zugig

Vielleicht ist die Kälte leichter handzuhaben, weil es mehr wie ein mich ihr aus eigener Kraft aussetzen wirkt. Weil nicht einfach die Stürme gekommen sind und der Regen und der Himmel sich verfinstert hat, weil der Sommer nicht überschwemmt und ausgedämpft wurde. Sondern weil ich mich auf die Fähre begeben habe und dann in den Zug gestiegen bin. Und aus eigener (geborgter) Kraft in den Winter gefahren bin. Und jetzt kratzt die Temperatur an den zweistelligen Minusgraden und ich krieg mich ehrlich gesagt kaum ein vor Freude über die eisige Nasenspitze, über die klirrenden Bäckchen. Über die rotgefrorenen Gesichter der anderen, wie sie mir aus ihren pelzumkranzten Kaputzen entgegenblicken.

Zugegeben, in Odessa war ich ein bisschen Ausrüstung nachbessern. Dabei hab ich bloß vier Schichten angehabt und unter s T-Shirt hätte ich locker noch ein Unterleiberl gekriegt und ich hab auch nie die Jacke über s Sakko angezogen. Hätte ich dem Wetter noch getrotzt! Aber da war s mir kühl, und das waren noch knappe Plusgrade. Aber dann hab ich mich durch die Humanas gewühlt und im dritten Geschäft dann einen Mantel gefunden, bei dem mir die Schultern nicht bis an die Ellenbogen gestanden sind. Und jetzt hab ich einen Mantel der zwar dünn wirkt, aber trotzdem ziemlich warm hält. Und einen Schal. Zwar bietet der Mantel so viel Kragen und dementsprechend viele Knöpfe, dass ich mich darin fast bis zum Scheitel einwickeln kann, aber so seh ich noch was von der Umgebung.

Jetzt. So viele Eindrücke in Wirklichkeit. Als ob ich nochmal alle Sinne extra aufgedreht hab und die ganze Erinnerungspalette weit ausgebreitet, alles anschlussfähig, alles assoziierbar. Herrrreinspaziert, einmal geht noch: Nationalismus, Einsamkeit, Freiheit, Sicherheit, Vertrauen, Angst und Wut, Kunst, Männlichkeit, Selbstverwirklichung und der Moment in der fernen Zukunft an zum allerletzten Mal jemand an mich denkt.

Odessa hat mehr Stiegen aber nur eine, auf denen sich Leute bedeutungsschwer fotografieren. Odessa hat ein Opernhaus, in dem man für zwanzig Euro auf den besten Plätzen sitzt. Odessa hat viele holprige Straßenpflaster und den Charme abgeklungenen Ruhms. Vor dem Museum wird die Straße aufgerissen und für jemanden, der Absperrungen und Umleitungen gewöhnt ist, stellt die allgegenwärtige Baustelle ein bisschen eine Herausforderung dar. Hier… einfach… quer drüber? Wichtig ist, sich nicht zusammenschieben lassen und ideal wär wahrscheinlich, den Leuten nicht in die Arbeit steigen. Es ist vielleicht keine Überraschung, wenn diese Situation in mir die Beobachtung weckt, dass ich stark daran orientiert bin, was in einer Situation alles falsch zu machen ist.

Ein ruhiger Tag für die leere Potemkinstiege. Insgesamt geht s viel auf und ab in Odessa

Im Museum warten ältere Frauen mit Kopftuch die Ausstellungsräume, die gerne ein bisschen mit einander plaudern, während ich über den knarzenden Parkettboden steige. Ich hab mich – von wegen abgeklungenen Ruhms – für die Vergangenheit entschieden, vielleicht wird die moderne Kunst auch hier (wie in Tbilisi) von den jungen Menschen betreut. Aber es ist nett, auch das trägt zum Charme bei. Draußen ist es grau und kalt während drinnen Kunstlicht auf fünfhundert Jahre Kunstgeschichte scheint. Und auch interessant natürlich das zwanzigste Jahrhundert, weil das nicht nur die naturalistische Malerei über den Haufen wirft sondern natürlich vom Widerstand gegen den Stalinismus geprägt. Die Frauen und Männer, die im Widerstand gegen ein repressives System neue Formen der Darstellung und damit neue Perspektiven entwickeln. In Tbilisi scheint mir daraus zwar mehr nationale Identität gezogen worden zu sein, aber das war vielleicht auch da spezialisiertere Museum.

