Cruising the Kurpark

Die Flugzeuge fliegen wieder. Zum ersten Mal ist mir das vor ein paar Tagen aufgefallen, zuerst als ungewohntes Geräusch, das mich morgens geweckt hat. Aber bald schon ein zweites, drittes, viertes und jetzt sind sie einfach wieder da und es geht den ganzen Tag so dahin. Da fliegen sie hin und her und ihre Triebwerke wummern bis in unseren Innenhof herunter, als könnten sie ihre Freude über die wiedergewonnene Freiheit kaum für sich behalten. Schau, schau, schau! Wir sind wieder da, alles wieder wie früher, Fanfaren der Normalität.

Five to one against and falling . . . four to one against and falling . . . three to one . . . two . . . one . . . Probability factor of one to one . . . we have normality . . . I repeat we have normality . . . anything you still can’t cope with is therefore your own problem.

Tricia McMillan

Es ist schwierig, daheim zu sitzen. Man kann sagen, es gibt eigentlich kaum noch einen Grund, daheim zu sitzen. Aber für die, die am Anfang der Pandemie – oder vielleicht vielmehr: am Anfang der Maßnahmen gegen die Pandemie – gesagt haben, dass sich ihr Leben eigentlich nicht besonders verändert hat, damit, dass sie jetzt zuhause bleiben müssen, für die ändert sich ja auch weniger, wenn die Maßnahmen hier und dort wieder abgebaut worden sind. Und am Anfang war s lustig, weil da haben diese Leute ein bisschen eine Aufmerksamkeit bekommen, aber jetzt bleiben sie einfach wieder daheim und draußen ist schwierig und Leute treffen problematisch. So ist es fast wieder etwas schwieriger dadurch, dass die Maßnahmen das Leben kaum noch einschränken und ich dann wieder ein bisschen mehr die Enge spüre, weil ich ja auch Sans-Corona zum Rückzug tendiere.

Selbst wenn das ganz so nicht stimmt. Weil ich treff trotzdem die C. auf einen Sprung in den Wald und ich geh mit der R. einen Kaffee trinken… Insofern ist es ja nicht das Daheimsitzen noch das Allein-Daheimsitzen, was ich problematisch erleben würde. Aber die Standardeinstellung, die Lebensweise, zu der ich zurückkehre, da bin ich allein daheim und mach den Panther. Oder eh: mäh ich den Rasen, wisch ich den Boden, back ich ein Brot. Oder brat mir einen Reis an. Hab ich das gesagt? Dass mir mein philippinischer Tauchlehrer sagt, wie er zum ersten Mal meinen Namen gelesen hat, wie er zum ersten Mal für diese ganze Zertifikatsausstellung, zum ersten Mal nach zwei Wochen fast täglichen Tauchens das „Friedrich“ auf dem Bildschirm aufflimmern gesehen hat, dass er da zu mir gesagt hat: „Friedrice? Your name is actually Fried Rice?“ Auch deswegen mach ich mir das jetzt gerne. Eine Handvoll schöner Erinnerungen ist schon die halbe Würze. Auch wenn s letzten Endes immer noch nicht so schmeckt, wie ich mir das vorstelle. Aber es schmeckt. Und letztens hab ich ein Nasi Goreng gemacht, also ich hab was gemacht, was am meisten nach Nasi Goreng geschmeckt hat, von all meinen Nasi Goreng Versuchen. Und das ist dann nicht einmal ein Nasi Goreng Versuch gewesen. Abgesehen, natürlich, davon, dass es von der Schärfe her eher ein mild war. Im Gegensatz zu meinem Burrito, den ich mir bei mir an der Ecke gestern gekauft hab, nachdem ich mich im Gespräch da hineingesteigert hatte. Weil ich war da einmal, wie sie aufgemacht haben, kurz darauf. Und das ist so nett irgendwo, weil die sind so bisschen unprofessionell und das ist ja etwas, ich mein, das sollt s ruhig mehr geben. Aber vor lauter Unprofessionalität bin ich dann plötzlich in einem Gespräch gewesen und über kurz oder lang haben sich alle im Geschäft auf Spanisch unterhalten und ich kann das gar nicht, eine Spanische Unterhaltung führen. Ganz ehrlich tu ich mir ja leider oft einmal schon mit einer Deutschen Unterhaltung schwer. Aber die Frau Eigentümerin hat halt ewig lang für ihre Burritos gebraucht und ihr Gatte hat uns einstweilen verbal unterhalten… da war ich gleich drei Jahre lang nicht mehr dort. Hab s mir allerdings ein bisschen schöngeredet, weil, eben: so ein unprofessionelles Burritogeschäft macht ja nicht jeden Tag auf, das ist schon schön, sowas zu haben. Und ich mein, sie haben s auch drei Jahre ohne mich ausgehalten, obwohl ich mir oft gedacht hab, dass ich mal wieder reinschaun sollte, aber dann hab ich halt grad keine zwanzig Minuten oder – wahrscheinlicher – ein bisschen Angst davor, in eine Spanische Unterhaltung verwickelt zu sein. Na denn. Ich will ja bloß sagen, dass der Burrito nicht irrsinnig scharf war. Und zwar weder im Sinne von attraktiv, noch im Sinne von – wie sich der Gatte bei der Herstellung dreimal bei mir abgesichert hat – spicy. Aber dafür war s nur eine Deutsche Unterhaltung, also menos mal.

Also ja, es gibt schon auch die Welt und eine Auseinandersetzung. Es braucht bloß viel Kraft für so einen Ruck. Sonntag zum Beispiel, bin ich auf s Rad gestiegen um meinen Ausflügen an die Wiener Peripherie, den Süden als die vierte und bisher fehlende Himmelsrichtung hinzuzufügen. Bin ich nach Oberlaa gefahren. Weil ich hab da heute Morgen einen so einen Pin gefunden, in meinem Stadtplan, ein Pin der gesagt hat „Japanischer Garten“. Weil im Oberlaaer Kurpark gibt s einen Japanischen Garten und den hab ich mir wohl irgendwann mal gespeichert. Und nachdem der Sonntag diesmal auf einen Samstagabend gefolgt ist, an dem ich mich um acht zu This is Spinal Tap! Hingesetzt hab, was ein guter Film auch dadurch ist, dass er nach 82 Minuten schon wieder vorbei ist und mir noch eine gute Stunde Zeit gegeben hat, mir die Option des Außerhalb-Antrinkes durch den Kopf gehen zu lassen, war ich heute nach Katzefüttern, Kücheaufräumen und Kloputzenkontemplieren schon um elf mit meinen heutigen Chores fertig und ein bisschen unrund gegenüber so viel unstrukturiert vor mir ausgestrecktem Tag. Also bin ich da schon früh am Rad gesessen, hab mir ungefähr einen Weg eingebläut gehabt und mir nach Wochen des Immer-wieder-enttäuscht-darüber-Seins-mir-nicht-Self-auf-das-neue-Telefon-migriert-zu-Habens noch schnell Self auf s Telefon geladen. Und ja, ich mein, seinerzeit hab ich dieses Album wohl wirklich in erster Linie deshalb gekauft, weil die Nummer drei Meg Ryan geheißen hat. Aber mittlerweile ist gerade das durchaus ein Sehnsuchtslied an sich:
I’ve decided to believe
That I’m Polynesian originally
I want the air set to seventy degrees
I want pineapples and sugar as the major industries

Und wie das dann endlich durch meinen Kopfhörer geklungen hat, war ich schon irgendwo, wo ich mich längst nicht mehr ausgekannt hab. Der Süden ist echt nicht so meine Ecke, muss ich zugeben. Aber es zahlt sich aus. Ich fand den Oberlaaer Kurpark vergleichsweise beeindruckend. Weil er mich an einen australischen oder neuseeländischen Park erinnert hat, in dem ein bisschen Pflanzen beschriftet sind und ein bisschen Liegewiese ist und ein bisschen andere Spompanadeln zu haben sind. Wie eben auch ein japanischer Garten. Jetzt war ich aber zuerst einmal mit der Frag konfrontiert, was für eine Flagge das ist, die über ein Drittel einen weißen Balken hat und im Rest der Fahne ist dann ein weißer Halbmond mit Stern in den Fingerspitzen auf dunkelgrün. Ich hab mich von ganz im Westen durcharbeiten müssen. Algerien, Tunesien, Libyen… ich mein, da war ich schon auf der Wikipedia und hab Libyen vor allem deshalb angeklickt, weil s als eines der Nachbarländer Tunesiens genannt war. Aber auch da hätte ich die neue Flagge nicht aufsagen können. Ägypten hab ich dann übersprungen und hab mal den Oman angeschaut. Ich müsste das jetzt nicht dazusagen, aber während ich auf Pakistan geklickt hab, hab ich „nein, nein, nein, das wird s nicht sein“ vor mich hingeflüstert. Aber schau an. Pakistan. Da war heute wohl eine Veranstaltung für Österreich-Pakistanis im Kurpark. Überhaupt war s hübsch gemischt vom Publikum und gar nicht besonders voll insgesamt. Was mich gleich einmal wenig gewundert hat, weil keine Fahrradständer bei den Eingängen stehen. Dann wiederum gibt s Parkplätze für hunderte PKWs, also könnte man sich schon wieder wundern.

In den Britischen, Australischen, Neuseeländischen Gärten und Parks steht immer wieder einmal eine Statue vom Peter Pan, das ist ja auch so eine Figur, wo das Kindliche und das Erwachsene so ein bisschen zusammen kommt. Aber der Peter Pan im Oberlaaer Kurpark hat sich bei näherem Hinschauen als Papageno entpuppt.

