The Tahiti Life

Die Zeit vergeht so vor sich hin und es ist erstaunlich schwer, das in Worte zu fassen. Tatsächlich setz ich mich jeden Tag hin, tipp ein bisschen in diesen Text hinein, streich Sachen raus, bringe Daten und Reihenfolgen up-to-date und mache mir Notizen zu neuen und alten Sachen, die ich hier beobachte, die dann ein neuer Absatz werden. Manchmal merke ich, wie mich das eine oder andere Thema seltsam nachdenklich macht, politisch, fatalistisch oder sonst irgendwie in eine komische Richtung bringt. Das kommt dann in die privaten Notizen. Und so schwimmen die Tage ein bisschen in einander, ohne Rück- und ohne Weiterflug ist mir schnell einmal ein bisschen das Gefühl für die Zeit verloren gegangen. Und nachdem meine Unterkunft so leger organisiert ist und wir seit ich hier bin mehr oder weniger mit der gleichen Besetzung hier wohnen, die Türen sind offen, die letzte dreht das Licht ab… Die anderen gehen ja arbeiten tagsüber, wenn ich aufstehe, ist außer mir oft nur Christine da, die als Künstlerin weniger rigide Arbeitszeiten hat.

So schlurf ich durch das leere Haus und setz mich mit meinem Frühstück auf die Terrasse. Ich weiß nicht genau, wie sekundär da mein Analphabetismus zugeschlagen hat, aber als ich im Geschäft gesehen hab, dass in der Schachtel zweiundfünfzig Sackerl mit Fertigporridge enthalten sind, hab ich noch die Division zum Einzelpreis hin geschafft, aber dass ich davon zwei Monate lang Frühstück hab, ist nicht ganz durchgedrungen. In Wahrheit war ich schon froh, da eine Quelle gefunden zu haben. Ohne Janes Küche in Melbourne hab ich in dem Wegwerfporridge eine zufriedenstellende Lösung des Frühstückproblems gefunden, die ich froh bin, nicht der Veränderung der kulturellen Rahmenbedingungen zum Opfer machen zu müssen. Zugegeben, es ist mehr, dass ich mir nix überlegen muss. Weil was die kulturellen Rahmenbedingungen schon zur Verfügung stellen ist ein Baguette, das ich letztens fast aufgenascht hatte, bevor ich damit daheim angekommen bin, weil das gut gemacht war.

Seit ich mit dem Tauchen angefangen hab, bin ich abends dann auch müde vom Tag. Wobei mich der Sonnenbrand Anfang der Woche am meisten hergerissen hat. Das war auch nicht schön anzusehen, weil ich nicht nur, dass ich ja theoretisch aus dem Winter komme, ich hab ja auch sonst eine schwierige Beziehung zur Sonne. Wer weiß, was ein Witchetty Grub ist, ist im Vorteil, wenn ich mich mit einem solchen vergleiche. Also halb Kellerblässe, halb Sonnenbrand. Solange mir niemand anerkennend auf die Schulter klopft, ist es trotzdem gemütlich. Zum Beispiel weil ich Brownies für die Abschiedsfeier des Portugiesen gemacht hab, was viel besser angekommen ist als das Bananenbrot ein paar Tage zuvor. Butter, Zucker, Schokolade… da braucht man den Leuten nicht mit Obst kommen.

Witchetty Grub

A propos Obst: während ich meine Zeit also verhältnismäßig gelassen im Garten sitzend verbringe, ist mir letztens aufgefallen, wie quasi jeder Baum hier ein mehr oder weniger exotisches Obst trägt. Wenn man s genau nehmen will (und immerhin ist das das Internet, da muss man bei sowas durchaus vorsichtig sein), ist es nicht immer Obst oder nicht immer ein Baum auf dem das Zeug wächst: Bananen und Kokosnüsse, Maracujas, Sternfrüchte (von denen eine etwas überreife mal mit ziemlichem Karacho neben mir vom Baum gefallen und am Boden zergatscht ist), Papayas und Mangos. Die Maracujas haben den Zenit wohl gerade überschnitten, aber vier, fünf gibt s noch jeden Tag, die Papayas ist gerade erst so richtig im kommen. Der Mangobaum hingegen wirkt nicht, als wäre er wirklich für den Ertrag gemacht, da hängen an einem Ast eher einmal ein Dutzend kleine Mangos als eine ordentliche. Und vom anderen Nachbarn wachst der Brotfruchtbaum herüber.

