Von den sicherlich vielfältigen Möglichkeiten back to work zu zitieren, denke ich an Amy Winehouse, während der Satz aus dem Kopf in meine Finger fließt. Und das ist ja nicht einmal ein echtes Zitat, work passt ja kaum dorthin, wo sie black gesungen hat. Und eigentlich ist es auch gar nicht so finster gewesen, mich wieder ein bisschen mit Arbeit zu beschäftigen. Im Gegenteil war das eine hübsche Abwechslung und so viel hat sich in einem Jahr auch wieder nicht getan, dass ich nicht überall sofort einen Anschluss gefunden habe. Unabhängig von was sich in den nächsten Monaten tun wird, so hab ich quasi schon wieder versprochen, das nächste Treffen in Padua, da wird man mich sicherlich zu sehen bekommen. Ist ja nur um s Eck, ist ja kein Aufwand, ja ja, wir verlieren uns nicht aus den Augen…
A. sagt, sie hat nach der Konferenz das Gefühl, employable zu sein. Auch A. hat ihre Krisen und es ist nicht so einfach einen Job zu finden, in dem man Anerkennung findet, Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung, ein angenehmes soziales Umfeld, Freude an der Arbeit und die Fähigkeit, die Sachen auch liegen zu lassen, wenn die Glocke läutet. Ist das zu viel verlangt? Es ist interessant, wie die Anerkennung für die Arbeit einmal für ein Jahr liegengelassen zu haben, einen Schritt heraus gemacht zu haben, in vielen meiner vertraulicheren Gespräche im Vordergrund steht. Aber wie sehr will man sich wirklich anhören, was ich über Tahiti zu erzählen habe, über Papayapalmen, Bananenbüschel und kübelweise Karambole. Oder vielleicht fallt s mir mehr auf, weil es auch für mich letztlich das interessantere ist, darüber zu reden, wie ich nur langsam zur Überzeugung gefunden habe, dass das eine gute Entscheidung gewesen ist. Und es ist auch… ich will nicht sagen, dass alles noch da ist, das alles auf mich gewartet hat, dass ich überall sofort den Anschluss parat habe. Sicherlich muss ich einige Fragen nachlesen und Variablen herauskramen, die ich vergessen habe. Keine Ahnung, wie wir das im österreichischen Bericht behandelt haben. Aber so fremd ist das auch wieder alles nicht.
Ist das also gut, dass ich sofort wieder drin bin? Weil ich bin andererseits auch in der Situation, dass es schwierig ist, etwas beizutragen. Ich arbeite eben nicht mit den Daten, ich habe keine Möglichkeit in den Arbeitsgruppen etwas beizutragen, wenn wir über Validierungen sprechen oder die Arbeit an internationalen Vergleichen zu unterstützen. Auf der anderen Seite war das noch nie der Fall und war vom ersten Treffen an ein Moment der Enttäuschung, dass ich den Enthusiasmus und die Neugier, die auf so einer Konferenz entsteht nicht in den Arbeitsalltag mitnehmen konnte, weil dort die Zeit und das Interesse dafür schlicht nicht bestand. Man könnte meinen, es wäre jetzt sogar einfacher, wo ich zumindest die Zeit hab.
Trotzdem.
Ansonsten hab ich verhältnismäßig ruhige Tage verbracht. Nachdem ich meine Erkältung hörbar vor mir hertrage, habe ich viele von den Abendveranstaltungen kurz gehalten. Es ist einfach wenig aufregend mit verstopften Ohren und verstopfter Nase Unterhaltungen in lauten Umgebungen beizuwohnen. Die Beteiligungsmöglichkeiten sind begrenzt und mein Stolz kränkt unter der leider notwendigen Mundatmung. Also geh ich nachhause und schlaf mich aus.
Währenddessen gibt mir eine der Hostelmitarbeiterinnen einen Löffel Honig zu meinem Frühstück. Nicht in den Tee, nach dem Essen, nach dem Tee, betont sie. Ich weiß nicht, ob s hilft. Aber es ist erstaunlich ungut, puren Honig zu essen. Einerseits merke ich, wie ich von der Großzügigkeit überrascht bin und frag ich mich sofort in der Umkehr, woher meine Sparsamkeit mit dem Honig kommen möge. Aber ich nehme noch einen zweiten, dritten und vierten Löffel. Es geht tatsächlich etwas besser, vor allem im Laufes Tages. Aber Ursache und Wirkung und solche Dinge… Ich bin aber superdankbar, weil ich das einfach eine total nette Geste finde.
Das ist ja das. Mit den Gesten. Ich erlebe die ArmenierInnen schon stark als Leute, die s nicht besonders lustig zu haben scheinen. Lächeln ist nicht etwas, was Alltagsinteraktionen notwendigerweise begleitet. Aber vielleicht verstärkt das mein Dankbarkeitsgefühl, dass ich dann oft empfinde. Im Café, aber das ist ja fast schon wieder was anderes, werden wir dermaßen freundlich bedient, dass es schwierig ist, das anzunehmen. Weil sich selbst freundlich nicht unbedingt in äußerlichen Emotionsdarbietungen der Caféangestellten spiegelt. Sie ist einfach immer da und sie sagt viele Worte mit Danke und Bitte und viel Verständnis und ich bitte hoffen zu dürfen, dass sich für die werten Damen und Herren alles zur vollsten Erfüllung persönlicher Glückspotenziale zugetragen habe und was einem nicht so alles in den Sinn kommt, wenn man einen Kaffee serviert. Das war im Café Central.
Und eigentlich wollte ich ja noch etwas zu dieser Russischsituation sagen, die ich nicht so ganz zu greifen bekommen habe. Es ist ja so. Armenien hat eine sehr entspannte Beziehung zu Russland. Scheint zu haben. Da gibt s keinen bösen Blick auf eine Kolonisierung oder eine Unterwerfung oder so was. Das hat viel damit zu tun, dass man in Armenien oft einmal das Wort Genozid zu hören bekommt, wenn man die Stadt besichtigt oder durch eine Teppichmanufaktur geführt wird. Da ist Russland die freundlichere Nachbarin. Aber unabhängig dessen steh ich dann oft einmal da und formuliere ein thank you wo es doch ein s’pasiba auch tun würde. Aber bevor ich zum Russisch greife, schießt mir halt durch den Kopf, dass wenn ich mich schon einer Fremdsprache bediene, dann könnte ich doch gleich lernen, meine Dankbarkeit gleich auf Armenisch auszuformulieren. Aber ja, das läuft da alles zusammen irgendwie mit meiner Unkenntnis der politischen Situation und daraus resultierender Unsicherheit und einem vielleicht seltsamen Verständnis von Englisch als einer neutraleren Sprache. Oder vielleicht auch, dass ich auf eine russische Antwort nicht vorbereitet wäre und niemand mir eine armenische Antwort geben würde.
