Off with the fairies

Wieder ein Flughafen, wieder ein Aufbruch. Diesmal bin ich aber wirklich etwas länger unterwegs und vielleicht ist das auch symbolisch irgendwie. Oder so herum: vielleicht will man da auch irgendwas symbolisches drin erkennen. Immerhin verlasse ich die Tropen, hab ich festgestellt, als ich mir heute Morgen beim Das-letzte-Mal-den-Strand-entlang-Gehen beinahe einen halbseitigen Sonnenbrand geholt hätte. Da setzen sich die Leute echt noch in die Sonne mit ihrer Joghurthaut! Das hat mich wirklich ein bisschen überrascht, dass Leute immer noch dieses Urlaubsbild haben, dass sie sich am ersten Tag mit einem Buch in den Sand setzen müssen. Und die, die sich nicht ganz der Illusion hingeben, dass das an sich eine gute Idee wäre, die schmieren sich eh zentimeterdick mit Sonnencreme ein, dass man die Molke kaum durchschimmern sieht. Man mag darin auch eine Arroganz sehen, weil ich doch seit Monaten unter Palmen schlender und deren ja längst indifferent geworden mögen… habe… sein. Aber ich hebe den Arm und strecke den Finger gen Himmel um das Augenmerk darauf zu lenken, dass ich das vor einem Jahr so ähnlich gesehen hätte. Und in der Tat hab ich kaum jemals Zeit am Strand verbracht und ich würde sogar sagen: das ist das erste Mal seit Australien, wo ich das mal probiert habe und dann wieder raus bin, weil ich das Meer ganz allein plötzlich als unheimlich empfunden habe, das erste Mal, dass ich an so einem Strand entlangspaziere und zumindest anderen Leuten dabei zusehe, wie sie sich dem Am-Strand-Sitzen hingeben. Also ja: immer noch dieses Urlaubsbild haben.

“To take a photograph is to participate in another person’s (or thing’s) mortality, vulnerability, mutability. Precisely by slicing out this moment and freezing it, all photographs testify to time’s relentless melt.” (Susan Sontag (1973) On Photography, p.19)

Vielleicht ist es auch, weil ich ja in meiner expliziten Strandsitzaversion seit Jahren die Sonne als den nächsten großen Public Health Faktor vorauszusagen versuche. Also, vorauszusagen versuchen geht so, dass man s einfach so lange sagt, bis es eintritt, nicht wahr. Ich denk mir, bevor sie Alkoholfolgenfotos auf Flaschen kleben, werden sie eher den Solarkrebs ins öffentliche Bewusstsein rücken. Aber scheinbar gibt s bei den Zigaretten eh noch genug zu tun. (Bravo, so nebenher, dass sich Österreich zu einem Verbot durchgerungen hat…)

Anyway. Sonnenbrand in Südthailand: Ich hab ja relativ schnell einmal viel Freude dran gehabt, dass die Massagesalons Aloe-Vera Massagen anbieten.

Aber sonst, ich mein, es fangt ja wirklich erst an. In den letzten Tagen sind die Restaurants langsam voll geworden, abends sitzen jetzt ein paar Leute vor den Bars aus denen lauter Neunzigerpop dröhnt, auch der Strand füllt sich wie gesagt und selbst unser Tauchboot war schon wirklich so voll, dass es sich langsam für meinen Tauchshop echt auszahlen wird, ihr eigenes Boot zum Laufen zu kriegen. Weil das ist so, dass in der Nebensaison, da fahren jeden Tag nur zwei, drei Boote raus, war mein Eindruck. Da mieten sich quasi die verschiedenen Tauchschulen dann bei denen ein, die sagen, dass sie sowieso fahren und das ist dann auch in Ordnung für alle. So ein Tauchboot ist ja quasi die halbe Miete, da muss ja auch eine Crew bezahlt werden und ein Tank und die ganzen Tanks erst. Weil dass ich hier die schicksten Tauchboote befahre, die ich in meiner kurzen Karriere bisher befahren habe, hab ich das schon gesagt? So, wo wir zwanzig Gäste sind oder was und nochmal zehn InstruktorInnen oder FührerInnen. Und dann die Boys, weil auch hier hat s Boys, irgendwer muss ja die schlecht bezahlte Arbeit machen… Und einen Kapitän und dann sind wir eh vierzig Leute auf so einem Boot. Und wir sind auch ein, zwei Stunden bis zu unseren Tauchstätten unterwegs. Und dann gibt s Snackereien und ein ordentliches Mittagessen, weil wer taucht brennt Kalorien oder zumindest wird man müde davon, weil man zu viel Stickstoff im Blut hat und ich nehm an, es transportiert dann weniger Sauerstoff? Das müsste man wohl nachschauen.

Wenn die Sonne scheint und ich schau vom Boot ins Wasser, dann laufen die Strahlen so an einem Punkt zusammen. Wenn die Sonne hinter mir steht, ist dieser Punkt ziemlich dort wo meine Augen sind. Das kann man sicher mit einer Handvoll Oberstufenphysik erklären…

Na und das war jetzt auch voll, zuletzt. Und ja, da mischen sich dann die ÖsterreicherInnen (im Restaurant unverkennbar dank der Phrase can we pay?) und die SpanierInnen und die Deutschen und die SchweizerInnen und zwischendurch einmal drei Inder oder eine Chinesin. Aber eher noch das ganze Boot voll mit SchwedInnen. Das ist ja auch ein bisschen eine Überraschung, wenn die plötzlich in der Gruppe auftauchen. (Witzig übrigens, dass ich am Flughafen total viele ItalienerInnen zu hören bekomme, was am Boot nie vorgekommen ist.) Manchmal catern gewisse Destinationen schon sehr eine bestimmte Nationalität, dass am Hafen groß ein Swedish Restaurant angeschrieben und Schilder groß zum Snus Geschäft verweisen, das kommt unerwartet. Aber ich nehm an, das sind halt, so wie meine PolInnen, Leute, die sich sagen, na, machen wir halt ein schwedisches Restaurant auf einer thailändischen Insel auf, weil ich hab keine Lust mehr auf kalte Füße.

Aber wenn s Boot so voll ist, ist es mir eh fast gleich, wer da ist, bin ich schnell ein bisschen am Rückzug. Ich drück mich gerne ein bisschen bei den InstruktorInnen herum, einerseits, weil das überall die coolen Mädels und Burschen sind, aber auch, weil ich s interessant find, wie die das so machen und wie ihre Biografien so ausschauen. Ich mein, manchmal bin ich auch sehr umständlich, wenn ich einmal von einer ein bisserl sehr hingerissen bin, kommt ja auch vor. Da bin ich schnell wieder sehr verloren. Und dann gibt s die, die s mit der Lässigkeit vielleicht einmal ansatzweise übertreiben, je nach Tätowierungen, Gehabe und sonstigem Körperschmuck, denen geh ich ja dann auch einmal absichtlich ein bisschen aus dem Weg. Zu meiner Überraschung hebt ein kurzes Gespräch über der Frage in welchem Kübel der Anzug zu waschen wäre oder wo jetzt wieder das Spülmittel für die Masken sei, das erste Douche-Urteil dann doch oft als falsch auf. I guess das ist ein bisschen Teil von dieser Erfahrung, wo ich nach dem zweiten Tag einen anderen Eindruck hab als nach dem ersten und wo der dritte dann noch eine Überraschung bietet, die am vierten relativiert wird…