Ich hab mich dann ein bisschen auf einen der verfügbaren Liegestühle gelegt und das war nicht super, aber schon gut. Bloß, weil die halt aus Metall sind und erstens rutsch ich da runter und zweitens drücken sie auf der Wirbelsäule. Es hat also bisschen gedauert, bis ich da eine stabile Rückenlage gefunden hab und auch die hat sich bisschen komisch verrenkt angefühlt. Nachdem die Familie, die sich s kurz darauf auf der Parkbank-Tisch-Bank-Kombination gemütlich gemacht hat, wenig offen irritiert über meine Haltung gewesen schien, dürfte sich meine Schieflagensorge auf ein internes Problem beschränkt haben. Eigentlich wollte ich ja was lesen, eh klar. Ständig der Anspruch. Aber ich hab mich schnell für s Hören entschieden und dem Anspruch gar nicht so recht zugehört. Weil ich hab am Vormittag ein kleines Gespräch zwischen dem Jon Ronson und dem Louis Theroux angehört gehabt und da hatte ich dementsprechend enorme Lust, mir ein bisschen mehr Jon Ronson anzuhören. No shade on Mr Theroux, wirklich nicht, aber vom Jon Ronson hab ich halt allerhand am Telefon. Und ich glaub, der Louis Theroux macht auch mehr Filme sonst als Bücher und Radiosendungen. Den Louis Theroux kenn ich ja von der K., mit der ich in Neuseeland über den Mount Doom geklettert bin. Auf dem Abstieg hab ich wahrscheinlich vom Jon Ronson angefangen und nachdem sie ihn nicht kannte, so beschrieben, was der so macht. Und hat sie von Louis Theroux angefangen, weil der sowas ähnliches mache. Und er macht sowas ähnliches, aber irgendwie ist der Jon Ronson halt my boy. Wenn man zwei hat, die das gleiche ca. machen und man das bei einem vorher super gefunden hat, dann ist der andere halt der andere, der das auch so macht. Aber dafür ist der Louis Theroux ein Freund vom Adam Buxton (immerhin ist er da unter rambles with old friends kategorisiert) und dadurch hat er halt auch in meinen Augen bisserl ein eigenes Profil bekommen. Und jetzt reden die darüber, dass sie halt zirka das gleiche machen! Das war schon witzig irgendwie. Und dass sie eine Rivalität tatsächlich haben. Weil sowas sagen die natürlich. Weil was sie machen, das war auch schön, weil der Louis hat dem im Gespräch einen Namen gegeben, als er s als puckish first person immersive journalism, that’s based on building relationships beschrieben hat. Was sie machen, ist, dass sie halt mit irgendwelchen Leuten Zeit verbringen, die ein bisschen einen Knacks haben. Also mit Neonazis oder mit Ku-Klux-Klanleuten oder mit VerschwörungstheoretikerInnen oder Pornografiepersonal oder amerikanischen WildtierhalterInnen. Und reden halt mit denen, lernen die kennen, reden mit ihnen über Hoffnungen, Träume, Weltbilder, nehmen dabei massig Zeug auf und schneiden das dann in eine halbstündige Radio- und oder Fernsehsendung.

Das ist so ein bisschen die Klischeeseite vom Kurpark. Wirkt fast wie ein Golfplatz, mit seinen sanften Hügeln.

Den Jon Ronson, den ich heute beim Spaziergehen hab laufen lassen, war über Being Alone. Würd ich ja fast erfinden, so gut hat das gepasst, aber es war einfach der nächste in der Liste, ich schwöre. Da hat er zuerst mit dem David Quantick geredet, der eine sehr schöne schottische Stimme hat und ein guter Freund vom Jon ist. Und da erzählt der Jon die Geschichte, dass er in London unterwegs war und den David gesehen hätte und dann will er über die Straße gehen, sieht er, wie der David ihn sieht und – im Glauben noch nicht vom Jon gesehen worden zu sein – sich hinter einem Auto versteckt. Und dann reden sie so ein bisschen darüber, wie man manchmal lieber allein sein will, auch wenn man wirklich nichts gegen die andere Person hat… Manchmal ist es einfach das, dass er eine alltägliche Eigenart diskutiert. Und manchmal hat er einen bei der Hand, der erzählt, dass er für den KGB als „Romeo-Spy“ jahrelang Frauen verführt hat.

Quasi apropos You Only Live Twice, hab ich mir zuerst schon ganz schön schwer getan, den Japanischen Garten überhaupt zu finden. Und vielleicht liegt s doch daran, dass die Schilder keine Pfeile haben sondern einfach nur ein Taferl ist, das wohl trotzdem in die richtige Richtunge gehängt ist…? Was weiß ich schon. Ich bin dann aber beim Tor drei oder so raus und bin plötzlich am Stadtwanderweg sieben gestanden, zwischen Weinreben, einem Hirsefeld und ein bisschen Brachland. Da hab ich dann den Jon abgedreht, weil ich sehr schnell eh sehr allein war und ich ratzfatz in der Stille angekommen gewesen bin. Bis auf, ja, die Flugzeuge fliegen wieder.

Es gibt da einen Sketch von den Consultants, wo nach einer Passage die so ähnlich klingt, wie das von mir aufgenommene, der eine den anderen fragt: “Do you want some milk with your cornflakes?”

Ich bin schnell einmal fast über eine Schlange gestolpert und das war schon ein bisschen eine Überraschung und wieder ein guter Grund für Schuhwerk über Flipflops. Überraschend auch, weil sie erst einmal stehengeblieben ist und erst, wie ich einen Schritt zurück bin, ist sie weiter über den Weg gekrochen. Und ich bin nicht so gut mit Schlangen. Ich bin gar nicht gut mit Schlangen, hab ich gemerkt, weil auch wenn die vielleicht siebzig, achtzig Zentimeter lang war und ich im rechten Winkel zu ihr mindestens so weit entfernt, aber da war schon so ein erster Moment in dem das Hirn nur weglaufen wollte. Ich weiß nicht, ob das dieses Reptiliengehirn ist, von dem man da spricht, wo die uralten Sachen drin sind, weil als Reptil reagier ich vielleicht sogar mit ein bisschen einem Anbandelungsversuch, als mit Fluchtreflex. Jedenfalls war ich gleich auf hunderzwanzig, so gefühlt. Aber außen natürlich beinhart gefasst und kontrolliert. Da bin ich dann also vorsichtig ein, zwei Schritte zurück und hab ihr den Raum zum Wegqueren gegeben. Derweil hab ich mich auf die Metaebene geschwungen und mit versucht, Charakteristika für die spätere Bestimmung zu merken. Ich hab vor ein, zwei Monaten auf der Donauinsel mal eine Schlange gesehen, die dort vor mir aus der Wiese gekrochen ist, deshalb hab ich mir sogar unlängst erst österreichische Schlangen angeschaut. Aber das ist offenbar nichts, was mir im Kopf geblieben ist. Vielleicht war s auch einfach, dass in meinem Kopf immer noch wenig Platz für Gedanken gewesen ist, neben der dringenderen Frage wie weit wohl der Angriffsradius von einer derartigen Schlange wäre und wie weit ich mich da jetzt heranwagen möchte, nur weil ich glaub, dass sich gerade die Giftigkeit wohl am besten über die nähere Betrachtung des Kopfes zu bestimmen wäre. Und wie weit ich jetzt eigentlich vom Park weg bin, wie schnell so Gift wirkt und überhaupt, lass sie doch einfach in den Busch kriechen, hm?

Ich hab ein bisschen gebraucht, bis ich mich soweit beisammen gehabt hab, dass ich mich dann noch für s Fotografieren entschieden hab. Dankbarerweise ist die Schlange da noch ein bisschen halb im Busch verblieben, damit ich zumindest ihre Zeichnung mitbekommen hab. Letztlich würde ich sagen, das war vielleicht sogar eine Äskulapnatter. Einfach weil der Braunton so gut passen würde. Prinzipiell war sie dafür vielleicht zu kurz, aber auch wenn ich den Kopf, wie gesagt, mehr nur aus der Stresserinnerung parat hab, aber dieses helle Band, das die Ringelnatter auf den Bildern hat, das glaube ich nicht, gesehen zu haben. Oder sogar: das glaube ich, nicht gesehen zu haben.

Auf jeden Fall bin ich dann ein bisschen vorsichtiger gewesen. Also: zwei Minuten später bin ich durch eine trockene Wiese geschlendert, wegen der schönen Aussicht über die Donau und den Flughafen. Und dann hab ich mir gedacht, dass ich aber genau hier herumliegen würde, wäre ich eine Schlange. Erst dann bin ich die Pfade vorsichtiger entlanggewandert. Aber es war trotzdem sehr schön. Es war wirklich schön. Die Hitze und die Einsamkeit und die Felder und irgendwie die Perspektive… Ich hab daran gedacht, wie ich in den Ananasfeldern verloren gegangen bin, das ist jetzt ziemlich genau ein Jahr her. Und ja, Wien-Süd, das ist eh schön, aber wie viel schöner ich das gefunden hab, weil ich einfach schöner gewesen… sozusagen. Also die Brille, die Linse… weil ich einen freieren, entspannteren Blick auf das Meer hatte, als jetzt auf Industrie, Kleinstädte und maschinengestützter Intensivlandwirtschaft.

Aber für den Moment hat’s trotzdem gepasst. Die sich abzeichnenden Schweißflecken im Tshirt, die Sonnenbrandanbahnung auf der Haut, die empfundene Fremdheit von mir in dieser Umgebung: schön war das. Und dann hab ich mir eine Traube Trauben von dem einen Stock geschnitten – unter Zuhilfenahme eines scharfkantigen Marillenkerns, den ich in der Tasche hatte. Weil diese Dinger sind irre fest angewachsen! Zugegeben, sind vielleicht noch nicht ganz reif. Und dann noch eine von den roten Trauben, da ging s schon leichter. Und dann war da noch ein Ringlottenbaum oder was und ein Apfelbaum und ein Reh und ein Hase und ein Raubvogel-der-vielleicht-ein-Turmfalke-war-ich-mein-er-war-sehr-weiß-und-er-hatte-einen-roten-Fleck-wenngleich-ich-ihn-weiter-vorne-in-Erinnerung-hatte. Witzig, wie das zwei Schritte aus dem Kurpark raus schon eine ganz andere Welt ist. Stadtwanderweg sieben halt.

Die Taschen voller Obst bin ich dann nochmal in den Kurpark zurück, quasi auf Anhieb in den Japanischen Garten. Der hat hingegen sicher schon bessere Zeiten gesehen. Was noch übrig ist, wird mit Hinweisschildern tapfer verteidigt. Wobei auch interessant war, dass „Bitte nicht in den Rasen treten“ ein bisschen an der gängigeren Formulierung „Bitte nicht auf den Rasen treten“ vorbeigeht. Dazu noch in Betracht gezogen, dass es sich mehrheitlich um selbstgemachte Schilder gehandelt hat, hab ich kurz den Eindruck bekommen, dass sich vielleicht die Japanische Botschaft um den Garten kümmern würde. Wär ja möglich, immerhin bleibt auch die Tafel am Eingang unübersetzt. Aber dann stehen die Öffnungszeiten doch wiederum unter dem Logo der Wiener Gärten, also vielleicht einfach nur, dass hier ein Provisorium eine Feldbeförderung zur dauerhaften Lösung bekommen hat.

