Ich bin auf der Suche nach Knoblauch. Es ist ein bisschen einfach, dass die Wochen grad zu kurz sind, also, die freien Wochen, in denen Zeit ist. Und außerdem ist der Frühling da, der Garten ruft nach Tatkraft und die Sonne spotlightet in die angeramschte Wohnung. Und zwischendurch hab ich mal… wie war die Reihenfolge? Ich glaub, ich hab der Pailin zugeschaut, wie sie Wasserspinat macht. Oder hab ich Wasserspinat gekauft und dann… ja, ich glaub, es war so rum. Ich hab im Geschäft einen Wasserspinat gekauft. Und ich mein, das ist nicht unlustig eigentlich, wenn man bedenkt, was ich heute für eine Tour für den Knoblauch gemacht hab, weil der aus Spanien war und ich hab einfach mal einen Wasserspinat gekauft, der wahrscheinlich aus Thailand gekommen ist. Oder halt aus der Gegend. Aber dazu komm ich ja grad noch.
Der Wasserspinat (Ipomoea aquatica) kommt in einer sehr langen Packung, also, er ist selbst auch sehr lang, was mich ein bisschen unter Druck gesetzt hat, weil sich mein Kühlschrank nicht eignet, um dort langes Gemüse aufzubewahren. Meine Stangensellerie steht üblicherweise im Flaschenregal, bis er nach drei, vier Tagen die Spannkraft verliert und sich auch in der Gemüselade einrollen lässt. Aber deswegen war ich quasi ein bisschen unter Zeitdruck, dass ich meinen Wasserspinat verwende. Mehr weil ich jedes Kühlschranköffnen mit einer Unordnung konfrontiert war, als dass es tatsächlich gestört hat, dass da quer durch ein Wasserspinat gesteckt hat. Und deshalb bin ich zur Pailin, die ist letztes Jahr meine Go-To-Köchin gewesen, wenn s um Thailändisches Essen gegangen ist. Aber ganz ehrlich, ich bin nicht sicher, ob ich letztes Jahr was von ihr gekocht hab. Ich hab auf jeden Fall ihre Reiskochvideos angeschaut und sie war sicherlich die Inspiration, mir letztes Jahr einen neuen Reiskocher zuzulegen. Aber jetzt hab ich mir gedacht, gute Gelegenheit, schau ich mal, ob sie was hat.
Ich hab dann noch zwei drei andere Videos geschaut, aber im Großen und Ganzen ist das Rezept bei allen das gleiche. Die Stücke, in die das Zeug geschnitten wird, sind die gleichen, Oystersauce, Sojasauce und thailändische fermentierte Sojabohnen die ich mit Miso und einem Schuss Essig kompensiere, bisschen Zucker, weißer Pfeffer. Deswegen bin ich dann nochmal ins Geschäft gegangen, weil ich jetzt dringend eine Austernsauce gebraucht hab. Kleine Flasche. Und dann kommt noch grob zerstoßen zwei Chilis und eine Handvoll Knoblauchzehen. Und wenn das beisammen ist, ist das ganze in weniger als fünf Minuten fertig. Und mehr denn je merkt man dabei auch, dass hier vorher alles beisammen sein muss, weil beim Kochen keine Zeit mehr für Rühren, Schneiden oder Stampfen ist. Und es ist so gut, dass es fast nicht wahr ist. Ich hab das in den paar Wochen Thailand nie gegessen, ich glaub, ich hab mich einfach an dem Namen Morning Glory ein bisschen gestört. Mit einem strengen Blick auf den Pubertierenden in mir, der ob der darin erspähten Metapher für eine frühmorgendliche Erektion gekichert hat, hab ich mir das ganze Gericht verboten. Ja, bisschen netterer Umgang mit mir selbst, aber ehrlich gesagt, es gibt auf thailändischen Speisekarten auch so genug Alternativen.
Aber ja. Extrem gut. Und ich hab s dann mal mit Pak Choi gemacht und jetzt hab ich aber schon wieder Morning Glory auch gekauft, weil s ein bisschen aufregender ist, die hohlen Stämmchen zu zerbeißen, das knackt einfach besser. Und ganz großartig ist der Knoblauch. Deswegen bin ich von drei Zehen zuletzt auf fünf rauf. Weil die werden ein bisschen angebraten, kaum, dass sie golden werden. Also, sie werden so grob zerstampft, dass da ein paar kleinere Teilchen rumschwimmen und nach denen muss ich mich richten, deswegen bleiben die großen Stücke fast ungebräunt. Und aber doch gut gewärmt, werden sie halt so süß, es ist wirklich eine Freude. (Wirklich.)
Hab ich also zuletzt meinen Knoblauch aufgebraucht und aber noch ein Bündel Wasserspinat im Kühlschrank. Was bleibt mir also anderes übrig, als einen Knoblauch kaufen zu gehen. Ich hab eh auch ein paar andere Besorgungen zu machen gehabt, aber diese Wasserspinatbegeisterung hat mich in anderen Bereichen etwas zurückgehalten und eigentlich muss ich mich um diese Süßkartoffel kümmern, die wartet nicht mehr lang. Ebensowenig die Handvoll Kohlsprossen, die sind ja quasi noch ein Relikt des Winters. Weil aber mein Telefon batteriemäßig am Ende war, hab ich s mal daheim gelassen, es ist ja wirklich nicht so ein Ding. Ich sag das auch nur, weil mir dann heute ständig Dinge ins Aug gestochen sind, die ich so gerne festgehalten hätte und über die ich mich jetzt ganz allein habe freuen müssen. Wie zum Beispiel dass im Spar die heutigen Heutezeitschriften verkehrt herum im… Zeitungsbehälter gelegen sind.
Aber ich bin ja erst im Billa. Im Billa gab s groß angeschrieben österreichischen Knoblauch. Und wenn ich das nicht gelesen hätte, vielleicht wäre ich einfach davon ausgegangen, dass es grad keinen österreichischen Knoblauch gibt, weil wer kennt sich schon aus mit den Jahreszeiten und dem passenden Gemüse. Aber der Knoblauch in der österreichsicher-Knoblauch-Lade war aus Spanien. Und da hab ich mir gedacht, das muss nicht sein, wenn s es einen österreichischen Knoblauch gibt, dann hätte ich gern einen österreichischen Knoblauch. Hab ich einen Feta gekauft und einen Saft, bin für den Herren vor mir an der Kassa kurz die Wassermelone abwiegen gelaufen (weil er jemand war, der wusste, dass ein freundliches Lächeln auch von hinter einer Maske eine Wirkung zeigt – ich sag mal, wenig überraschend, dass er mit seiner wohl-vierjährigen Tochter nicht auf deutsch geredet hat) und bin ohne Knoblauch von dannen. Weil, hab ich mir gedacht, ich probier s da am Markt von dem mir der M., seineszeichens Nachbar, erzählt hat. Es war nicht wirklich eine peinliche Situation in der ich ihm vermittelt hab, dass ich nicht wirklich ein Marktgeher bin. Vielleicht hab ich ihm das auch nicht vermittelt, aber wir haben so ein bisschen um das herum eine Szene gespielt und dann hab ich mich gefragt, ob ich denn wirklich nicht wirklich ein Marktgeher bin. Auf dem Weg zum Markt war ich kurz beim Spar, weil ich mir gedacht hab, der Markt ist schon noch einmal ein Stück, ich schau jetzt da kurz rein. Stellt sich heraus, der gleiche spanische Knoblauch. Ich sagt „der gleiche“ weil er wirklich genauso ausgeschaut hat von der weißen, unversehrten Schale her und wie er abgeschnitten und geputzt war. Darüber hinaus gab s noch einen österreichischen Bioknoblauch von wie damals oder ähnlich dämlich. Aber erstens find ich das eben schon blöd, nostalgischen Knoblauch zu verkaufen – ich bin mir jetzt nicht einmal mehr sicher, ob er sich überhaupt bio genannt hat oder mit seiner Papiersackerl-und-Foto-von-zerfurchtem-Gesicht-eines-alten-Mannes-Ästhetik mir das nicht nur reinimpliziert hat. Und zweitens hat er das doppelte gekostet und das bin ich nicht bereit zu zahlen. Nicht dem Spar und seiner Furchästhetik für Leute, die das Einkaufen nutzen um sich in eine Zeit zurückzusehnen, in der Ehefrauen nicht ohne Genehmigung des Gatten arbeiten durften (1975).
Am Weg raus aus dem Spar hab ich ein Geld abgehoben, weil ich hab schon echt lange kein Geld mehr einstecken und ich dachte mir, ich brauch sicher ein Geld am Markt. Dabei hab ich mich über die Präsentation besagter Heuteausgabe amüsiert.
Die paar Meter zum Markt hab ich festgestellt, dass das Küchengerätegeschäft, dass da an der Ecke gewesen ist, jetzt ein Geschäft für so ziemlich alles ist, unter anderem ein paar Restbestände von Küchengeräten. Aber sonst ein bisschen Charityshopcharme, was ich ganz gut find. Ich hab mich aber nicht mehr informiert, ob das nur so ausschaut oder ob ich meine Ausmistergebnisse in Zukunft nur über die Straße bringen muss.