Jetzt bin ich in Georgien und da ist zumindest die Politik auf der Seite meiner Vorsicht. Aber letztlich ist auch hier Russisch wesentlich gebräuchlicher, deutlich verbreiteter und etwas selbstverständlicher ist, als Englisch. Ich hab mir auch schon Danke auf Georgisch sagen lassen, aber obwohl ich das zwei Minuten lang im Mund hin- und herfließen habe lassen, hab ich s bald einmal wieder vergessen. Zuerst die zweite Silbe. Dann die erste Silbe. Plopp.
Hat mich die Arbeit also gleich wieder in ihren Bann gezogen. Weil es interessiert mich schon und ich hab schon einen Spaß dabei, mit den Leuten aus der Welt über Policies und Prozesse nachzudenken. Und so tuckel ich noch ein bisschen durch dieses Eck der Welt, mit seiner jahrtausendealten Geschichte und seinen jahrhundertealten Konflikten und dem guten Obst und den schönen Nüssen; aber im Kopf bin ich oft schon ein bisschen weiter, da denk ich schon eher nach, wo ich meine Füße in den Sand setzen möchte. Auch in die Freude auf Freundinnen und Freunde mischt sich eine Ahnung von fachlichen Unterhaltungen, deren Eckpunkte ich mal nebenher auf einer Serviette notiere…
Oft einmal packe ich meinen Rucksack und denke mir, die Bergschuhe… Nicht, dass man mich nicht gewarnt hätte. Ich hab die Stimme noch gut im Ohr, die mir geraten hat, vielleicht lieber keine Bergschuhe und wenn ich sie wirklich brauch schicken und sogar wieder zurückschicken. Die meiste Zeit rechtfertigen sie ihre Präsenz damit, dass ich in ihnen kleine bis mittelgroße Gegenstände auf- und vor Quetschungen durch die Verarbeitung im internationalen Flugverkehr -bewahre. Und natürlich sind sie eine gute Fokussierungsunterstützung, wenn ich meinen Gegenstandsfetisch reflektiere: Wie ich oft einmal versucht bin, meine Erfahrungen in Dinge zu projizieren anstatt – was weiß ich – die Erinnerung in mir selbst zu halten. Als ob der Schuh eigentlich das Abenteuer erleben würde, während ich mich selbst nur mitschleppe. Bisschen weniger davon und ich würde mein Leben und meinen Rucksack vielleicht weniger mit Zeug vollstopfen, zwischen dem ich kaum Platz hab.
Außerdem erinnern sie mich daran, dass ich gerade im Konsum öfter einmal einen Mittelweg gehen möge. Also: die zurückhaltendere, die weniger extreme Option zu wählen. Ich hab mich seinerzeit für jenes Modell entschieden, nicht zuletzt weil ich sie pompöser, erdiger, uriger und so für einen Bergschuh wohl archetypischer – quasi: hübscher – empfunden habe. Und in der Wirklichkeit hätte ein Modell „drunter“ für meine Ansprüche in der Regel gereicht, wäre etwas leichter, vielleicht auch in weniger extremen Situationen tragbar und insgesamt etwas flexibler einsetzbar. (Ähnliches gilt für meinen Rucksack, wo ich mich zwar eh bereits für eine Nummer kleiner entschieden hab, aber zurückblickend wäre noch eine Nummer kleiner besser gewesen.)
Alles in allem leisten sie zumindest ihr Gewicht, weil ich bin ja auch zum Nachdenken hier.
Nach den ersten paar Tagen in Tokio, bin ich also einmal raus auf s Land gefahren: Fujiyoshida. Das ist nett, ein bisschen wieder in der Kleinstadt, da sehe ich mal ein bisschen, wie das so ist. Mit den kleinen Häusern und den größeren Vorgärten und den Straßen mit Gegenverkehr.
Nachdem ich mit der Hostelangestellten ein bisschen über die Möglichkeiten einer Fujibesteigung gelpaudert hab, schaut s so aus, als würde ich die Be- und Absteigung in einem Aufwischen erledigen. Von meiner Reiseführerinformation her, dauert der Aufstieg um die sechs Stunden, der Abstieg drei und es gibt Unmengen von Übernachtungsmöglichkeiten auf der Route. Also geht man hoch, bleibt über Nacht und sieht noch den Sonnenaufgang vom Fuji aus bevor man sich talwärts aufmacht. Oder eher noch gipfelwärt s eigentlich, weil die Übernachtungen sind ja auf der Route hinauf.
Aber ja, das sind alles Details, die ich kaum wusste. Gelernt hab ich schnell, dass ich zwei konsekutive Nächte gebucht hatte und das Hostel am Freitag dann sowieso ausgebucht sei. Und überhaupt: Wetterberichtsmäßig ist da zwar eine Gewittermöglichkeit für Donnerstag, aber für Freitag schaut s nicht besser aus mit Regen. Und sie ginge auch am Donnerstag, allein deshalb schien sie schon anzunehmen, dass das Wetter am Donnerstag besser sei. Also gut, denk ich mir nach ein bisschen Hätte-ich-echt-auch-mal-im-Vorfeld-besser-auschecken-können, geh ich halt morgen in der Früh, warum nicht. Und komm am gleichen Tag wieder runter, warum nicht. Neun Stunden Berg ist jetzt nicht so das Ding, ich muss nur schauen, dass ich nicht im Dunklen herumstolper. Aber der erste Bus geht um zwanzig nach sechs, das ist kein Aufwand, das gibt mir Zeit.
Weil es ist nämlich so. Der Fujiyama ist in mehrere Stationen unterteilt. Und an den meisten Stationen findet sich eine Übernachtungsmöglichkeit, aber vor allem geht man erst bei Station Nummer Fünf los. Es gibt insgesamt neun oder wahrscheinlich ist der Gipfel dann zehn. Aber der Bus schupft einen auf fünf und dann geht man dort los. Und ja, die Saison endet in der zweiten Septemberwoche, danach werden die Hütten eingestellt und die Sicherheitsvorkehrungen kehren sich ab und überhaupt geht der Fuji in Winterpause. Man kann schon rauf, aber es wird einem halt abgeraten.