Aber wo das Museum für mich scheint, sind die Darstellungen von gesellschaftlichen Situationen des späten neunzehnten Jahrhunderts. Leider sind die Bilder meist hinter Glas und es gelingen mir kaum Fotografien, auf denen sich nicht die Beleuchtung spiegelt. Es sind oft so private, halb-öffentliche Situationen von so Mittelklassepersonen, beispielsweise After the Party, auf dem betrunkene Soldaten ihren Rausch ausschlafen, während zwei Frauen interessiert (belustigt?), vorsichtig bei der Tür hereinschauen. Oder Visiting the Poor, auf dem Vater-Mutter-Kind bei einer armen Familie hereinschneien und großartig die gelangweilte Teenagertochter. Oder Hiring a Maid, auf dem eine Familie ein Kindermädchen interviewt, die Mutter streng, der Vater mit seiner Pfeife beschäftigt, die Haushälterin im Hintergrund skeptisch, die Kinder versuchen ihre gespannten Blicke zu kaschieren. Vielleicht lege ich zu viel von meiner geschichtlich und geographisch wirklich unterschiedlichen Perspektive in die Interpretation hinein, aber ich sehe in den Bildern eine amüsante und vertraute Menschlichkeit.

Oder hier, tragisch und brutal, aber ein witziges Sujet.
Sick to death of her (1897)
A.V. Makovskiy (1869-1924)
Aber auch von den modernen Sachen hab ich ein paar ganz schön, ganz schön beeindruckend gefunden. Man sieht nicht, dass das Bild sicher zweieinhalb Meter breit ist.
Polot (Flug) (1965)
A.P. Azmantschuk

Am Abend sitz ich in der Oper im Barbier von Sevilla. Es sind nicht die besten Plätze, aber immerhin Parkett um grad einmal zehn Euro. Die Oper ist nur zu einem Drittel gefüllt. Ich hab in der ersten Pause ein bisschen eine Unterhaltung mit der Dame, die kurz vor Beginn von einem der hinteren Plätze auf den Sessel neben mir huscht. Da krieg ich gesagt, dass sie im Sommer üblicherweise voll ist, die Oper, aber hier wie da sind s in erster Linie TouristInnen. Ich bin ein bisschen überrascht, dass der Barbier nicht nur die Komödie spielt, als die sie geschrieben ist, sondern noch ein bisschen dicker aufträgt, mit einigen vermutlich zusätzlichen Einlagen, jetzt nicht direkt Slapstick, aber halt körperlicherer Humor. Einmal gibt s eine kleine Nachfrage auf Ukrainisch, die Reaktion darauf lässt mich annehmen, dass doch einige UkrainerInnen im Publikum sitzen. Ich bin gut unterhalten, auch wenn die Übertitel nur auf Ukrainisch gezeigt werden und ich die Handlung entlang der Zusammenfassung im Programm folgen muss, die kaum ein Pixibuch füllen würde. Aber das tut die Handlung wohl kaum wie sie ist.

Weiß und Gold, das ist so der Standard. Und das sei übrigens, sagt meine Sitznachbarin, echtes Gold. Ich überlege ein bisschen wie viel Gold man für so einen Bühnenbogen wohl braucht. Aber ich weiß wirklich nicht wie viel Gold man so zum Vergolden braucht, also keine Ahnung.