Am Markt war dann zu viel los. Ich weiß, es ist immer noch ungewohnt und eine Schlange von sieben Leuten ist nicht so viel, aber wenn die Leute brav Abstand halten, dann schaut das immer gleich nach halber Stunde aus. Und die Leute halten brav Abstand, weil wer am Wochenmarkt für Gemüse aus Kastenwägen einkaufen geht, das sind alte Leute (Ansteckungsgefahr) und Hipster (moralische Überlegenheit). Hab ich mich also auch kurz angestellt, so langsam in die Schnittmenge dieser beiden Gruppen vordringend, dass ich da nicht seltsam auffalle. Aber ich hab mir dann gedacht, dass ich mich jetzt nicht hier anstelle für meine zwei Knoblauch, die ich gerne hätte, sei s eine halbe Stunde oder zehn Minuten. Jetzt vom Zeh-o-zwei her ist es fraglich, ob nicht so ein LKW doch effizienter transportiert als ein umgerüsteter VW Bus, dass zwischen Spanien und der Slowakei jetzt auch nicht viel Unterschied wäre. Weil wenn s nicht um s Prinzip geht ist diese ganze Sache viel komplizierter…
Anyway. Bin ich zum Maran gegangen. Weil da war ich jetzt ein paar Mal ob Tempeh. Ja, ich hab mich erinnert, dass das gut war in Indonesien. Und die Pailin hat in irgendeinem Video mal gesagt, any kind of protein oder war s wer anderer. Aber anstatt dass diese KöchInnen sagen: meat, beef, chicken, tofu… sagen sie halt nur protein. Quasi: da geht s ums Prinzip und ein Essen, das verschiedene Inhalte haben muss. Und ich sag das letztens zur R., dass mir hier oder da das protein fehlt. Und sie sagt, probierst es halt, Tempeh. Und seit dem koste ich mich durch das Tempehregal beim Maran.
Auf dem Weg zum Maran hab ich mich ein bisschen verlaufen, was echt seltsam ist, weil ich ja hier wohn und so schwierig ist es auch wieder nicht. Aber ich hab irgendwie die Reihenfolge der Straßen vergessen und vielleicht war ich auch abgelenkt von dem Polizisten, der da irgendwie die eine Straßenkreuzung bewacht hat, also, weil Schule aus war und vielleicht ist das ein Ding, aber muss der umhimmelswillen bewaffnet sein? Nämlich auch, weil er sich unbewusst halt an die Pistole greift, während er rüber zu den aus der Schule kommenden Kindern schaut. Und ich sag nicht einmal, dass das in Verbindung zu einander stand, er hat halt einfach geschaut und anstatt in der Nase zu bohren, weil das die Uniform vielleicht beschädigen würde, hat er halt sich halt an der Puffn gekratzt. Das hat mir ein bisschen zu denken gegeben, wie selbstverständlich Kinder da auch eine bewaffnete Polizei erleben lernen, dass es sie gar nicht wundert dann, wenn sie dann später zum Reflektieren anfangen, ob diese Gesellschaft so ist, wie sie sein soll. Oder wenn am Park jetzt Schilder hängen, wo der Sicherheitsdienst für sich Werbung macht, der den Spielplatz bewacht, beschützt, verteidigt. Ist das notwendig, denk ich mir dort. Aber es ist rhetorisch, weil ich glaub nicht, dass s es ist.
Und da war dann noch ein Schild, das jemand an seinen Hauseingang geheftet hat, das gebeten hat „Bitte nicht mit Hundekot verschmutzen“ und da hab ich auch nochmal zum Reflektieren angefangen, weil eine Gesellschaft, in der man darum bitten muss, etwas nicht mit Hundekot zu verschmutzen, ich glaub, da läuft schon was schief, das kann man mir nicht erzählen, dass das normal sein muss, dass sich jemand verbal absichern muss dagegen, dass man nicht mit Hundekot verschmutzt wird. Wo könnte man drehen, damit wir für alle eine Lebensform haben, in der man zumindest einmal davon ausgehen kann, dass einem das Zuhause nicht mit Hundekot verschmutzt wird, wenn man nicht ausdrücklich darum bittet, das zu unterlassen…
Ich hab dann noch zum Maran gefunden und dort gab s auch nur spanischen Knoblauch. Aber der hat auch nur so viel gekostet wie beim Spar und beim Billa, also hab ich mir gedacht, das passt jetzt, ich kauf jetzt da diesen veganen Maranknoblauch und dann kann ich den Deckel irgendwie auf diese Geschichte auch zumachen. Ich brauch heute eh keinen Knoblauch, weil ich den bis dato unerwähnten Broccoli einmal der Zubereitung zuführen werde. Der ist zwar nach der Süßkartoffel in den Kühlschrank eingezogen, aber was mach ich mit der einen Süßkartoffel… Und weil der Maran so leer war, hab ich mich mal umgeschaut. Weil sonst ist mir das oft ein bisschen unsympathisch, die moralische Überlegenheit der VeganshopperInnen. Entschuldigung: ihre von mir auf sie projizierte moralische Überlegenheit. Ja, so ehrlich kann ich da schon sein. Und nicht alles schwarz und weiß, aber da ist auf jeden Fall Platz für grau. (Auch lustig: R. ist gebeten worden, Fotos von sich zu machen, vor einem Hintergrund, der weder schwarz noch weiß sei. Sie hat sich dann vor einem grauen Hintergrund fotografiert, aber ist sich durchaus bewusst, dass sie sich damit in einer… also in einer gewissen Zone bewegt.)
Na und dann bin ich wieder zuhause angekommen und hab mir gedacht, das war ein richtiger Ausflug irgendwie. Zwischendurch hab ich noch ein Graffiti oder zwei gesehen, die mir unfotografiert gut gefallen haben und ich hab gelacht, als ich meinen Postler gegrüßt hab. Weil ich hab letztens einmal gesagt, dass ich so wenig Leute treff, dass der Postler eigentlich der ist, mit dem ich am meisten Worte wechsel. Was nicht ganz stimmt. Aber seit ich das festgestellt hab, hab ich ihn jetzt dreimal in einer Woche getroffen. Also außerhalb. I guess, das ist einfach Vormittagsspaziergänge, da arbeitet er halt in meiner Gegend. Und wir grüßen uns und es ist ein bisschen komisch, aber auch ganz nett. Einer von den wenigen Leuten, die mich im Bademantel kennen und ich weiß nicht einmal wie er heißt.
Die Japanischen Eisenbahnen tragen mich von einer Insel zur anderen, zwei Tage in der einen Stadt und weiter in die nächste. Eine Woche ist das her, dass ich mich konzentriert ans Erinnern gesetzt habe, eine Woche und locker dreitausend Kilometer, dass ich jetzt wieder in Tokio sitze und versuche, im Rückblick jene Emotionen auseinanderzuklauben, die langsam aber sicher in ein relativ homogenes Japanbild zusammenschmelzen. Gut, es ist nicht so, als ob ich nicht Notizen gemacht hätte…
An Osaka erinnere ich mich mehr an das Hostel als an die Stadt selbst. „Hostelzentriert“ hab ich mir notiert. Und so ist das, es gibt einfach Städte, wo mir die Unterkünfte stärker in Erinnerung bleiben, wo die Erfahrungen dort einfach die nachhaltigeren sind. Und natürlich sind das die Begegnungen, weil das sind die Erlebnisse, die mich wirklich anstoßen. Und mit der Osakaer Jugendherberge hab ich s wirklich gut erwischt. Dabei hat s zuerst gar nicht so gut ausgeschaut, als mir die Ina am Email gesagt hat, dass sie das Zimmer nur für zwei Nächte hat und dann hab ich mir gedacht, gut, dann halt nur zwei, so sehr haut das meinen Plan auch wieder nicht durcheinander. Aber dann hat sie gemerkt, dass ich eh nur für das Schlafzimmer ein Bett such und nicht ein Dreierzimmer. Ich weiß nicht, wie sie auf die Idee gekommen ist. Aber dann hat sie gesagt, ahso, ja, nein, kein Problem: drei Nächte. Prima, sag ich, drei Nächte sind gebongt. Und dass sie eine Katze haben, nur für den Fall, dass ich damit nicht oder eine Allergie oder so. Nein, sag ich, das passt, find ich gut.
Der Kater heißt Akubi und war letztlich ein sehr herziger. Da gehört schon einiges dazu, eine entspannte Katze in einer Jugendherberge zu sein. Und ohne ihn darauf reduzieren zu wollen, seine auffälligste Eigenschaft waren seine kurzen Beine, die vielleicht halb so lang waren, wie man erwarten möchte. Mehr ein Nilpferd als eine Giraffe, das macht einen irre herzigen Eindruck. (Dabei fällt mir ein, dass hier in Tierhandlungen immer noch Tierjungen in Glaskästen gehalten werden wo Hunde umhertollend und Katzen abgewandt schlafend auf eine KäuferIn warten. Schon gut, dass das bei uns nicht mehr durchgeht.)