Die Brotfrucht haben sie letztens in den Griller gelegt, direkt auf die Kohlen und es hat trotzdem ewig gedauert, bis sie durch war. Geschmeckt hat s dann ziemlich nach Kartoffel, aber, wie viele am Tisch beteuerten, das war wohl auch, weil sie zur Zubereitung kiloweise Butter drunter gemischt haben und das ganze dann bisschen Kartoffelpüree gewesen ist nur halt sans Kartoffel.

Paradiesische Zustände? Na ja, nicht wenn ich mir von den Ärztinnen über den Zustand des Gesundheitsbewusstseins auf der Insel erzählen lasse. Und wie das polynesische Gesundheitssystem nicht das Niveau des französischen hat. Oder von der Sozialarbeiterin Bilder gezeigt bekomme, wozu auch auf Tahiti soziale Isolation führt. Meine Probleme sind zugegebenermaßen etwas weniger dringend und tendenziell insektenbezogen. Die Gelsen sind recht eine Plage, meine Füße sind mit Bissen übersäht und heute bin ich tatsächlich aufgewacht, weil mich eine in den Arm gestochen hat. Da hab ich mir schon gedacht, irgendwo hört sich der Spaß auf. Sonst checke ich halt jetzt im Bad noch bevor ich das Licht andrehe oder die Klodeckelposition ändere, ob da nicht eine Küchenschabe sitzt. Aber ja, insgesamt: bof.

Finken am Futtern und Flüchten

Die meiste Aufregung hat uns die Nachbarskatze verschafft, weil sie ihre drei Kätzchen lieber bei uns großzieht als im Nachbarsgarten, wo ein Hund und eine Handvoll andere Katzen für Unruhe sorgen. So haben wir Katzenbabies bekommen: whoot! Letztens hat ihnen die Mutter eine halbe Ratte vorbeigebracht, nur dass ich das zuerst nicht erkannt hab und den Eindruck hatte, die spielen mit einem Kabel. Aber nein, die eine ist dann ein bisschen auf die Seite und dann hab ich gesehen, dass da Füße dran sind und überhaupt, dass an den zwanzig Zentimetern Rattenschwanz noch eine halbe Ratte dran hängt. Und in der Einfahrt liegen die Schwungfedern eines Finken (Lonchura castaneothorax), die ihm zuletzt wohl den notwendigen Aufschwung vorenthalten haben. Aber ur herzig. Und so unglaublich leicht, wenn man sie einmal zum Hochheben erwischt. Mittlerweile sind sie zwei von dreien auch schon vercheckt und wahrscheinlich haben sie da ziemlich ein Glück, mit dem Leben davongekommen zu sein.

Die Mutter wird Mimi gerufen und ich weiß nicht, ob sie so heißt oder ob das unter FranzösInnen eine generische Katzenbezeichnung ist. Aber in erster Linie (und nicht französisch ausgesprochen): moi!

Wer will noch was zur Vogelwelt lesen? Die „Honigfresser“, die mir in Australien so ein Novum gewesen sind, hab ich bisher echt in jedem Land gefunden, das ich seit dem besucht habe. Noch dazu schauen sie sich von Sumatra bis Tahiti relativ ähnlich und ich erinnere mich, schon mit dem einen in Australien Bestimmungsschwierigkeiten gehabt zu haben. Also zurück an den… Identifikationstisch. Und ich bin natürlich jetzt überhaupt nicht sicher, was ich damals gesehen habe. Aber was ich nicht bestimmt hab und sicherlich auch in Tin Can Bay gesehen hab, das ist der Hirtenmaina. Ich mein, den Namen hätten wir uns gemerkt. Aber das macht natürlich Sinn, weil der als extrem invasive Spezies beschrieben wird, nicht nur im Durchsetzen sondern auch im absichtlich Aussetzen. Also: Common Myna. Schaut jetzt nicht ur wie ein Hongfresser aus, hätte ich ein Bild gehabt, wäre das wohl schnell einmal aufgeklärt gewesen.