Das einzige, was mit einiger Sicherheit passiert, ist, dass sich die Haie nicht gezeigt haben. Oder die Mantas. Oder die Walhaie. Also alles was so unter die Kategorie der pelagial creatures fällt, quasi die echten MeeresbewohnerInnen, nicht nur die Rifffischchen. Aber da gibt s natürlich die Plätze, wo man sagt, da kommen sie vorbei, hier lassen sich die fünf Mantas putzen, hier hängen die Schwarzspitzenriffhaie üblicherweise vorbei und dort ist heute von wegen Planktonströmung vielleicht ein guter Tag, dass ein Walhai vorbeischaut. Und da starr ich dann einmal eine halbe Stunde lang into the blue, wie man sagt, und kann meine Aufregung über die Möglichkeit buchstäblich am Finimeter ablesen, weil Spannung braucht Luft. Aber halt Mal für Mal nix gewesen. Und da kann man sich da natürlich nicht beschweren. Aber wenn mich eine Instruktorin fragt, wie mein Tauchgang war dann zöger ich vielleicht doch so ein bisschen, weil ich quasi „nur das übliche“ zu sehen bekommen habe, obwohl ich ein bisschen auf pelagisches gespitzt hab. Sagt sie I believe you have expectations. Und sie meint das, glaub ich, als etwas negatives. Und das ist aus dem Buch: Leute, die die gleichen Wörter verwenden, aber etwas anderes damit meinen. Hab ich mich gefragt, ob das vielleicht was buddhistisches ist, weil da ist ja das ganze mit den Ansprüchen und den Erwartungen, die dann allesamt ständig enttäuscht werden und nie passiert da, was man gerne hätte… das spielt ja eine andere Rolle dort. Aber wie gesagt, eigentlich sind in der Gegend die Leute ja muslimisch und ich weiß nicht, wie der Islam mit dem Terror enttäuschter Erwartungshaltungen umgeht.

Die Muräne / Fletscht die Zähne / Und macht von tief aus ihrem Trichter / Von unten rauf böse Gesichter.

Und ja, das war eine thailändische Instruktorin. Das ist ja überhaupt so ein Ding, dass relativ wenige Einheimische in den (presumably) besser bezahlten Jobs arbeiten. Ist natürlich ernüchternd, dass von dem Tauchtourismus dann wieder die europäischen AussteigerInnen profitieren. Und natürlich haben auch die Restaurants und die Hotels und die Tourguides was davon, wenn jemand auf seinen Tauchurlaub vorbeikommt. Aber mein Geld ist zumindest vor allem an meine PolInnen gegangen. So wirklich ist mir das auch erst aufgefallen, wie mir die PolInnen den Wale als Guide mitgeschickt haben, der auf Ko Lanta aufgewachsen ist und der da für ihn selbst überraschend nämlich, plötzlich ein Tauchguide geworden ist. Aber natürlich bin ich dann, als ich ersteinmal draufgeschaut hab, eh schon wieder draufgekommen, dass es viel mehr thailändische InstruktorInnen gibt, als ich zuerst gedacht hab. Nur dass ich die halt nicht bemerkt hab, weil die weniger mit den Touris am Sonnendeck abhängen und eher vielleicht mit den Boys. Sagen wir ein Drittel.

Und zwischendurch wieder ein Franzose, mit dem ich mich gleich wieder gern unterhalten hab. Den haben sie uns als Fotografen mit an Bord gegeben und… ja. Schwer zu sagen. Ich hab ja dann mal gedacht, ob das mit den FranzösInnen vielleicht auch mehr so ist, wie mit den AmerikanerInnen, dass die, die man im Ausland trifft, eh nett und rücksichtsvoll und witzig sind. Oder auch nur, dass mir bei den einen wie den anderen die sympathischen eher auffallen als die anstrengenden. Auf jeden Fall ist er selbst in den kleinen Unterhaltungen, die wir so zwischendurch haben so angenehm französisch.

Bei diesem Typen hab ich mir übrigens schon vor ein paar Jahren mal so diese Idee aufgerissen, dass alte Franzosen irgendwie einen sehr speziellen Charme haben können. (Aus „Jodorowsky’s Dune“)

Mah, und meine Zehe hat sich wieder erholt, nachdem ich sie mit Karacho gegen den Gehsteigabgrenzungsboller gestoßen hab, manchmal drückt s immer noch unangenehm, wenn ich sie blöd erwische. Da frag ich mich dann, was man sich alles verletzen kann, wie unbemerkt man sich die Zehe brechen kann. Mehr Problem macht allerdings die Haut, weil da muss man sagen, das Tauchen, die Sonne und das Meer, das verlangt schon seinen Zoll. Die Haare hab ich sogar halbwegs im Griff, das schicke Boot erlaubt ja, dass ich mir nach jedem Tauchgang schnell einmal ein bisschen das Salz rausspühl. Aber ständig trockene Hände, meine Nagelbetten sind ausgefranst wie Rotwild im Frühling! Es ist wirklich nicht einfach. Da hab ich mir am letzten Tag noch eine Ölmassage gekauft, da hab ich mir gedacht, das hilft vielleicht. Auf jeden Fall bin ich unter den Schraubstockhänden der Masseurin beinahe gestorben, während sie und die Kollegin herzhaft über mein Ächzen und Stöhnen gelacht haben.

Und dann noch zwei, drei Sachen, die ich schon ein bisschen mit mir herumtrage, so aus: verschleppte Irrtümer. Wasser scheint man im Buddhismus quer durch die Bank als Opfer zu geben, was ich als bisschen brutale Opfergabe für die Atombombenopfer empfunden habe, ist gar nicht spezifisch in Erinnerung an deren qualvolles Verdursten. Ich mein, der Springbrunnen immer noch, aber vielleicht nicht unbedingt die Wasser.

Ah ja. Das andere war mehr so was, wo ich sag: oh schau, die progressive, emanzipatorische Kraft des Nationalismus, quelle surprise! Dass ich aber um die halbe Welt fahren sollte, für so ein Bild. Jetzt kann man natürlich sagen, die österreichische Herrschaft über die östlichen Nachbarn, das war vielleicht schon was anderes als die japanische Besetzung Koreas, natürlich sind die Rahmenbedingungen da ganz was anderes. Aber aus einer – sagmaramal –tschechischen Perspektive wird man da vielleicht auch leichter eine emanzipatorische Kraft dahinter erkennen. Wie gesagt, was sicher anders ist und weshalb ich mich dem koreanischen Nationalismus näher empfinde, ist, dass er halt nach wie vor ein progressives Ziel verfolgt in der Vereinigung der zwei Hälften Koreas. Und das ist ja etwas, was auf beiden Seiten ein Ziel ist, das – so scheint s mir – die entlang der Kalter-Krieg-Dichotomie gespaltene Politik der beiden Staaten transzendiert. Auf der anderen Seite gibt es in Mitteleuropa kaum ein Land, wo ich aus dem distanzierten (und österreichisch getrübten) Perspektive sagten würde, dass die ein besonders elegantes Verhältnis zum Nationalismus hätten. Serbien, Kroatien, Ungarn, Polen… Und ich mein zuhause ja auch nicht jetzt besonders. Das kann schon sein, dass das damit zu tun hat, dass sich die Fantasie vom eigenen Nationalstaat kaum jemals hat so wirklich umsetzen lassen. Ein Gefühl der Fremdbestimmung vom nächsten abgelöst. Aber ich nehme an, da sind wir auch wieder ein bisschen bei den unterschiedlichen Voraussetzungen.

Manchmal kommen wir einfach zu weit weg vom Boot wieder an die Oberfläche. Aber immerhin ist die Szenerie ja ganz hübsch, durch die ich da strampeln muss.

Währenddessen zieht ein ziemliches Gewitter über den Flughafen von Krabi. Da sind ein paar recht beeindruckende Blitze nah genug eingeschlagen, dass wir den Donner quasi zeitgleich bekommen haben. Umso eindrucksvoller, als die Hauptbeleuchtung ausgefallen ist. Hinter mir sitzt ein spanisches Pärchen, die vorher laut irgendwelche spanischen Talkshows geschaut haben, aber als sie dann beim fünften, sechsten Blitz zum jammern begonnen hat („Ay!“), da hat er dann angefangen psch-psch zu machen. Hab ich mir auch gedacht, das ist schon ein männliches Verhalten.