Die kurzen Beine des Hostelkaters kamen in Kombination mit steilen Stufen, über die ich in den obersten Stock hinaufklettern musste. Und Schiebetüren in den Stockwerken. Was unabhängig von der Beinlänge für einen Kater bereits eine ziemliche Hürde darstellt. Wenn der Kater einmal bis hinaufgelaufen gekommen ist, dann hat er nicht wirklich selbst wieder bis runter können. Und Samstagnacht sind die Deutschen, die bei uns im Zimmer waren, spät von – wie ich am nächsten Tage erfahren hab – der Karaoke nachhause gekommen und hatten dem Kater gegenüber wohl nur berauschte Gleichgültigkeit, als der mit ihnen in den gemeinen Schlafraum geschlüpft ist. War eh super, weil ich hab schon lang nicht mehr mit einer Katze auf den Beinen geschlafen und eigentlich ist das ein leistbarer Luxus. Das war schon nett. Nur in der Früh natürlich will die Katze aufstehen, so auch dieser Kater. Und da lernen verschiedene Katzen wohl unterschiedliche Techniken. Sehr effektiv ist es, wenn man mir daheim von unten die Krallen unter die Decke schlägt, ob man dabei meinen Fuß erwischt oder nicht, da schwappt mir das Adrenalin bis unter die Schädeldecke, da gibt s kein Weiterschlafen. Dieser Kater hat einfach zugebissen. Nämlich nicht nur so bisschen geknabbert. Er hat geschnurrt dabei, also hab ich s nicht als aggressiv verstanden, aber nachdem er mir ein bisschen in die Frisur gebissen hat, hat er mir in den Hals gebissen, dass mir das Blut gekommen ist. Eh ein zarter Kratzer. Aber überraschend war das schon.
Nachdem ich am ersten Tag einen kleinen Spaziergang durch Osaka gemacht hab, hab ich mich am Abend gegenüber ins Okonomiyakilokal gesetzt. Weil da haben sie mich aus dem Hostel, das direkt gegenüber liegt, hingeschickt. Die Osaka-Okonomiyaki seien ganz anders als die Hiroshima-Okonomiyaki, sagen sie. Da bräuchte ich mich gar nicht auf meinem Ich-hatte-erst-gestern-Okonomiyaki auszuruhen. (Wir hatten ziemlich flott eine ziemliche nette Unterhaltungsebene im Hostel, wie gesagt, das Hostel, die Begegnungen, das Wohlfühlen, in diesen Punkten macht Osaka Punkte.) Und das stimmt ja auch, ganz anders, so eine Osakaokonomiyaki. Vor allem aber hab ich einmal mit einem Blick auf die Tür festgestellt, dass ich in einem Michelin ausgezeichneten Lokal sitze und das war vielleicht auch eine Premiere. Uuuuhh. Dabei hat s nicht ausgeschaut, wie ich mir ein Haubenlokal vorstell. Zuerst einmal hab ich draußen sicher eine halbe Stunde auf einen Platz gewartet. Da haben sie so Hocker auf dem Gehsteig aufgestellt gehabt, von denen man immer eins weitergerrückt ist, wenn jemand einen Platz im Lokal bekommen hat. Und bis ich dann eine Stunde später meine Okonomiyaki bekommen hab, hab mir eine Zeit lang gedacht, dass das vielleicht das beste Essen ist, das ich je gegessen hab. Aber ich hab auch ein ganzes Bier lang auf mein Essen gewartet, und ich hab nicht wirklich was gegessen gehabt, weil war ja Reisetag. Und da sitz ich dann, kann sein, dass ich schon bisschen beschickert war, wie ich dann meine Palatschinke bekommen hab.
Weil, pass auf: Okonomiyaki werden als japanische Pfannkuchen vermarktet. Und das ist schon nicht falsch, weil es kommt ein Palatschinkenteig vor. Jetzt: Hiroshimastyle hat so ausgeschaut, dass meine Köchin eine Palatschinke gemacht hat und dann ein Kraut und die anderen Ingredienzien genommen hat und die Palatschinke wie einen Deckel auf dem Kraut verwendet hat, dass es durchgart. Ja? Also sie hat einen Haufen Kraut auf ein bisschen ein Öl gestapelt und dann die Palatschinke drauf und dann halt geschaut, dass das Kraut gar wird. Osakastyle mischt man das alles schon einmal zusammen und haut s dann als ein Ganzes auf die Kochoberfläche. Und dann haben sie einen Deckel draufgetan, was ich ein bisschen schummeln gefunden hab, aber es hat ja wie gesagt lang genug gedauert, bis es fertig war, also gut dass sie einen Deckel genommen hat. He, und dann war das einfach total gut. Da war ein Schwein drin und ein Tintenfisch und eine Jakobsmuschel und dann ein Spiegelei drauf und die Okonomiyakisauce, die so bisschen Worcestersauce ist, aber mit Datteln gestreckt und gesüßt und dann hauen sie eine Mayonnaise drauf, wie die JapanerInnen das gerne machen. Die kommt aber wirklich anders rüber, als die unsrige, ich sollte die mal pur kosten. Und dann kommen noch Nori drauf, was zuerst einmal wie Petersilie ausschaut, und Katsuobushi, also Späne von zu Holz getrocknetem Thunfisch. Und dann ist es fast wie mit Gabel und Messer essen, weil in einer ziemlichen Ausnahme kriegt man hier ein japanisches Essen, das nicht mundgerecht daherkommt. Dafür kriegt man eine kleine Version von den Spachteln, mit denen die Köche das Essen zubereiten und spaltet sich da seine Stücke von der großen Festtagstorte herunter, bis man dann endlich seine Stäbchen einsetzt.
Und
dann bin ich zurück ins Hostel und die vielen Stockwerke hinauf.
Beim Einchecken haben wir noch gescherzt, weil in Japan zählt man
das Erdgeschoß als ersten Stock. Ich hab am Anfang tatsächlich ein
bisschen gebraucht, bis ich verstanden hab, dass der Adresszusatz F4
nicht eine Hausnummer ist, sondern für Floor 4
steht. Dort hab ich gewohnt, im vierten Stock. Aber, hab ich gesagt,
bei uns ist ja der F2 erst der erste Stock und dann sagen wir, gibt s
noch einen Mezzanin, also bin ich auf österreichisch eh nur im
zweiten Stock. Die Polin hat auf meine Erklärung des Ursprungs, des
vermeintlichen Ursprungs dieser Praxis gemeint, dass man in Polen
wohl einmal die Steuern auf ein Haus nach der Anzahl der Fenster
bemessen hätte, woraufhin die Leute ihre Fenster zugemauert hätten.
Ich mein, so Steuergesetze können schon auch Unsinn anrichten. Mir
sind dazu dann noch die Gehsteige eingefallen, von denen es hier ja
außer auf den großen Straßen, keine gibt. Find ich immer noch
toll. Ach ja. Und die Autos parken auch nicht auf der Straße sondern
müssen in einer Garage oder in einem Parkhaus Platz finden. Wenn man
das mal erlebt, dann ist dieses Argument, dass jedes Auto bei uns
eigentlich Miete zahlen müsste für die zehn Quadratmeter
öffentlichen Raum die es einfach verstellt… also nicht das Auto
soll die Miete zahlen. Da könnten wir lang warten. Aber ich mein,
das ist einfach nachvollziehbarer wenn man sieht wie… man sieht
einfach besser. Vielleicht muss man das so dem Handel vorschlagen,
dass man dann auch von der gegenüberliegenden Straßenseite in die
Schaufenster schauen kann.
Von meinen Krautpalatschinken zurück ins Hotel bin ich dann im Zimmer meiner Zimmerkollegin begegnet und wir haben uns vorgestellt und sind so ein bisschen ins Plaudern gekommen über dieses und jenes. Und bevor man sich s versah, war s fünf Uhr in der Früh. Das war unerwartet. Aber witzig, weil ich hab mir noch am Tag davor einmal gedacht, so in der Reflektion über das eigene Leben, wie man ein bisschen schräg wird, wenn man sich unkontrolliert in seinen Interessen spezialisiert und eines Tages merkt, wie man mit seinen Anekdoten wenig anschlussfähig ist, dass man sich da vielleicht ein bisschen isoliert hat, ohne dass es geplant war. Nicht, dass das nicht eine immer wiederkehrende Sorge ist, kann sein, dass es nur so eine selektive Wahrnehmung ist, dass ich mich jetzt erinnere, dass ich das gerade erst gedacht hätte und dann plötzlich eben treff ich auf wen, die mich gerade dort erwischt, wo ich das Gefühl hatte, dass ich ein bisschen gar esoterisch in meinen Vorlieben geworden bin. So sitz ich im Hostel in Osaka und find ausgerechnet eine Amerikanerin bestbewandt in der britischen Comedyszene. Sag ich zum Beispiel, na der Ding, den find ich gut und mir der Name nicht einfällt und ich so rumüberleg und sie sagt dann, anyway, den James Acaster fändt sie noch sehr lustig. Und ich denk mir, den hab ich gerade gesucht. Greg Davies? Zitiert sie schon Man Down. Da ist mir schon weich in den Knien geworden.
Am nächsten Tag war ich dann ein bisschen müde in Nara. Nara, sagt mein Reiseführer war die erste fixe Hauptstadt Japans und nachdem s mir auch meine Lokalbekanntschaften auf die Empfehlungsliste geschrieben haben, bin ich auf einen Sprung hin. Ich bin mal wieder etwas spät losgekommen, auch weil ich den Vormittag mit Blogbetreuung verbrodelt hab, das kommt ja auch nicht aus dem Nichts. Jetzt war ich wieder einmal erst um vier oder was in Nara. Das war schon nicht ganz ungeplant, weil ich wollte dort so einem Fest zuschauen gehen, das eh erst abends angefangen hat. Jetzt machen die Tempelanlagen und die historischen Gebäude aber natürlich schon wieder um fünf zu. Und so hab ich jetzt die größte bronzerne Buddhastatue der Welt verpasst, die dort in einem Haus sitzt. Das hab ich erst im Nachhinein gelesen, irgendwer hat da bei der Vorbereitung geschlampt. Aber ich hab wieder zahme Rehe gesehen und mir von ihnen auf die Hand atmen lassen und ich hab Leute gesehen die sich in einem Moment mit zahmen Rehen abfotografieren und im nächsten Moment versuchen, eine Rehnase aus ihrer Handtasche zu scheuchen. Insgesamt ist es fast ein bisschen wie Tauben am Markusplatz. Zuerst ist es lustig, dann wird s schnell zu viel, weil die Tiere nicht spielen wollen sondern gierig Essen suchen.