Also ja, volles Kulturprogramm für mich in Odessa. Ich bin mehr auf der Suche nach Möglichkeiten, nicht dem Wetter ausgesetzt zu sein. Aber ich geh auch viel spazieren von hier nach da und zurück. Wie gesagt, das Straßenpflaster ist ein bisschen holprig überall in der Innenstadt und die Häuser haben auch schon bessere Tage gesehen. Aber es ist hübsch und ich freu mich über die Lichter und die Gesichter der Leute, die schneller und ernsthafter als in wärmeren Ländern durch die Stadt marschieren. Ich freu mich auch über den Frost in meinem eigenen Gesicht. Das allerdings so wirklich erst in Kyiv, wo die Minusgrade wirklich zupacken, aber wo auch die Sonne scheint und der blaue Himmel aus der kalten Luft eine Erfrischung macht.

Ich hab mir einen Nachtzug für von Odessa nach Kyiv genommen. Weil es sind doch vierzehn Stunden zwischen den zwei Städten. Ukraine ist einfach enorm groß, man übersieht das vielleicht ein bisschen weil Russland daneben (und ja nicht nur daneben sondern auch ein schönes Stück überlappend) liegt. Interessanterweise gibt s von Odessa trotzdem einen Zug nach Moskau.

Und die Zugfahrt verläuft flott und ereignislos, man mag s kaum glauben. Natürlich nicht so einfach am Bahnhof meinen Bahnsteig zu finden. Mein Kyrillisch ist ja immer noch so, dass ich ein bisschen stehenbleiben muss für ein längeres Wort. Heute bin ich am Soziologieinstitut vorbeigelaufen und war schon drei Meter vorbei, bis ich das Wort in meinem Kopf endlich ausbuchstabiert hatte. Hab ich umgedreht und das Schild nocheinmal mit einer stärkeren Anerkennung angeschaut. Schnell gehen mittlerweile die Notariate und die Apotheken. Davon gibt s irrsinnig viele, so scheint s. Oder es ist gerade das, dass das Worte sind, die ich mittlerweile schon fast auf einen Blick erkenne. Beim нотаріус les ich immer noch hot… aber dass das р ein r ist, das ist dann automatisch und so kann ich dann in der Mitte des Wortes schon zum Lesen aufhören, weil ich an dem Fehler den ich am Anfang mach, mich schon an das Ende erinnere. Und аптека sowieso. Ein Blick und Apotheke.

Und das ist auch nicht das Київ Kyiv ist, das ist nicht das Problem. Das Problem ist Bahnsteig und dann ist da noch ein Wort, von dem ich nicht mal weiß, was es heißen könnte. Und überhaupt ist das ganze Ticket mit Zahlen und Buchstaben vollgedruckt, die möglicherweise die Zwischenstationen und die Uhrzeiten sind, an denen wir wo stehen bleiben. Aber ich nehme an, dass die Leute, die nicht den Bahnsteig entlanglaufen MitarbeiterInnen der Bahn sind und die sind dann auch sehr hilfsbereit. Nachdem ich den Hinweis тридцять-шість nicht verstehe, bringt man mich dann bis zu meinem Bett. Nummer sechsunddreißig. Zwei Mädels sitzen bereits auf einer Bank, von denen die eine ein Telefonat führt, über das die andere regelmäßig die Augen verdreht. Es ist ganz lustig nur so den Tonfall und die Sprechweise zu belauschen, während ich vom Vokabular ja nur die dezidierten Bestätigungen und Verneinungen mitbekomme.

Ohne eine Durchsage oder irgendein Pfeifen startet der Zug. Die beiden Mädels machen sich alsbald die Betten und liegen darin um halb neun bereits zugedeckt. Aber mir ist das recht, ich lieg in meinem Bett ja auch lieber als schweigend auf engem Raum nebeneinander und einander gegenüber zu sitzen. Um zehn sind die Mädels aber schon wieder auf und am zusammenpacken, weil die steigen schon aus. Tsk!, greif ich mir ein bisschen an den Kopf, aber warum nicht. Wer für Liegewagen zahlt, möchte auch liegen. Es kommt etwas später noch jemand in unser Abteil, und ergreift dann auch dankbarerweise die Initiative, das bereits gedämmte Licht endgültig abzudrehen. Und ob man s glaubt oder nicht, ich schlaf dann durch von zwei bis sieben. Ratzfatz. Sicher, ein bisschen sorg ich mich, weil da nicht mal ein Netz oder was ist, dass ich mich umdreh und in die Tiefe stürze. Aber passiert natürlich nicht, weil ich kann ja schlafen, bin ja nicht blöd.