Und dann war ich in Bangkok. Ja nur auf einen Sprung, nur auf eine Nacht, weil eigentlich bin ich in meiner zweiundfünfzigstündigen Reisebewegung von Ko Lanta nach Eriwan. Aber da ist die erste Übernachtung eben in Bangkok gewesen. Und da komm ich mit meinem letzten Geld, mit meinem vorletzten Geld, vom Flughafen zu meinem Hotel gefahren und dann ist da eine Hallowe’en Veranstaltung. Aber schau mich an, nachdem ich mich ein bisschen hergerichtet hab und kurz am Bett ausgestreckt hab, geh ich tatsächlich runter und unterhalte mich ein bisschen aus dem Hintergrund und dann doch noch mitten am Tisch mit den anderen Gästen.

Da sind dann wieder einmal zwei weiße Südafrikaner und das ist einfach nicht so einfach. Weil die Ding, die damals in Neuseeland begeistert auf Afrikaans geflucht hat, die war gut enthusiastisch über Streetfood und politische Graswurzelbewegungen und so, da konnte ich gut mit. Aber mit den Männern zu reden, die sagen, dass, ja, die Situation ist halt nicht besonders gut in Südafrika, weil sie zur Zeit für alle Stellen nachgereiht werden, weil Schwarze halt bevorzugt eingestellt werden. Ich seh schon ein, dass da eine Generation von SüdafrikanerInnen aufwächst, denen „ihr“ Südafrika in so einem Turnaround zerbröselt und die da eine Suppe serviert bekommen, die ihnen das Leben schwer macht. Oder wie auch immer man das betrachten möchte. Vielleicht ist das aber was, wo wir allesamt mehr hinschauen müssten, weil da offenbar eine weiße Mittelschicht ganz klar ihre Privilegien abgeben muss. Aber so hab ich schnell das Gefühl, ein bisschen in der Brisanz zu tappen, nachdem ich doch nur gefragt habe, warum sie seit drei Wochen im Hostel neben dem Flughafen wohnen. Und sie haben ja auch nicht einmal den Eindruck von Rassisten gemacht, aber das hat vielleicht in einem südafrikanischen Kontext alles ein bisschen eine andere Bedeutung. Ich mein, über die Formulierung opposite colour war ich schon etwas überrascht. Und wenngleich ich da also schnell einmal aufs Nachhaken verzichtet hab, erschien mir das schon sehr als ein Zeichen dafür, dass es da doch noch sehr dichotom zuginge, in der alltäglichen Politik Südafrikas.

Nächster Tag mit der S7 zum Flughafen in Novosibirsk. Das war ganz gemütlich, der längste Flug wahrscheinlich, auf dem ich kein Unterhaltungsprogramm hatte. Nicht einmal so einen Monitor, auf dem man sieht, wo man gerade drüberfliegt. Ich hab dann viel aus dem Fenster geschaut und das war schon aufregend, weil ich kurz nach Start draufgekommen bin, dass wir ja irgendwie über die Himalayas fliegen müssten. Und weil ich nicht genau weiß, wo Novosibirsk liegt hab ich zuerst gedacht, dass ich mich wohl leider auf die falsche Flugzeugseite eingecheckt hätte. Aber dann hatte ich doch ein paar Berge bei mir und dann hatte ich noch mehr Berge und vielleicht war irgendwas davon ja tatsächlich… also irgendwas davon war sicherlich der Himalaya. Und dann sind wir über Wüsten geflogen und das war auch beeindruckend, weil da einfach nur Steppe rumgelegen ist. Bevor ich mich dann wieder meinem Steven King gewidmet hab.

Ja, also… keine Ahnung. Aber viel andere Gebirge gibt s ja nicht am Weg. Wir werden ja nicht über den Mounteverest geflogen sein.

In Novosibirsk stand gleich neben der Tür dann ein bepelzmützter Sicherheitsbeamter, das hat mir schon einmal gut gefallen. Aber was noch etwas schräger war, dass in dem Schlauch, der vom Flugzeug in den -hafen geführt hat, für ein Reisebüro geworben wurde, die sich anextour nennen. Grad für ein russisches Reisebüro ist das irgendwie auch nicht unbrisant. Dann haben sie mich durch eine Passkontrolle geschickt, warum auch immer, da war eine Beamte mit Sternen an den Schultern, die meinen Pass genommen hat und mich dann auf Russisch was gefragt hat, was ich ihr nicht wirklich beantworten konnte. Dann hat sie ein bisschen telefoniert, mich eigentlich nicht mehr angeschaut und ich hab mir nur gedacht, wie sowjet-kafka ich hier verwaltet werde. Wie authentisch! Sie hat dann einen Rückruf bekommen und schnell meinen Pass durchgeblättert und mich nach Russland hineingestempelt. Was ich nicht ganz verstehe, weil ich mich ja eh nur im Transitbereich aufhalten darf ohne Visum. Aber natürlich freu ich mich auch ein bisschen darüber, da einen Stempel hineinbekommen zu haben. Novosibirsk drängt sich doch auf in meine Reiseberichte aufgenommen zu werden und wenn ich nur irgendwo am Flughafen rumlungern werde, beschallt mit Nena (99 Luftballons), Ace of Base (Wheel of Fortune), Cindy Lauper (Girls Just Wanna Have Fun) et al., fein synkopiert mit etwas leiserem Russischpop aus dem Café daneben. Bis sie mich morgen nach Eriwan schupfen.

Stadtspaziergänge

Es ist viel zu schnell, viel zu kurz und vielleicht auch zu unstrukturiert und mittlerweile vielleicht einfach auch schon zu lange her. Aber wir erkunden Seoul ein bisschen so nebenher, schnell mal von Tokio nach Seoul gejettet, mit unserer super-kurzfristigen Buchung. Immerhin war der Plan das zu tun schon länger mal angedacht. Aber viel mehr Plan war dann auch gar nicht. Und dann passiert halt so was, dass wir am Flughafen Incheon ankommen und feststellen, dass das Hostel, in das ich uns Tags zuvor hineinbestellt hatte, antwortet, dass, sorry, aber nein. Und das, nachdem ich gerade erst die Kontaktadresse auf den Immigrationszettel ausgefüllt hatte. Das ist ein Pech und es würde mich vielleicht weniger stressen, wäre ich allein unterwegs. Aber so ist es ein bisschen eher ein Problem. Ich mein, nicht eines, das sich nicht lösen lässt. Weil wir haben von D eine Nachbarschaft empfohlen bekommen, das macht alles schon etwas einfacher. Insbesondere, weil mein präferiertes Kartenprogramm nicht so gut funktioniert in Korea, also nicht gut in der Republik. Ich sag einfach einmal Korea und mein damit nicht die Volksrepublik Korea sondern die Republik Korea, vulgo Südkorea. Aber da fängt das irgendwie schon an damit, dass diese ganze politische Identität von Korea sich mir gar nicht so einfach darstellt.

Jetzt bin ich aber am Flughafen und tatsächlich ein bisschen in einem emotionalen Ungleichgewicht, in die schlechte Laune tendierend, weil das Alternative-Hostel-Buchen nicht funktionieren will, weil ich von den einen wiederum Absagen bekomme und andere mich dazu zwingen, koreanische Software zu verwenden, die ich dann nur mit Mühe irgendwie auf Englisch zu laufen bekomme. Und der M ist auch nervös, weil das nicht funktioniert und es stimmt ja auch, es wäre ganz gut, einmal anzukommen. Wir kriegen dann ein Hostel gebucht, das nicht supersympathisch ausschaut, also, nämlich nicht einmal in dem, wie s sich präsentiert, aber was soll s, es liegt für uns günstig und es ist preislich, na ja, das passt auch. Immerhin gibt s ein Frühstück mit dabei.