Und auch das Festival war dann nicht schlecht. Da war so eine Prozession über einen See in traditionellen Gewändern und das hat wohl eine Geschichte erzählt. Da waren verkleidete Kinder und aufgeregte Mütter, die sie nach ihrem Auftritt in die Arme geschlossen haben, das war nett. Außerdem standen hunderte Leute aus aller Welt mit ihren Fotoapparaten drumrum, das hat mir das ganze ja auch schon wieder ein bisschen anstrengend gemacht. Ich könnte das vielleicht auch einmal leichter nehmen. Ich bin wohl einfach zu romantisch, dass ich mir denke, man muss das doch erleben und nicht dokumentieren. Ich hab ja dann auch schweren Herzens fotografiert, so ist s ja auch wieder nicht. Oder auch seltsam: Europäisch anmutende Männer in traditionellen japanischen Outfits. Da wird mir auch ein bisschen seltsam, wenn ich das seh. Dann wiederum stört s die Verkleideten offenbar nicht und ich glaub, die JapanerInnen sehen das auch nicht als kulturelle Aneignung.
Bisschen schwer nachvollziehbar, was da passiert, aber die Ina hat gemeint, sie war im Jahr davor und auch wenn sie die japanischen Durchsagen wohl verstanden hat, es hätte ihr auch nicht zum allgemeinen Verständnis beigetragen, also gehört das wohl so. So sitze ich also nur den Bildern gegenüber, die da im Rahmen der Zeremonie dargestellt werden und dann kommen die zwei Boote (aus denen sich auf ZuseherInnenseite Trockeneisnebel über das Wasser ergießt!), gelenkt von zwei Steuermännern und hinten drin sitzen zehn Frauen, alle in Rot, Weiß, Schwarz angezogen und mit einem braven Lächeln in den uniform geschminkten Gesichtern, da hatte ich schnell einmal Handmaid’s Tale Assoziationen, obwohl ich s nie gesehen hab. Aber von der Aufmachung her, war s mir gleich wieder ein bisschen unheimlich, wenn Frauen in der Legende anscheinend nur die Rolle der Frauen zugewiesen wird.
Daheim haben wir noch einmal ein bisschen in die Morgenstunden hineingeplaudert, die Y. und ich, von Tolkien ausgegangen haben wir schließlich noch festgestellt, dass wir uns bei Game of Thrones von den gleichen YoutubekommentatorInnen haben begleiten lassen. Das ist wirklich eine Freude gewesen: zwei vergleichbare UserInnenprofile, aber doch so unterschiedlichen Sozialstatistiken. Wir haben allerdings zwei Deutsche ins Zimmer bekommen (die mir in der dritten Nacht dann den Kater beschert haben) und haben deshalb rücksichtsvoll gegen halb drei einen Strich gezogen. In der Früh ist sie dann auch schon weitergefahren und daraufhin hat sie einfach ein paar Tage gefehlt.
Ich bin hingegen in die andere Richtung gefahren, mit dem Zug nach Himeji. Jetzt hab ich noch herausbekommen, dass ich nicht einmal reservieren muss für meine Züge, sondern stolz den Railpass an die Brust geheftet einfach durch die Absperrung schreite. Den richtigen Zug muss ich halt finden, den richtigen Zug, den richtigen Bahnsteig. Das Telefon hilft. Und dass in der Regel alles auch in den Buchstaben zu haben ist, die ich lesen kann ohne beim dritten bereits ins Schwimmen zu kommen (mo? ke? su?), das hilft auch.
Und jetzt, in Himeji, das ist schon beeindruckend. Weil man kommt aus der Station raus und dann ist da eine lange Straße, die direkt bis zur Burg führt. Und: Burg. Eine japanische Burg ist bei weitem eine elegantere Einrichtung, als was einem zu dem Begriff so durch das mitteleuropäische Kopflexikon flattert. Zum einen ist beim Gebäude selber wieder sehr viel Holz im Spiel. Deshalb ziehen wir uns auch alle brav die Schuhe aus, wenn sie in die Burg steigen. Die Befestigung selber ist allerdings schon mit Steinen gebaut. Und das ist ja auch beeindruckend, diese steilen meterhohen Wände, die eine Ebene von der nächsten trennen. Da muss schon wahnsinnig viel Stein verwendet worden sein dafür, das muss wirklich viel Arbeit gewesen sein. Zum Glück für die Fürsten, hat die Bevölkerung sich brav und unterwürfig verhalten: An einer Stelle wird die Legende einer alten Frau erzählt, die gehört habe, wie knapp der Fürst beim Bau seiner Burg schon an Steinen ist und so hat sie ihren Mühlstein geschenkt. Weil besser der Fürst hat eine gute Wand als sie was zu essen. Aber ihr Vorbild habe auch noch NachahmerInnen aus der ganzen Gegend inspiriert. Schon schön, wenn die sozialen Hierarchien auch denen, auf deren Schultern sie gebaut sind, so viel Identität verleihen, dass sie sich gern opfern.
Die Burg (ich will ständig das Schloss schreiben, weil s doch so eindrucksvoll war) wird in der Broschüre schnell einmal als das schönste Gebäude der Welt bezeichnet. Das find ich vielleicht ein bisschen eine heftige Bemerkung. Dann wiederum tu ich mir auf jeder Skala schwer, Extremwerte anzukreuzen und vielleicht ist das auch ok, wenn man sagt: das da. Das ist das schönste Gebäude der Welt. Man muss sich seine Superlative ja nicht unbedingt aufheben. Der Vorteil der Perfektion ist ja vielleicht dann auch, dass man die BesucherInnen einfach durchschleusen kann, weil niemand jetzt großartig selbst die Schönheiten entdecken muss. Der Rundgang ist relativ klar abgesteckt, die Burg selbst ist auch nicht besonders aufregend, weil großteils leer oder leergeräumt. Die Wirtschaftsgebäude (Küche, Bäder, Wohnungen der Frauen) liegen sowieso außerhalb und jetzt läuft man drinnen durch die sieben, immer kleiner werdenden Stockwerke. Da haben sie nämlich einen Trick gemacht, weil von außen schaut s nur aus wie fünf. Und war wahrscheinlich nicht für Steuervorteile sondern eher, dass die erobernden Soldaten dann im fünften Stockwerk stehen und sagen Waaaas? Noch zwei Stockwerke? Sicher nicht in der schweren Rüstung!
Während sich die Belagerten immer höher in ihren Burgturm zurückziehen, haben sie die Möglichkeit, Steine auf die Feinde zu werfen. In einem Fall sogar aus einem Fenster, in dem geheime Steinwurflöcher eingebaut sind. Das haben die Hinweise, die man über einen QR-Code (!) in jedem Stock auf sein Telefon laden könnte, extra hervorgehoben, dass die feindlichen Soldaten wohl vorsichtig gewesen sein müssen, nicht unter den Steinwurfschlitzen zu stehen, aber in dem einen Fall, seien die eben geheim in den Fensterrahmen eingelassen gewesen und da hat dann niemand gerechnet, plötzlich Steine auf den Helm zu bekommen. Wie seltsam, hab ich mir gedacht, dass man nicht damit rechnen würde, dass man sich darauf verlassen konnte, dass der Feind nicht ein Fenster zweckentfremden würde, um daraus direkt Steine auf die Eindringlinge zu werfen.
Leider hab ich ja in der Burg schon wieder ein bisserl stressen müssen, weil ich zwischen Burg und Bahnhof zu viel Zeit in die Suche nach einem guten Kaffee investiert hab. Aber ich war dann tatsächlich in einem wahnsinnig netten kleinen Café. Das war so klein und so versteckt, dass der Gastgeber richtig erstaunt gewirkt hat, dass er einen Gast hat um zwei am Nachmittag. Aber so hatten wir die Gelegenheit ein bisschen zu plaudern und er hat mir erzählt, dass er eigentlich in einer Behindertenwerktstätte arbeitet, aber sich jetzt schon lange für Kaffee begeistert und er röstet selbst in einer selbstgebastelten Röstvorrichtung. Und zwar über Kohlen. Sei das nicht schwer, da die Variablen konstant zu halten? Ja, lacht er und zeigt mir sein Buch, in dem er minutiös verschiedene Variablen und ihre Ausprägungen bei hunderten Röstvorgängen dokumentiert hat. Ich staune und nippe an meinem Kaffee. Es ist guter Kaffee, aber ob sich die Mühe auszahlt ist immer so eine Frage. In diesem Fall vielleicht weniger, weil er es doch vor allem für sich zu tun scheint, das ist schon länger her, dass ich jemanden so enthusiastisch über seinen Job reden hab hören. Aber ja, es ist mehr ein verwirklichter Traum, den er immer noch stark mit seinem Brotberuf subventionieren muss. Und dann schenkt er mir noch einen kalten Kaffee ein, weil während man bei uns auf das ja traditionell aber vor allem sprichwörtlich herabgeblickt hat, so hat sich das unter KaffeetrinkerInnen in der Welt ja mittlerweile zu einem Trendgetränk gemausert. Vor allem in den wärmeren Gegenden, die mir in den letzten Monaten die Gastfreundschaft erwiesen haben. War auch wirklich gut, bisschen stärker die Bitterkeit, aber, hat er gemeint, das kann auch sein, weil er die Bohnen, die er für meinen Heißkaffee gemahlen hat, gerade erst am Tag davor geröstet hat und der Geschmack brauche manchmal eine halbe Woche oder so, um sich zu entfalten.