Damit ich fit für den Aufstieg bin, der sich wie übereilt beschlossen anfühlt, geh ich eine Runde spazieren und lande in einem Soba Lokal. Und wenn man in den Neunzigern Leute mit der Idee rohen Fischs auf kaltem Reis mit Algen vielleicht verwirrt hat, so klingt die Idee kalter Buchweizennudeln jetzt auf den ersten auch nicht nach einem super Konzept. Aber natürlich ein bisschen hier, ein bisschen da und dreihundert Jahre Tradition, da ist schon was dahinter. Das witzige an dem Lokal war auch, dass es von außen fast schick ausgeschaut hat und ich einmal vorbeigelaufen bin, weil ich mir gedacht hab, nah, das ist zu schick jetzt. Und dann bin ich rein und der Eindruck von innen war gleich ganz ein anderer. Weil es wesentlich privater gewirkt hat, als erwartet. Vielleicht weil der Fernseher in der Ecke gelaufen ist, vielleicht weil neben den fünf „europäischen“ Tischen auch eine Plattform mit traditionellen Tischen gestanden ist, die den Raum ein bisschen gebrochen hat, vielleicht wegen der vertrauten Art, mit der die Gastgeberin (1) mit den drei anwesenden Gästen umgegangen ist. Letztlich war s wahrscheinlich einfach der Stapel Papier, der neben der Theke auf einem kleinen Kasterl gestanden ist, der dem ganzen so sehr eine Arbeitszimmeraura verliehen hat.
Jedenfalls bin ich am nächsten Morgen um fünf aufgestanden. Das ist weniger ein Problem, das ist immer weniger ein Problem. Einerseits bin ich wahrscheinlich einfach ausgeschlafener, aber ich traue mich zu sagen, es funktioniert das mit der Motivation auch besser. Mit der Verantwortungsübernahme. Vielleicht auch der Rhythmus insgesamt, ich glaub, um neun war ich am Vorabend schon abgemeldet. Zum Frühstück gibt s eine doppelte Portion aus meiner Riesenkiste Instantporridge und eine schnelle Tasse Tee. Außerdem füll ich mir Tee in die Thermosflasche, weil… ja, ist ja kalt da oben. Im nächsten Moment hab ich mir gedacht, das ist ein Blödsinn, weil in der Thermoskanne bleibt das ja heiß und das braucht wahrscheinlich meine neun Stunden, bis das so weit ausgekühlt ist, dass ich s trinken kann. Zum Glück finde ich ein paar Pappbecher, von denen ich schnell mal zwei in den Rucksack werfe. Und dann frag ich mich den halben Aufstieg lang immer wieder, ob man einen Berg so schnell hochklettern kann, dass das Wasser in der Thermoskanne zwar auskühlt, aber wegen dem Druckabfall am Gipfel tatsächlich wieder kocht. Ich denk viel mehr über Druck nach, seit ich meinen Open Water Tauchschein gemacht hab.
Der Bus ist gut und der Vorteil an Fujiyoshida im Gegensatz zum etwas größeren und etwas touristischeren Nachbarort, dass wir die erste Station sind und gut Sitzplätze bekommen. Weil als wir in Kawaguchiko ankommen, steht da eine lange Schlange an der Busstation von der tatsächlich zehn, fünfzehn Leute keinen Platz mehr im Bus bekommen. Ja, was ist denn mit denen, frage ich mich, während ich aus meinem Fenster auf sie herunterblicke und in ihren Gesichtern die selbe Frage, etwas dringlicher, geschrieben steht. Witzig ist aber auch, dass wir Fujiyoshidas erst einmal aussteigen müssen, ein Ticket kaufen und dann wieder einsteigen. Und als wir dann alle Sitze in unserem Bus besetzt haben, werden entlang der Gangreihe jeweils noch ein Sitzplatz ausgeklappt und dann gehen sich nochmal zwanzig Leute aus. Aber nicht die, die noch draußen stehen. In einer liebevollen Aufopferung deutet eine Frau, die noch in den Bus dürfen hätte auf ihren Partner, sodass auch ich hinter meinem Fenster verstehe, sie geht nicht ohne ihn. Ich glaub, sie wollte ihn mithaben. Tatsächlich ist sie halt dann dageblieben.
Bis zur fünften Station ist es eine Stunde Fahrt in unserem bis auf den letzten Platz und dann noch ein paar mehr gefüllten Bus. Und dann ein bisschen ein Schock, na sagen wir eine Überraschung, weil die fünfte Station wie ein ganzes alpines Feriendorf daherkommt. Oder zumindest Alpines-Feriendorf-Hauptplatz. Und gleich einmal wieder die Verführungen des Konsumismus und ich ja auch tatsächlich als erstes gleich in den Shop abgebogen. Weil aber nicht von ungefähr: Weil in Kawaguchiko stand ein junger Mann in der Schlange, der hatte einen schicken Wanderstab. Und weil wir quasi im Skandinavien Ostasiens sind, handelt es sich um einen schlichten, geraden, hellholzigen und etwas zu langen Stock. Da hab ich mir schon gedacht, oha, das gefällt. Ich steh ja sowieso auf Wandern am Stock. Und natürlich bieten die Shops am AFH-Platz mir solche Stecken hunderfach an. Mit Fahnen und mit Glocken. Aber ich widerstehe und schüttel den Instinkt zu kaufen ab. Ich find mir schon einen praktikablen Stab am Weg, denk ich mir, übersehend, dass wir halb einen aktiven Vulkan (letzter Ausbruch: 1707) hoch sind und ich nach der ersten Stunde nur noch durch Schutt und Geröll stapfen werde.
Dann zahle ich noch die obligatorische Spende von tausend Yen für die Erhaltung des Gebiets und zack-zack, jetzt muss ich langsam in die Gänge kommen. Noch dazu wo ich die vier deutschen Burschen vermeiden möchte, die bereits seit Fujiyoshida mit mir Schritt halten. Da hätte ich gerne nach vorne oder nach hinten ein bisschen einen Abstand. Bloß so! Ich hab nichts gegen deutsche Burschen, aber für s allein gehen ist es angenehmer, die nicht in Hörweite zu haben. Oder so.
Es gibt insgesamt vier Routen auf den Fuji rauf, für mich, von meiner Seite wären zwei in Frage gekommen und ich hab das kurz überlegt, aber nachdem der Bus zur fünften Station vom Yoshidaweg führt hab ich mich der Einfachheit halber für den, den populärsten entschieden. Und ja, man kann nicht verloren gehen. Zu Beginn steh ich einmal kurz mit Zweifeln vor einem Schild, das die Climbing Route ausweist und ich nicht sicher bin, ob ich zum Klettern hergekommen bin. Aber nachdem mir Leute mit Kindern von dort entgegenkommen, denke ich mir, so schlimm kann s nicht sein. (Die Wahrheit, die mir in der Situation verdeckt bleibt, ist natürlich, dass das der Aufstiegsweg ist und wenn jemand den Aufstiegsweg runterkommt, dann haben sie umgedreht, weil s zu schlimm geworden ist.) Also rauf.