Außerdem gibt s diese kleinen Tauben, Sperbertaube (Geopelia striata). Dabei dürfte ich, nur weil sich s anbietet, in Australien das Friedenstäubchen (Geopelia placida, der deutsche Name ist ja wohl etwas herablassend) richtig bestimmt haben. Nah verwandt auf jeden Fall, die deutsche Wikipedia sagt, manche AutorInnen sehen in ihr eine Unterart der Sperbertaube. Die englische Wikipedia wiederholt diese Aussage und ergänzt until recently. Die Tauben laufen auf jeden Fall viel am Boden herum, was mir gut gefällt, weil es meine Dinosaurierassoziation erleichtert. Dann gibt s noch diesen Finken, von denen die Katzenmutter einen erledigt hat. Und den Rußbülbül (Pycnonotus cafer), der sich auch wiederum vor allem dadurch hervortut, dass er als extrem invasiv beschrieben wird. Und ich hab noch gedacht, schau, was für ein schöner einheimischer Vogel. Aber vor allem gibt s Unmengen von Hühnern. Zumindest auch nicht einheimisch, wenn schon nicht invasiv in dem Sinn. Invasiv vielleicht in meinen Schlaf, das schon, ich wach tatsächlich immer noch mit dem Hahnenschrei auf. Aber ich steh nicht auf sondern schlaf weiter, weil das ist üblicherweise etwas zu früh. Aber schon schön, die Hähne, wie die glänzen und schillern. Und wild, die Krallen.

Skeptischer Hahn

Ich bin immer noch nicht in Pape’ete gewesen, aber ich gehe regelmäßig die Straße hoch zur Marina für meine Tauchstunden. Und dort sitzen immer wieder Leute, die Mangos, Ananas und Honig in Flaschen verkaufen. Wobei ich selbst auch immer wieder mal eine ordentliche Mango einfach auf der Straße finde, weil die dort vom Baum gefallen ist. Und dafür, dass die hier so aufklaubbar sind, finde ich die vier Euro, die dafür verlangt werden, doch ein bisschen heftig. Interessant übrigens, dass in der Bevölkerung das Blumen-im-Haar-Tragen total wirklich praktiziert wird. Es gibt im Supermarkt auch künstliche, die man sich ins Haar spangerln kann, aber nachdem überall die großzügigsten Blüten sprießen sind s in der Regel doch wohl meistens echte.

Zur Marina rauf ist es eine knappe Stunde. Und dann wieder eine Stunde runter, aber das ist meine Bewegung. Komisch eigentlich, dass ich mir denke, dass es für einen echten Ausflug ins Landesinnere einfach zu heiß sei, ich aber trotzdem meinen Weg marschier. Es gabert sogar einen Bus, aber das erschien mir bisher tatsächlich als der größere Aufwand herauszufinden, wie der funktioniert. Dafür hab ich letztens mit einem Sonnenbrand bezahlt. Nämlich den Sonnenbrand im Gesicht. Den Sonnenbrand am Rücken hab ich mir in den zehn Minuten geholt, in denen ich mit nacktem Oberkörper am Boot gesessen bin, mit dem wir zu unserer Tauchstelle gefahren sind. (Sagt man gefahren für ein Boot?) Danach hab ich den Anzug zugezippt und die Sonne hat quasi keine Chance sonst irgendwann zu meiner zarten Engerlinghaut durchzudringen.

