überhitzten Hotelzimmer liegen, den Blick auf generisch gestaltete Wände und schon habe ich das Gefühl, etwas zu erzählen zu haben. Oder zumindest nichts besseres zu tun als mir virtuelle Ansprache zu schaffen.

Das Leben ist schwer, stelle ich fest, als ich mich im Spiegel sehe. Die Unzufriedenheit hat sich an mir festgesetzt und zeigt sich. Die Unzufriedenheit ist halt doch ein Gesundheitsfaktor und wenn man sich nicht so genau festlegen möchte, wer man ist, dann bleibt vielleicht auch der Körper nur ungefähr in der Form. Warum, habe ich mich im Flugzeug gefragt und im Bus erinnert, warum stütze ich mich so gerne mit dem Bein an etwas gegenüber ab, im Sitzen. Um mich gerade zu halten, nämlich. Ist es, dass mein Core doch nicht so fit ist, wie ich mich über die Schwäche meiner Schulter- und Oberarmmuskulatur hinwegtröste? Dass ich kaum eine Stunde aufrecht sitzen kann?

(Es bleibt rhetorisch.)

Mah! Reisen. Man könnte sagen, es sei mir abgegangen. Das Warten und das Dem-Warten-Gegenüber-Gleichültigkeit-Zeigen, denn ich habe Zeit, ich habe nichts vor. Aber auch das Neugierig-Sein und das Die-Welt-Hereinlassen. Ich denk mir dann: das entspricht mir gut, da fühl ich mich wohl damit, dass ich nicht wissen muss, wie s geht. Dass ich mich mit einem gewissen Enthusiasmus ans Herausfinden mache. Ich komm dann so schnell ins Plaudern, ins Mir-Erzählen-Lassen. Es ist fast seltsam, wie ich aus der Situation heraus plötzlich einfach nur sein kann und wissen wollen darf.

Im Ausland sind auch die Alpen plötzlich fast zauberhaft

Ach ja, auch das ist schwierig. Dass ich mir dann einen neuen Rucksack kaufe, den ich, bei näherer Betrachtung, nicht gebraucht hätte, weil da liegt auch einer mit 40l herum, oben, hinten, hinter den anderen Rucksäcken. Ich hab zu viele Rucksäcke. Wenn ich nicht Schuhe auch gekauft hätte, hätte ich jetzt mehr Rucksäcke als Schuhe. Na gut: als Paar Schuhe. Und vielleicht ist es das einfachste, nicht darüber nachzudenken, dass es problematisch erst dadurch wird, dass ich mir denke, ich sollte vielleicht anders oder ich stopf mir die Wohnung voll mit Dingen, denen ich eine Bedeutung zuschreibe, über ihren Nutzen hinaus. Aber vielleicht bin ich wirklich auch unterbeschäftigt, was ich dann in erster Linie schade fände, dass ich mich nicht zu beschäftigen…

Die Arbeit bis zehn Minuten vor dem Aufbruch grad noch so sagen-wir-mal-erledigt und dann raus bei der Tür. Ich hab einen kleinen Obstsalat im Kühlschrank stehen lassen, aber sonst lief alles prima. Gut die Schnellbahn erwischt, schon am Flughafen mit der Business-Class-Wegweiserin getratscht. Dann meinen Rucksack umgepackt, weil ich festgestellt habe, dass mein Gepäck durchgecheckt wird. Also: ich krieg s in Genf nicht raus. Zahnbürste und some Unterwäsche aus dem Rucksack gefischt und in meinen Hippiebeutel getan. Ist kein Hippiebeutel, ist mehr ein Bobosack. Aber da steckt jetzt alles drin, vom Notebook bis zur… naja. Bis zum E-Book. Es ist jetzt nicht so viel, zugegeben. Aber wenn ich was gesucht hab, hab ich s nicht gefunden, so viel dann doch.