Die Aussicht ist schon beeindruckend. Nachdem wir ja schon ein gutes Stück auf den Berg hinauf sind, stehen wir bereits höher als die umliegenden Berge. Die hohen Berge hat Japan alle in einem Eck, das die Japanischen Alpen heißt und wieso heißen die immer noch so, das gibt s doch nicht, dass das Gebirge nur diesen Kolonialnamen bekommen hat. Aber nachdem der Fujiyama ja ein Vulkan ist, steht er so allein zwischen gar nicht so hohen Bergen. Und nachdem wir auch schnell einmal aus dem Wald raus sind, ist die Aussicht mehr oder weniger alles, was man hat. Weil es ist keine schöne Wanderroute in dem Sinn. Es ist, wie gesagt, Schutt und Geröll und das ganze hat die eine oder andere Zivilingenieurin am Hang befestigt und man geht dann in einem engen Zick-Zack einfach den Berg hoch. Zwischendurch eben ab und zu eine Zwischenstation an der einem eine Bechersuppe, eine Flasche Wasser oder „Snickers“ verkauft werden – letzteres ist, wenn ich die Zeichen richtig interpretiert habe, Code für eine Handvoll Nussvariation. Außerdem gibt s an nahezu jeder Hütte auch für zwei-, dreihundert Yen einen Stempel zu kaufen. Hier beginne ich langsam die Wanderstabkultur zu verstehen und erkenne nahezu mit Dankbarkeit, was für eine gute Entscheidung es gewesen ist, ohne aufzubrechen. Auf jeder Hütte kann man sich einen Stempel – ich glaube, die werden tatsächlich in das helle Holz gebrannt – in den Stab drücken lassen. Natürlich kann man sagen: schönes Souvenir. Aber ich seh zuerst einmal, dass man hier weiterhin konsumiert. Und zwar im Halbstundentakt. Und schließlich ergeben auch die zwanzig Zentimeter langen Staberl, die man alternativ zum zwei Meter Wanderstab erstehen konnte, einen gewissen Sinn. Und natürlich könnte man auch nächtigen. Aber wenn es mir in der Planung seltsam vorgekommen ist, dass man nicht einmal in der Nähe des Gipfels übernachtet, dann steigert mein tatsächlicher Aufstieg nur dieses Unverständnis. Außerdem bin ich flott unterwegs, die Stunden verfliegen und ich fliege schneller als die Stunden, die auf den Schildern die Entfernungen angeben.
Es ist schon dicht am Weg. Also, wir hängen nicht hintereinander, aber man ist nie allein. Nicht alle sind derartige Quatschköpfe, wie sich die – stellt sich heraus süddeutschen – Burschen dankbarerweise berechtigterweise herausstellen, die meisten gehen schweigsam, vor allem im Mittelfeld. Unten haben manche noch zu viel Energie und oben, oben werden viele sehr ausdrucksfreudig. Auf den letzten eineinhalb Kilometern verdichten sich die Schilder, wie weit es noch bis zum Gipfel sei, bis dass mir dann alle zweihundert Meter angegeben wird, dass es zweihundert Meter weniger sind. Das ist nicht schlecht, weil obwohl der Anstieg so linear verläuft, versteckt sich der Gipfel zumeist in einer Wolke und die Entfernung ist deshalb kaum einzuschätzen. Und es drückt jetzt schon ganz schön in den Wadeln. Ich hab von den sechs etwa eineinhalb Stunden abgezwickt, aber das hat mich schon auch gekostet. Das Ziel, stellt sich heraus, ist auch gar nicht so sehr der Gipfel sondern ein Schrein. Und so gehen wir durch ein so ein symbolisches Tor durch, in dessen Holz die Leute kleinwertige Münzen hineingedrückt haben, und durch ein zweites. Und dann sind auch die letzten zweihundert Meter geschafft und der Wind hat zugenommen und der Nebel ist auch etwas dichter und die Finger werden kalt. Und dann gehe ich nicht nach links, zum Schrein, zu den Bänken und den windfangenden Gebäuden, sondern nach rechts, weil s dort mehr nach Gipfel ausschaut. Egal ob s a berg oda-r-a madl is / aufi muass i, de’es is gwiss, singt Alfred Dorfer in meinem Kopf. Und ich weigere mich dagegen, dass es eine Bezwingermentalität ist, die die Gipfelgier in mir schürt, ich glaub, das ist nicht intrinsisch.
Und jetzt, am Gipfel, wenn man zweitausend Meter höher ist, als irgendwas anderes in der Umgebung. Da geht ein ziemlicher Wind. Und da kondensiert der halbe Himmel und es nebelt, dass es mit der Hälfte auch bald einmal genug gewesen wäre. Aber wen finde ich natürlich ebenfalls den orkanhaften Gipfelverhältnissen trotzend oberhalb des Schreins? Meine deutschen Plaudertaschen. Und so kauere ich hinter einem Felsen, zu dem ich in einer kurzen Windstille vorgeprescht bin, um einen Blick in den Krater zu werfen. Ich kann tatsächlich nicht aufstehen, weil mich der Wind mitnehmen würde und meine Finger sind bereits so durchfroren, dass ich Schwierigkeiten habe, die Clips an meinem Rucksack zu öffnen oder zu schließen. Nicht, dass ich mir einen Tee einschenken hätte wollen, bei den Verhältnissen, aber ich hab mich mit einem getrockneten Tintenfisch belohnt, den ich mir als Gipfeljause im Geschäft gekauft hab: Gewöhnungsbedarf vorhanden, aber natürlich motiviert die Situation zum Genuss.