Dann haben wir noch ein bisschen über die Scotchwhiskies geredet, die er außerdem in seiner Kaffeebar ausschenkt und dann hat er einen Anruf bekommen, dass sich jemand gerne einen Kaffee abholen kommen möchte. Und weil mein Herr Gastwirt einen sehr langsamen, manuellen Tropfkaffee macht, ist so eine Vorbestellung nicht das schlechteste. Er erzählt mir noch ein bisschen über die Koi, die in einem der Burgteiche gehalten werden, und seinen eigenen Erfahrungen von als er in einer Koizucht gearbeitet hat, die ihre Fische international verschickt haben. Und ein bisschen darüber, wie teuer so ein Koi sein kann. Aber auch, wie schön so ein Koi sein kann.
Außerdem hab ich ein bisschen gehudelt, dass ich noch in den Burggarten komm, weil für den haben sie mir ein Doppelticket angedreht noch bevor ich überrissen hatte, dass ich schon für die Burg meine Schlendergemütlichkeit verkauft hatte und vom Wechselgeld die Taschen voller Zügigkeit bekommen hab. Ich mein, das waren nur hundert Yen mehr, das war eine sehr sanfte Verführungstechnik, die zur Andrehung geführt hat. Dennoch, in for a penny… Nachdem ich aus der Burg von oben in alle Himmelsrichtungen geschaut hab, hab ich mich in die Abstiegsschlange gereiht und war mit zehn Minuten Zeit noch im Garten. Dann hab ich festgestellt, dass ich mich nur für den Einlass bemühen musste und hab meine Spaziergangsgeschwindigkeit wiedergefunden.
Und weil ich damit immer noch nicht genug erlebt hab, hab ich am Rückweg zum Bahnhof noch zwei Onigiri gekauft und mich auf eine sommerlich veranlagte Bank gesetzt. Von dort hab ich dann einem japanischen Straßenkünstler zugeschaut, wie er sein Publikum entfremdet hat. Ich hab ja nicht ganz verstanden, was so sein shtick ist, er hat viel geredet und sein Outfit war irgendwo zwischen Zirkusdirektor und Steampunk, zwischen Charlie Chaplin und Michael Jackson. Vielleicht gibt s da auch naheliegendere Vorbilder, die sich meiner kulturellen Engstirnigkeit nicht erschlossen hat. Als erstes hat er sein Territorium auf der Straße mit einer Schnur abgesteckt. Während seinen Vorbereitungen hat sich ein Pärchen vor ihm hingestellt, die ihn erst einmal beim Werkeln beobachten. Aber über kurz oder lang beginnt er bereits über sein Mikrophon irgendwelche Geschichten zu erzählen und die Gestik versucht ein bisschen, seine beiden offensichtlichsten BeobachterInnen zur Teil- oder zumindest Anteilnahme zu motivieren. Die beiden steigen einige Schritte zurück und bleiben aber tapfer in der BeobachterInnenrolle, auch wenn ihre Körpersprache sich bereits etwas stärker von dem Straßenkünstler distanziert. Die meisten anderen ZuseherInnen haben übrigens von vornherein in etwas größerer Distanz gehalten. Er hat sicherlich ein Dutzend bis zwanzig ZuseherInnen, aber nur drei oder vier, die sich ohne weiteres als solche zu erkennen geben. Eine kurze Interaktion mit einem vielleicht fünfjährigen Mädchen und ich weiß immer noch nicht, was der Kern seiner Darbietung ist. Vielleicht erzählt er nur Geschichten, auch wenn er sich zumindest wie ein Zauberkünstler verhält.
Aber auch ich hab irgendwann meine Reisbällchen gegessen (die waren übrigens ausgezeichnet und ich hab seither wenig Lust, wieder zu jenen zurückzukehren, die ich in an jeder zweiten Straßenecke im Snackshop bekomme, die sind einfach deutlich weniger aufregend), und ich gehe zurück zu meinem Zug. Straßenkunst ist kein besonders etabliertes Genre in Japan. Ich glaube durchaus, dass das Potenzial der Publikumsbeteiligung ein wenig als Bedrohung wahrgenommen wird. Oder der Eindruck ist nur ein aus meinen eigenen Angststörungen gewuzelter Apsekt vermeindlich japanischer Kultur, wer kann das schon sagen. Während mein Eindruck schon ist, dass man hier recht viel Wert darauf legt, in der Öffentlichkeit in Frieden gelassen zu werden. Und vielleicht denke ich deshalb jetzt daran, aber ich hab in den Städten auch kaum Obdachlosigkeit erlebt. Wirklich nur in Osaka, dass mir bei meinem ersten Spaziergang zwei, drei offensichtlich verwahrloste, bettelnde Personen aufgefallen sind. Einer auch merklich über dem Durst. Kann man sicherlich mal nachschauen, wie in Japan mit der Obdachlosigkeit umgegangen wird. Intuitiv würde ich glauben, dass da nicht unbedingt liberale Methoden zum Einsatz kommen, mit dem Ziel, Betroffene zu größerer Selbstbestimmung anzuleiten.
Oft einmal packe ich meinen Rucksack und denke mir, die Bergschuhe… Nicht, dass man mich nicht gewarnt hätte. Ich hab die Stimme noch gut im Ohr, die mir geraten hat, vielleicht lieber keine Bergschuhe und wenn ich sie wirklich brauch schicken und sogar wieder zurückschicken. Die meiste Zeit rechtfertigen sie ihre Präsenz damit, dass ich in ihnen kleine bis mittelgroße Gegenstände auf- und vor Quetschungen durch die Verarbeitung im internationalen Flugverkehr -bewahre. Und natürlich sind sie eine gute Fokussierungsunterstützung, wenn ich meinen Gegenstandsfetisch reflektiere: Wie ich oft einmal versucht bin, meine Erfahrungen in Dinge zu projizieren anstatt – was weiß ich – die Erinnerung in mir selbst zu halten. Als ob der Schuh eigentlich das Abenteuer erleben würde, während ich mich selbst nur mitschleppe. Bisschen weniger davon und ich würde mein Leben und meinen Rucksack vielleicht weniger mit Zeug vollstopfen, zwischen dem ich kaum Platz hab.
Außerdem erinnern sie mich daran, dass ich gerade im Konsum öfter einmal einen Mittelweg gehen möge. Also: die zurückhaltendere, die weniger extreme Option zu wählen. Ich hab mich seinerzeit für jenes Modell entschieden, nicht zuletzt weil ich sie pompöser, erdiger, uriger und so für einen Bergschuh wohl archetypischer – quasi: hübscher – empfunden habe. Und in der Wirklichkeit hätte ein Modell „drunter“ für meine Ansprüche in der Regel gereicht, wäre etwas leichter, vielleicht auch in weniger extremen Situationen tragbar und insgesamt etwas flexibler einsetzbar. (Ähnliches gilt für meinen Rucksack, wo ich mich zwar eh bereits für eine Nummer kleiner entschieden hab, aber zurückblickend wäre noch eine Nummer kleiner besser gewesen.)
Alles in allem leisten sie zumindest ihr Gewicht, weil ich bin ja auch zum Nachdenken hier.
Nach den ersten paar Tagen in Tokio, bin ich also einmal raus auf s Land gefahren: Fujiyoshida. Das ist nett, ein bisschen wieder in der Kleinstadt, da sehe ich mal ein bisschen, wie das so ist. Mit den kleinen Häusern und den größeren Vorgärten und den Straßen mit Gegenverkehr.
Nachdem ich mit der Hostelangestellten ein bisschen über die Möglichkeiten einer Fujibesteigung gelpaudert hab, schaut s so aus, als würde ich die Be- und Absteigung in einem Aufwischen erledigen. Von meiner Reiseführerinformation her, dauert der Aufstieg um die sechs Stunden, der Abstieg drei und es gibt Unmengen von Übernachtungsmöglichkeiten auf der Route. Also geht man hoch, bleibt über Nacht und sieht noch den Sonnenaufgang vom Fuji aus bevor man sich talwärts aufmacht. Oder eher noch gipfelwärt s eigentlich, weil die Übernachtungen sind ja auf der Route hinauf.
Aber ja, das sind alles Details, die ich kaum wusste. Gelernt hab ich schnell, dass ich zwei konsekutive Nächte gebucht hatte und das Hostel am Freitag dann sowieso ausgebucht sei. Und überhaupt: Wetterberichtsmäßig ist da zwar eine Gewittermöglichkeit für Donnerstag, aber für Freitag schaut s nicht besser aus mit Regen. Und sie ginge auch am Donnerstag, allein deshalb schien sie schon anzunehmen, dass das Wetter am Donnerstag besser sei. Also gut, denk ich mir nach ein bisschen Hätte-ich-echt-auch-mal-im-Vorfeld-besser-auschecken-können, geh ich halt morgen in der Früh, warum nicht. Und komm am gleichen Tag wieder runter, warum nicht. Neun Stunden Berg ist jetzt nicht so das Ding, ich muss nur schauen, dass ich nicht im Dunklen herumstolper. Aber der erste Bus geht um zwanzig nach sechs, das ist kein Aufwand, das gibt mir Zeit.