Na und dann lag ich in der Hitze auf dem Bett mit seiner Polyesterdecke. Es ist schon lustig, wie man dann doch spürt, wenn man beim Hotel spart. Ich mein, ja. Das ist schon wild. Und immer noch 40 Euro. Mit Klo am Gang irgendwo und keinen Handtüchern. Aber zum Glück ist es so heiß, dass ich kaum zurück in meinem Zimmer angekommen bin, dass ich auch schon wieder getrocknet und wieder verschwitzt war.

Schlafzimmergestaltung

Look, warum ich dann nicht runtergegangen bin und mir ein Handtuch an der Rezeption bestellt hab, das kann ich jetzt auch nicht genau sagen. Ich nehm an, es hat was damit zu tun, dass ich das Gefühl habe, Geld zu sparen, wenn ich nicht vier Euro für eine Handtuchmiete ausgebe. Aber zwischendurch einen neuen Rucksack kaufen.

Nein, das spannende ist ja mehr die Motivation. So wie das hier. Dass ich kaum aus dem Haus bin, kaum meine Verpflichtungen hinter mir gelassen habe und schon so sehr das Bedürfnis habe, zu schreiben. Ja, weil: das Bedürfnis. Sofort habe ich das Gefühl, dass hier etwas beginnt, über das ich nachdenken muss, Begegnungen, die wichtig sind. Die – auch – mir gehören. Und das ist irgendwie anders, wenn ich daheim bin. Daheim ist ein Tag der andere, die Zeit vergeht, aber ich habe eigentlich keine Maßstäbe. Zuletzt habe ich angefangen zu bereuen, dass ich keine Karriere habe. Bisher war s immer die Partnerschaft, dann einmal die Familie, die ich nicht habe, nach der ich mich gesehnt habe. Und jetzt beginnt das Gefühl, dass ich zumindest Karriere hätte machen können in den letzten 10 Jahren. Dabei ist das interessant, weil ich ja eher unzufrieden bin damit, wie mich die Arbeit auf manchen Ebenen überfordert, auf anderen unterfordert.

Und ja, es war dann Bastille Tag. Und ich hab mir noch gedacht, was für viel los hier in dem kleinen Städtchen gegenüber vom Genfer Flughafen, zu dem man trotzdem eine halbe Stunde braucht. So viele Leute unterwegs und fröhliches Zusammenkommen. An einem Donnerstag. Nicht schlecht. Turns out: Jour de la bastille. Irgendwie erwischt einen dann doch oft irgendwoher der Zufall bei sowas!

Aber es ging ja doch an mir vorbei. Außer dass ein bisschen Feuerwerk, aber ich saß im Zimmer mit Blick auf den Flughafen und das Feuerwerk war auf der anderen Seite, in Frankreich, und für mich unsichtbar. Aber ich war kurz ein Essen essen, beim lokalen Thai-Laden. War ok, aber ich war auch einfach froh um was zu essen. Mit einer Selbstverständlichkeit habe ich mir meine crevettes bestellt, als sie mich nach meinem Proteinwunsch gefragt hat. Dabei war ich eh geschmeichelt, dass sie mich auf Französisch zuerst gefragt hat, ob ich denn vorbestellt hätte, vielleicht war s das. Weil im Flugzeug wiederum hab ich mich noch… naja, hat mich die eine Flugbegleiterin so eindeutig als Österreicher begrüßt. Natürlich kann das ein Zufall gewesen sein, weil sie einfach durch ihre Hellos, Good Afternoons und Griasdis rotiert und man kriegt halt, was grad kommt. Aber ich war trotzdem persönlich betroffen durch diese Identifikation.

Jetzt aber los, next Stop: Sao Miguel

Aber so ist das. Das Leben ist schwer und die Hälfte der Zeit erkenn ich mich als wer, der ich ungern bin. Jetzt: lieber anerkennen, was man vermeindlicherweise ist? Oder den Widerspruch steigern um das, was man sein möchte.