Den asiatischen MitwandererInnen scheint die ganze Gipfelgeschichte relativ egal zu sein. Ich mein: relativ. Weil das Erreichen schon Begeisterung auslöst. Auf den letzten Metern berichterstatten immer mehr Leute ihrem Selfiesticktelefon den Höhepunkt, auf den sie sich stetig zuarbeiten. Das, denke ich mir, das ist wie diese Selfieunfälle passieren. Weil man fragt sich schon, warum doch viele Leute dabei zu Tode kommen, von sich selbst ein Foto aufzunehmen, auch wenn sie neben einer Schlucht stehen. Aber hier sehe ich, das sind wahrscheinlich eher diese Leute, die sich während der Strapaze selbst noch im Bild halten und ihrem Telefon erzählen, wie anstrengend oder super die aktuelle Situation ist. Und nachdem letzten Tor, das das Ziel des Aufstiegs symbolisiert (nicht der Gipfel), höre ich viele Ausrufe der Dankbarkeit. Aber vielleicht ist das auch das einzige, was ich verstehe. Ich mein, ich kann sagen, dass sie nicht Guten Tag gerufen haben oder Auf Wiedersehen. Oder von eins bis zehn gezählt haben. Weil das ist es mit meinem Japanisch. Aber interessant schon, denke ich mir, wie das mit der Dankbarkeit in verschiedenen kulturellen Kontexten ist. Natürlich, ich mach gleich wieder einen kulturellen Kontext daraus anstatt einem Menschen zugehört zu haben, der auf japanisch Dankbarkeit für die Wegbeendung ausgedrückt hat. Und dem stell ich die alte Frau gegenüber, die in Maria Alm gesessen ist und als man sie fragt, ob sie stolz auf ihren Sohn sei, weil der diesen oder jenen Erfolg vorzuweisen hat, hat sie gemeint, nein, nicht stolz, nie stolz. Dankbar sei sie. Weil Gott und so. Und dann denke ich mir, dass so viele Aspekte des Lebens in Europa von Institutionen vereinnahmt und beansprucht worden sind und diese Institutionen, wie man in den letzten hundert Jahren dann zunehmend kritisch feststellt, eine lange Geschichte gewissen Fehlverhaltens besitzen und wir uns vielleicht mal mehr, mal weniger davon zu distanzieren beginnen. Von einer lustfeindlichen Kirche, von einem rassistischen Imperialismus, von einem entmündigenden politischen Autoritarismus. Mehr oder weniger. Und dann leidet vielleicht auch einmal die Dankbarkeit, weil vor lauter den Patriarchen dankbar sein und den Patriarchen dankbar sein müssen vielleicht die Wertschätzung einer Situation oder eine Hilfeleistung ein bisschen aus der Übung gegangen ist. Ein schwieriges Verhältnis zur Dankbarkeit, aber zu Recht.
Nachdem ich vom Philosophieren im selbstverschuldeten Kraterrandexil zurück in den relativen Windschatten geschafft habe, hock ich noch ein bisschen in der einen oder anderen herum und versuche durch die altbewährte Methode des Teetassehaltens wieder Wärme in die Finger zu bekommen. Ich krieg nach wie vor mehr Kiesel in den Tee geblasen als Lebenskraft in die Fingerspitzen, aber es tut sich was, ich werde alle meine Finger behalten können. Und dann noch ein bisschen Tintenfisch.
Aber ja, was tut man dann, wenn man am Gipfel ist? Man belohnt sich mit dem, was man sich bis dahin vorenthalten hat und wenn es nicht so zugenebelt wäre, dann werfe man einen Blick in die Umwelt. Durch den Nebel gestarrt zeigt sich bloß, dass mich mein Kraterrandsbesuch sicher nur auf bis zu zwanzig Meter unterhalb der höchsten Kraterrandsstelle geführt hat, das sind so die Schwierigkeiten mit einem kreisrunden Gipfel. Es reicht jetzt allerdings, ich begnüge mich mit einem Blick in die Richtung des Fujihöhepunkts und folge den Abstiegspfeilen.
Es geht flott, dass man wieder aus dem Ärgsten heraus ist. Aber dann wird s halt nochmal wirklich öd. Weil hier wiederum mehr Schutt und Geröll, die Serpentinen sind großzügiger aber Einschätzung für die Wegdauer ist dafür etwas entsprechender und es sind halt drei Stunden bergab stapfen. Ich will nicht sagen, dass es erst hier ist, dass die Bergschuhe nun wirklich zu leuchten beginnen, aber natürlich sind stabile Fesseln schon etwas wunderbares, wenn man so vor sich hin stolpert. Auch die Knie machen keine Spompanadeln, da hat mir einmal das linke ein bisschen belastet gewirkt und dann kurz darauf das rechte und ich hatte vergessen, dass es vorher das linke gewesen ist und hab mir gedacht, das sei immer noch dasselbe Knie und dann hab ich mich erinnert und mir gedacht, das ist wohl nicht so schlimm für die Knie, wenn sie sich abwechseln und ich merk s nicht einmal. Und weil der Geist frei ist, begeistere ich mich jetzt noch ein bisschen für die Geologie, hebe mal hier mal da einen Stein auf und freue mich über Formen und Farben des Vulkangesteins. Weil das ist irgendwie schon was tolles, wenn man einem Stein ansieht, dass er vor nicht allzu langer Zeit noch flüssig gewesen ist.
Na und dann bin ich wieder auf der fünften Station. Von halb acht bis dreiviertel drei, sieben und eine dreiviertel Stunde. Und nachdem um kurz nach drei der Bus mich bereits wieder nach Fujiyoshida geschupft hat, war ich um fünf schon frisch geduscht, den Kies großteils aus dem Rucksack gebeutelt und sogar die Steine, die ich mir als Andenken vom Gipfel mitgenommen hab, in den Mistkübel entsorgt, so sehr hatte ich das Adrenalin bis dahin abgebaut. So vom Gehen her, war s schon recht gut, auch wenn es insgesamt ein bisschen mehr eine spirituelle Erfahrung ist, in der relativen vulkanischen Einöde in den Wind hinauf zu stapfen und dann auf dem Forststraßenäquivalent wieder runter. Vielleicht war s ein Pech, dass das Wetter oben so stürmisch gewesen ist, auf der anderen Seite war s ein Wahnsinnsglück, dass das Wetter überhaupt so gut war, weil Freitag hat s dann tatsächlich noch geregnet und das ist sicher kein Spaß.
Und weil s ein Vulkan ist, gibt s auch Thermalquellen in der Gegend. Und da bin ich am nächsten Tag noch hin und hab mir eine Runde Onsen gegeben. Das gehört irgendwie noch dazu, weil da sind zwar keine Bergschuhe mehr im Spiel gewesen, aber ich war schon ein wenig muskelverkatert am nächsten Tag und da ist so ein Warmbadetag gerade das richtige.
Auch hier gibt s einen Shuttlebus, der mich von der Station abholt. Ich bin allerdings ein bisschen schlecht organisiert für diesen Ausflug, stelle ich fest. Ich hab einen Bus zu erwischen, der mich nach Tokio zurückbringt und dadurch komm ich fast ein bisschen in einen Zeitdruck, weil der Shuttlebusrhythmus so ein Klumpert ist. Ich hab schon gesehen, dass der Onsen nur vierzig Minuten entfernt ist, also: zu Fuß. Was ich nicht gesehen hab, ist, dass es nur noch zwanzig von der Busstation sind und ich nicht zwanzig Minuten hätte warten und dann zwanzig Minuten in die entgegengesetzte Richtung chauffieren hätte lassen müssen, bis der Kreisverkehr mich zurück an den Onsen gebracht hat. Pfff! Ach ja, weil nachdem der Bus beim Onsen selbst gar nicht mehr gehalten hat, bin ich von der vorletzten Station dann eh nochmal zehn Minuten gegangen.