Und dann stehen wir erst einmal ziemlich lange im Zug. Vielleicht ist das rückblickend ein wenig verzerrt, ich hab den Eindruck, wir sind schon viel mit der U-Bahn unterwegs gewesen. Aber das ist eh ganz nett, ostasiatisches U-Bahnfahren. Ich finde die Leute sind schon immer sehr ordentlich, wie sie stehen und sitzen und halt warten, bis sie ankommen. Ja, das klingt irgendwie jetzt nicht nach der großen Beobachtung, das geb ich schon zu. Ich glaub, was ich interessant finde, ist, wie die Leute in eine Nähe gerückt werden, dadurch, dass links und rechts im Waggon jeweils eine lange Bank ist, natürlich von den Türbereichen unterbrochen, an denen die Leute nebeneinander sitzen. Es und davor sind jeweils die Haltegriffe so angeordnet, dass man mehr oder weniger der Person gegenübersteht, die vor einem sitzt. Dann bleibt in der Mitte noch ein Gang frei, durch den andere PassagierInnen mehr oder weniger ungehindert den Waggon entlang gehen können. Es ist eine ziemlich effiziente Art und Weise, Plätze in einem Waggon anzuordnen. Aber dadurch sitzt sich niemand für ein Gespräch gegenüber, quasi niemand, der nicht neben einer Fremden sitzt, kaum jemand, der nicht einem Unbekannten gegenüber seine Reisezeit verbringt. Auf jeden Fall hab ich nicht viele Leute beobachtet, die die Zeit in der U-Bahn für eine Unterhaltung nutzen. Und vielleicht fördert die ganze Sitzplatzeinteilung noch die Telefonnutzung, weil viele, wirklich viele Leute sitzen halt mit ihren Telefonen da und lesen Mangas oder nutzen die Zeit, um Charaktere hochzuleveln oder virtuelle Bauernhöfe zu verwalten.

Ich mein, es ist nicht alles nur diszipliniertes U-Bahnfahren. Es gibt auch hier Schilder, mit denen das Dönerverbot durchgesetzt wird und Leute daran erinnert werden, dass laute Musik auch in den Kopfhörern die Mitfahrenden stören mag.

Nachdem wir nach einmal Umsteigen bei unserer Station ankommen, will uns die Maschine erst einmal nicht aus der Station lassen und nach einigen Versuchen und einigerem Zögern drücken wir den Bitte-wir-brauchen-Hilfe-Knopf, der an der Maschine angebracht ist. Prompt flötet Beethoven durch die Station und eine Dame kommt, lässt uns durch die Schranke, nimmt uns unsere Fahrscheine ab und wirft sie in einen Automaten. Wir rechnen damit, dass wir was nachzahlen müssen, vielleicht für die Kernzone oder wie auch immer das System funktioniert. Aber die Maschine wirft Geld aus und die Dame drückt uns die paar Münzen in die Hand und gebietet uns, uns auf den Weg zu machen. Wir scheitern daran, die angewohnte japanische Höflichkeit in koreanische Worte zu fassen – da hab ich eher noch Lesen gelernt als mit auch nur die zentralsten Begriffe auf Koreanisch zu merken – und verlassen die Station. Immerhin sind wir durch die ersten Stresssituationen und ich merke, wie ich insgesamt auch schon ein bisschen lockerer geworden bin, nachdem ich mir ein bisschen eine angespannte Schulterpartie in den ersten Stunden geholt habe, in denen nicht alles so gelaufen ist, wie ich mir das vielleicht vorgestellt habe. Und normalerweise – also: normalerweise – merk ich das nicht so, aber wenn man regelmäßig mit jemandem plaudert, dann wird das schneller augenscheinlich, dass ich da ein bisschen verzwickt bin.

Wir gehen dann auf einen Sprung ins Café, wo wir am Automaten Matcha Latte und einen Riesenbecher Kaffee bestellen, damit wir dort ein Internet ausborgen können, mit dem wir die zweihundert Meter zu unserem Hotel finden. Einen Gehirnfrost und einen halben Becher Kaffee später machen wir uns wieder auf den Weg. Erste Auffälligkeit: jedes zweite Geschäft, an dem wir vorbeigehen, scheint ein Kaffeehaus mit eigener Rösterei und blitzenden Glasfronten zu sein. Ich freu mich da zugegebenermaßen ein bisschen, weil ich doch jetzt hinter dem Kaffee her bin. In diesem Zusammenhang vielleicht ein kleiner Exkurs zu einem Geschäft, in dem wir in Tokio Kaffee getrunken haben. Das war nämlich schon sehr dritte Welle. Also die Bedienung hat uns eine Zeitung vorbeigebracht. Das sei das aktuelle Monatsmenü. A-ha. Und dann quasi auf A3 gab s… na ja, zwanzig, dreißig? Viele halt. Es gab viele Kaffees zur Auswahl und in Kategorien, die ich mir schon schwer getan habe zu unterscheiden, während ich das Papier vor mir hatte. Da waren irgendwie die Monatsangebote und dann die Preisgewinner und dann die Spezialitäten… alles ein bisschen austauschbar. Die Preise sind halt jeweils raufgegangen, je mehr Preise ein Kaffee gewonnen hatte. Und die waren halt alle mit ihrem Land und mit ihren BäuerInnen angeschrieben. Und mit ihren Geschmacksnoten, mit denen ich hier jetzt gar nicht anfange. Im Endeffekt war dann jeder zweite Kaffee ausverkauft, aber vielleicht war da ja auch schon ein bisschen Ende des Monats oder was weiß ich. Und dann, wie auch oft, konnten wir noch zwischen Zubereitungen wählen: Siphon oder… was anderes. French Press vielleicht. Wir sind alle auf Siphon gegangen, weil irgendwie gibt s das daheim nicht. Wenn das Klumpert aufgrund dessen, dass es aus Glas ist, blöd zum Transportieren wäre und aufgrund seiner Funktionsweise auf eine spezialisierte Hitzequelle angewiesen wäre, die man in der Supermarktversion mit einer Kerze oder ähnlichem ersetzen muss (was die Coolness, aber in erster Linie wahrscheinlich die Möglichkeit konstanter Hitze deutlich reduziert)… ach was! Selbst derart vielschichtig unpraktisch hab ich mir das Spielzeug wahrscheinlich hauptsächlich aus Konsumtrotz nicht gekauft. Vom Kaffee, nun, war schon gut, also, die haben wirklich aufregenden Kaffee gemacht dort. Nicht, dass das irgendwie die sechzehn Euro aufwiegen kann, die wir dafür… also, die wir dafür pro Tasse hingelegt haben, nicht dass die durch irgendwas aufzuwiegen wären. Es ist dann eher Erlebniskaffee. Wie der Herr am Nebentisch, der der Bedienung aufgeregt erzählt hat, dass er sich seit Jahren für das Kaffeegeschäft in den Sozialen Medien interessiert und er jetzt hier ist und so viel Kaffee wie möglich trinken möchte. Also: verschiedene. Und selbst die Barista, mit der ich mich zuletzt in Tokio unterhalten habe, hat Augen gemacht, als ich ihr gesagt hab, dass ich in diesem Geschäft war. Ist wohl berühmt. Schon eher in eine Nische hineinspezialisiert, die Damen und Herren.

In Seoul jedoch treffen wir in unserem Hostel auf eine etwas aufgedrehte junge Frau, die uns unser Zimmer zuweist und das Hostel erklärt und dann sitzen wir schon in der Hostelküche und kommen ein bisschen schwer wieder weg, weil wir von allen Seiten… von zwei Seiten. Also, wir sind über kurz oder lang zu sechst in der Hotelküche gesessen und da waren zwei MitarbeiterInnen und zwei Gäste und zwei neue Gäste. Das waren wir. Und alle anderen haben mehr oder weniger begeistert erzählt, was sie machen und wo sie wie oft wie günstig trinken gehen. Weil zuerst hat s angefangen mit was es in der Umgebung so gibt und was in Seoul so zu tun ist und dass man zur Grenze fahren kann und sich aus der Demilitarisierten Zone die Volksrepublik anschauen kann. Und es ist dann schnell in Hier-sind-die-Märkte-hier-sind-die-Bars ausgeufert und irgendwie sind wir da ein bisschen sprichwörtlich mit dem Rücken zur Wand gesessen. Bis natürlich sich alles plötzlich sehr schnell aufgelöst hat, ach, ihr wollt sicherlich einmal entspannen. Ja, das wär jetzt super, tschuldigung, schönen Tag, bis später, tschüssi, macht s gut. Ich glaub, wir haben dann keine von denen jemals wieder gesehen.