Im Bettzeug ist auch ein Handtuch beigepackt, mit dem ich mich grad noch ein bisschen frisch mache bevor wir schon in Kyiv stehen und ich aussteige und in den neuen Tag und den sich darüber spannenden blauen Himmel hineinstarte.

Ich mag ja orthodoxe Kirchen mittlerweile wirklich gern. Mit ihrem Gold und ihrem Bunt. Und drinnen keine Bänke und insgesamt mehr wie ein Tempel, wo man zu verschiedenen Ikonen geht, vielleicht je nachdem, wofür man grad auch betet… Und wenn die Leute auch nur an einer Kirche vorbeigehen, bekreuzigt sich die Hälfte. Die Männer den Hut ab, die Frauen am besten einen Hut auf. Und natürlich der Weihrauch und die Männer in den schwarzen Röcken. Nur die Ikonen, das versteh ich immer noch nicht ganz, was da mit denen ist. Aber vielleicht erschließt mir das vielleicht einfach nicht, mit der Gleichgültigkeit, mit der ich Religion begegne.

_y___y (2/2)

Nach dem Museum war ich abends kurz einmal in einer Bar in der Nachbarschaft vorbeischauen. Weil immerhin, am Tresen sitzen und den einen Leuten beim Arbeiten und den anderen beim Entspannen zuschauen, da hab ich gewissermaßen eine Routine darin. Ich hab mir gedacht, die Barkultur in Sydney, da sollte ich rein aus touristischen Gründen einen Blick hineinwerfen. Hat mich auch Überwindung gekostet letztendlich, dass ich mich dazu aufgerafft hab. Ich glaub ich hab dem Barkeeper dann gleich einen falschen Eindruck gemacht, weil ich irgendwie gemeint hab, ich mach das nicht so oft, dass ich mir eine Manhattenvariation hinstellen lasse, aber das war wirklich nur gemeint, ich hab schon lange keinen Drink in dem Sinn gehabt. Er aber, aufmerksam, dass sich hier ein Mann allein an die Bar setzt hochprozentiges ins Glas bestellt, hat mich gleich gefragt was meine Geschichte sei. Nein, nein, hab ich gemeint, das auch wieder nicht und gleich einmal einen Felgeaufschwung auf die Metaebenegemacht, als ich gesagt hab, dass das schon ein guter Job ist, das Barkeepen, weil man in wenigen anderen Berufen dazu kommt, dem Gegenüber mit diesem Satz zu kommen: Was die Geschichte sei. Und es ist ein guter Satz. Wie ich s gesagt hab, hab ich mir gedacht, dass natürlich eine qualitativ arbeitende SozialwissenschaftlerIn durchaus auch einmal in die Situation kommt, die Person gegenüber zu fragen, was ihre Geschichte sei. Insgesamt steckt man vielleicht mehr Aufwand in die Gestaltung des Leitfadens. Aber vielleicht haben Leute in ihre BarkeeperIn mehr Vertrauen als in die Person mit dem Aufnahmegerät und der Einverständniserklärung.

Oh, ich hab mich dann gleich noch ein bisschen wichtig gemacht, mit meinem Wissen, den Whiskey gelobt, einen Rye von den Woodford Reserves, von denen ich zwar nur den Bourbon kenne, aber der steht ja auch beim mir daheim an der Wand. Und dann haben die wilden Franzosen, die neben mir zugange waren, den Picon im Regal entdeckt und haben sich ein Picon Bière gewünscht, wo ich sofort nickend unterstützt habe, dass das eine gute Sache sei und so weiter. Im Element? Na ja, ein bisschen hab ich schon gesehen, dass ich da was gelernt hab, die letzten Jahre. Und dann war ich, ich würde gerne sagen, weil sie um zwölf zumachen, plötzlich der letzte Gast. Am Ende bin ich vielleicht noch ein bisschen dings, wehmütig geworden.