Am Heimweg bin ich noch kurz an der Kirche am Keplerplatz stehengeblieben, weil ich fand, die wirkt so ein bisschen kolonial. Ich bin nicht reingegangen, aber so haben sie sie auch in der Karibik und auf den Philippinen gebaut, ohne jetzt architektonisch eine Ahnung zu haben. Wahrscheinlich sag ich das mehr einfach nur, weil sie außen relativ simpel ist, quadratische Türme, weiß angestrichen, wham-bam-thank you Mutter Gottes. Das Foto ist nur nicht wirklich was geworden, deshalb ein generisches Stockfoto.

Jetzt hat der Japanische Garten am Ende vielleicht noch ein bisschen enttäuscht. Aber das ist nicht so schlimm, weil immerhin hat er mich da runter gebracht und dann hab ich allerhand hübsches und interessantes und ein bisschen eine Entspannung gefunden. Und ich erinnere mich an zwei Menschen, die meinen Augenkontakt-und-Lächeln-Versuchen mit ebenso reagiert haben. Das ist auch kein schlechter Ertrag, würde ich sagen. Aber dann wieder daheim und hier dokumentieren, da ist es halt doch wieder was anderes und die Fragen sind andere und die Dringlichkeit oder die Ziele. Der Sommer ist auch schon fast wieder vorbei. Jardin de Plantes wär wenigstens Paris.

Departure

Jetzt sitz ich wieder am Flughafen in Christchurch. Da ist einiges an Zeit vergangen, seit ich hier das letzte Mal ein bisschen abwartend gesessen bin. Da war es fünf in der Früh, jetzt ist es fünf am Abend und ich hab noch vier Stunden. Aber ich hab eine clevere Abkürzung genommen und war dann ein bisschen zu faul, nochmal in die Stadt zu fahren. Hier hab ich Strom und Netzwerk und bin gar nicht so schlecht daran, die Fehlerchen auszubeulen, die sich in den letzten Wochen in meinem Computer manifestiert haben.

Hier stellen sich die an, die auf die Fähre wollen, mit der ich eben in Picton angekommen bin und die sich wieder auf den Weg zurück nach Wellington macht.

Es ist interessant, wie Neuseeland jetzt ein Urlaub in meinem Urlaub war. Oder vielleicht mehr: Eine Reise im Rahmen meiner Reise. Immerhin: nach Melbourne komme ich „zurück“ und ich sehe einigen entspannten Tagen entgegen. Letztlich ist in Neuseeland jetzt auch schon ein bisschen viel Herbst angekommen und ich hab den einen Pullover, den ich mit hab, schon ein bisschen als Standardausrüstung angehabt. Da erwarte ich mir von Australien doch noch ein bisschen Wärme und Sonnenschein für die kommende Woche.

Ich hab in der letzten Woche nicht nur mehr Orte besucht, als ich bisher in dem Zeitrahmen geschafft habe, ich habe auch einen ganzen Haufen Fotos gemacht, die durchzuarbeiten ein bisschen abschreckend ist. Es ist zumindest Arbeit. Und dann natürlich werden neue Pläne geschmiedet über die weiteren Abenteuer des kleinen Teehäferls da draußen in der Welt.

Nordinsel

Jetzt hat es dann doch wieder zu regnen angefangen. Aber glücklicherweise bin ich den Großteil des gestrigen Tages im Bus gesessen und bin dort zum ersten Mal seit einigen Tagen, so scheint es mir, wieder zum Sitzen und Nichtstun gekommen. Die vergangene Woche auf der Nordinsel hat mich doch ziemlich auf Trab gehalten. Im besten Sinn, würde ich sagen. Zuerst war ich eben ein paar Tage auf Waiheke, eine Wochenenddestination für AucklanderInnen: Wälder, Weinberge und weite Strände in vielleicht vierzig Minuten mit der Fähre zu erreichbar. Dort war ich einige Tage in einem sympathischen Hostel zwischen FranzösInnen, ArgentinierInnen und zwei Italienern, die sich viel ums Essen gekümmert haben. Ein bisschen wollte ich dort gar nicht mehr weg, das gebe ich gerne zu. Es herrschte eine sehr umgängliche Stimmung, entspannt, gelassen, persönlich. Man lädt sich ein, man umarmt einander, irgendwer macht irgendwo eine Musik. Ich bin kaum in der Lage, die Situation zu schildern, würde man mir mein Interesse mit meinen eigenen Worten wecken wollen, ich würde mich winden, um meiner Abneigung den notwendigen Ausdruck zu verleihen. Aber es war nett, es hat s gut getroffen und ich hab es genießen können, so gut ich halt genießen kann. Denn sind wir uns ehrlich: Wenn mir das so einfach wäre, mit dem Genießen, ich müsste vielleicht gar nicht hinaus in die Welt fahren. Und es war auch wichtig, dass A. dort war, die Schweizer Psychotherapeutin, mit der ich zwischendurch ein bisschen auf eine Metaebene gestiegen bin, angesichts der Hütte voll Savoir Vivre. Allem seine Zeit, und auch wieder loszulassen war nicht das schlechteste.

Inselidylle

Und ich hab gelernt, dass wenn man sich Pariserinnen mitunter als Pariserinnen vorstellen und nicht schlichterweise als Französinnen. Und ich merke, ja, da reagiere ich anders drauf. Nicht viel anders, weil ich merke auch, meine Frankophilie steht ein wenig im Wildwuchs.

Am Sonntag der Zeitumstellung bin ich dann später als gedacht aber durchaus rechtzeitig zur Fähre gewandert und bin in der Half Moon Bay von K. abgeholt worden. Als ich in meiner ersten Half Moon Bay gestanden bin, hab ich mir noch gedacht, was für ein poetischer Name für diese Bucht. Aber es ist ein relativ generischer Name für eine Bucht. Letztlich ist jede Bucht ein bisschen ein Halbmond, are they not? Vielleicht ist das auch einfach das, dass ich als Binnenbub aufgewachsen bin und deshalb jede Bucht noch ein bisschen etwas besonderes ist und ein Allerweltsname kränkt meine vor Wunder strahlenden Augen.

K. hat mich abgeholt und dann sind wir vier Tage lang mit dem Auto einer Freundin, die ob eben geborenem Kind ihren Sportflitzer eh nicht fahren kann, auf der Nordinsel rumgedüst – Abenteuer galore! Weil mit dem Auto ist man schon anders unterwegs als mit dem Bus. Allerdings haben wir auch festgestellt, dass ich mit dem Auto anders unterwegs bin, als es für die Felgen gut ist und nach einer halben Stunde war klar, auch wenn sie auch gerne bisschen BeifahrerInnensitz gemacht hätte, das ist nicht die entspannendere Position für sie.

„Monty“, aber wir haben den Namen nie verwendet.

Ich lass das jetzt aber mal aus, weil wir waren so viel unterwegs und ich hab die Namen oft erst behalten, nachdem wir schon wieder in der nächsten Stadt waren. Wir sind im geothermalen Wasser gesessen, haben Pasta gekocht, sind auf den Berg gegangen und in einander Begleitung haben wir uns sogar in eine cultural performance in einer Māorisiedlung gesetzt. Und das war letztlich gar nicht einmal so schlecht und vor allem gar nicht einmal so unangenehm, wie man – wie ich – das mit Sicherheit angenommen hätte.

Tee für vier Dollar ist an der Grenze zur Unverschämtheit, aber dann echten Tee, das ganze Ornament und mehr Untertassen than you can shake a stick at, das ist dann schon wieder ok.

Gestern haben wir uns verabschiedet, K. ist zurück nach Auckland und heute in der Bay of Islands, wo s sehr schön sein soll. Ich bin in den Süden gefahren und bin gestern Abend im verregneten Wellington angekommen. Nach einem kleinen Spaziergang (d.h. vom Bus zur Herberge) durch die nasse Dunkelheit bin ich in meinem angenehm unkomplizierten Hostel angekommen und bin dann gar nicht mehr von meinem Bett aufgestanden. Den heutigen Vormittag habe ich damit verbracht, meine Sachen und dann auch meine Wandersocken zu waschen. Neuseeland neigt sich für mich. Mit etwas Glück seh ich übermorgen noch einen Wal und dann sitz ich schon wieder im Flugzeug nach Melbourne. Das fühlt sich ein bisschen an, als würde ich nachhause fahren, auf jeden Fall zurück in vertrautere Umgebung. Ich glaube, es ist einfach, dass ich nicht viel mehr Plan habe, als zwei, drei Abende im Melbourne Comedy Festival, aber nicht weiter als April…

The one where he talks about birds – again

Ich glaub, Neuseeland ist eine zweite Vogelfolge wert. Immerhin waren Vögel ja die dominante Lebensform, bevor die ersten Menschen ihre Fußstapfen in den Sand getreten haben. Und erst die Europäischen EinwandererInnen (Pākehā) haben ihre Säugetiere mitgebracht: Den einen haben sie die einheimische Flora großflächig umgestaltet, nämlich Schafen und Kühen – für die ganze Landschaften mit europäischen Gräsern bepflanzt wurden –, die anderen haben von sich aus die vorhandene Fauna aufgemischt. Letzteres in erster Linie Ratten, Mäuse, Katzen, Hunde, Opossums, Frettchen und Marder. Und weil die neuseeländischen Vögel zum Teil nicht einmal ihre Nester in den Bäumen gebaut haben, haben sich eingeschleppten Allesfresserchen und die ihnen nachgeschleppten Jäger über das Federvieh hergemacht, dass es buchstäblich die Hälfte auch getan hätte.

Es gibt dieses hübsche Poster neuseeländischer Vögel. Besonders witzig ist, dass in der Legende auch die Größenverhältnisse angegeben sind.