Frisches Brot

Nachdem ich die letzten zwei Wochen mein Gereise mit FreundInnen geteilt habe, hat mich ein bisschen ins Hinterher gebracht. Es ist nett, die Zeit nicht allein zu verbringen, jemanden zum Plaudern und Reflektieren zu haben, da brauch ich vielleicht auch weniger das Hinsetzen-und-drüber-Nachdenken. Und auch beim Spazierengehen ist mir dann eher ein aktuelles Gespräch im Kopf (und im Mund), als dass mich so ein fremdes Land einfach voll trifft. Und dann brauch ich vielleicht jetzt sogar im Gegenteil ein bisschen wieder das Reinkommen-ins-Hinsetzen-und-drüber-Nachdenken. Außerdem bin ich zuletzt von Korea auf die Philippinen geflogen und ich muss sagen, dass mich das Wetter ein bisschen mitnimmt. Herhaut. Es ist so heiß, wurscht ob tags oder nachts, es ist einfach zu warm. Und natürlich schwül und drückend. Wieder einmal fällt mein Widerstand gegen Klimaanlagenbenutzung innerhalb weniger Stunden.

Heiß genug, dass ich mein Kapperl wieder aufhabe

Und nicht zuletzt natürlich der Kulturschock wieder einmal. Wobei ich gar nicht weiß, ob das das richtige Wort ist. Was ist das richtige Wort dafür, wenn man über Nacht in einem Land ankommt, wo einem bei jedem Augenaufschlagen das globale ökonomische Ungleichgewicht in den Schoß tritt? Es ist nämlich schon ein bisschen wild hier. Mein erstes Erlebnis diesbezüglich war, als ich gestern die Straße entlangspaziert bin, dass ein Bub aus einer mir entgegenkommenden Kindergruppe ausschert und ich seinen Zuruf als Good Morning! verstehe. Die PhilippinInnen scheinen ihr Good Morning! zu lieben, als ich um halb zwei in der Früh aus dem Flughafen gestiegen bin, haben sie mir alle ein Good Morning! zugerufen, während ich gedacht hab, meint s ihr das ironisch oder was soll das. Meinen sie nicht. Und auch nicht ironisch hat der Bub gemeint, als er mir mit ausgestreckter Hand mein Missverständnis auf Money! ausgebessert hat. Da muss man einfach durch. Natürlich hab ich zuerst einmal das Gefühl, dass alle meine Interaktionen mit Einheimischen vom Geld geprägt sind. Wenn man mich im Hotel fragt, was meine Pläne sind, dann hat sie schon einen Plan für mich. Wenn mir die Männer aus dem Schatten einen Gruß zuwerfen und mich fragen, wohin mich meine Beine tragen, dann folgt kurz darauf ein Angebot zum Island Hopping oder eine andere lokale Version von Want to see the ruins, my friend? anbieten. (Ich denke, wie sich kürzlich herausgestellt hat, bei dem Filmtitel Arrival immer noch an The Arrival mit Charlie Sheen. Immerhin geht s in beiden um Außerirdische geht, die auf der Erde landen. Aber während der von 2016 ein guter Film ist, der auf einer empfehlenswerten Kurzgeschichte basiert, hält der Eindruck des zwanzig Jahre älteren vor allem, weil er diesen im formelastischen Lehm meiner jugendlichen Seele hinterlassen hat.)