Onsenonsenonsenonsen.
Jetzt interessant auch, dass ich schon bevor ich mir eine Eintrittskarte kauf, meine Schuhe in einer Kiste lassen muss, auf deren Schlüssel ein Chip ist, den ich beim Rausgehen lesen lassen muss und zahlen, damit ich wieder raus kann. Es handle sich alles um bargeldlosen Bereich. Was irgendwie logisch ist, weil wo soll man s denn aufbewahren. Nein, keine Taschen, keine Hosen. Ich krieg ein kleines Handtuch und das stellt sich als sehr vielseitig heraus. Sonst lasse ich alles im nächsten Spind, und während ich noch den japanischen Bademantel anziehe, den ich ebenfalls ausgeborgt bekommen hab, dreh ich nach einem Blick durch die automatische Schiebetür wieder um und zu meinem Spind zurück. Den brauch ich hier nicht.
Jetzt. Da ist schon viel Nacktheit in so einem Onsen. Wir sind natürlich nach Geschlechtern getrennt, das fängt schon vor dem Kassenbereich (obwohl dort ja keine Kassen sind, ist wohl mehr ein Informationsbereich) an, dass die Schuhkästchen für die Frauen und die Männer getrennt sind. Und dann im Bad ist nicht so schlecht, dass hier in Japan Frauen und Männer selbst auf Toiletten immer auch farbcodiert sind, also Frauen alles rosa (mit einer Tendenz zu rot, ich betrachte das als das in dieser Hinsicht progressive Japan), Männer alles blau. Und so bin ich zumindest da zielstrebig. Mit meinem ersten Schritt ins Bad bin ich mit so viel neuem konfrontiert, gleich mal Kardinalfehler. Nicht, dass ich ganz ohne mich zu waschen ins erste Becken gestiegen bin, aber ich hab mich mehr ein bisschen nur so aus einem großen Bottich überschüttet, mehr rituelle Waschung. Während direkt daneben Duschen mit Seifen und Shampoos gestanden sind. Und die sind ja nicht einmal uneinsichtig oder besonders stabil von einander getrennt. Da sitzt man ja wirklich nebeneinander. Und man ist zum Waschen da. Dafür sind nämlich dann auch die Bademäntel, weil dann macht man sich Umkleidekabinenbereich noch hübsch, nicht nur Frisieren (sind das drei Sorten Haargel?) sondern auch Rasieren.
Aber ja, die ersten Minuten verbringe ich damit, mich über meinen Faux Pas zu sorgen, während ich die verschiedenen Bäder erkunde. Von der Architektur fand ich s auch schnell einmal interessant, weil die Männer und Frauen zwar getrennt, aber unter dem gleichen Dach sind. Und die Trennwand geht nicht bis zur Decke und so hören die einen die anderen und umgekehrt. Da kam mir schon manchmal vor, dass da drüben mehr gelacht würde als bei uns herüben, wo sich Männer ehrfürchtig vom Schlafbecken, ins aromatisierte Wasser, in die Sauna, auf die Liege bewegen. Aber dann kam eine Gruppe junger Zwanziger und ich hab mir gedacht, das ist schon sehr seltsam, weil die auch gar nichts vor einander versteckt haben, wenn sie da gemeinsam durch die Becken gestiegen sind. Ja, der eine saß sogar sehr offenbeinig am Beckenrand, während seine Kumpels bis zu den Schultern im Wasser untergetaucht waren. Das sind womöglich eigene Verhältnisse, die man da zu seinen Kollegen hat, wo das nicht mal kommentiert wird (worden scheint). Na, die haben auf jeden Fall auch manchmal ein bisschen einen Wirbel gemacht und haben diese Frau-Mann-Differenzen-Beobachtung relativiert.
Aber selbst der freizügige Freikörperumgang gleichgeschlechtlicher Twens hat mich weniger überrascht, als einen Fernseher in der Sauna zu finden. Dass die Sauna keine Saunaofen hatte, das ist das eine, das sind einfach unterschiedliche Saunatraditionen. Aber während im ganzen Bad verhältnismäßige Stille oder generische Massagetherapiemusik gespielt wird, kann man ausgerechnet in der Sauna dann Vormittagstalkshows schauen. Das kam mir seltsam vor. Und wie timed man seine Saunazeit, sans Aufguss? Bis zur nächsten Werbeunterbrechung? Well, I guess einfach bis man genug hat.
Zwischendurch kann man sich ein bisschen mit seinem kleinen Handtuch abtrocknen oder auf dem Weg von Becken zu Becken die eigenen gentleman vegetables verdeckt halten. Oder sich damit beim Waschen abschrubben. Wichtig ist, dass es dadurch zu einem persönlichen Gegenstand wird, den man nicht mit ins Becken nimmt. Traditionell hat man s einfach auf dem Kopf, weil der geht auch nicht unter Wasser. Aber oft genug legt man s einfach auf den Beckenrand. Da ist es gut aufgehoben. Das faszinierende ist aber doch, wie das Handtuch nass funktioniert und nach dem Auswringen tatsächlich noch gut genug zum Abtrocknen ist. Das ist schon faszinierend irgendwie. Ich mein, der ganze Onsen war angenehm warm und das ist wohl nicht nur das Thermalwasser sondern auch der Spätsommer, vielleicht ist das im Winter ein bisschen kritischer mit der Lufttemperatur. Aber ich kann mir vorstellen, dass es insgesamt schon angenehm warm ist, auch wenn s draußen winterlt.
So war das. Es war weniger aufregend als die vulkanischen Bäder in Neuseeland oder Indonesien, wo dem heißen Wasser der Geruch von Schwefel und anderen Gerüchen aus den Tiefen der Erde anheften. Um es mit einer für meine Japanbeschreibungen langsam aber sicher ausdrucksschwachen Beschreibung zu sagen: es war hübsch und schlicht, durchaus gemütlich. Und auf jeden Fall praktikabel. Wie gesagt, ich bin da mit der ritualisierten Waschung hineingegangen, aber es erschien in der Praxis wirklich etwas, wo nach wie vor der Aspekt der Hygiene eine zentrale Rolle spielt. Während man sich bei uns im Bad die Chancen dafür, dass man sich was einfängt in der Regel höher wirken, als dass man sich was auskuriere.