Und weil der Mensch lernt oder zumindest angesichts der ausgerotteten Tier- und Pflanzenarten eine gewisse Reue an den Tag legt, versucht man heute, Reservate zu schaffen, zu denen die Vögeltöter keinen Zugang haben. Das Paradebeispiel ist die Geschichte von „Old Blue“, die Anfang der Achtziger das letzte Weibchen einer kleinen Vogelart (Petroica traversi) auf Chatham Island war und die, dank enormer Bemühungen, zur Stammmutter von heute etwa zweihunderfünfzig Chatham-Schnäppern wurde. Das gelingt weil Neuseeland ja viele Inseln ist, die mehr oder weniger gut kontrollierbar sind und da macht man ein Reservat quasi nach dem anderen und schafft den Vögeln dort Lebensraum. Und sie ist man in Neuseeland auch durchaus stolz auf die lokale Vogelwelt, die ja doch in vieler Hinsicht was besonderes, was eigenes und was herausragendes ist. Quasi: die Beuteltiere Neuseelands. Und man kann dementsprechend kaum irgendwo um die Ecke gehen, ohne irgendwo schemenhaften Kiwiabbildungen gegenüberzutreten.

Einer der imposantesten und sicherlich für die frühe Besiedelung durch die Māori nicht unwesentlichen Vögel, ist der Moa (Dinornis). Zur (unmerklichen) Schonung des gesamteuropäischen Karmas, waren sie leider schon ausgestorben, bevor Abel Tasman hier sechzehnzweiundvierzig seinen europäischen Fuß an Land gesetzt hat. Ach, hätten wir doch bloß heute noch eine Handvoll Moas bei der Hand, würde die ganze Diskussion über die Lächerlichkeit gefiederte Dinosaurier nur ein halbes Gespräch und einen deutlichen Fingerzeig dauern. Ein drei Meter großer Vogel mit Horrorklauen sollte jedeR SkeptikerIn zumindest das lächerliche Argument des „gefiederten Huhns“ entkräften.

Die feinen Illustrationen urzeitlicher Tiere Heinrich Harders.

Im Museum von Christchurch lerne ich, dass man Moas heute in sechs bis neun Arten unterscheidet, die aber allesamt vor vierhundertfünfzig Jahren ihre jeweils letzten Eier gelegt haben. Interessant ist außerdem, dass wie so oft Unklarheit über die Verwandtschaftsverhältnisse besteht. Ich höre immer wieder, dass die nahen Verwandten der Moas die Kiwis und der Strauß sind. Und ich stelle mich und meine Behauptungen einmal mehr auf die wackeligen Beine, eines welchen, der sich in seinen Quelle auf Wikipedia beschränkt: Die nächsten Verwandten der Moas, so sagt man heute, wohnen in Mexiko und nennen sich Steißhühner (Tinamiformes). Das Lesen des Artikels macht sich vor allem für jene bezahlt, die gerne ihr Wissen über ausstülpbare Vogelpenisse erweitern möchten. Hingegen sind Kiwis, Emus, Kasuare und gar der Vogel Strauß, eher Cousinen als genetische Geschwister der Moas.

Die ersten Tage in Neuseeland bekomme ich außer den allgegenwärtigen Stockenten (Anas platyrhynchos) ehrlicherweise nicht viele Vögel zu Gesicht. Vielleicht, dass ab und zu einmal einem Paradieskasarka begegne, der auf Māori Pūtangitangi (Tadorna variegata) heißt. Ein Kasarka, das ist im Wesentlichen etwas zwischen Gans und Ente. Die Weibchen sind mit ihrem weißen Kopf eher die auffälligen, wohingegen mir die dunkel gehaltenen Männchen mir wahrscheinlich kaum aufgefallen wären. Wenn also überhaupt, dann hab ich wohl mal ein vereinzeltes Pärchen gesehen oder was. Meine erste größere Gruppe hab ich am Strand von Oban auf Rakiura (Steward Island, aber ich hab so lange gebraucht, bis ich mir den Māori Namen gemerkt hab, dass ich den jetzt verwende) gesehen, dort sind sie gemeinsam am Spielplatz gelegen, bevor sie sich daran gemacht haben, vom Rasen zu naschen.

Die sind so herzig, weil sie so pausbackig-verschmitzt dreinschauen!

Dann ist mir ein Purpurhuhn namens Pūkeko (Porphyrio melanotus) über den Weg gelaufen. Die sind, wie ich lerne, bekannt für ihre Hinterhältigkeit, zumindest in der Māori Mythologie. Nachdem ich jetzt ein bisschen darüber nachgedacht hab und mir das von der Verbreitungslandkarte bestätigen habe lassen, werde ich mein erstes Pūkeko wohl noch im botanischen Garten in Melbourne gesehen haben. Das hat bei mir schon Faszination ausgelöst, weil schön sind die eigentlich nicht, aber halt doch fantastisch, kann ich mir nicht helfen. Mittlerweile hab ich auch hier das eine oder andere rumstaksen gesehen und ich mag die Rumstaksevögel ja gern.

Tatsächlich in Neuseeland habe ich einen Gelbaugenpinguin (Megadyptes antipodes) gesehen. Einen. Das war in Oamaru und ich hab mir einen Sonnenbrand dabei geholt. Zuerst waren wir auf der Suche nach den Zwergpinguinen (Eudyptula minor), aber für die haben sie Eintritt verlangt. Und für beide Pinguinarten hat gegolten, dass sie tagsüber im Meer unterwegs sind und am Abend nachhause kommen um sich in ihren Höhlen zu verstecken. Wir sind dann über den Berg drüber geklettert – mehr ein Hügel tatsächlich, darauf hat die Innsbruckerin bestanden – um auf der anderen Seite den Strand der Gelbaugenpinguine zu finden. Was wir dort gefunden haben waren Paua Muscheln und ich habe in der Elster (Pica pica) mein Totemtier entdeckt: Ich hab s einfach nicht geschafft, diese Muscheln liegen zu lassen, und es ist wirklich mehr gewesen, weil sie so hübsch perlmuttern schimmern. Ein gutes Dutzend hab ich gesammelt, wie Römerhelme ineinander gestapelt und bald einen parallel laufenden, internen Konflikt aufgerissen, weil es gibt nichts wenig unsinnigeres, als beim Backpackern Muscheln mit sich herumschleppen. Ich sammel ja auch regelmäßig mal Federn auf, aber die sind wenigstens von berufswegen leicht und selbst die schmeiß ich regelmäßig weg, wenn ich wo eine finde, die ich nicht mehr zuzuordnen weiß. Gerade für die Paua Muscheln gibt es ja als warnendes Vorbild jenes ältere Paar, das ganze Haus voll hatte, das sie dann nach Christchurch ins Museum gestellt haben. So hab ich wenigstens immer vor Augen gehabt, wohin das führen würde, sollte ich nicht in der Lage sein, die Dinger liegen zu lassen. Letzten Endes hab ich zuerst ein paar und dann die anderen auch noch liegen gelassen. Und die eine, die ich seit dem bei mir trage, stinkt so sehr, dass ich sie eh öfter bereue als nicht. In den Bergen hab ich die Gelegenheit, das ganze Hostel für mich selbst zu haben, einmal genutzt, um sie auszukochen. Aber nach dem vierten Mal hat sich immer noch nicht allzu viel getan, bis auf dass die Außenschale jetzt hässlich ist.

Fred und Myrtle in ihrem Muschelhaus

Am Gelbaugenpinguinstrand haben wir außerdem einen Haufen Seehunde Seelöwen (Phocarctos hookeri) angetroffen, die gerade dort in der Sonne herumliegen. Angeblich sind die auch am Land mitunter schneller als ich, aber das hab ich erst nachher gelernt und zweifle ich seit dem auch an. Es ist einfach schwer vorstellbar, dass Tiere, die so gut in Gemütlichkeit zu sein scheinen, insgeheim SprinterInnen sein sollten. Was sie auf jeden Fall haben, sind ziemliche Klauen an den Hinterbeinen. So nah dran waren wir dann doch. Hätten wir nicht sein sollen, hat die Dame uns gesagt, die um dreiviertel Vier gekommen ist um uns zu sagen, dass wir seit halb eigentlich nicht mehr da sein sollten. Weil nämlich: wenn die Pinguine sich nicht sicher fühlen, dann kommen sie einfach nicht nachhause. Und das sind sie dann auch nicht, zumindest nicht innerhalb der neunzig Minuten, die wir in der Nachmittagssonne gestanden sind, über die faulen Robben Seelöwen lästernd, denen wir die vermeintliche Angst der Pinguine in die Schuhe geschoben haben.

Hier wird gewarnt, wo wir gesucht haben.

Wirklich mit den Vögeln hat es dann erst auf Rakiura angefangen. Rakiura ist im Süden von Neuseeland, die „dritte Insel“, wie einige Lustige sagen, aber viele dürften das nicht sein. Insgesamt wohnen nicht einmal vierhundert Leute in Oban, dem einzigen Ort der Insel, kaum sechshundert insgesamt auf der Insel. Dafür gibt es aber große Bemühungen, den Ratten, Opossums und was sonst noch am Vogeltöten und Eierpecken ist, auf der Insel den Garaus zu machen. Ich war etwas überrascht, dass es im Supermarkt so viel Katzenfutter zur Auswahl gab, aber hey!, sollen sie zumindest gut gefüttert sein, vielleicht gehen sie dann weniger auf die Vögelchen.

Der erste Vogel, dem ich auf meiner Dreitageswanderung begegnet bin, war ein Tūī (Prosthemadera novaeseelandiae). Und eigentlich hab ich ihn zuerst gehört und erst dann gesehen. Der Tūī ist ein Honigfresser, die kennen wir noch aus Australien. Und er hat – sehr witzig – ein weißes Federbüschel am Hals hängen, bisschen wie ein aufwendiges Mascherl. Und er singt ausgiebig und eindrucksvoll. Ich bin vor dem Baum gestanden, in dem er auf und ab gehüpft ist und war natürlich ganz hin und weg: drei Tage Wanderung vor mir und dementsprechend viel Energie, Enthusiasmus und Trockenheit in den Schuhen. Da ist jedes Naturerlebnis gleich noch einmal so erlebnisreich.

Tūī y yo

Auf Māori Beach bin ich dann meinen ersten Austernfressern (Haematopus finschi) begegnet. Nachdem auch diese Vögel Staksen zu ihrer vornehmlichen Fortbewegungsmethode ausgewählt haben, sind sie mir natürlich von vornherein nah am Herzen. Außerdem haben sie einen sehr roten Schnabel und ein im Vorbeigehen durchaus beobachtbares Sozialleben. Während ich ihnen zugeschaut hab, ist der eine eindeutig dem anderen ständig leicht unterwürfig hinterhergelaufen, hat nie den Schnabel in den Sand gesteckt, wo nicht zuerst der andere schon gebohrt hatte. Und dann ist er auch noch lautstark verjagt worden, weil laut können sie auch werden.