Weil es ist nämlich so. Der Fujiyama ist in mehrere Stationen unterteilt. Und an den meisten Stationen findet sich eine Übernachtungsmöglichkeit, aber vor allem geht man erst bei Station Nummer Fünf los. Es gibt insgesamt neun oder wahrscheinlich ist der Gipfel dann zehn. Aber der Bus schupft einen auf fünf und dann geht man dort los. Und ja, die Saison endet in der zweiten Septemberwoche, danach werden die Hütten eingestellt und die Sicherheitsvorkehrungen kehren sich ab und überhaupt geht der Fuji in Winterpause. Man kann schon rauf, aber es wird einem halt abgeraten.
Damit ich fit für den Aufstieg bin, der sich wie übereilt beschlossen anfühlt, geh ich eine Runde spazieren und lande in einem Soba Lokal. Und wenn man in den Neunzigern Leute mit der Idee rohen Fischs auf kaltem Reis mit Algen vielleicht verwirrt hat, so klingt die Idee kalter Buchweizennudeln jetzt auf den ersten auch nicht nach einem super Konzept. Aber natürlich ein bisschen hier, ein bisschen da und dreihundert Jahre Tradition, da ist schon was dahinter. Das witzige an dem Lokal war auch, dass es von außen fast schick ausgeschaut hat und ich einmal vorbeigelaufen bin, weil ich mir gedacht hab, nah, das ist zu schick jetzt. Und dann bin ich rein und der Eindruck von innen war gleich ganz ein anderer. Weil es wesentlich privater gewirkt hat, als erwartet. Vielleicht weil der Fernseher in der Ecke gelaufen ist, vielleicht weil neben den fünf „europäischen“ Tischen auch eine Plattform mit traditionellen Tischen gestanden ist, die den Raum ein bisschen gebrochen hat, vielleicht wegen der vertrauten Art, mit der die Gastgeberin (1) mit den drei anwesenden Gästen umgegangen ist. Letztlich war s wahrscheinlich einfach der Stapel Papier, der neben der Theke auf einem kleinen Kasterl gestanden ist, der dem ganzen so sehr eine Arbeitszimmeraura verliehen hat.
Jedenfalls bin ich am nächsten Morgen um fünf aufgestanden. Das ist weniger ein Problem, das ist immer weniger ein Problem. Einerseits bin ich wahrscheinlich einfach ausgeschlafener, aber ich traue mich zu sagen, es funktioniert das mit der Motivation auch besser. Mit der Verantwortungsübernahme. Vielleicht auch der Rhythmus insgesamt, ich glaub, um neun war ich am Vorabend schon abgemeldet. Zum Frühstück gibt s eine doppelte Portion aus meiner Riesenkiste Instantporridge und eine schnelle Tasse Tee. Außerdem füll ich mir Tee in die Thermosflasche, weil… ja, ist ja kalt da oben. Im nächsten Moment hab ich mir gedacht, das ist ein Blödsinn, weil in der Thermoskanne bleibt das ja heiß und das braucht wahrscheinlich meine neun Stunden, bis das so weit ausgekühlt ist, dass ich s trinken kann. Zum Glück finde ich ein paar Pappbecher, von denen ich schnell mal zwei in den Rucksack werfe. Und dann frag ich mich den halben Aufstieg lang immer wieder, ob man einen Berg so schnell hochklettern kann, dass das Wasser in der Thermoskanne zwar auskühlt, aber wegen dem Druckabfall am Gipfel tatsächlich wieder kocht. Ich denk viel mehr über Druck nach, seit ich meinen Open Water Tauchschein gemacht hab.
Der Bus ist gut und der Vorteil an Fujiyoshida im Gegensatz zum etwas größeren und etwas touristischeren Nachbarort, dass wir die erste Station sind und gut Sitzplätze bekommen. Weil als wir in Kawaguchiko ankommen, steht da eine lange Schlange an der Busstation von der tatsächlich zehn, fünfzehn Leute keinen Platz mehr im Bus bekommen. Ja, was ist denn mit denen, frage ich mich, während ich aus meinem Fenster auf sie herunterblicke und in ihren Gesichtern die selbe Frage, etwas dringlicher, geschrieben steht. Witzig ist aber auch, dass wir Fujiyoshidas erst einmal aussteigen müssen, ein Ticket kaufen und dann wieder einsteigen. Und als wir dann alle Sitze in unserem Bus besetzt haben, werden entlang der Gangreihe jeweils noch ein Sitzplatz ausgeklappt und dann gehen sich nochmal zwanzig Leute aus. Aber nicht die, die noch draußen stehen. In einer liebevollen Aufopferung deutet eine Frau, die noch in den Bus dürfen hätte auf ihren Partner, sodass auch ich hinter meinem Fenster verstehe, sie geht nicht ohne ihn. Ich glaub, sie wollte ihn mithaben. Tatsächlich ist sie halt dann dageblieben.
Bis zur fünften Station ist es eine Stunde Fahrt in unserem bis auf den letzten Platz und dann noch ein paar mehr gefüllten Bus. Und dann ein bisschen ein Schock, na sagen wir eine Überraschung, weil die fünfte Station wie ein ganzes alpines Feriendorf daherkommt. Oder zumindest Alpines-Feriendorf-Hauptplatz. Und gleich einmal wieder die Verführungen des Konsumismus und ich ja auch tatsächlich als erstes gleich in den Shop abgebogen. Weil aber nicht von ungefähr: Weil in Kawaguchiko stand ein junger Mann in der Schlange, der hatte einen schicken Wanderstab. Und weil wir quasi im Skandinavien Ostasiens sind, handelt es sich um einen schlichten, geraden, hellholzigen und etwas zu langen Stock. Da hab ich mir schon gedacht, oha, das gefällt. Ich steh ja sowieso auf Wandern am Stock. Und natürlich bieten die Shops am AFH-Platz mir solche Stecken hunderfach an. Mit Fahnen und mit Glocken. Aber ich widerstehe und schüttel den Instinkt zu kaufen ab. Ich find mir schon einen praktikablen Stab am Weg, denk ich mir, übersehend, dass wir halb einen aktiven Vulkan (letzter Ausbruch: 1707) hoch sind und ich nach der ersten Stunde nur noch durch Schutt und Geröll stapfen werde.
Dann zahle ich noch die obligatorische Spende von tausend Yen für die Erhaltung des Gebiets und zack-zack, jetzt muss ich langsam in die Gänge kommen. Noch dazu wo ich die vier deutschen Burschen vermeiden möchte, die bereits seit Fujiyoshida mit mir Schritt halten. Da hätte ich gerne nach vorne oder nach hinten ein bisschen einen Abstand. Bloß so! Ich hab nichts gegen deutsche Burschen, aber für s allein gehen ist es angenehmer, die nicht in Hörweite zu haben. Oder so.
Es gibt insgesamt vier Routen auf den Fuji rauf, für mich, von meiner Seite wären zwei in Frage gekommen und ich hab das kurz überlegt, aber nachdem der Bus zur fünften Station vom Yoshidaweg führt hab ich mich der Einfachheit halber für den, den populärsten entschieden. Und ja, man kann nicht verloren gehen. Zu Beginn steh ich einmal kurz mit Zweifeln vor einem Schild, das die Climbing Route ausweist und ich nicht sicher bin, ob ich zum Klettern hergekommen bin. Aber nachdem mir Leute mit Kindern von dort entgegenkommen, denke ich mir, so schlimm kann s nicht sein. (Die Wahrheit, die mir in der Situation verdeckt bleibt, ist natürlich, dass das der Aufstiegsweg ist und wenn jemand den Aufstiegsweg runterkommt, dann haben sie umgedreht, weil s zu schlimm geworden ist.) Also rauf.
Die Aussicht ist schon beeindruckend. Nachdem wir ja schon ein gutes Stück auf den Berg hinauf sind, stehen wir bereits höher als die umliegenden Berge. Die hohen Berge hat Japan alle in einem Eck, das die Japanischen Alpen heißt und wieso heißen die immer noch so, das gibt s doch nicht, dass das Gebirge nur diesen Kolonialnamen bekommen hat. Aber nachdem der Fujiyama ja ein Vulkan ist, steht er so allein zwischen gar nicht so hohen Bergen. Und nachdem wir auch schnell einmal aus dem Wald raus sind, ist die Aussicht mehr oder weniger alles, was man hat. Weil es ist keine schöne Wanderroute in dem Sinn. Es ist, wie gesagt, Schutt und Geröll und das ganze hat die eine oder andere Zivilingenieurin am Hang befestigt und man geht dann in einem engen Zick-Zack einfach den Berg hoch. Zwischendurch eben ab und zu eine Zwischenstation an der einem eine Bechersuppe, eine Flasche Wasser oder „Snickers“ verkauft werden – letzteres ist, wenn ich die Zeichen richtig interpretiert habe, Code für eine Handvoll Nussvariation. Außerdem gibt s an nahezu jeder Hütte auch für zwei-, dreihundert Yen einen Stempel zu kaufen. Hier beginne ich langsam die Wanderstabkultur zu verstehen und erkenne nahezu mit Dankbarkeit, was für eine gute Entscheidung es gewesen ist, ohne aufzubrechen. Auf jeder Hütte kann man sich einen Stempel – ich glaube, die werden tatsächlich in das helle Holz gebrannt – in den Stab drücken lassen. Natürlich kann man sagen: schönes Souvenir. Aber ich seh zuerst einmal, dass man hier weiterhin konsumiert. Und zwar im Halbstundentakt. Und schließlich ergeben auch die zwanzig Zentimeter langen Staberl, die man alternativ zum zwei Meter Wanderstab erstehen konnte, einen gewissen Sinn. Und natürlich könnte man auch nächtigen. Aber wenn es mir in der Planung seltsam vorgekommen ist, dass man nicht einmal in der Nähe des Gipfels übernachtet, dann steigert mein tatsächlicher Aufstieg nur dieses Unverständnis. Außerdem bin ich flott unterwegs, die Stunden verfliegen und ich fliege schneller als die Stunden, die auf den Schildern die Entfernungen angeben.