Am Abend machen wir uns auf die Suche nach einem Bibimbap. Das ist so der Inbegriff koreanischen Essens für, so scheint s, uns beide. Leider hab ich weder an dem Abend noch an den zwei anderen Versuchen, die ich der Bibimbapverkostung noch gegeben habe (zugegeben, einmal hab ich s nicht einmal bis zum Bibimbap geschafft und bin vorher schon in einem anderen Lokal gesessen), ein gutes Bibimbap gegessen. Ich mein, es war ok. Aber ich hatte in Neuseeland besseres, ich hatte in Australien besseres und ich hatte auch in Japan besseres. Aufregendes Essen war s dennoch irgendwo: Tintenfisch im Kimchi, eingelegte… Blätter. Auf der Beilagenseite alle Stückeln. Und nach dem Essen sind wir plötzlich auf einer neonerleuchteten Straße gestanden, auf der M mit der Idee spielt, für einen Virtual Reality Ausflug in eine Virtual Reality… Bar? zu gehen. Aber irgendwie fehlt uns dann doch die Willenskraft um die Hemmschwelle zu überwinden und wir aalen uns nur ein bisschen in der fremden Umgebung, die blinkt und leuchtet und trotz seiner Digitalität ein bisschen geheimnisvoll ist.

Des Nachts schaut Seoul also durchaus so aus, wie man sich das mit dem Cyberpunk vorstellt: Hochhäuser, Neonsigns und der Himmel die Farbe eines Fern­sehers, der auf einen toten Kanal geschaltet ist. Es fehlen halt die fliegenden Autos.

Frühstück nächsten Tag haben wir dann auch… ich weiß nicht. Ich mein, ich hab dann auch nicht mehr gefragt, aber M hat schnell daran das Interesse verloren. Das ist vielleicht einfach so was, wo ich mich dran gewöhnt hab zu sagen: Essen ist ja auch einfach eine Energie. Und wenn ich zwei Toastbrot mit der gleichen Anzahl an Spiegeleiern ess, dann ist das ein Anfang, der bringt mich durch den halben Tag. Aber das hab ich dann die folgenden Tage allein gemacht. Und es ist auch nicht jeden Tag dem Gespräch zwischen den jungen Männern zu folgen gewesen, die einander erzählen, wie toll sie wo überall wie viel Drogen genommen haben und wie sie dann wieder schlafen gegangen sind. Aber wir sind ja dann eh jeden Tag in eine der unzähligen Kaffeegaststätten gegangen, in denen es außer Kaffee noch leicht überdimensioniertes Süßgebäck der europäischen Stoßrichtung gegeben hat, was einem auch für den Vormittag reicht, aber mein Budget ein bisschen verwirbelt hat.

Halb so schlimm. Man braucht die Energie auch für Seoul. Und ich sag, wir sind viel U-Bahn gefahren, aber wir sind auch sehr viel gegangen. In der Tourismusinformation hat man mir später gesagt, dass eine Station jeweils etwa eine Viertelstunde zu gehen ist. Und das kommt wahrscheinlich hin, wenn nicht gerade der Fluss dazwischen ist oder jemand mit meinem Orientierungsäquivalent die Gruppenführung inne hat. Im Endeffekt heißt das aber, es grad ein bisschen zu weit ist, um wirklich zu Fuß zu gehen. Und wir sind halt doch zu Fuß gegangen. Sonst sieht man ja nichts. Vielfach gibt s auch gar nicht viel zu sehen. Wir sind halt von hier nach da, von einer der zweiundvierzig Universitäten zum Palast zum Palast zu TouristInnenvierteln, zu Einkaufsstraßen, zu dem netten kleinen Fluss, den sie auch hier mitten durch die Stadt fließen haben, zum Markt, den wir nicht finden, weil es ein Kleidungsmarkt ist, den wir nicht suchen.

Seoul ist ja schon sehr hübsch gelegen, weil innerhalb einer Bergkette, die von den GründerInnen als natürlicher Verteidigungswall genutzt wurde. Heute gibt s ein schönes Panorama ab.

Und dann stehen wir erschöpft an einer Ecke und wünschen uns besseres Internet und etwas zu Essen, als uns die Zeuginnen Jehovas ansprechen. Hallo, ja, nein, nicht besonders. Danke. Und dass wir gar nicht mehr da sein werden am Samstag. Aber ob sie uns vielleicht in die Richtung weisen können, wo wir was zu essen bekommen. In dem Moment bekommt M von einem missionierenden Buddhisten ein Armband ums Gelenk geschlungen und ich glaub das war so der Moment wo s dann wurscht gewesen ist und wir sitzen drei Minuten später vor einem Standl, aus dem wir koreanisches Mittagsessen bekommen. Ein Huhn, ein Reis und ein oder zwei von den Beilagen, die was die Abenteuerlichkeit betreffen so in der Mitte der Skala liegen. Nachdem wir ein bisschen mit der chinesischen Besitzerin ins holprige Gespräch gekommen sind, schenkt sie uns noch einen Teller koreanische Fischkuchen. Sagt man Fischkuchen? (Fun Fact: es gibt keinen deutschsprachigen Wikipediaartikel zu Fischkuchen.) Das ist so eines der Hauptnahrungsmittel, scheint s. Homogene Fischmasse, die in recht stabile Formen gebracht wird. Wenn sie wie Gnocci geformt sind, hat sie M schnell erkannt, aber es gibt sie auch am Spieß und da haben wir lange gerätselt. Es hat die Form eines Fischs schon lange hinter sich gelassen.

Was es in Seoul auf jeden Fall gibt, sind sowas wie Gemeindebauten. Wenn man den Kommunismus nebenan hat, dann schaut man wohl tatsächlich auch im glorreichen Kapitalismus ein bisschen drauf, dass einem die eigenen Leute nicht auf der Straße schlafen, dass sie nicht vielleicht doch mit der Revolution sympathisieren. Links ist ein Modell aus dem Seoul-Museum mit dem man sich ein bisschen vor Augen führen kann, wie s da drin ausschaut. Ich war total begeistert davon, mit wie viel Witz und Liebe im ganzen Museum immer wieder Modelle zur Verbildlichung beigetragen haben.

Als kleinen Verdauungsspaziergang wandern wir auf den Namsan, den Berg auf dem der große Funkturm steht. Das ist natürlich kein kleiner Verdauungsspaziergang sondern wir erreichen den Gipfel gerade so zu Sonnenuntergang, gerade rechtzeitig, dass wir mit hunderten anderen die untergehende Sonne fotografieren können. Ich stolper schnell auf eine Metaebene, auch weil ohne ein optisches Teleobjektiv eine untergehende Sonne ebensoschwer zu fotografieren ist, wie andere Himmelskörper. Man kriegt einfach einen kleinen Punkt auf sein Foto und das war s dann. Deshalb wundere ich ich dann schnell einmal über die ungebremste Freude, mit der die Leute ihre Kameras gegen Westen halten. Der Ort ist allerdings auch romantisch aufgeladen, an den Gittern sind tausende Schlösser angebracht, mit denen sich hier die eine oder andere Liebeserklärung manifestiert hat. Und natürlich: Sonnenuntergang und Liebeserklärungen – das geht Hand in Hand. Ich will s jetzt niemandem vermiesen, aber ich bin maximal ein bisschen nachdenklich geworden über den Enthusiasmus, der sowohl beim Liebeserklären als auch beim Sonnenfotografieren vielleicht oft einmal ein bisschen mehr eine Geste ist, als ein Inhalt. Insbesondere, weil der Ort so durchorganisiert ist für ein spezifisches Erlebnis: Hier sei verliebt, hier schau gemeinsam der Sonne beim Untergehen zu. Da bin ich schon ein bisserl ins Grübeln gekommen. Dabei hat Korea eine äußerst liebenswerte und öffentliche Partnerschaftskultur, in der Pärchen in ihren Zwanzigern gern öffentlich als das darstellen. Dadurch hab ich schnell den Eindruck bekommen, selten so viele Paare und ihre Interaktion gesehen zu haben. Zugegeben, wir waren da ein bisschen vorgeprägt durch Ds Erfahrungen, die uns mit dem Geheimnis des Couple-Couple vertraut gemacht hat, wobei sich die PartnerInnen gleich anziehen. Und ehrlich gesagt hab ich das wider meine Erwartung dann in der Praxis eigentlich gar nicht als unerträglich erlebt. Was findet man nicht alles interessant, wenn s nicht daheim passiert…