Ebenfalls mir bereits aus Australien bekannt ist der Fantail, zu Deutsch kompakt Neuseelandfächerschwanz (Rhipidura fuliginosa) genannt oder halt auf Māori Pīwakawaka. Und die gewinnen fast im Herzigsein. Den ersten hab ich auf einem Parkplatz in Cairns gesehen, wo er minutenlang vor mir auf und ab gehüpft ist und – nomen/omen/etc. – den Schwanz wie ein ganz ein kleiner Pfau aufgefächert hatte und damit hin- und hergewippt hat. Witzig auch, und da ist der neuseeländische nicht viel anders, dass Willie Wagtail (Rhipidura leucophrys – und interessant, weil die wagtails sind eigentlich Stelzen, der Name also nicht nur ein fahrlässiger Ausflug in den Kolloquialismus, eine falsche Zuschreibung auch noch!), wie der australische Fächerschwanz heißt, auf dem ansonsten dunklen Kopf deutliche weiße Streifen über den Augen hat. Wie man vom Orca und dem Marienkäfer weiß, verwechselt man dadurch leicht einmal, wo tatsächlich die Augen sind und es gibt ihm eine gewisse, wie ich finde, Strenge. Vielleicht sehe ich mehr buschige Augenbrauen als Augen…

Auf Rakiura gibt es dann noch – ich bin ganz offenbar in der Herzigkeitsabteilung der neuseeländischen Vogelwelt gelandet – den South Island Robin (Petroica australis). Und jetzt reicht s mir schon langsam mit den blöden deutschen Namen! Weil, natürlich war ich jetzt gespannt, wie der bei uns genannt wird, nachdem ein Robin ja ein Rotkehlchen ist. Und man sieht ihm natürlich sofort die Ähnlichkeit zu unserem Rotkehlchen an, auch wenn ihm die bezeichnende Kehlchenfarbe fehlt. Und ja, auf deutsch wird er Langbeinschnäpper genannt. Unsexy! Aber korrekt. Weil wie uns Wikipedia.de lehrt (ja, übrigens, wider den Uploadfilter und all das!), dass „[d]ie Schnäpper […] nicht […] mit den auch in Europa verbreiteten Fliegenschnäpper [zu denen das Rotkehlchen gehört, Anm.] (Muscicapidae) [zu verwechseln sind], mit denen Sie [sic!] nur fern verwandt sind.“

Kleiner, neugieriger Kakaruai.

Auf jeden Fall hatte ich einige sehr nette Begegnungen mit – nennen wir sie bei ihrem Māori Namen – Kakaruai. Insbesondere auf Ulva Island, wo ich nach meiner Dreitagstour einen Ausflug hingemacht hab. Da hat uns schon der sympathische Skipper Peter darauf aufmerksam gemacht, dass, wenn wir uns langsam bewegen, regelmäßig stehenbleiben auf unseren Spaziergängen, dann kämen die Vögel zu uns, weil sie in uns eine Nahrungsmittelquelle sehen. Und sie seien nicht hinter unserem lunch her, sie sind hinter den Insekten her, die wir aufscheuchen, wenn wir beim Gehen den Boden aufwühlen. Das war dann auch so, dass da einmal drei kleine Kakaruai um mich herum gehüpft sind und hinter mir im Boden gepickt haben. Natürlich ist jede Bewegung zu viel und der Griff nach der Kamera ist unmöglich, ohne sie zu verjagen. Insofern steh ich dann und schau und freu mich. Eine Führerin hat etwas später einen Kakaruai angelockt, indem sie diese Zigaretten-austreten-Bewegung gemacht und damit ein leckeres Würmchen freigelegt hat.

Auf dem Boot in Richtung Ulva Island kann man schon aus einer gewissen Distanz die Māori-Fruchttaube oder Kererū (Hemiphaga novaeseelandiae) erkennen, die in hohen Bögen aus dem Wald herausfliegt und sich dann wieder in denselben fallen lässt. Ich hab keine Ahnung, was sie dabei machen… Auf der Wanderung ist mir allerdings einmal eine mitten am Weg gesessen. Riesiges Ding. Wir schauen uns kurz an, bevor sie sich auf den nächsten Baum gehievt hat. Dabei wirkt sie wahnsinnig sauber. Weil halt weiße Federn machen schnell einmal den Eindruck, dass es sich umein besonders sauberes Tier handelt und dann der bunt schillernde Kopf, auch ziemlich cool. Sie machen ein ziemlich lautes Geräusch beim Fliegen, wobei ich mir nicht ganz einig war gemeinsam mit einem fellow Tourengeher, ob sie das Geräusch einfach mit den Flügel machen oder tatsächlich irgendwie aus dem Schnabel heraus.

Schwer vorstellbar, die Innenstadt voll mit diesen Vögeln. Aber wie so oft finde ich, es wäre einen Versuch wert…

Nachdem mich der Mitwanderer eines Abends auf die Geräusche einer Eule aufmerksam gemacht hat, die wir allerdings nur zu hören bekommen haben, bin ich natürlich versucht, ihm zu glauben, dass das tatsächlich ein Laut ist, den die Taube macht. Andererseits gibt s nur eine Eule in Neuseeland und dass da draußen eine Eule zu hören war, das hätte ich vielleicht auch knapp so erraten. Allerdings nennen sie ihre Eule Morepork (Ninox novaeseelandiae), was sie onomatopoetisch erklären. Ist interessant, weil man möchte das ja gerne für indigene Namen annehmen, aber die Māori nennen sie Ruru. Mit etwas Fantasie und wenn man sich nicht abends über einen Vogel amüsieren möchte, der mehr Schweinefleisch verlangt, dann geht sich für Ruru allerdings auch eine mehr oder weniger onomatopoetische Erklärung aus. An ihrem deutschen Namen lässt sich dann auch erkennen, dass es sich natürlich gar nicht um eine Eule sondern um ein Kauz handelt. Einen Neuseeland-Kuckuckskauz. Und jetzt halt dich fest: „Sein tiefer zweisilbige [sic!] Ruf ‚buh-buk‘ erinnert an einen Kuckuck.“ Meine like-the-city-Bemerkungist leider von niemandem aufgegriffen worden. „Was bis du für eine software engineer, wenn du deine Scheibenweltreferenzen nicht parat hast?“, hab ich nicht gesagt.

Morepork in Terry Pratchetts Wappen.

Was wir nicht gesehen haben, ist der Kiwi (Apteryx). Also, ich hab ihn nicht gesehen. Der anstrengende Deutsche hat einen gesehen und vielleicht der eine oder die andere WandererIn ebenfalls. Aber die tragen auch nicht das Attribut anstrengend vor sich her und haben deswegen auch weitgehend ihren Schnabel ob diverser Kiwisichtungen gehalten. Ich hab einen gehört, mitten in der Nacht und in Folge die Hälfte der BettenlagerliegerInnen aufspringend und sich Kiwigeräuschbestätigungen zuraunend erlebt. Aber raus sind tatsächlich nur wenige mit ihren roten Lampen. Und soweit ich das im Halbschlaf mitbekommen hab, haben die auch keine Kiwis erwischt. Ich hab in der selben Nacht ein Reh (Odocoileus virginianus) gesehen, als ich auf einen Sprung meinen Urin raustragen war. Die haben sie dort ausgesetzt, damit die JägerInnen was zu schießen haben. Anschließend hatte ich tagelang Sting im Kopf, weil mein Unterbewusstsein der Meinung gewesen war, dass es unsinnig sei, mit dem roten Licht den Kiwis hinterherzujagen. Letztlich eignet sich Roxanne aber eh schlecht für einen Ohrwurm, so melodiös ist das wirklich nicht.

Kiwidarstellung am Infoboard der Bunkers Backpackers in Oban

Während man auf Rakiura auf Schritt und Tritt Rattenfallen findet, ist es auf Ulva Island bereits gelungen, die Jäger auszurotten und deshalb ist das dort ein ziemliches Paradies für Vögel. Es ist nicht ganz so abgesichert, wie Codfish Island, das westlich von Rakiura liegt. Dort gibt es eine von zwei übriggebliebenen Kākāpō Populationen (Strigops habroptila). Ich habe ähnliche Sicherheitsvorkehrungen für Ulva erwartet, aber letztlich war ich nicht unglücklich, dass außer dem Hinweis, dass wir bitte unsere allfälligen Ratten auf Rakiura lassen sollen, keine besonderen Maßnahmen getroffen wurden. Ich hab sogar einen Apfel mitgehabt, obwohl wir auch keine Samen auf die Insel mitnehmen sollten. Aber dann wiederum lässt sich aus einem Industrieapfel wohl eh kaum ein echter Setzling ziehen, oder irr ich mich? Vorauseilend wie eh und je habe ich den Apfel jedoch unangebissen wieder zurückgebracht.

Hier ist die Kakapo-Folge von Last Chance to See, in der ich zum ersten Mal von dem Vogel gehört hab (und die unheimlichen Wetas, riesige neuseeländische Insekten, ca. 17:15). Last Chance to See, nur zur Ergänzung, hat neunzehnneundundachzig als ein Projekt von Douglas Adams und Mark Carwardine angefangen, in dem er dem Aussterben-nahe Tiere aufgesucht hat. Stephen Fry hat sich zwanzig Jahre später mit Mark und einem BBC Budget auf seine Spuren begeben. Ich beginne hier ca. bei der Hälfte, wo sie sich aus Invercargill nach Codfish aufmachen.

Auf Ulva hab ich noch eine Wekaralle oder einfach Weka (Gallirallus australis) gesehen. Kann man leicht mit einem Kiwi verwechseln und so lange hab ich mich dann doch damit beschäftigt, der Weka beim Baden zuzusehen, um ihren Schnabel ins Bild zu bekommen – in meinen Augen der einzige sichere Test, ob es sich nicht doch um einen der dreißig bis vierzig Kiwis handeln sollte, die auf Ulva leben. War nicht. Und dann springt die Weka auf und ratz fatz in den Busch. Und aus dem Geäst fliegt mir ein Kākā entgegen. Oh ja, großer, dunkler Kākā (Nestor meridionalis), der sich eineinhalb Meter mir gegenüber auf einem Ast niederlässt und mich mit seinen schwarzen Augen mustert. Das war schon beeindruckend, irgendwie hatte ich doch ein anderes Gefühl von Intelligenz in Anbetracht dieser Augen, als wenn mich, sagen wir, ein Fliegenschnäpper betrachtet. Ist auch herzig, aber das ist fast eine Begegnung.