Oh, aber Tauchen! Ich war jetzt dreimal in der Lagune tauchen und einerseits versteh ich ein bisschen besser, was eine Lagune ist, und wie das in echt ausschaut, was komisch ausschaut, wenn man s auf einer Landkarte sieht und zweitens ist das schon unglaublich. Es ist nämlich wirklich unglaublich. Allein die Farbe, die das Meer hat. Ich war erst ein wenig perplex, bis die eine Taucherin meinen Blick gesehen hat und gemeint hat, es sei wohl wie ein Swimming Pool. Ich war ein wenig sprachlos auf der Suche nach einem Vergleich und dieser kam mir etwas banal vor. Aber es stimmt halt trotzdem: Das Meer ist da etwa sechs Meter tief und es hat eine Farbe wie Schlumpfeis. Das Wasser ist so klar, dass am Boden das Licht tanzt. Und so wie an den Straßenränder Zimmerpflanzen wuchern, so schwimmen schon im Yachthafen die Aquarienfische herum. Und natürlich die paar hundert Meter, die ich bisher draußen gewesen bin: mehr Aquarienfische. Insofern hab ich in meinem Tauchbuch unter der Ortsbezeichnung dann auch L’Aquarium hingeschrieben. Wobei das mehr die kontrollierten Umstände beschreibt, unter denen ich dort atmen lerne.

Das ist erstaunlich schwer. Selbst wenn ich meine Erfahrungen jetzt auch schon jenseits der Lagune sammle, so zu atmen, dass ich in einer Ebene bleibe, ist nach wie vor die größte Herausforderung. Immerhin hab ich die leichte Panik abgelegt, die mich anfangs bei dem Gedanken, dass ich zehn, zwanzig Meter unter Wasser für eine halbe Stunde und länger aus einer Flasche atme, durchflutet hat. Dieser eher theoretische Gedanke wird relativ schnell von der Praxis eingeholt, wo man einfach merkt: Es geht halt. Und jetzt sammle ich dann ein bisschen Fische: Noch bevor ich das allererste Mal unter Wasser getaucht bin, hab ich schon einen Stachelrochen durchs Wasser hab huschen sehen. Kurz darauf ist uns ein interessanter, aber mir mir im Nachhinein unbestimmbarer Fisch über den Weg und den Lagunenboden gekrabbelt. Am Tag darauf haben wir dann einen Feuerfisch aufgespürt, der sich in einem Riff versteckt hat. Aber dann raus aus der Lagune ist schon nochmal was anderes, allein weil wir in einer halben Stunde vier Schildkröten getroffen haben und das ist schon was ziemlich cooles.

Ich hab insgesamt Fotos gemacht bisher, aber vor allem von unter Wasser gibt s jetzt erst einmal welche aus dem Internet.

Sonst tu ich mir zum Beispiel noch ziemlich schwer, einmal unter Wasser, TaucherInnen von einander zu unterscheiden, aber insbesondere verschwimmen (haha!) mir die TauchlehrerInnen leicht einmal alle in zirka die gleiche Person. Nicht nur, dass die LehrerInnen in den Anschauungsvideos (die ich mir mit ZeugIn bestätigen musste, angesehen zu haben) genauso ausschauen, wie die in echt, ich hatte auch gestern einen anderen als heute, aber unter Wasser, hinter der Brille, mit dem Luftschlauch im Mund schauen sie alle bisschen gleich aus. Und von der Gestik her gibt s auch nicht viel Spielraum, nachdem alle Bewegungen zur Kommunikation mit großer Deutlichkeit gemacht werden. Darin muss irgendwo der Grund liegen, warum Taucherbrillen in Neonfarben auch für Erwachsene zu haben sind.

Insgesamt bin ich von der ganzen Eine-Neue-Fertigkeit-Erlernen fasziniert. Einerseits einfach, weil ich einer Didaktik ausgesetzt bin, weil ich Sachen gesagt und gezeigt bekomme, die ich dann wiederhole und später nochmal abgefragt werde. Aber auch weil es nicht in erster Linie kopfig ist sondern von mir Körperkontrolle oder halt Gestaltung von Muskelgehirn verlangt. Und auch, wo man ein bisschen in eine Gemeinschaft eingeführt wird, die ihre eigene Sprache und Gestik, ihre eigenen Werte und Bedeutungen mit sich bringt. In diesem Zusammenhang kann ich vielleicht auch feststellen, dass ich meine schicken Schwimmbadehosen letztens heimgeschickt habe. Aber jetzt vermiss ich sie fast. Einerseits sind die Franzosen wohl einfach ein bisschen näher an der Spandex-Badehose-Kultur als die Anglophonen, aber es ist auch eine Frage des In-den-Anzug-Hineinkommens.