Hier sorgt ein Schild für Emotion

Nebenan ist in der Zwischenzeit eine Konzertbühne aufgebaut worden und eine Fangemeinde hat sich davor eingefunden. Wir stehen kurz davor, unser erstes K-Popkonzert mitzubekommen und wir haben uns gar nicht darauf vorbereitet! Oder auch nur damit gerechnet. Aber wir sind letztlich beide nicht in der Stimmung nach einem anderen als einem ironischen Zugang zu einer derartigen Veranstaltung zu suchen. M ist der Band (oder eine Band) schon an der Restaurantkassa begegnet und war nicht vom Hocker, während ich den AufheizerInnen dabei zugeschaut hab, wie sie das Publikum auf den bevorstehenden Auftritt vorbereitet haben. Dabei war aus meiner Perspektive halt auch zu sehen, wie die Band außerhalb des Publikumsbereichs herumgeht, während dort alle Augen auf die Bühne gerichtet sind… Es hat einfach ebenfalls ein bisschen wirr gewirkt. Und wir haben uns dann schnell einmal an den eh beleuchteten Abstieg gemacht. Weil es ist ja nicht so wirklich ein Berg, wenn der mitten in der Stadt steht.

Auch am nächsten Tag laufen wir noch ein bisschen zufällig. Weil eigentlich wollten wir in die Demilitarisierte Zone fahren. Aber die hat zu, sagen sie uns in der Früh am Bahnschalter. Also, zumindest, dass der Zug nicht fährt. Wegen „Schweinegrippe“. Wir sind uns insgeheim einig, dass das ein Euphemismus für die transpazifische Freundschaft sein muss. Aber ja, was soll s. Nachdem wir ein bisschen unsere Möglichkeiten durchgegangen sind, satteln wir spontan um auf einen weiteren Seoulrundgang. Und es ist ja nicht so, als ob s da nicht noch etwas für uns zu sehen gäbe. Da gibt s einen Stadtteil, in dem viele Häuser noch nach traditioneller Bauweise gebaut sind, da gibt s eine Überfahrung, die nie eröffnet worden ist und jetzt eine FußgängerInnenzone ist. Insgesamt ist Seoul irgendwie unorganisierter als die japanischen Großstädte, kommt mir vor. Es gibt auch das mit den kleinen, vertrauten Gassen, kaum dass man einige hundert Meter von den zentralen Verkehrswegen weg ist, nicht. Oder zumindest hab ich das nicht so erlebt. Es ist alles ein bisschen wilder, ein wenig offener und vielfältigter. Wir scheitern wieder daran, einen Markt zu finden, an dem wir ein Mittagessen bekommen. Oder vielleicht entspricht es nur nicht unseren Erwartungen. Als ich zwei Tage später allein in einen Streetfoodabschnitt eines Marktes stolper – nachdem ich zwanzig Minuten durch Kleider- und Stoffstände gewandert bin – bin ich auch wirklich überfordert mit dem Angebot. Es ist weniger einfach zugänglich, es gibt keine Speisekarten, keine Bilder, es gibt nur was da ist und das ist für das ausländische Auge oft nicht einfach zu identifizieren. Siehe Fischkuchen.

Abends machen wir einen Ausflug nach südlich (nam) des Flusses (gang). Gar nicht so sehr auf der Suche nach Psys Garage sondern auf dem Weg nach Lotte World, in einen Vergnügungspark. Der kürzeste Weg zur Enttäuschung. Ich mein, bravo für den Aufwand, ein generisches Disneyland zu basteln und zwar immerhin mit derartigem Erfolg, dass sich um die Figuren möglicherweise eine eigenständige Fanbase entwickelt hat. Zumindest gibt s tonnenweise Merch zu kaufen. Allerdings in einem Gang in dem jemand Knoblauchbrot verkauft, bei dem frisches Brot in einen Bottich voll Knoblauchmus getunkt wird und das ungelogen einfach den ganzen Gang vollstinkt. Das Geschäft bewirbt sein Produkt mit eine Reihe von Gesundheitsvorzügen, aber ich versteh nicht, wie das erlaubt sein kann, daneben versucht jemand Pfannkuchen zu verkaufen um Himmels Willen!

Irgendwo zwischen unheimlich und eh ok. Bisschen wie wenn in einer unspektakulären Sliders Folge in einem Paralleluniversum gelandet wären, in dem Disney statt einer Maus ein Eichhörnchen gezeichnet hätte. “Make a Miracle” indeed.

Aber ja, das wollte ich sagen: das scheint schon ein bisschen ein Ding zu sein, dass Korea seine eigenen Dinge entwickelt, aber insgesamt halt total westlich orientiert ist. Und ich mein, wie sollen sie auch nicht. In Wahrheit gibt s ja nur zwei Nachbarn, drei, wenn man sagt, dass die Volksrepublik ein Nachbar ist. Aber sonst ist da ja nur die andere Volksrepublik. Und das sind irgendwie nicht die FreundInnen, weil immerhin unterstützen die ja die… wie auch immer man das nennen mag. Die unrechtmäßige Trennung Koreas. Und dann bleibt nur Japan, als befreundetes Ausland. Aber dass Korea eine angespannte Beziehung zu Japan hat, von dem die KoreanerInnen in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts besetzt und systematisch ausgebeutet, unterdrückt, verschleppt und ermordet wurden, das kann man auch verstehen. Und das ist insgesamt interessant, das hier tatsächlich auch Geschichte passiert ist, während bei uns Geschichte passiert ist. Ich mein, das sag ich natürlich jetzt ironisch, für den Fall… aber irgendwie ist es halt schon etwas, mit dem man sich normalerweise nicht konfrontiert sieht. Grad Korea. Was weiß man davon schon.

Naja. Im Museum lern ich tags darauf, dass sich Korea grad erst im späten neunzehnten Jahrhundert ein bisschen neu erfindet. Es beginnt eine neue Dynastie, Seoul wird renoviert, die Paläste erneuert und das Land ein bisschen modernisiert. Aber kaum, dass das in Fahrt kommt und sich Korea eine Form gibt, mit der sie international auftreten können, zwischen Nationalstaat und Kaiserreich, marschiert Japan ein und annektiert Korea schließlich 1910. Und nach dem Krieg befreit und doch gleich wieder selbst wieder Kriegsschauplatz. Und während das befreite Volk im Norden kein Glück unter seinen BefreierInnen hat, so kriegt auch der Süden eine korporative Militärdiktatur ab. Auf der deutschsprachigen Wikipedia kann man dazu diesen furchtbaren Satz lesen: „Obwohl es in dieser Zeit zu schweren Menschenrechtsverletzungen kam, gelang es unter der Militärdiktatur, der Wirtschaft zu einem starken Aufstieg zu verhelfen.“ Wenn das nicht einmal ein klassisches Ende-gut-alles-gut ist.

Im Übrigen vergisst man natürlich nur so halb, dass Korea theoretisch im Krieg ist und dass es keine fünfzig Kilometer bis zur Grenze sind. Alle U-Bahnstationen dienen nebenher als Bunker, in denen auch Gasmasken und allerlei andere Ausrüstung für den Ernstfall bereitstehen.