Noch ein Abend in Sydney. Der Himmel, sind wir uns einig, ist auf der Südhalbkugel besser.

Am nächsten Tag bin ich früh aufgestanden, weil ich hab mir einen Ausflug zu den Buckelwalen geleistet. Also bin ich auf, während die Leute in meinem Zimmer noch tief geschlafen haben, sich von ihren jeweiligen Samstagabendexzessen erholend. Das wilde Bubenzimmer am Ende des Gangs… Aber stimmt ja auch gar nicht. Wir sind alle ähnlich gegen Mitternacht daheim gewesen in Wirklichkeit. Die wilden Geschichten hab ich dann erst einen Tag später gehört, als ich auf der Couch im Gemeinschaftsraum gesessen bin und da schräg gegenüber eine Schottin gesessen ist, die laut und relativ freizügig von den Abenteuern ihrer Partie erzählt hat. Aber das tut hier nichts zur Sache und ich hab ihr wirklich mehr wegen ihrer blumigen Sprache zugehört.

Auf dem Weg zum Hafen hab ich mir noch schnell eine Seekrankheitstablette eingeworfen, von denen ich für die Überfahrt nach Steward Island eine Schachtel gekauft hab. Ich bin immer noch nicht sicher, wie man die nimmt und – um hier ein wenig vorzugreifen – ich bin mir mittlerweile recht sicher, dass man die nicht prophylaktisch nimmt. Weil ich hab mir nicht wirklich eine Schachtel gekauft, das sag ich nur, weil ich nicht weiß, wie das heißt, diese silberne Dings, wo man die Tabletten rausdrückt. So eins hab ich mir gekauft, deshalb hab ich auch keine Packungsbeilage. Und ja, ich hätte eigentlich mal nachschauen können. So hab ich eine von den nach Ingwer schmeckenden Tabletten mehr oder weniger so geschluckt. (Und das ist mir ja von Anfang an komisch vorgekommen, dass ich die schlucken möchte, wie die, die so wunderbar auf dem Weg zum Great Barrier Reef gewirkt haben, und sie aber Geschmack haben.) Wie gesagt, vorzugreifen: es ist mir sehr bald sehr schlecht geworden auf dem Walschiff.

Wir sind rausgefahren aus der Bucht und dann merkt man relativ schnell, was man an einer solchen Bucht hat. Nämlich kaum einen Wellengang, which is nice. Es war schon ein schöner Ausflug, die Crew war auch gut aufgelegt und sowohl witzig als auch informativ. Die Walbeobachtungsboote haben so einen Kodex, ich glaub, es werden normalerweise dreißig Meter Abstand gehalten und ab dem dritten Boot dann hundert Meter. Und wenn Kälber dabei sind, dann überhaupt von Anfang an hundert Meter und so weiter. In der Praxis wird das natürlich relaxter gehandhabt, weil die Leute wollen ja einen Wal sehen. Aber immerhin gibt s einen Standard. Natürlich erzählt der Erzähler von den wirklich tollen Begegnungen, weil wenn ein Wal in unmittelbarer Nähe des Boots auftaucht, dann muss das Boot stehenbleiben und dann kann der Wal auch machen was er will und wenn er interessiert ist, dann taucht er halt ein bisschen um das Boot herum und alle auf dem Boot freuen sich. Aber so was hatten wir natürlich nicht. Schade auch, weil wenn er das so erzählt, dann glaubt man ja ein bisschen daran, dass das heute passieren wird.