Nachdem ich ein letztes Mal im künstlich karbonisierten Wasser gelegen bin (weniger aufregend als man denkt), hab ich mich wie selbstverständlich auf meinem Schemel gewaschen und hab mich dann mit dem gleichen Handtuch abgetrocknet, mit dem ich mich gerade gewaschlappen hab. Und dann bin ich zu Fuß ins Hostel, wo ich noch kurz mit der Rezeptionsbesetzerin über ihren Abstieg im Regen geplaudert hab und dann wieder zurück zur Busstation. Dort noch schnell eine Schüssel Udon gelöffelt und nach zwei Stunden Autobahn wieder im vertrauten Tokio. Ich lauf trotz aller Vertrautheit sofort in die falsche Richtung. Nicht einmal sofort: nach minutenlanger Überlegung und Telefonrotation marschier ich zielstrebig los um dann festzustellen, dass ich absolut in die falsche Richtung unterwegs bin. Und for the sake of Textstrukturierung ist das ein guter Punkt um festzustellen, dass es gut ist, dass man s auf einem Berg schnell einmal merkt, wenn man in die falsche Richtung unterwegs ist.
Ich bin auf einen
Berg gegangen. Aber es war, wie die Frau gestern in der Information
mir auch schon versucht hat verständlich zu machen, kein Spaziergang
in dem Sinn, auch keine Wanderung sondern tatsächlich eher
Bergsteigen. „Warum nicht hier entlang, ein schöner Spaziergang,
zweieinhalb Stunden in eine Richtung und wieder zurück…“ Aber
natürlich bin ich trotzdem auf den Berg, weil da doch ein Berg ist.
Die Gründe, warum ich auf einen Berg steigen will erschließen sich
mir nicht ohne weiteres. Das ist tief verwurzelt und ambivalent.
Ich bin in Arthur’s Pass. Nach meinem Ausflug auf Rakiura, der „dritten Insel“ Neuseelands, Steward Island, bin ich wieder in den Norden gefahren, nicht nur weil s nach Süden tatsächlich nicht viel weitergeht, ich hab einen Flug zu erwischen und zwischen den Bedingungen des öffentlichen Verkehrs und den Ansprüchen des Reisenden dauert das ein wenig. Zurück durch Dunedin und Oamaru, wieder zurück in mein Christchurcher Hostel, in dem ich vor zwei Wochen angekommen bin. War wohl mehr entlang der Vertrautheit entschieden: eine halbe Stunde vom Bus entfernt und eine Dreiviertelstunde vom Bahnhof, an dem ich um acht in der Früh sein sollte. Unpraktisch aber machbar.
Der Bahnhof schaut
nicht aus wie ein Bahnhof. Da ist nur der Schalter, zwei Schalter,
aber sonst keine Infrastruktur. Spätestens, als ich im Zug Platz
nehme (mein Fahrschein, der mir einen Fensterplatz zuweist, hat einen
Abriss), merke ich, dass das kein Zug ist, mit dem man reist. Also
natürlich fährt der Zug dorthin, wo ich will, aber er ist viel mehr
ein Ausflugs-, denn ein Reisezug. Es gibt einen Audiokommentar, über
den mir eine neuseeländische Frauenstimme über die Entwicklung der
Gegend erzählt, durch die wir fahren. Durchaus interessant: In der
Gegend um Christchurch ist weniger als ein Prozent der Pflanzenwelt
einheimisch. Weil hier praktisch alles Farm- und Weideland ist und
dafür wurde einfach Platz gemacht in den letzten hunderfünfzig
Jahren. Und natürlich auch die Geschichte darüber, wie hier ein Weg
über die Alpen gesucht und mit Unterstützung der Maori gefunden und
zur Bebauung ausgewählt wurde. Ich sitze eh gern im Ausflugsbus,
merke ich.
Vor mir sind mehere Reihen mit US-AmerikanerInnen besetzt, die über Boston hierhergeflogen sind („I try to avoid flying over New York as much as possible.“) und die etwa in ihren Sechzigern stecken. Es ist interessant, weil ich so wenig US-AmerikanerInnen begegne, im Vergleich mit Europa beispielsweise, dass ich jedesmal wenn ich ihnen gegenüberstehe, ein bisschen überrascht bin. Mit L. in Queenstown war das auch so, dass ich mich letztlich richtig gefreut hab, weil ich mag eine gewisse amerikanische Art eigentlich ganz gern, selbstbewusste Naivität, interessiert und auf eine eigene Art menschenbezogen.
In Arthur’s Pass
ist eine Station und hier steig ich aus. Das Hostel ist
selbstverwaltet, also nicht im Sinne davon, dass es jemand unabhängig
von einer Hostelkette betreibt, sondern in dem Sinn, dass sich das
Hostel selbst betreibt. An der Tür ist ein Telefon, das einen
automatisch zum Besitzer durchklingelt, der checkt mich ein, gibt mir
den Code für die Tür und wünscht mir viel Spaß. In der Küche
steht eine Honesty Box, in der man seine Nächtigungsgebühr
einwirft. Es ist gemütlich. Eine Zeit lang sieht es so aus, als
hätte ich das ganze Haus für mich, gegen Abend trudeln zwei
schweigsame
Ich-glaub-es-sind-BritInnen-aber-wie-gesagt-in-erster-Linie-schweigsam
ein, aber es ist immer noch sehr heimelig.
Am Nachmittag mach
ich einen kleinen Spaziergang zu einem der vielen Wasserfälle. Und
bin fast an einer Rettungsaktion beteiligt. Die Frau im Infozentrum,
ja, die von oben, telefoniert bisschen an ihrem Walkie-Talkie, weil
da eine Rettungsaktion im Gange ist und sie ist eigentlich eine von
den CheckerInnen, aber heute muss sie den Shop betreiben, weil
irgendwer muss da sein und den Leuten sagen, dass sie lieber nicht
den Avalanche Peak besteigen sollen sondern sich vielleicht
lieber einen netten Spaziergang durch den Wald vornehmen sollten.
Quasi: Notrettungsvorbeugung. Und jetzt muss da eine Karte in die
Nähe getragen werden, ob ich vorhabe, zum Wasserfall rauf zu gehen.
Ja, sage ich, aber ich hätte zuerst noch einen Bissen gegessen und
überhaupt, ein paar Dinge heimtragen, andere Schuhe und so weiter.