Ich weiß nicht einmal genau, woher ich diesen Eindruck hab, vielleicht ist es nur schiere Willenskraft von meiner Seite oder das Resultat einer falschen Vorsicht, wenn ich mit KoreanerInnen über Korea geredet hab, dass ich glaub, dass für Korea Korea immer noch Korea ist. Dass das Land in Nord und Süd geteilt ist, ist für die meisten Menschen in der Welt eine Tatsache und vielleicht eine scheinbar unumstößliche Tatsache. Aber für KoreanerInnen war die Idee eines vereinten, unabhängigen Koreas schon vierzig Jahre vor der Trennung eine zentrale Ideologie im Widerstand gegen die japanische Besetzung. Und die Familien- und Verwandtschaftsbeziehungen dürften nach wie vor stark sein, auch wenn sie über den 38. Breitengrad hinweggehen, an dem Korea geteilt ist. Ich glaube in Korea ist der Nationalismus immer noch ein Mittel zur Eigenständigkeit und zur Selbstbestimmung. Das ist ja überraschend für mich und gar nicht so einfach zu akzeptieren, die emanzipatorischen Aspekte von Nationalismus zu sehen. Auf jeden Fall vermute ich jetzt, es gäbe gar keinen besonders ausgeprägten südkoreanischen Nationalismus, es gibt nur Korea und das ist geteilt.

Hier ist zum Beispiel ein Relief, auf dem Koreanerinnen im Widerstand gegen die japanischen Besatzungssoldaten diesen nur mit Fahnen bewaffnet entgegentreten. Viel plakativer kann man den friedlichen Nationalismus als Mittel zur Unabhängigkeit kaum darstellen. Kann natürlich auch sein, dass sich das auf ein konkretes Ereignis bezieht…

Nachdem wir nochmal auf der Suche nach einem Abendessen, ohne so recht zu finden, was wir suchen, ein bisschen verloren gehen, auch wenn wir bald einmal beide nasse Füße haben. Es hat den ganzen Tag geregnet und wir haben zwar an verschiedenen Stellen der jeweiligen Interessenslage entsprechend Museen besucht ist, aber bei der Suche nach Streetfood patschen wir letztlich doch nochmal durch die Lacken. Es ergibt sich, dass wir einen Teil unserer Suche zwei KoreanerInnen hinterhergehen, die möglicherweise gemeinsam arbeiten…? So haben sie zirka auf mich gewirkt. Was mir aber sehr gut gefallen hat, war jedoch wie witzig es die beiden gehabt haben, wie viel sie beide gelacht haben. Da hab ich mir gedacht, ob das nicht ebenfalls etwas ist, was ich in Korea mehr gesehen habe als anderswo: dass Leute miteinander in der Öffentlichkeit lachen. So, dass man annehmen kann, dass sie was lustiges gesagt haben. Aber das ist natürlich sehr schwer nachzuvollziehen, wie sehr das ein verzerrter Eindruck ist oder etwas, was mir nach dieser Beobachtung einfach noch mehr aufgefallen ist. Aber es ist nicht so, dass sie so fröhlich wären. Oder so gut gelaunt. Es wäre wirklich, dass sie einfach viel lachen, weil sie s miteinander lustig haben.

Und jetzt ist das natürlich es schon wieder Zeit für eine Verabschiedung denn M macht sich in Richtung Flughafen auf, um noch ein paar Tage Tokio zu erleben. Und dann schon wieder nachhause. Vielleicht merke ich erst in dem Moment, unter welchen unterschiedlichen Voraussetzungen wir diese zwei Wochen miteinander herumgefahren sind. Und ich wieder das einzige Publikum meiner ungefilterten Alltagsbeobachtungen. (Nicht, dass das Publikum, dass sich über sie amüsiert hat, jemals eindeutig größer als eins gewesen ist…)

Und am Abend verirre ich mich noch einmal in jene Gegend, in der wir am Beginn unserer Seoulerkundungen von den blinkenden Lichtern so beeindruckt waren. Und ob das nur an jenem Abend war, aber auf jeden Fall ist an jeder Ecke eine Band gestanden, die dort Musik gemacht haben. Zuerst hab ich ein paar K-Pop Bands zugehört und den SängerInnen bei ihren extrem anstrengend aussehenden Tanzroutinen zugeschaut. Da war auch oft ein bisschen Interaktion mit dem Publikum, kam mir vor, dass die vielleicht ebenfalls eingeladen waren, da mitzumachen…? Ich weiß es nicht. D hat uns erzählt gehabt, dass da auch bereits bekannte Bands auftreten und so einerseits ihre Fanbase erweitern, aber es scheint auch einfach irgendwie dazuzugehören. Und bei einigen Bands standen dann auch EuropäerInnen für ein gemeinsames Foto an und natürlich weiß ich s nicht, aber das hat vielleicht schon so gewirkt, als ob die die schon vorher gekannt hätten. Ich weiß ja wirklich nicht, wie das ist, mit der modernen Musik.

Hier ist die Chinesin aus dem nächsten Absatz mit einer Nummer. Die Musik kommt wie bei allen aus dem Telefon.

An der nächsten Ecke hat ein junger Koreaner ein Gitarrensolo in die Länge gezogen, aber ich bin dann eher in die ruhigere Ecke und hab dann länger einer Chinesin zugehört, die ihr Publikum regelmäßig gebeten hat, doch näher zu kommen, weil sie sonst die Straße versperren und die Autos nicht durch können, respektive es für die ZuhörerInnen gefährlich ist, weil die Autos hinten an ihnen vorbeifahren. Das war aber nett, auch weil sie dann angefangen hat, chinesische Popmusik zu singen und ein zwanzigköpfiges Publikum mitgesungen hat. Das war irgendwie schon was schönes. Und hat mich auch daran erinnert, dass Korea halt doch so ein verhältnismäßig freies Land ist, für die Gegend dort. M und ich waren beide ein bisschen überrascht als ich gelesen habe, dass Korea das Land mit der best etablierten Pressefreiheit in Asien ist. Aber ja, auch wenig überraschend eigentlich, wenn man sich überlegt, welche Länder denn noch so in Asien liegen. Und irgendwie wirkt das unzeitgemäß, dass es da auch um persönliche Freiheiten. Vielleicht einfach um die Freiheit, Lieder zu singen, die man daheim vielleicht nicht singen darf. (Nicht dass ich dafür Evidenz hätte, das war allerdings so ein Gedanke, den ich bei der einen oder anderen Nummer hatte.) Aber immerhin wurden parallel zu meinem Ostasienaufenthalt in Hong Kong Proteste niedergeschlagen und das spielt natürlich schon mit hinein, wenn man versucht, sich ein Bild von der Gegend zu machen.

Hier hab ich mir übrigens ein Bild von der Gegend gemacht…

An meinem letzten Tag treffe ich noch Sunny. Die arbeitet im Hostel und sagt mir in der Früh, wo ich meinen Rucksack lassen kann. Und weil sie aber überraschend gar nicht überdreht ist und insgesamt sympathisch unterhalten wir uns ein bisschen und sie gibt mir noch ein paar Empfehlungen: ein nettes Viertel für Straßenspaziergänge und einen Kaffee, eine aufgeregte Ecke für ein Mittagessen und ein Freizeitareal auf der anderen Seite des Flusses. Auf ausgedehnten Spaziergängen erkundige ich die Hostelumgebung noch ein bisschen gen Westen, wo wir bis dato gar nicht hingekommen sind und bin schnell überrascht, was für eine sympathische Nachbarschaft ich dort entdecke. Die Straßen weitgehend leer und wenig Verkehr, aber auch wenig von den Neonschildern und der ganzen Feierlaune, der wir in der anderen Richtung schnell einmal begegnet sind. Ich komme noch einmal an dem kleinen Fluss vorbei, zu dem man in der Innenstadt einige Stufen hinuntersteigt und damit die laute Stadt ebenfalls schnell hinter sich gelassen hat, zugunsten von Reihern, Enten und anderen SpaziergängerInnen. Ich schau alten Männern im Park beim Schachspielen zu, nur dass es nicht Schach ist, sondern Changgi. Aber das Bild ist ja das gleiche. Und dann wandere ich noch am Südufer des Flusses entlang, wo eine Art Donauinselfeeling herrscht. Sprich: betonierte Ufer und Grünflächen. Auf den Grünflächen sitzen sie zu dutzenden, oft in mitgebrachten Zelten (diesen, die sich von selbst aufklappen) und reden, spielen, essen, trinken.