Auf der anderen Seite erlebe ich die Verantwortung, die ich dabei für mich übernehmen muss als eine große Herausforderung. Also, nicht „Herausforderung“-Herausforderung. Aber es war ein bisschen unerwartet, als ich gestern meine Ausrüstung gecheckt hab, meine Luft und meinen Druck und dass alles richtig angeschlossen ist und funktioniert. Und es dass dann gewesen ist, der eine Anleiter hat mich gefragt, ob ich dieses und jenes gecheckt hab und ich sag ja. Und er sagt passt. Und das war s dann. Da hab ich ein bisschen gemerkt, ja, ich tu das nicht, damit ich die Checklisten in der richtigen Reihenfolge durchgehe, die ich am Tag davor gelernt hab. Sondern ich tu das, damit meine Sachen gecheckt sind, weil jetzt dann mein Leben davon abhängt, dass das Gerät mir erlaubt, unter Wasser zu atmen. Ich mein, ja, so schlimm ist es jetzt noch nicht, aber es hat einen Unterschied gemacht und ich hab ein bisschen gemerkt, dass ich immer noch ein bisschen mehr lern, weil s gelernt gehört und nicht, sagen wir mal: mit Anwendungsorientierung.

Auch sonst merke ich im übrigen die Abnutzungserscheinungen an meinen Gerätschaften. Innerhalb der letzten Woche hat mir in einem T-Shirt der Stoff der Belastung (Dauernutzung, Wäschetrockner) nachgegeben, das Leder meiner Waldviertler reißt an verschiedenen Stellen durch und heute sind hat sich mein linker Kopfhörer verabschiedet. Auf der anderen Seite bin ich grad bisschen viel mit Administration von meinem daheimgelassenen Leben beschäftigt und höre regelmäßig mal den Falter Podcast oder ein Ö1 Journal. So bin ich grad in einem relativ regelmäßigen Leben, wo ich Termine hab und wo ich zumindest via proxi einen Rhythmus von Arbeit und Wochenende erlebe. Hingegen erlebe ich auch den Bezug zu Österreich gerade etwas intensiver, auch wenn (oder weil) sich manches davon langsam auflöst, wenn s auch nur ein Schuh ist, der sich Stück für Stück verabschiedet.

Warte, wenn der Mond in der Nähe des Äquators in der Senkrechten sichelt, das bedeutet dann wohl für die Südhalbkugel… und ich hab das jetzt ein halbes Jahr nicht überrissen?

…aber keine Euro

Eigentlich ist es erstaunlich, dass das hier Tahiti heißt, würde doch Tahit’ viel französischer klingen. Und sonst klingt alles sehr französisch. Vielleicht ist es einfach das, was mich heute so müde macht. Oder es ist das, dass ich doch jetzt einen Tag hinterher bin und ich den langen dreiundzwanzigsten Juli kaum geschlafen habe. Kaum im Flugzeug, kaum in Auckland, kaum im Flugzeug. Und jetzt hab ich zwar heute vierzehn Stunden geschlafen, aber ich bin trotzdem schon wieder müde wie nix und es ist grad einmal halb acht.

Es war sehr schön bis jetzt, ankommen mit Blumenkranz. Naja, hab ich mir gedacht, aber das lass ich halt einmal mit mir passieren. Immerhin besteht das Empfangskomitee aus europäischstämmigen FranzösInnen in Flip-Flops, das reduziert die Exotik. Der Flughafen ist herzig, ich freu mich über die Schlange für die InhaberInnen von EU-Pässen. In der stehen wir dann mit den Einheimischen, was ich auch finde, dass die Exotik reduziert. Dass mein Immigrationszettel, für den ich mir so viel überlegt habe, mir von dem Beamten schnell einmal abgenommen und ohne ihn Anzusehen oder mir noch weitere Fragen zu stellen abgelegt wird, wird am Abend von meinen MitbewohnerInnen mit, ja, die FranzösInnen, denen ist das wurscht, kommentiert.