Sie haben schon ein schönes Federkleid, die Wekas, ganz ehrlich. Viel zu sehen gibt s trotzdem nicht.

Natürlich, der Name, das ist schon schwierig. Auf Rakiura bin ich auf einen Aussichtshügel gestiegen und da kommt mir eine vielleicht Sechsjährige entgegen, die mir mitteilt, dass weiter vorne ein guter Ausblick ist und dass da Bänke sind und ihr Vater. Und ich war gerade dabei, in den Bäumen zwei Kākās zu finden, die ich an ihrem Flügelschlag und Gekrächze dort vermutete. Und in dem Moment seh ich auch den einen und sag zu ihr, dass da oben, also, wenn sie von hier da rauf schaue… Es ist nicht so einfach – insbesondere einem Kind gegenüber – festzustellen, dass da in den Bäumen ein Kākā zu sehen sei. Noch dazu war ich mir zu dem Zeitpunkt gar nicht sicher, ob s da nicht verschiedene Unterarten gäbe, ich dachte, das irgendwo auf einem Poster gelesen zu haben. Und man will ja einer Sechsjährigen keinen Unsinn erzählen. Bin mir nicht ganz sicher, ob sie sie gesehen hat, aber ich bin mit Vater und Tochter am Nachmittag auf der Fähre gewesen und da hat sie auch noch gerne mit mir geplaudert.

Die zwei Kākās in den Ästen über mir waren schon toll, aber natürlich, dass ich zwei Stunden später einem im Wald gegenüberstehen würde, das hab ich mir da noch nicht gedacht. Und es war auch nur ein Moment, weil mit zwei drei Sätzen ist der der Vogel dann von Baum zu Baum gesprungen und so schnell konnte ich mich gar nicht umdrehen ist er auch schon wieder in den Wald entflogen gewesen. Deshalb heißt er wohl auch Waldpapagei.

Bittersüßer Schmerz, wenn die Begegnung mit einem Kākā zu Ende geht

Im Wald von Ulva hab ich auch noch einen Schwarm Ziegensittiche gesehen, die durch das Geäst geflogen sind, Kākāriki (Cyanoramphus novaezelandiae). Während die Bedeutung des Māori Namens wie die des englischen Namens sich darauf beschränkt, den roten Tupfer hervorzuheben, bezieht sich die deutsche, tendenziell uncharmante Bezeichnung auf ihre Laute, die angeblich an meckernde Ziegen erinnern. Kann ich nicht sagen, ich hab sie wohl bisher nur das eine oder andere Mal auf Bäumen gesehen, hauptsächlich im Flug eigentlich.

Als ich mich schließlich von Rakiura wieder verabschiedet hab, hab ich vom Pier aus noch einen Albatros (Diomedea epomophora) im Wasser schwimmen gesehen und es war ein bisschen eine Epiphanie, was so dieses Größenverhältnis zwischen Möwe und Albatros betrifft. Es war ein bisschen wie den Raben oben an der Devil’s Staircase zu sehen, der mir so deutlich den Unterschied zwischen Krähe und Rabe reingedrückt hat. Der Albatros hat s dem Fischer schwer gemacht, dessen Köder der Albatros sofort hinterher geschwammflattert ist – so mit Hilfe seiner Flügel an der Wasseroberfläche entlanglaufend. Und dann sitzt der Albatros geduldig, bis der Herr Fischer den Köder wieder aus dem Wasser zieht und dann ist er wieder zur Stelle. Als dann ein relativ großer Hai von unter dem Pier hervor geschwommen ist, hat s dem Albatros allerdings schnell gereicht und er hat sich auf weiteres aus dem Wasser erhoben.

Im Gegensatz zu Sting macht J. Cleese aus einem einzigen Wort einen Ohrwurm

Die letzten Beobachtungen hab ich dann in Arthur’s Pass gemacht. Zurückblickend war die Aussicht, dort Keas (Nestor notabilis) zu sehen wohl mindestens zu fünfzig Prozent dafür ausschlaggebend, dass ich mir den Aufwand gegeben habe, dorthin zu kommen. Interessanterweise hab ich noch sehr gut in Erinnerung, wie gleichgültig ich den Keas in Schönbrunn gegenüber gewesen bin, als ich sie dort zum ersten Mal gesehen hab. Sie kommen wohl nicht ganz dorthin, wo meine Papageienerwartungen sie gerne empfangen hätte. Mal angefangen damit, dass sie farblich nicht irrsinnig aufregend sind, leben sie in den Bergen, tun sich auch mit Schnee ok und sie sind am Ende auch noch Aasfresser. Also, wenn sich die Gelegenheit bietet, ich glaube, sie sind sehr opportunistische Esser. In Schönbrunn war dann diese Plakette, wie intelligent sie sind und dass sie zusammenarbeiten, um Probleme zu lösen und all das. Hat mich alles wenig beeindruckt. Aber seit dem hat sich wohl doch einiges getan. Meinem ersten Kea bin ich am ersten Abend über die Straße gefolgt und halb in einen Busch gekrochen, bis ich mir überlegt habe, was allfällige Passanten über mein wirres tun im Halbdunkeln denken mögen. Ich hab den Kea in dem Busch auch nicht mehr gefunden, aber ich nehme an, er ist irgendwo belustigt auf einem Baum gesessen.

Von der Qualität spielt diese Aufnahme in der Kategorie meiner Versuche, Wasserfälle aufzunehmen. Aber der Ruf des Keas ist doch so eigenartig, dass es sich auszahlt ihn zwischen dem abendlichen Gezwitscher, dem allgemeinen Rauschen und der einen oder anderen Windbö herauszuhören.

Zu hören sind die Keas schnell einmal gewesen, vor allem abends, aber auch tagsüber hat man immer wieder ihre Rufe gehört. Beim Spazierengehen ist dann einmal einer einige Meter über mir vorübergeflogen, so dass ich die rote Musterung an der Flügelunterseite zu sehen bekommen habe. Und am zweiten Abend hab ich dann einen ganzen Schwarm beobachtet. Jemand hatte geschnittene Äpfel auf einem Rasen ausgeschüttet und das ist eigentlich gar nicht ok. Don’t feed the kea!, informieren einen die Schilder. Und wer sich die Mühe macht kann auch die rezente Geschichte eines mit Lebensmittelvergiftung eingelieferten Keas lesen, der glücklicherweise unlängst wieder in die Freiheit entlassen werden konnte.

Reines Glück, den Kea mit den offenen Flügeln erwischt zu haben. Ein Handytelefon ist wirklich nicht dafür geeignet, im Halbdunklen Fotos von Vögeln zu machen.

Für mich war das natürlich trotzdem nicht so schlecht, weil das ein gutes Dutzend Vögel angelockt hatte, die jetzt vor mir durch die Wiese spaziert sind, um sich die besten Apfelstücke herauszupicken. Wiederum am eindrucksvollsten war es, als ein relativ großes Exemplar einen Meter neben mir gelandet ist. Das ist einfach ein witziges Erlebnis, wenn man so mittendrin ist, dass die Vögel auf einen zu kommen oder zumindest einen soweit ignorieren, dass sie einen dann erstaunt, weil ebenfalls entsprechend unerwartet, beäugen.

Bei meinem Spaziergang den Pass entlang war aber vor allem ein Vogel präsent und der zunächst auch mehr über seinen Gesang. Und wer versteckt sich da im Gäst? Der Maori-Glockenhonigfresser (Anthornis melanura). Ein Gefühl für Namen, die deutschen BiologInnen. Vielleicht sollte man das mal den SprachverteidigerInnen unter die Nase halten, dass das Deutsche immer schon weniger auf Ästhetik denn auf Exaktheit Wert gelegt zu haben scheint. Denn immerhin, soviel muss ich ihnen lassen, weiß ich anhand des Namens, dass ich hier wieder einen Honigfresser zu Gesicht bekommen habe. Das weiß ich natürlich bei Bellbird ebensowenig wie bei Korimako, wie er auf Māori genannt wird.

Ich hätte die Honigfresser ja insgesamt mehr nach ihrem Gesang benannt und nicht nach ihrer Lieblingsspeise. Der Korimako hat wenigstens die Glockerl in seinem Namen.

Zwei hab ich noch, abschließend, nämlich aus der Raubvogelkategorie. Da gibt s den Maorifalken (Falco novaeseelandiae) – die oben erwähnten BiologInnen scheinen da wesentlich öfter zum „Maori“ als zum „Neuseeland“ Präfix gegriffen zu haben. Das ist der einzige neuseeländische Falke und damit hab ich sicher ab und zu einen gesehen. Den Blick aus dem Autobus hab ich nämlich immer wieder etwas raubvogelartiges über den Wäldern und Feldern kreisen gesehen. Nie wirklich aus der Nähe, aber vom Verhalten her halt eindeutig Raubvogel.

Leider ausgeschlossen ist, dass ich ihn mit dem Haastadler (Harpagornis moorei) verwechsle, weil der hat sich gemeinsam mit den Moas bereits vor einigen Jahrhunderten aus unserer Welt verabschiedet. Der größte Greifvogel der Neuzeit mit einer Flügelspannweite von drei Metern, bis zu achtzehn Kilo schwer… Eine der Wandernden hat gemeint, think Gandalf. Weil im Gegensatz zum Herrn Pratchett sitzen die Herr der Ringe Referenzen hier ganz locker.

Zur besseren Veranschaulichung der Größe des Haastadlers muss man sich hier wohl die beiden Leute aus dem obigen Moabild mit hineindenken. Sonst gefallen mir die Moas vom Herrn Harder ja besser, mit ihrer statischen Körperhaltung, ihren strammen Beinen und ihren Sockenpuppenköpfen.

Das Gemeinschaftsgefühl am Berghang

Wenn man in einem Land ist, in dem die Berge Ben heißen, dann ist das schon einmal schön. Und wenn meine letzte große Wanderung entlang vom Loch Lomond gelaufen ist, dann ist ein Ben Lomond doppelt erfreulich. Und wenn man dann in einer Stadt ist, in der so viel europäische Jugend sich ihre Erwartungen von Bungeejumpen, Kajakfahren, Fallschirmspringen, Paragleiten und „günstigen“ Bierkrügen erfüllt, und wo ein bisschen Bergsteigen einem eine Ruhe verspricht, die anderweitig nicht zu erringen ist, dann ist das jetzt dreimal oder sogar nocheinmal doppelt, quasi viermal so willkommen.