So viel Panorama, dass es sich auf einem einzelnen Panoramafoto gar nicht ausgeht!

So steig ich nach meinen letzten Stadtrundgang nochmal hoch in die Küche um mich zu verabschieden und wir haben noch eine nette Unterhaltung über meine Koreaeindrücke. Als ich dann die Stufen hinuntersteige ruft sie mir noch hinterher: “Have fun in the Philippines. Though not as much fun as in Korea!” Und ich denk mir, dass die schon witzig sind, die KoreanerInnen und wahrscheinlich ist das einfach der Grund, warum ich sie so viel lachen seh.

Wenn FranzösInnen Witze über Deutsche machen

Ein zum Beispiel französischer Handelsreisender kommt in einer deutschen Stadt an und nimmt sich ein Hotel zur Übernachtung. Um elf in der Nacht klingelt das Telefon in der Rezeption. Der Herr Handelsreisende fühlt sich lärmtechnisch belästigt und möchte gerne ein anderes Zimmer. Kein Problem, heißt s von der Rezeption, machen wir sofort.
Aber eine Stunde später ruft der Handelsreisende wieder an der Rezeption an, selbes Problem, bitte anderes Zimmer, kein Problem, wird erledigt.
Stunde später: selbe Sache und der Handelsreisende wechselt sein Zimmer.
Am nächsten Tag stellt sich dem Handelsreisenden beim Frühstück der Hotelmanager vor und entschuldigt sich für die gestörte Nachtruhe. Ja, er habe sich dann einmal damit abgefunden und habe gut geschlafen, aber er sei doch sehr von dem permanenten Eisenbahnverkehr irritiert gewesen.
Wie, sagt der Manager, nein, die Eisenbahn sei keinesfalls in der Nähe des Hotels, er wisse nicht, wodurch sich der Herr Handelsreisende… Aber ganz sicher, unterbricht der Handelsreisende, die ganze Nacht habe er die Eisenbahn vorbeischnaufen hören. Ah, sagt der ihm ein Licht aufgehende Hotelmanager, nein, das sei wohl nicht die Eisenbahn gewesen. Hinter dem Hotel stehe jedoch eine Ziegelsteinmanufaktur und dort reichen die deutschen ArbeiterInnen einander die Ziegelsteine, höflich, begleitet von einem ständigen
Bitteschön-dankeschön-bitteschön-dankeschön-bitteschön-dankeschön…

Cyrill, der Tauchlehrer

Gewöhnungsbedürfnisse

Ich hab letztens festgestellt, dass ich jetzt endlich die Autos von dort erwarte von wo sie kommen. Oder eben nicht und mich über die Straße gehen lassen. In Sydney gibt s Bodenbeschriftungen, wie ich sie in London auch in Erinnerung hab, die einem sagen, wo man schauen soll, wenn man über die Straße will und sie überraschen mich nicht. Nach einem halben Jahr in Australien, Neuseeland und Indonesien, wo sie überall auf der linken Seite fahren, hab ich s endlich in der Intuition, dass ich richtig schau. Selbst mitten auf der Straße, auch wenn das manchmal unübersichtlich ist, schau ich tendenziell auf die richtigen Fahrbahnen. Was ich schon mache, ist, dass ich manchmal zum Beispiel zuerst nach links schau, als ob von dort der früheste potenzielle Kollidor heranbrausen würde, aber dann schau ich auf die andere Fahrspur, also auf die weiter entfernte.

Das ist jetzt vielleicht nicht super interessant gewesen. Aber seit einer Woche denke ich jedes Mal, wenn ich über die Straße gehe, dass ich das jetzt intus hab und jetzt muss es einmal raus.

Auf der anderen Seite merke ich mehr denn je, dass ich immer noch Probleme hab, die Leute, nämlich die AustralierInnen in der einfachsten Alltagskommunikation zu verstehen. Also schon den Großteil. Mir fällt das… aber das führt jetzt schon ins Nächste. Also, wie gesagt: schon das meiste, ja, ja. Aber dann sagen sie zwischendurch ein Wort und das versteh ich nicht und manchmal kann man dann den ganzen Satz kübeln. So zum Beispiel am Flughafen in Hobart, als mich die Frau beim Einchecken fragt, whether I wanted a seat at the exit. Ja, witzig, gell, sollte man glauben, der Satz wäre nicht zu schwer und nicht einmal besonders überraschend im Kontext. Aber wenn ich da irgendwo das Wort Sydney drin verstehe, dann passen die anderen Laute nicht mehr in die Worte, zu denen sie eigentlich gehören und dann stehe süß lächelnd da und frage leise sorry.

Und das ist ja gleich der nächste Punkt, von wegen Gewöhnungsbedürfnisse: Die Damen und Herren in den britisch kolonisierten Ländern des fernen Südens sagen ja alle brav, wie wir s in der Schule gelernt und nie wirklich verwendet haben pardon wenn sie was nicht verstanden haben. Es ist ja eigentlich nicht so, dass ich Sachen, die ich in der Schule gelernt hab nicht auch brav bis zum heutigen Tag an- und verwenden würde. Und ich hatte sogar eine Phase, in der ich mich der leidigen sorries entledigen wollte und auch im deutschsprachigen Alltag lieber einmal pardon gesagt hab, aber halt weniger ein britisches paard’n eher ein französisches p’rdoo. Aber hier werde ich regelmäßig von unerwarteten pardon Äußerungen überrascht, weil ich s einfach von Mal zu Mal vergesse.

Na und weil ich s oben angerissen hab: Ich bemüh mich ja schon um Französisch. Aber das ist mehr das worauf das hinausgeführt hätte, weil angerissen hab ich vielmehr, dass ich zwar AustralierInnen im Großen und Ganzen schon versteh, wen ich gar nicht verstehe, dass sind FranzösInnen. Und es ist wirklich erstaunlich, weil immerhin ist das auch etwas, was ich in der Schule gelernt hab und ich mein, nicht dass ich irre gut war, aber zumindest im Verstehen und Vokabular und so, das ist prinzipiell… Ich will sagen, ich tu mir de facto leichter, ItalienerInnen zu verstehen. Weil denen versteh ich manchmal Wörter, die sie sagen, ich verstehe aber vor allem die Melodie eher, eher Satzstrukturen und Stimmungen. Ich hab in der Regel keine Ahnung, was FranzösInnen neben mir reden. Es ist bedrückend, aber ich kann die Sprache überhaupt nicht fassen. Und das ist schade, weil ich hab da ja durchaus ein Faible für, für das Französische. Das ist insbesondere beachtenswert, als mir schnell einmal eine Gänsehaut passiert, wenn mir sonst jemand mit nationalem Gschistigschasti kommt. Und hier konstruiere ich freudig einen nationalen Idealtypus, und dann diagnostizier ich mir auch noch einen Mangel an dem, was ich mir als konstituierend für das französisches Ego zurechtlege: Anspruch, Entschlossenheit, Selbstverständlichkeit, Widerstand und Revolution. Aber ja, ich nehme an, deshalb fahr ich da jetzt hin, also zumindest sprachlich wird Tahiti da ein bisschen eine Herausforderung werden, eine Herausforderung, auf die ich mich aber gerne einlasse. Und he: Tahiti.

Woran ich mich abschließend relativ schnell gewöhnt hab, wie man Sidney Sydney schreibt.