Aber es geht. Ich muss das ein bisschen vergessen… nein, akzeptieren und darüber hinwegsehen. Und das hab ich ja noch aus Indonesien im Gehirngedächtnis. Das soll gar nicht so tautologisch klingen, ich mein so was wie das Körpergedächtnis, aber halt im Sinne von Geisteshaltung, in die ich leichter zurückfinde. Es ist allerdings fast ein bisschen schade, hab ich mir gestern noch gedacht, dass mein Eindruck von den Philippinen jetzt von diesem einen Ort geprägt wird und ich kann natürlich überhaupt nicht sagen, ob das überall so ist. Dass der Dreck und der Rost und der Sperrmüll so präsent sind. Dass neben der Straße Hähne und Ziegen zwischen dem Plastikmüll und den schlafenden Hunden herumstehen. Dass die Geschäfte schon wieder so viel Fertigessen in Kleinstverpackungen verkaufen. Das macht schon alles ein Bild, vor dem man als mülltrennende MitteleuropäerIn mit Sozialstaatsträumen ein bisschen verzweifeln kann. Aber dann bin ich heute an zwei Mädchen vorbeigegangen, die auf der – for lack of a better word – Terrasse gelegen sind, offensichtlich über ihre Hausübungen gebeugt, singend, miteinander blödelnd. Da hab ich gleich das Gefühl, da geht ja doch was in die richtige Richtung.

Natürlich find ich s unsinnig, dass eine Schule für sich Werbung machen müssen sollte. Das ganze System, in dem eine Schule für sich Werbung macht, ist ja schon hirnrissig. Allein die Idee! Aber: einerseits find ich s nicht schlecht, dass sich eine Schule Gedanken macht, was sie ihren Vorschulkindern beibringen will (oder was Eltern von ihnen erwarten, dass sie ihren Kindern beibringen) und zwotens natürlich ganz großartig, dass die Kinder am Ende in der Lage sein sollen, auf einer Bühne zu stehen und schauzuspielern.

Na und heute war ich dann schon eine Runde Tauchen, deshalb bin ich ja hier. Und da bin ich dann in einem Kontext, in dem ich mich ja eh schon der Rolle der GeldausgeberIn eingefunden hab und dann ist auch der Umgang entspannter. Natürlich ist ein Tauchgang für zwanzig Euro geschenkt. Aber dafür muss ich auch zu Fuß vom Strand ins Meer gehen. Unter Wasser sieht man auch, dass bis vor einigen Jahren hier ebenfalls der Sperrmüll entsorgt wurde und auffällige Rohre, die tief in die Lagune hineinführen. Allerdings ist allein an der hiesigen Tauchgeschäftdichte erkennbar, dass der Ozean mittlerweile als eine Ressource verstanden wird und das ist alles bereits ganz gut mit Algen überwachsen. Was gab s also besonderes? Nun, ein paar Schnecken hab ich gesehen und zwar sogenannte nudibranch oder dann auf deutsch mit ein wenig weniger mysteriöser Erotik: Nacktkiemer. Find ich gleich einmal sehr, sehr lässig. Ich hab ja nicht gewusst, nach was ich hier Ausschau halte, deshalb hat s ein bisschen gedauert, bis ich die Zeichen vom Tauchtypen verstanden hab, wenn er mich auf was aufmerksam machen wollte. War schon aufregend, in einem neuen Gewässer zu tauchen. Wenig überraschend war hingegen, dass die Kamera nach zwei Fotos den Geist aufgegeben hat, da dürfte einfach die Software abgestützt sein.

Und weil heute Sonntag war und ich auf den Philippinen bin, bin ich an einer rappelvollen Kirche vorbeigekommen. Da hab ich mich ein bisschen an den Eingang gestellt und ihnen ein wenig bei der Messe zugeschaut.

Oft ist man ja einmal mit der Situation konfrontiert, ob man jetzt noch das alte Brot aufessen soll, obwohl man gerade mit einem frischen Laib durch die Wohnungstür gestiegen ist. Natürlich ist das ein Problem für Gesellschaften, in denen Brot eine wichtige Rolle spielt und insofern schon einmal ein Gleichnis, dass für Ostasien relativ unpassend scheint. Ich hab nicht vor, zehn Tage Japan, fünf Tage Korea zu unterschlagen. Aber für jetzt erst einmal was aktuelles.