Aber der Delfin, der direkt neben uns auftaucht, der ist nicht strafbar

Die Buckelwale also sind auf dem Weg von der Antarktis in wärmere Gewässer um sich dort entweder fortzupflanzen oder Kinder zu bekommen. Was mir gerade in den Sinn kommt und nicht angesprochen war, warum die Jungtiere auch diesen Weg auf sich nehmen. Weil mit sechs glaub ich hat er gesagt, werden sie geschlechtsreif und im Alter von drei oder vier machen sie diesen Weg zum ersten Mal alleine, vorher sind sie im Gruppenverband mit der Mutter unterwegs. Und prinzipiell sind sie allein unterwegs, nur eben mit Kindern sind sie mal zu dritt oder so. Die große Ausnahme ist, wenn ein paarungsbereites Weibchen ein dutzend Bullen hinter sich herzieht, die sich um Dominanz prügeln. Aber ja, wird wohl irgendwas entweder mit Trieb zu tun haben, wo sie sich gleich einmal gewöhnen, diesen Weg zu gehen, auch wenn sie im Norden kaum was zu essen finden, im Vergleich zu den antarktischen Gewässern. Er hat gesagt, so eine Mutter isst quasi nichts, während sie ihr Kind säugt bis sie wieder zurück in der Antarktis ist. Aber vielleicht hat das doch eine Schutzfunktion, wenn die Jugendlichen nicht allein zurückbleiben und sie Verwandte in Reichweite haben. Weil hören tun sich die ja über hunderte Kilometer, bis nach Queensland rauf, hat er gesagt. Das ist quasi die ganze Ostküste Australiens entlang. Und zwar nicht jetzt immer nur Walgesang, sondern auch wenn jetzt herunten in Sydney einer mit der Flosse auf die Wasseroberfläche klatscht. Ich denke mir dann immer, dass da ja ein irrer Krach sein muss, wenn jeder Scheiß so gut zu hören ist und wie man das als Wal rausfiltert, was da die interessante Information ist und was nur jemand, der vom Luxusliner gefallen ist. Da kann man vielleicht noch was lernen von denen.

Wir sind also einmal in die Richtung eines anderen Walbeobachtungsschiffs gefahren, das den Eindruck gemacht (oder den Funkspruch durchgegeben) hat, dass sie einem Wal zuschauen. Und ist tatsächlich auch gewesen, aber die bleiben bis zu einer Viertelstunde unter Wasser, und so einen Tauchfan haben wir da wohl erwischt gehabt. Also bisschen Wasser in die Luft stoßen, dann abtauchen und Fluke zeigen. Das ist schon was wert, ganz ehrlich, aber mir war da schon schwummrig und ich hab viel auf den Horizont geschaut und mir nicht so viel Gedanken darüber gemacht hab, wie die Walteile, die ich zu sehen bekomme unter Wasser weitergehen. Wie so viele Beeinträchtigungen ist es auch bei der Seekrankheit schwer vorzustellen, wie sehr man darunter leidet und dass man dem überhaupt zum Opfer wird. Neben mir hat da eine Italienerin darauf verzichtet, hier weiterhin die Standhaftigkeit zu mimen und ihr Sackerl vollgespieben. Aus dem akustischen Äquivalent von Augenwinkel – weil ich hab da dezidiert in die andere Richtung geschaut – hab ich mitbekommen, dass es ein bisschen Probleme mit dem Verschließen des mit patentiertem Drehverschluss ausgestatteten Kotzbeutel gegeben hat. Auch wenn das Ergebnis super ist und man nur eindrehen und einklemmen muss, vielleicht sind die ErfinderInnen zu sehr von Geistesgegenwart ausgegangen, als in der Situation üblicherweise zur Verfügung steht. Aber ich bin da schnell ein paar Schritte weiter gewankt, um die Evakuierung zu erleichtern und selbst besseren Relingszugang zu bekommen. Das würde mir, hatte ich die Hoffnung, gut tun.

Als Symbolfoto eine Buckelwalfluke vor der Skyline von Sydney. So heißt es zumindest in der Stockfotobeschreibung.