Im Nachhinein hab ich nämlich durchaus ein schlechtes Gewissen
entwickelt, dass ich nicht sofort zur Stelle war. Aber die ganze
Situation – da war noch ein dritter daneben, der davor schon viel
Gelassenheit verströmt hat – hatte so wenig Dringlichkeit. Und
natürlich dann die Rechtfertigungen: Ich hatte zu dem Zeitpunkt nur
halb verstanden, wo der Wasserfall sei. Unverantwortungsvoll, nachdem
ich den ganzen Tag nur getrocknetes Rindfleisch genascht hatte, aber
eigentlich ohne Frühstück in Christchurch aufgebrochen. Und
insgesamt keine Ahnung von den Gegebenheiten vor Ort und auf nichts
vorbereitet. Allerdings ist der Wasserfall auch nur eine Stunde
entfernt gewesen und während ich dorthin unterwegs war, hab ich mir
wiederholt gedacht: na, das wäre schon spontan möglich gewesen.
Nichtsdestotrotz war ich erst einmal in dem günstiger wirkenden der zwei Cafés und dann daheim, bisschen einen Rucksack packen, ein Wasser, übriggebliebene Müsliriegel aus Rakiura, Fernglas und alles. Und dann wieder im Shop hat sie gemeint, danke, aber es sei bereits wer anderer unterwegs. Und das war nicht uninteressant, weil ich glaube, dass der, den sie da letztlich vom Berg gehubschraubert haben, ich glaube, das ist einer von meinen Schweigsamen gewesen. Weil ich zufällig im Raum war, da ist noch ein Herr gekommen, der ein paar Personalien aufgenommen hat und mir ein „One of those days, ey?“ zugeraunt hat, als der Schweigsame auf der Suche nach seinem Pass war. Und dann hat er ihn noch ein bisschen gemaßregelt im Sinne von: du bist ja nicht der erste, der die orangen Markierungen übersieht, nicht der erste, der bis an die Schlucht herankommt, aber vielleicht der erste, der einfach weitergeht. Und das fand ich etwas unfair, weil dem Schweigsamen war das natürlich sowieso alles furchtbar unangenehm und der hat sich dann auch gleich einmal schlafen gelegt, als der Herr mit seinen Personalien wieder abgezogen ist. Aber auch den kann man verstehen, von einer menschlichen Seite her muss ich der natürlich auch den Schock ein bisschen aus den Gliedern reden und wenn er da nur den Bergstolperer selbst vor sich hat, nun, dann ist das ein bisschen unprofessionell und eben auch etwas unfair. Aber wenn das Adrenalin sich dann verabschiedet und man trotzdem noch keinen distanzierten Blick auf die Sache gewonnen hat, dann rutscht einem sowas eben einmal hinaus. Hoffen wir, dass es bloß das gewesen ist.
Und heute bin ich dann auf den Berg. Ich wollte früh los, weil in meiner Beratung im Informationszentrum hab ich diesen Blick bekommen, mit dem man jemanden fragt, ob er einen verarschen will, als ich gefragt hab, ob sie mit „früh los“ eine Zeit eventuell nach neun auch noch mitmeint. Aber ich kenn mich ja und auch wenn ich einen Wecker für sieben hatte bin ich, na, sagen wir nicht vor neun am Bergfuß gestanden. Dann hab ich einmal den Weg rauf nicht gefunden und dann hab ich den Weg rauf nicht wirklich fassen können. Weil der Weg auf Avalanche Peak, abgesehen davon, dass es zwei gibt, aber einer ist wohl eher für rauf und der andere dann üblicherweise für runter. Aber Avalanche Peak, das ist ein Gipfel, der über tausend Meter über dem Pass liegt, gleichzeitig aber ist der Weg dorthin nur zweieinhalb Kilometer lang. Also: steil. Und da gibt s dementsprechend viel zu klettern und zu kraxeln.
Naja, long story
short: Ich bin noch nicht an der Baumgrenze gewesen, als ich mir
gedacht habe, es wird wohl klüger sein nur bis zur Baumgrenze zu
gehen, weil der Weg nachher noch etwas unangenehmer werden soll. Und
etwa zweihundert Meter weiter hab ich mir gedacht: Baumgrenze,
Schaumgrenze, ich dreh gleich um. Weil: Verantwortungsvoll. Und
nachdem es sich um einen Aufstieg handelt, für den ich eh schon
relativ spät war, ich noch niemanden gesehen hatte und gerade erst
das Dach mit einem Opfer der eigenen Zielstrebigkeit geteilt hatte,
hab ich ein bisschen Sorge bekommen, wie s mir geht, wenn ich hier
irgendwo hängen oder liegen bleib oder entsprechend schlimmeres.
Auf dem Weg zurück habe ich dann natürlich nachgedacht: Wieso dieses Auf-den-Gipfel-Wollen. Und wieso dieses Loslassen davon so mühsam ist. Und wie ich mit Anerkennung für diese vernünftige Entscheidung umginge, insbesondere wenn diese aus jener Richtung käme, von der ich die Gipfelstreberei ja überhaupt erst übernommen habe. Und dann ist mir ein Spanier entgegengekommen, der mich gefragt hat, wie weit s noch rauf ist. Weiß nicht, sicher noch ein Stück, sag ich, ich sei grad umgedreht, weil s mir dann doch zu steil ist und ich allein am Berg mich damit nicht besonders wohl fühle. (So in etwa. Mir ist, nebenbei, in diesem Gespräch aufgefallen, dass ich mit ihm ein bisschen so rede, wie man – oft komisch überzeichnet – im Film mit Leuten redet, die eine Sprache nicht gut können: kurze Wörter, viel Nachfragen und wohl auch etwas lauter als normal.) Darauf sagt er, dass der Ausblick sicherlich sehr schön sein von oben. Und ich denke mir: ja, vielleicht. Aber ist das der Grund, warum ich auf einen Berg gehe? Erlebnis, Erfahrung, Selbst- oder Fremdbeweis?
Oft einmal zerdenk ich vielleicht etwas. Ich muss es vielleicht nicht wissen, warum ich auf einen Berg gehe und mich dabei derartigen Meta-Überlegungen hingebe.
Stattdessen war ich dann im Wald spazieren. Dass das ganze so knapp an der Straße ist, die über den Pass führt, war visuell kaum wahrzunehmen, ab und zu rauscht einem halt ein Auto durch den Vogelgesang, war aber eine angenehme Wanderung, die mich auch nicht so recht an einen Punkt geführt hat. Irgendwann hat sich der Weg schlicht so verlaufen gehabt, dass ich mir gedacht hab, Lake Misery hin oder her, ich mach mich auf den Heimweg. Der angekündigte Regen ist auch ausgeblieben, aber ich war halt trotzdem um drei wieder daheim.