Im Haus sind außer mir ein Portugiese, ein halber Belgier und der Rest FranzösInnen. Inklusive der zweiten Hälfte des Belgiers. Es ist gleich ein netter Abend, weil die Gruppe miteinander vertraut ist und, ich würde sagen, dass das auch mitspielt: es sind halt FranzösInnen. Vornehmlich merkt man das daran, dass plötzlich Käse, Würste und Baguette herumgereicht wird, dann wird ein Wein aufgemacht und mehr Wurst. Und getschickt wird, wie ich es seit Indonesien nicht mehr gesehen habe. Ich mein, es ist nicht nur Klischee, was hier bedient wird, es gibt auch Bier und als es später wird, wird noch eine Pizza aufgetaut und es mischt sich dergestalt mir allgemeinem Hostelverhalten.

Und ich sitze dabei und höre zu und es geht so. Ich mein, ich verstehe zirka was geredet wird, wenn ich aufpasse. Ich krieg mit, wenn wo ein Witz erzählt wird, aber ich versteh ihn in der Regel nicht. Es ist interessant, denke ich mir zwischendurch, wie lange man über dasselbe Thema kann. Sowas fallt einem wahrscheinlich mehr auf, wenn man die Details nicht versteht. Dass dann jemand Eeewigkeiten über VeganerInnen und Honigkonsum reden kann. Oder… eines… der… anderen Themen. Ich merke, es ist doch nur wenig hängengeblieben. Ich mein, die Hälfte der Unterhaltung bestand wahrscheinlich eh aus doppelbödige Bemerkungen, über die zuerst minutenlang gekudert wurde, bevor sie unter Soundeffekten und Handbewegungen dem Portugiesen und mir erklärt worden sind. Es gibt scheinbar kaum ein Phonem, das im Französischen nicht sexuell konnotiert ist, das habe ich auf jeden Fall gelernt. Dann wieder werden Kinderlieder angestimmt und ich darf unterbringen, dass ich auch mit Le coq est mort aufgewachsen bin.

Tahiti ist so entspannt, dass die Kirchturmuhren ohne Zeiger auskommen

Dann haben die FranzösInnen sich ans Portugiesischlernen gemacht und bei geh in orsch, weil sowas lernt man, wenn man spontan ein paar Floskeln einer neuen Sprache lernt. Noch dazu scheint das ja in romanischen Sprachen insgesamt eine gebräuchliche Formulierung zu sein, die auch mit einem fuck off übersetzt worden ist, was aber dann letztlich doch auch näher am Ausgangsmaterial ins Portugiesische zu übersetzen war. Jedenfalls wurde in der näheren Analyse der Syntax der Scheinwerfer auf jenen Teil der Formulierung geworfen, der Richtung und Ziel der empfohlenen Bewegung bezeichne, nämlich up the ass. Und das hat die eine nicht sofort verstanden und wiederholt: Up ze aas? Und dann, erfreut darüber, verstanden zu haben, wiederholt hat: Up ze aas! Und ob ihrer unschuldigen Freude über eine eher analytische Erkenntnis, hat dieser Moment das ganze Gespräch um ein vielfaches ordinärer gemacht und der Sprachunterricht hat auch schnell zu einem Ende gefunden.

Und jetzt muss man auch dazu sagen, selbst wenn das jetzt kindisch rüberkommt, das waren keine Teenager, die mit mir Brot und Schmäh geteilt haben. Das sind fertige MedizinerInnen gewesen und ein Tischler und der Portugiese ist seit Europa mit dem Schiff unterwegs über Panama und so. Also durchaus Menschen mit Lebenserfahrung.