So geht s da zu, an der Queenstown’schen Strandpromenade

Von Queenstown (310m) auf den Ben Lomond (1748m), und ein langer Hatscher ist es auch noch. Ich war sieben oder acht Stunden unterwegs, alles in allem. Und glücklicherweise hab ich relativ schnell einmal L. kennengerlernt, die aus Boston. Weil zu zweit ist es einfacher. Allerdings pusht man sich zu zweit auch stärker. Wahrscheinlich hätte uns beiden allein jeweils der Sattel gereicht. Oder zumindest, dass ich irgendwo auf den letzten hunderten Metern mal umgedreht hätte. Ehrlich, es waren so zwanzig Schritte. Pause. Zwischendurch hat mir eine nette Asiatin zwei Minzzuckerl gegeben, das hat mich wahrscheinlich dreihundert Meter weitergebracht. Aber natürlich, das Gros hab ich L. zu verdanken und ihrem Ruf jetzt nicht aufzugeben. Weil irgendwie reicht das mit den Bergen im Blut und der jugendlichen Agilität kaum noch aus, mich auf einen Gipfel zu kriegen. Aber wir sind dann oben angekommen, kaum zu glauben, es war wirklich kaum zu glauben.

Zu Mittag schlafen die Partymäuse noch und die Optik macht dementsprechend auf idyllisch

Wir sind dann wieder runtergegangen, muss man, nicht wahr. Und da haben wir uns gefreut different muscle groups und alles. Aber auch runter dauert s zweieinhalb Stunden, drei Stunden. Und ich hab noch gesagt, na, ich werde nicht mit der Gondel fahren. Aber da waren die muscle groups noch frisch und Abstieg ein Abenteuer und eine Freude. Und die Amerikaner hinter uns waren auch noch gesprächig und lustig. Ich mein, die waren bis zuletzt gesprächig und lustig, eigentlich. Vater und Sohn. Von denen hab ich oben ein Foto gemacht, ein gemeinsames. Und dabei hab ich dem Burschen, early teenager, gesagt, ob er nicht die Kappe aus dem Gesicht nehmen möchte. Weil es halt auf dem Bild ausgeschaut hat wie dunkle Nacht im Schatten des Schirms. Aber da ist dann doch irgendwo die Grenze mit dem Englischen, dass man das sensibel rüberbringt, weil ich glaub, es hat viel mehr geklungen nach, nimm doch das Kapperl ab, Bub. So meint ich s ja nicht, aber die zwei in unserem Rücken bin ich mir den ganzen Abstieg wie ein grantiger alter Mann vorgekommen, der dauernd an der Mode der Jugend was auszusetzen hat. Vorgekommen oder mich erinnert zu sein… same same.

Also, Weg runter. Weil da ist eine Gondel rauf, das hab ich nicht gesagt. Aber die haben wir beide nicht genommen gehabt am Weg rauf, deshalb sind wir uns ja sowieso schon immer besser vorgekommen als die Leute, die uns überholte haben oder den Aufstieg mit nearly there und don’t give up now befördert haben. L. hat schon lange nur noch von dem Bier geredet, auf dass sie sich freut und zu Beginn des Abstiegs hat sie zwar kurzfristig eine ganze Palette zusätzlicher Bedürfnisse entwickelt, aber das ist alles schnell wieder auf das Bier zusammengestutzt worden. Über kurz oder lang waren auch die neuen Muskelgruppen müde und angestrengt und mühsam, den Berg runter zu tragen. Noch dazu ging es dann ja immer wieder rauf und runter und dann Stufen und es war alles immer schlimmer. Und dann sind wir bei der Gondelstation angekommen und hatten ein Bier – das erstaunlich großzügig bepreist war. Und bisschen was zu essen. Und dann halt so, wenn sie nicht mehr als zehn Dollar kostet, dann fahren wir mit der Gondel, ja, sure, das klingt vernünftig.

„Twenty-five dollars.“
„You’re kidding.“
„…“
„You’re not kidding!“

Französinnen, den Abstieg beginnend

Sind wir also zu Fuß runter. Und jetzt war s dann wirklich schon sehr wichtig, zu zweit unterwegs zu sein, weil wenn man allein fluchend durch den Wald stolpert, wirkt man vielleicht schon ein wenig ausgehebelt, so psychisch. Aber zu zweit geht das irgendwie, nicht so schlimm. Aber es war schon schlimm, es war ziemlich anstrengend. So sehr, dass aus dem ganzen Biergetrinke, das in Queenstown auf uns gewartet hat, letztlich nichts geworden ist, einfach weil schlafen dann doch das wichtigere war. Tipsy waren wir dann am nächsten Tag.

Alles Neu im März

Christchurch, Christchurch… Ōtautahi. Irgendwie ist es schon ziemlich ein Neustart mit dem ganzen Hier-in-Neuseeland-Ankommen. Dementsprechend brauch ich wohl einfach auch, mir einen Schreibrhythmus zuzulegen. Es ist ja plötzlich alles ein bisschen mehr Urlaub. Die Vertrautheit Melbournes hat sich zuletzt durchaus heimelig angefühlt und ich bin ja jetzt auch wieder unterwegs. On the road again… Busfahren und Hostelnächte. Ich hab meinen Zeitplan einmal für zwei Wochen y pico geplant. Und dann noch einmal zwei Wochen. Weil: ich bin draufgekommen, dass ein bisschen im Voraus sich die Sachen anschauen, gar nicht so schlecht ist. Pass auf:

Farn . Willkommen auf Aotearoa, der Insel der langen Wolke. (Das ist eine Jurassic Park Referenz all by itself.)

Ich wollte ja eigentlich gerne Wandern gehen. Deswegen flieg ich ans andere Ende der Welt, um eine gemäßigte Klimazone zu finden, in der die Berge Alpen genannt werden. Nicht nur, aber Wandern hat mir einmal eine gute Erfahrung gegeben und der lauf ich ein bisschen hinterher. Damals war s Schottland, heute ist es das hier. Und das Wandern ist gut organisiert in Neuseeland, let me tell you. Es gibt eine Website auf der man sich für die Walks und für die Übernachtungen auf den Walks anmelden kann, möglicherweise sollte und je mehr man auch irgendwo übernachten will, muss. Jetzt hab ich mir das schöne Buch vom Lonely Planet, das mir Hiking und Tramping in New Zealand näher bringen möchte seinerzeit im Buchgeschäft von Sagen-wir-einfach-es-wäre-Brisbane-gewesen nicht gekauft weil einerseits sollte der Fokus jetzt einmal auf Australien gelegt werden, in dem ich gerade angekommen war und zweitens eher unsinnige Sache, da sich jetzt mit einem zusätzlichen Reiseführer zu belasten. Hat sich auch bei dem Australienreiseführer übrigens als derartige erwiesen und er wartet – wenig durchblättert – in Melbourne auf mich. Man hat mir aber in Christchurch im Hostel einen ausgeborgt und ich hab mich darüber hergemacht.

Also nicht ganz so. Zuerst habe ich einmal einen deutschen Reiseführer durchblättert und mir die Attraktionen der Südinsel herausgeschrieben, mir zirka eine Route überlegt und mir ungefähr die jeweiligen lokalen Schönheiten notiert. Dann hab ich mir den Bus gesucht und gemerkt, dass ich mit dem nicht so locker herumkomme, wie ich mir das vorgestellt habe und dass die Entfernungen doch etwas größer sind, als man nach Australien annehmen möchte und eine zweite Rundfahrt entworfen. Dann hab ich festgestellt, dass die Hostels teilweise eine Woche voraus ausgebucht sind. Wo gibt s denn sowas, hab ich mir gedacht und neue Zwischenstopps in meiner Route eingelegt. Zwischendurch hab ich mir für den dritten April einen Flug von Nelson nach Auckland gekauft, weil ich dann doch auch Interesse an der Nordinsel bekommen habe, aber ich wollte dort nicht auch nochmal eine Runde machen. Fünf Wochen sind dann doch knapp. Und der Flug war entsprechend billig weshalb ich schnell einmal zugeschlagen habe. Damit hab ich einmal Realitäten geschaffen, was glaubst du. Jetzt natürlich kommt langsam der Wanderführer ins Spiel, weil ich mir jetzt Routen angeschaut habe und dann online nach availability gecheckt hab und bemerkt hab: die Routen, die ich mir aussuch, die sind für die nächsten zwei Wochen ausgebucht. Jetzt natürlich ist mir der Flug gleich wieder etwas im Weg gestanden und so günstig war er auch wieder nicht…

Alles halb so schlimm, ich hab mir eine Wanderroute etwas abseits ausgesucht, unten auf Steward Island, wo ich eh gerne hinwollte, weil s dort allerhand Vögel zu sehen geben soll. Und daneben ist noch die kleine Insel, auf der wohl allerlei Bodenvögel leben, weil es keine Marder, Katzen und Füchse gibt. Mit ein bisschen Glück findet sich dort auch ein Kakapo. Im Nachhinein hab ich noch festgestellt, dass die Übernachtungen mich erstaunlich günstig kommen. Es sind nur drei Tage, aber das ist wahrscheinlich ganz ok dafür, dass ich nur halb ausgerüstet bin.

Bis dahin ist s jedenfalls noch. Ich werde fünfundzwanzigsten bis siebenundzwanzigsten wandern sein. Falls ich verloren gehe und solche Sachen…

Jetzt, Christchurch. Das ist irgendwie eine nette Stadt. Die Architektur ist gleich so viel europäischer, grüner Rasen, Trauerweiden und mehrspurige Einbahnstraßen. Das kann ich mich nicht erinnern, in Australien gesehen zu haben, auf jeden Fall bringt mich das sehr durcheinander beim Straßenkreuzen. Weil, so wirklich hab ich das immer noch nicht heraußen. Natürlich, ich schau schon relativ automatisch nach rechts und dann nach links und dann vielleicht nochmal nach rechts, aber an T-Kreuzungen oder bei einem der auch hier häufigen Kreisverkehren komm ich doch bisschen durcheinander, von wo ich jetzt überall zirka ein Auto erwarten muss. Es ist immer noch die gewaltsame Übersetzung einer automatisierten Handlung in ihr Spiegelbild.