Es ist schon dicht am Weg. Also, wir hängen nicht hintereinander, aber man ist nie allein. Nicht alle sind derartige Quatschköpfe, wie sich die – stellt sich heraus süddeutschen – Burschen dankbarerweise berechtigterweise herausstellen, die meisten gehen schweigsam, vor allem im Mittelfeld. Unten haben manche noch zu viel Energie und oben, oben werden viele sehr ausdrucksfreudig. Auf den letzten eineinhalb Kilometern verdichten sich die Schilder, wie weit es noch bis zum Gipfel sei, bis dass mir dann alle zweihundert Meter angegeben wird, dass es zweihundert Meter weniger sind. Das ist nicht schlecht, weil obwohl der Anstieg so linear verläuft, versteckt sich der Gipfel zumeist in einer Wolke und die Entfernung ist deshalb kaum einzuschätzen. Und es drückt jetzt schon ganz schön in den Wadeln. Ich hab von den sechs etwa eineinhalb Stunden abgezwickt, aber das hat mich schon auch gekostet. Das Ziel, stellt sich heraus, ist auch gar nicht so sehr der Gipfel sondern ein Schrein. Und so gehen wir durch ein so ein symbolisches Tor durch, in dessen Holz die Leute kleinwertige Münzen hineingedrückt haben, und durch ein zweites. Und dann sind auch die letzten zweihundert Meter geschafft und der Wind hat zugenommen und der Nebel ist auch etwas dichter und die Finger werden kalt. Und dann gehe ich nicht nach links, zum Schrein, zu den Bänken und den windfangenden Gebäuden, sondern nach rechts, weil s dort mehr nach Gipfel ausschaut. Egal ob s a berg oda-r-a madl is / aufi muass i, de’es is gwiss, singt Alfred Dorfer in meinem Kopf. Und ich weigere mich dagegen, dass es eine Bezwingermentalität ist, die die Gipfelgier in mir schürt, ich glaub, das ist nicht intrinsisch.
Und jetzt, am Gipfel, wenn man zweitausend Meter höher ist, als irgendwas anderes in der Umgebung. Da geht ein ziemlicher Wind. Und da kondensiert der halbe Himmel und es nebelt, dass es mit der Hälfte auch bald einmal genug gewesen wäre. Aber wen finde ich natürlich ebenfalls den orkanhaften Gipfelverhältnissen trotzend oberhalb des Schreins? Meine deutschen Plaudertaschen. Und so kauere ich hinter einem Felsen, zu dem ich in einer kurzen Windstille vorgeprescht bin, um einen Blick in den Krater zu werfen. Ich kann tatsächlich nicht aufstehen, weil mich der Wind mitnehmen würde und meine Finger sind bereits so durchfroren, dass ich Schwierigkeiten habe, die Clips an meinem Rucksack zu öffnen oder zu schließen. Nicht, dass ich mir einen Tee einschenken hätte wollen, bei den Verhältnissen, aber ich hab mich mit einem getrockneten Tintenfisch belohnt, den ich mir als Gipfeljause im Geschäft gekauft hab: Gewöhnungsbedarf vorhanden, aber natürlich motiviert die Situation zum Genuss.
Den asiatischen MitwandererInnen scheint die ganze Gipfelgeschichte relativ egal zu sein. Ich mein: relativ. Weil das Erreichen schon Begeisterung auslöst. Auf den letzten Metern berichterstatten immer mehr Leute ihrem Selfiesticktelefon den Höhepunkt, auf den sie sich stetig zuarbeiten. Das, denke ich mir, das ist wie diese Selfieunfälle passieren. Weil man fragt sich schon, warum doch viele Leute dabei zu Tode kommen, von sich selbst ein Foto aufzunehmen, auch wenn sie neben einer Schlucht stehen. Aber hier sehe ich, das sind wahrscheinlich eher diese Leute, die sich während der Strapaze selbst noch im Bild halten und ihrem Telefon erzählen, wie anstrengend oder super die aktuelle Situation ist. Und nachdem letzten Tor, das das Ziel des Aufstiegs symbolisiert (nicht der Gipfel), höre ich viele Ausrufe der Dankbarkeit. Aber vielleicht ist das auch das einzige, was ich verstehe. Ich mein, ich kann sagen, dass sie nicht Guten Tag gerufen haben oder Auf Wiedersehen. Oder von eins bis zehn gezählt haben. Weil das ist es mit meinem Japanisch. Aber interessant schon, denke ich mir, wie das mit der Dankbarkeit in verschiedenen kulturellen Kontexten ist. Natürlich, ich mach gleich wieder einen kulturellen Kontext daraus anstatt einem Menschen zugehört zu haben, der auf japanisch Dankbarkeit für die Wegbeendung ausgedrückt hat. Und dem stell ich die alte Frau gegenüber, die in Maria Alm gesessen ist und als man sie fragt, ob sie stolz auf ihren Sohn sei, weil der diesen oder jenen Erfolg vorzuweisen hat, hat sie gemeint, nein, nicht stolz, nie stolz. Dankbar sei sie. Weil Gott und so. Und dann denke ich mir, dass so viele Aspekte des Lebens in Europa von Institutionen vereinnahmt und beansprucht worden sind und diese Institutionen, wie man in den letzten hundert Jahren dann zunehmend kritisch feststellt, eine lange Geschichte gewissen Fehlverhaltens besitzen und wir uns vielleicht mal mehr, mal weniger davon zu distanzieren beginnen. Von einer lustfeindlichen Kirche, von einem rassistischen Imperialismus, von einem entmündigenden politischen Autoritarismus. Mehr oder weniger. Und dann leidet vielleicht auch einmal die Dankbarkeit, weil vor lauter den Patriarchen dankbar sein und den Patriarchen dankbar sein müssen vielleicht die Wertschätzung einer Situation oder eine Hilfeleistung ein bisschen aus der Übung gegangen ist. Ein schwieriges Verhältnis zur Dankbarkeit, aber zu Recht.
Nachdem ich vom Philosophieren im selbstverschuldeten Kraterrandexil zurück in den relativen Windschatten geschafft habe, hock ich noch ein bisschen in der einen oder anderen herum und versuche durch die altbewährte Methode des Teetassehaltens wieder Wärme in die Finger zu bekommen. Ich krieg nach wie vor mehr Kiesel in den Tee geblasen als Lebenskraft in die Fingerspitzen, aber es tut sich was, ich werde alle meine Finger behalten können. Und dann noch ein bisschen Tintenfisch.
Aber ja, was tut man dann, wenn man am Gipfel ist? Man belohnt sich mit dem, was man sich bis dahin vorenthalten hat und wenn es nicht so zugenebelt wäre, dann werfe man einen Blick in die Umwelt. Durch den Nebel gestarrt zeigt sich bloß, dass mich mein Kraterrandsbesuch sicher nur auf bis zu zwanzig Meter unterhalb der höchsten Kraterrandsstelle geführt hat, das sind so die Schwierigkeiten mit einem kreisrunden Gipfel. Es reicht jetzt allerdings, ich begnüge mich mit einem Blick in die Richtung des Fujihöhepunkts und folge den Abstiegspfeilen.
Es geht flott, dass man wieder aus dem Ärgsten heraus ist. Aber dann wird s halt nochmal wirklich öd. Weil hier wiederum mehr Schutt und Geröll, die Serpentinen sind großzügiger aber Einschätzung für die Wegdauer ist dafür etwas entsprechender und es sind halt drei Stunden bergab stapfen. Ich will nicht sagen, dass es erst hier ist, dass die Bergschuhe nun wirklich zu leuchten beginnen, aber natürlich sind stabile Fesseln schon etwas wunderbares, wenn man so vor sich hin stolpert. Auch die Knie machen keine Spompanadeln, da hat mir einmal das linke ein bisschen belastet gewirkt und dann kurz darauf das rechte und ich hatte vergessen, dass es vorher das linke gewesen ist und hab mir gedacht, das sei immer noch dasselbe Knie und dann hab ich mich erinnert und mir gedacht, das ist wohl nicht so schlimm für die Knie, wenn sie sich abwechseln und ich merk s nicht einmal. Und weil der Geist frei ist, begeistere ich mich jetzt noch ein bisschen für die Geologie, hebe mal hier mal da einen Stein auf und freue mich über Formen und Farben des Vulkangesteins. Weil das ist irgendwie schon was tolles, wenn man einem Stein ansieht, dass er vor nicht allzu langer Zeit noch flüssig gewesen ist.