Dann hab ich mich hingelegt und hab noch überlegt, noch was zu lesen. Ich kann mich nicht erinnern, ob ich diese Entscheidung noch bewusst getroffen habe oder ob sich s einfach nicht ausgegangen ist, aber ich bin dann schlagartig eingeschlafen und bin einmal um sechs aufgewacht, als die Hähne zu schreien begonnen haben – umgedreht und weitergeschlafen. Um zehn haben vielleicht einmal Hunde gebellt. Und um zwölf ist es langsam zu warm geworden, um weiterzuschlafen und ich hab mein schwitziges Gesicht aus dem Polster geklaubt und in den Tagesablauf gehievt.

Mit der notwendigen Portion an Adrenalin hat mich die Küchenschabe versorgt, die mir beim Zähneputzen aus dem Abfluss gekrochen ist. Die dürfte, hab ich nachher rekonstruiert, als das In-Wörtern-Denken wieder zurückgekommen ist, von oben in den Abfluss bekrochen sein und nicht wirklich aus dem Kanal gekommen sein. Davor reiß ich auf jeden Fall mal den Wasserhahn auf und dreh in nach links, in einem Versuch die Schabe zu verbrühen… Letztlich hab ich sie einfach mal weggespühlt und diesen Abflussstopper wieder eingesetzt. Brrr. Groß war sie schon, oder vielleicht war das nur, weil ich mit der Zahnbürste in dem Moment so mundfixiert war, dass ich mich so geschreckt und derart geekelt hab.

Danach schlag ich mir eine frisch vom Baum gefallene Maracuja in den Fertigporridge, und hab mit meinem besten Französisch der Christine, zu deren Mittagessen ich mich dazugesetzt hab, versucht zu erklären, woraus Porridge besteht und mich dann noch ein wenig mit dem Portugiesen unterhalten. Der kommt gerade vom Surfen zurück. Oder etwas genauer gesagt hat er nach dem Surfen ein bisschen mit der Haushälterin geflirtet, das heißt, so oder so ist sein muskulöser, braungebrannter Seefahreroberkörper so richtig aufgebufft als er sich zu mir setzt, der ich in mit rotem Kopf und schweißbenetzten T-Shirt im Schatten sitze und Harry Potter (jaja, ich bin jetzt im letzten Band, das hat jetzt bald ein Ende) lese. Quasi seine Antithese erlebe ich einen kleinen Anfall von Identitätskrise. Wir plaudern über das Rumfahren und das Zuhausesein und ich merke, ich streue ein wenig Angeberwörter in meine Erzählung, sage awesome, wenn etwas hübsch war und beschriebe eine angenehme Atmosphäre als mellow, weil er hat sich eine Jazzzigarette gedreht und das ist so ein bisschen ein Kifferwort für gemütlich. Er erzählt von seinen Plänen, davon, in Bali ein Hostel aufzumachen, im ruhigeren Eck, wo er jemanden mit der passenden Immobilie kenne. Das ist aber noch weit hin, sag ich, weil er doch zwischendurch noch Pläne für Neuseeland und Australien hat. Ja, sagt er, aber er findet, das ist gut, die Zukunft mit Plänen auszugestalten, keeps him going. Mhm, sag ich, und versuche einen humorvollen Kommentar darüber zu machen, dass ich jetzt schon seit einigen Jahren versuche, ohne Ziel im Leben zurecht zu kommen. Aber nachdem der Witz verlangt, dass ich ihm widerspreche, scheitere ich an der Pointe, wo ich doch keinesfalls behaupten kann, dass mir das gut getan hätte.

Dann gehe ich zur Marina und schau mir die Boote an. Mei, was haben die Leute Boote. Auf einem Boot steht als Heimathafen Basel drauf und das macht mich ein bisschen kichern. Insgesamt bin ich aber durchaus beeindruckt, in einem Fall fast etwas ehrfürchtig, weil da so viel Boot ist und drei Masten und das ist doch ein ziemliches Bild, selbst wenn da goldene Schnörkel in die weiße… Hülle. Chassis? Wie sagt man zur Außenseite eines Boots? Breitseite. Bug, Rumpf, Heck. Über das Heck hängt auf jeden Fall eine mehrere Quadratmeter große Flagge der britischen Handelsmarine. Wo drei viertel rot sind und nur oben im Eck, wo man sich auf der australischen Flagge der Geschichte und auf der amerikanischen Flagge der politischen Geographie versichern kann, dort oben in der Ecke halt ein Union Jack hängt. Ist, wie ich gerade lerne, halt die Flagge, die sich auch private beziehungsweise zivile Schiffe mit britischer Affiliation dranhängen.