Nett sag ich, aber das ist natürlich nicht herausragend. Nein, würde ich auch nicht sagen. Sie haben sehr schön so einen Fluss eingebaut, mehr einen Bach, der so durch s Zentrum fließt – nämlich Christchurch upon Avon. Und das ist alles sehr natürlich inszeniert ist mit bisschen Bank und vielen Enten und Gräsern und kleinen Brücken. Inklusive der Rememberance Bridge, an der an ein heftiges Erdbeben von vor acht Jahren erinnert wird, bei dem hundertfünfundachzig Leute gestorben sind. Und das ist auch hübsch gemacht, mit einer Wand, an der die Namen der Opfer aufgeschrieben sind, oft auch in der Schrift ihrer Herkunftskulturen.

Christchurch hat einen großzügigen Park und Botanischen Garten, daran kann man sich ruhig auch bei uns ein Beispiel nehmen, aber die ganze Gärtnerei hat ja nicht unbedingt so eingeschlagen im deutschsprachigen Raum. Ich mein jetzt, dass man da eine eigene Kultur herum entwickelt hätte und nicht die französischen Gärten kopiert hat. Vielleicht muss ich mir den Nachsommer nochmal zur Hand nehmen, mag sein, dass meine Annahme da etwas widerlegt wird, zumindest literarisch.

Das Klima ist auf einen Schlag so viel angenehmer. Und ein Park und Bäume und alles ein bisschen wie… „normal“.

Na und dann das Museum. Ich hab mich kurzfristig gegen die Gallerie und für das Museum entschieden. Ich sag das jetzt einfach noch ein hundertstes Mal, dass ich dieses hiesige Konzept von Museum für besser halte, als ich mich von bei uns erinnere. Ich war ja in Melbourne auch noch schnell am letzten Sonntag, obwohl sie dort unerwarteterweise sogar Eintritt verlangt haben. Aber – auch das muss man sagen – es war es durchaus wert. Es war sogar um ein Eck besser, als was ich in Christchurch gesehen hab. Und das hier, nun, das war zumindest etwas lebendiger aufbereitet in vielen Fällen, als… wie gesagt: ich es von bei uns in Erinnerung hab. Jetzt wiederum: Ich hab von bei uns auch in Erinnerung, dass ich das Naturhistorische Museum trotzdem geliebt habe, auch wenn es keine Plaketten gegeben hat, die speziell Kinder zum Nachdenken und Ausprobieren gebracht haben. Aber ich bin letzten Endes auch kein Geologe, Zoologe, nicht einmal ein Paläontologe geworden. (Was mich, wo ich gerade vor lauter Hostelvideoschauen wieder Jurassic Park lese, doch mit ein bisschen Sehnsucht wurmt.)

Aber ich hab zumindest was über Maori gelernt und meine ersten Menschliche-Statuen-in-Glasvitrinen-Ausstellungsstücke gesehen. Die Maori sind etwa vor siebenhundert Jahren auf Neuseeland beziehungsweise Aotearoa gelandet und damit sind sie gerade einmal doppelt so lange hier wie die ersten EuropäerInnen, von denen der Herr Tasman sechzehnzweiundvierzig als erster hier gelandet ist. Überhaupt ist Neuseeland in vieler Hinsicht so viel anders als das gute Australien, das gleich daneben ist. Die Alpen, die auf der Südinsel die Geographie bestimmen, entstehen seit fünfundvierzig Millionen Jahren, aber so wirklich hat der Prozess wohl erst vor fünf Millionen Jahren angefangen und dementsprechend aktiv wachsen die Berge hier noch aus dem Boden. Ich würde sagen: Präpubertär.

Hinterglasjägerei.

Jetzt, kulturell hat mich die Auseinandersetzung mit den Aborigines drüben in Australien letztlich ziemlich sprachlos hinterlassen. Ich hatte eine kurze Unterhaltung mit der Ethnologin, die in der Frage kulminiert ist, ob dies mein erster Kontakt mit einer indigenen Kultur sei. Und: Ja, das ist es. Und ich merke, ich hab keine Ordnung dafür in meinem Kopf, keine Kategorien dafür, wie ich mit so viel Fremdheit umgehen kann. Interkulturelle Kompetenz ist etwas, was ich mir seit Jahren in die Sonstige Fähigkeiten Spalte schreiben würde, aber das ist etwas anderes. Das ist etwas ganz anderes. Wie soll ich bei null zu denken anfangen, ich hab den Kopf doch sehr in einem spät- bis postkapitalistischen, liberalen Multikulturalismusgebäude, bisschen ideologisch, bisschen idealistisch, bisschen pragmatisch. Und die Maori, merk ich, sind mir fremd, aber der Kulturschock scheint nur halb so schlimm: ich lese über Expansion und über Kriege zwischen den Maori und ich ich sehe Schmuck und Religion und Spiele. Und es gibt Ausbeutung der Natur. Aus dem, was ich über „die Kultur der Aborigines“ gehört habe, ist die Erhaltung des Gleichgewichts dort so zentral, dass es einfach fremder ist, als so ziemlich alles, was ich bisher kennengelernt habe. Nämlich überhaupt: Erhaltung: die sozialen Strukturen, die spirituell-kulturellen Erzählungen, das ökologische Gleichgewicht. So sehen wir sie heute. Aber auch das stimmt natürlich: Was wissen wir schon von den letzten vierzigtausend Jahren. Ich verstehe, dass die eine oder andere Gruppe vor zwanzigtausend Jahren eine Felswand als Tafel verwendet hat und die dort festgehaltenen Zeichnungen nach wie vor Teil des kulturellen Bedeutungsschemas der heute lebenden Nachfahren sind. Ich sehe, dass es komplexe und strenge Heiratsarrangements gegeben hat. Ich verstehe aber auch, dass die vielen hunderten Gruppen, die an den Küsten gelebt haben, möglicherweise ganz anders funktioniert haben und Handel getrieben haben mit den Nachbarn in Neuguinea und sich mit den Nachbarn gestritten und bekriegt haben. Aber auch: dass es Sprachgrenzen gibt, von denen ich noch nicht verstehe, wie tiefgreifend sie sind – die ständigen Vergleiche mit Europa kommen mir unsinnig vor, weil da Völkerwanderungen, Imperien und Nationalbewegungen Sprachgruppen ausgerottet und verschoben haben. Aber hier scheinen sich Nachbarn nicht verständigen zu können, die seit Jahrtausenden nebeneinander leben und ich weiß in Wahrheit nicht, wie fremd die hiesigen Sprachen sind. Und die Geschichten vom Bruce Chatwin sind noch einmal eine Sache für sich, was das Singen der Landschaft und die Verständigung über die verschiedenen Kulturen Australiens hinweg betrifft. Und es stimmt wohl eh nur die Hälfte von dem, was man mir erzählt hat und ein Viertel von dem, was ich mir gemerkt habe. Auch ich stopfe die Löcher in meinem Wissen mit Frosch-DNA.

Bingo!

Jetzt ist der Text natürlich längst von einer brutalen Wirklichkeit eingeholt worden. Weil entworfen hab ich das am Tag vor meiner Abfahrt aus Christchurch, am Tag vor dem Anschlag. Und am nächsten Tag stand ich zu Mittag an der Busstation, in der Hand ein vietnamesisches Schweinebauchbrötchen. Schulkinder sind mit Plakaten gegen den Klimawandel bzw. gegen die Untätigkeit der Politik angesichts des Klimawandels unterwegs gewesen. Und dazwischen ein Herr, der sein Fahrrad geschoben hat und gegen Autos und Kinder als die größten Faktoren der Umweltverschmutzung agitiert hat. Auch in Neuseeland gibt es Leute, die vielleicht ein bisschen Unterstützung bedürfen. Schön war, dass eine von den drei Mädels, mit denen ich bei zwei, drei Ampeln gewartet habe, auf dem Weg einen Mist von der Straße aufgehoben und mistkübelunterstützt entsorgt hat. Da hab ich mir gedacht, die meint das ernst, die lebt das. Weil ihre Freundin hatte nur ein „I’ve made a sign“ Schild.

Und beim Rausfahren aus Christchurch sind wir durch eine Absperrung gefahren. Aber ich weiß natürlich nicht, was „normal“ ist. Gewundert hab ich mich schon, dass ein lächelnder Polizist mit einem Maschinengewehr an der Straße gestanden ist. In ihrer ganzen karierten Uniform in bester britischer Die-Polizei-ist-eine-zivile-Macht-Tradition. Aber der Busfahrer hat genuschelt, das Lautsprechersystem hat geraschelt und das WiFi hat nicht funktioniert. Und so hab ich auch erst zwei Stunden nach den Anschlägen davon erfahren, dass was passiert ist. Als ich in Oamaru angekommen bin, war die Hostelrezeptionistin bisschen überrascht, die hat erst später mit uns gerechnet, wenn überhaupt, vor lauter Absperrungen.

Zu der Uniform passt eine Maschinenpistole einfach weniger gut als ein Meerschweinchen.

Na und dann hab ich zwei Tage lang im Apartmentblock des Hostels gewohnt, mit R. und L., die beide ein Frauenzimmer gebucht hatten. Aber im Hostel in Oamaru ging s bisschen drunter und drüber und da wurde improvisiert. Der Fernseher ist noch eine Zeit lang gelaufen und im neuseeländischen Fernsehen haben sie versucht, der Situation gerecht zu werden. Die Art und Weise, wie die ReporterInnen teilweise schlicht mit der Trauer und der Überraschung überfordert waren ist ein Bild dafür, wie wenig man in Neuseeland offenbar damit gerechnet hat, das man hier fremdenfeinliche Gewalt erleben muss. Und die Premierministerin Jacinda Ardern macht das vielleicht auch deshalb einfach irrsinnig gut, ist präsent und betroffen und hat als Konsequenz mittlerweile die Waffengesetze verschärft. Schneller als ich einen Blogeintrag fertig bekomme werden in Neuseeland halbautomatische Waffen untersagt. Und sie sagt: they are us – solidarisiert sich mit Muslimen als der angegriffenen Gruppe, stellt klar, dass das ein Anschlag auf Neuseeland ist. Und die Ermordeten bekommen Gesichter in den Zeitungen, in jeder Stadt finden sich Plätze der Trauer und Anteilnahme mit Blumen, Kerzen und Gedichten. Und der Name des Mörders bleibt unausgesprochen.