Na und dann bin ich wieder auf der fünften Station. Von halb acht bis dreiviertel drei, sieben und eine dreiviertel Stunde. Und nachdem um kurz nach drei der Bus mich bereits wieder nach Fujiyoshida geschupft hat, war ich um fünf schon frisch geduscht, den Kies großteils aus dem Rucksack gebeutelt und sogar die Steine, die ich mir als Andenken vom Gipfel mitgenommen hab, in den Mistkübel entsorgt, so sehr hatte ich das Adrenalin bis dahin abgebaut. So vom Gehen her, war s schon recht gut, auch wenn es insgesamt ein bisschen mehr eine spirituelle Erfahrung ist, in der relativen vulkanischen Einöde in den Wind hinauf zu stapfen und dann auf dem Forststraßenäquivalent wieder runter. Vielleicht war s ein Pech, dass das Wetter oben so stürmisch gewesen ist, auf der anderen Seite war s ein Wahnsinnsglück, dass das Wetter überhaupt so gut war, weil Freitag hat s dann tatsächlich noch geregnet und das ist sicher kein Spaß.
Und weil s ein Vulkan ist, gibt s auch Thermalquellen in der Gegend. Und da bin ich am nächsten Tag noch hin und hab mir eine Runde Onsen gegeben. Das gehört irgendwie noch dazu, weil da sind zwar keine Bergschuhe mehr im Spiel gewesen, aber ich war schon ein wenig muskelverkatert am nächsten Tag und da ist so ein Warmbadetag gerade das richtige.
Auch hier gibt s einen Shuttlebus, der mich von der Station abholt. Ich bin allerdings ein bisschen schlecht organisiert für diesen Ausflug, stelle ich fest. Ich hab einen Bus zu erwischen, der mich nach Tokio zurückbringt und dadurch komm ich fast ein bisschen in einen Zeitdruck, weil der Shuttlebusrhythmus so ein Klumpert ist. Ich hab schon gesehen, dass der Onsen nur vierzig Minuten entfernt ist, also: zu Fuß. Was ich nicht gesehen hab, ist, dass es nur noch zwanzig von der Busstation sind und ich nicht zwanzig Minuten hätte warten und dann zwanzig Minuten in die entgegengesetzte Richtung chauffieren hätte lassen müssen, bis der Kreisverkehr mich zurück an den Onsen gebracht hat. Pfff! Ach ja, weil nachdem der Bus beim Onsen selbst gar nicht mehr gehalten hat, bin ich von der vorletzten Station dann eh nochmal zehn Minuten gegangen.
Onsenonsenonsenonsen.
Jetzt interessant auch, dass ich schon bevor ich mir eine Eintrittskarte kauf, meine Schuhe in einer Kiste lassen muss, auf deren Schlüssel ein Chip ist, den ich beim Rausgehen lesen lassen muss und zahlen, damit ich wieder raus kann. Es handle sich alles um bargeldlosen Bereich. Was irgendwie logisch ist, weil wo soll man s denn aufbewahren. Nein, keine Taschen, keine Hosen. Ich krieg ein kleines Handtuch und das stellt sich als sehr vielseitig heraus. Sonst lasse ich alles im nächsten Spind, und während ich noch den japanischen Bademantel anziehe, den ich ebenfalls ausgeborgt bekommen hab, dreh ich nach einem Blick durch die automatische Schiebetür wieder um und zu meinem Spind zurück. Den brauch ich hier nicht.
Jetzt. Da ist schon viel Nacktheit in so einem Onsen. Wir sind natürlich nach Geschlechtern getrennt, das fängt schon vor dem Kassenbereich (obwohl dort ja keine Kassen sind, ist wohl mehr ein Informationsbereich) an, dass die Schuhkästchen für die Frauen und die Männer getrennt sind. Und dann im Bad ist nicht so schlecht, dass hier in Japan Frauen und Männer selbst auf Toiletten immer auch farbcodiert sind, also Frauen alles rosa (mit einer Tendenz zu rot, ich betrachte das als das in dieser Hinsicht progressive Japan), Männer alles blau. Und so bin ich zumindest da zielstrebig. Mit meinem ersten Schritt ins Bad bin ich mit so viel neuem konfrontiert, gleich mal Kardinalfehler. Nicht, dass ich ganz ohne mich zu waschen ins erste Becken gestiegen bin, aber ich hab mich mehr ein bisschen nur so aus einem großen Bottich überschüttet, mehr rituelle Waschung. Während direkt daneben Duschen mit Seifen und Shampoos gestanden sind. Und die sind ja nicht einmal uneinsichtig oder besonders stabil von einander getrennt. Da sitzt man ja wirklich nebeneinander. Und man ist zum Waschen da. Dafür sind nämlich dann auch die Bademäntel, weil dann macht man sich Umkleidekabinenbereich noch hübsch, nicht nur Frisieren (sind das drei Sorten Haargel?) sondern auch Rasieren.
Aber ja, die ersten Minuten verbringe ich damit, mich über meinen Faux Pas zu sorgen, während ich die verschiedenen Bäder erkunde. Von der Architektur fand ich s auch schnell einmal interessant, weil die Männer und Frauen zwar getrennt, aber unter dem gleichen Dach sind. Und die Trennwand geht nicht bis zur Decke und so hören die einen die anderen und umgekehrt. Da kam mir schon manchmal vor, dass da drüben mehr gelacht würde als bei uns herüben, wo sich Männer ehrfürchtig vom Schlafbecken, ins aromatisierte Wasser, in die Sauna, auf die Liege bewegen. Aber dann kam eine Gruppe junger Zwanziger und ich hab mir gedacht, das ist schon sehr seltsam, weil die auch gar nichts vor einander versteckt haben, wenn sie da gemeinsam durch die Becken gestiegen sind. Ja, der eine saß sogar sehr offenbeinig am Beckenrand, während seine Kumpels bis zu den Schultern im Wasser untergetaucht waren. Das sind womöglich eigene Verhältnisse, die man da zu seinen Kollegen hat, wo das nicht mal kommentiert wird (worden scheint). Na, die haben auf jeden Fall auch manchmal ein bisschen einen Wirbel gemacht und haben diese Frau-Mann-Differenzen-Beobachtung relativiert.
Aber selbst der freizügige Freikörperumgang gleichgeschlechtlicher Twens hat mich weniger überrascht, als einen Fernseher in der Sauna zu finden. Dass die Sauna keine Saunaofen hatte, das ist das eine, das sind einfach unterschiedliche Saunatraditionen. Aber während im ganzen Bad verhältnismäßige Stille oder generische Massagetherapiemusik gespielt wird, kann man ausgerechnet in der Sauna dann Vormittagstalkshows schauen. Das kam mir seltsam vor. Und wie timed man seine Saunazeit, sans Aufguss? Bis zur nächsten Werbeunterbrechung? Well, I guess einfach bis man genug hat.
Zwischendurch kann man sich ein bisschen mit seinem kleinen Handtuch abtrocknen oder auf dem Weg von Becken zu Becken die eigenen gentleman vegetables verdeckt halten. Oder sich damit beim Waschen abschrubben. Wichtig ist, dass es dadurch zu einem persönlichen Gegenstand wird, den man nicht mit ins Becken nimmt. Traditionell hat man s einfach auf dem Kopf, weil der geht auch nicht unter Wasser. Aber oft genug legt man s einfach auf den Beckenrand. Da ist es gut aufgehoben. Das faszinierende ist aber doch, wie das Handtuch nass funktioniert und nach dem Auswringen tatsächlich noch gut genug zum Abtrocknen ist. Das ist schon faszinierend irgendwie. Ich mein, der ganze Onsen war angenehm warm und das ist wohl nicht nur das Thermalwasser sondern auch der Spätsommer, vielleicht ist das im Winter ein bisschen kritischer mit der Lufttemperatur. Aber ich kann mir vorstellen, dass es insgesamt schon angenehm warm ist, auch wenn s draußen winterlt.
So war das. Es war weniger aufregend als die vulkanischen Bäder in Neuseeland oder Indonesien, wo dem heißen Wasser der Geruch von Schwefel und anderen Gerüchen aus den Tiefen der Erde anheften. Um es mit einer für meine Japanbeschreibungen langsam aber sicher ausdrucksschwachen Beschreibung zu sagen: es war hübsch und schlicht, durchaus gemütlich. Und auf jeden Fall praktikabel. Wie gesagt, ich bin da mit der ritualisierten Waschung hineingegangen, aber es erschien in der Praxis wirklich etwas, wo nach wie vor der Aspekt der Hygiene eine zentrale Rolle spielt. Während man sich bei uns im Bad die Chancen dafür, dass man sich was einfängt in der Regel höher wirken, als dass man sich was auskuriere.
Nachdem ich ein letztes Mal im künstlich karbonisierten Wasser gelegen bin (weniger aufregend als man denkt), hab ich mich wie selbstverständlich auf meinem Schemel gewaschen und hab mich dann mit dem gleichen Handtuch abgetrocknet, mit dem ich mich gerade gewaschlappen hab. Und dann bin ich zu Fuß ins Hostel, wo ich noch kurz mit der Rezeptionsbesetzerin über ihren Abstieg im Regen geplaudert hab und dann wieder zurück zur Busstation. Dort noch schnell eine Schüssel Udon gelöffelt und nach zwei Stunden Autobahn wieder im vertrauten Tokio. Ich lauf trotz aller Vertrautheit sofort in die falsche Richtung. Nicht einmal sofort: nach minutenlanger Überlegung und Telefonrotation marschier ich zielstrebig los um dann festzustellen, dass ich absolut in die falsche Richtung unterwegs bin. Und for the sake of Textstrukturierung ist das ein guter Punkt um festzustellen, dass es gut ist, dass man s auf einem Berg schnell einmal merkt, wenn man in die falsche Richtung unterwegs ist.