Nachdem ich mir ein bisschen die Boote angeschaut habe, das klare Wasser bewundert und ein bisschen in der Fisch- und Vogelwelt gestöbert habe, setz mich dann ins Restaurant wo die Leute essen gehen, die mit ihrer Yacht nach Tahiti gekommen sind. Ab fünf ist Happy Hour, aber ich trinke bloß schnell ein kleines Bier in der Social Anxiety Hour und grübel ein wenig über das Leben das ich führe, während sich um mich herum mehr und mehr YachtbesitzerInnen in Korbstühlen niederlassen.

Schon wieder Abend. Hier geht die Sonne des 24. Juli endgültig unter, hinter dem Horizont ist schon der 25. Vor dem Horizont ist Mo’orea, die Nachbarinsel von Tahiti.

Auf dem Heimweg hab ich mich dann noch mit einer letzten, etwas konkreteren Krise auseinandersetzen müssen, weil ich, als ich am frühen Nachmittag fröhlich in Richtung Marina losspaziert bin, mir nicht markiert geschweige denn gemerkt habe, wo meine Unterkunft ist. Und das ist mir zwischendurch schon mal eingefallen, dass ich da noch suchen werde müssen, aber ganz der Optimist habe ich mir gedacht, dass das schon werde. Und es wurde ja auch, aber die zehn Minuten, die ich dann im Dunklen die Straße auf und ab gelaufen bin und Abzweigung gesucht hab, sind mir durchaus länger vorgekommen. Ein-, zweimal kurz hab ich mir gedacht, dass ich schon ein Dillo bin. Dann wiederum ist mir auch zweimal Hilfe angeboten worden, nur leider: die Adresse, die ich von meinem Hostel hab, ist nicht die Adresse vom Hostel. Das hat ein junger Mann bestätigt und ich bin so zumindest ein bisschen zum Französischreden gekommen. Und ja, nein, die Adresse, die ich hab, da dürfte die Besitzerin wohnen, das ist den Berg rauf. Aber mit dem Wissen, dass ich nur zwanzig Meter vom Meer wohne (weil da ist einfach dauernd die Brandung bei mir daheim) und die Straße kurz nach meiner Einfahrt eine Kurve landeinwärts macht, konnte ich meine Suche eh schon ganz gut einschränken. Weil dank der Inselgeographie gibt s im Wesentlichen nur die eine Straße, die um die Insel herumführt. Und auf der anderen Seite hatte ich mir den einen Supermarkt gemerkt, also war verlaufen insgesamt nicht wirklich. Was mir nicht gefallen hat, das waren wieder einmal die Hunde. Weil ich hab dann zwei Seitengassen probiert, aus denen ich schnell wieder raus bin, weil die wie blöd gebellt haben. Da war sogar der Zaun und trotzdem, hab ich mir gedacht, nah, probier ich lieber eine andere aus – halt ohne zu wissen, dass es die nicht ist. Aber die dritte war dann ohne Hund und die war s dann auch. Also eh problemlos. Ich bin trotzdem kurz unter die Dusche gesprungen, weil mein Hirn dann doch ein bisschen Erleichterungshormone ausgeschüttet hat, die offensichtlich nebenher ein wenig Schweiß produzieren.

Abendbrandung

Um zwölf aufzustehen und dann trotzdem den ganzen Tag ein bisschen wie im Traum herumlaufen, das ist unerwartet gewesen. Aber was trotz allem ziemlich gut war, dass ich französisch rede. Ich mein, es ist holprig und manchmal fehlt ein essenzielles Vokabel. Aber im Großen und Ganzen verwende ich Verbformen wie sie mir in den Sinn kommen, also wie sie sich richtig anfühlen. So wo der Kommunikationsaspekt dann wichtiger ist als die Korrektheit. Und das ist ein ziemlicher Schritt.