Schnell derer enttäuscht, hat sich mir kurz darauf bereits der nächste Silberstreifen in Form eines Wals gefunden, der nah genug aufgetaucht ist, dass wir stehengeblieben sind. Das waren sicher kaum fünfzehn Meter, dass der da vor uns Wasser gespritzt hat und dann wieder abgetaucht ist. Wie gesagt: beeindruckend schon, aber ich nicht in der Verfassung, das zu genießen. Ich hab noch ein bisschen probiert, von meinem Fernglas zu profitieren, aber es ist so schon nicht einfach, einen Wal zu erwischen, wenn er für seine fünfzehn Sekunden aus dem Wasser auftaucht. Dementsprechend schwieriger ist es, wenn man sich mit dem Fernglas den Ausschnitt noch reduziert. Außerdem war meine Aufmerksamkeit yogigleicher Körperbeherrschung gewidmet. Und so wäre ich beinahe überhaupt der Qual menschlichen Daseins gen Nirvana entflohen, hätten mich Neid und Frust gegenüber alle jenen, die in fröhliche Unterhaltungen vertieft keine Anzeichen von Seekrankheit zeigten, mich nicht im Hier und Jetzt gehalten.

Zu meiner Erleichterung wurde dann zur Rückkehr gepfiffen. Um all jene, die diese Entscheidung nicht mit Dankbarkeit empfingen, vielleicht noch für die magere Walsichtungsausbeute zu entschädigen, sind wir dann noch zu den Felsen gefahren, auf denen üblicherweise die Robben rumliegen. Woraufhin ich mich mithilfe meines Mantra des Es-muss-doch-jetzt-gleich-einmal-vorbei-seins wieder dem Ausgleich meiner inneren Organlandschaft gewidmet habe. Und die Robben waren eh nur zwei dunkelbraune Flecken auf helleren Steinen unterhalb eines Steilhangs. Aber die Kameras klickten bereits was das Zeug hielt. Ich dachte daran, dass ich in Neuseeland quasi über diese Tiere drübergestiegen bin, auf der Suche nach den kleinen Pinguinen und hab mich als einziger weiter an der Reling gegenüber wie auch an meinem Magen festzuhalten.

Mit der Einfahrt in die Bucht war dann relativ schnell Entspannung da, wie gesagt, der Seegang, das macht schon was aus. Tags zuvor hab ich eine Plakette gelesen, auf der die Bucht von jemandem gelobt wurde, was sie nicht toll ein großartiger natürlicher Hafen sei, in dem hunderte Linienschiffe ohne großen Aufwand sicher verankert werden können. Daran hab ich gedacht, während es geheißen hat, leider müssen wir noch eine Runde drehen, weil der Hafen so busy ist. Weil der Hafen selbst ist nämlich relativ klein, auch das hat der Mann auf er Plakette für die Nachwelt festgehalten. So sind wir noch unter der Brücke durch und dann war ich. Wirklich. Schon. Sehr. Froh, den berühmten festen Boden unter den Füßen zu haben.

Aber weißt du was. Ich würde wieder. Weil ich weiß doch, dass das eine Gewohnheitssache ist und als ich festgestellt habe, dass Leute hier auf Schiffen anheuern, hab ich mir sofort gedacht, das wär was. Oder als ich gesehen habe, dass ich meinen Bootsführerschein machen kann, hab ich mir auch gedacht: super. Aber nachdem ich nicht weiß, zu was mich das wirklich ermächtigt und zehn Tage dauert, hab ich zumindest den Bootsführerschein jetzt einmal verschoben. Außerdem vergisst man ja schnell, wie hilflos man gegenüber diesem Gefühl ist. Ha!

Neben dem Botanischen Garten hat sich ganz hübsch der Gouverneur von New South Wales eingerichtet. Also, die englische Königin hat ihn da eingerichtet.

Den Nachmittag hab ich dann damit verbracht, meinem Körper diesen Mulm auszutreiben. Dazu war ich im Botanischen Garten spazieren, der sich wie gesagt über ein enorm großes Gelände erstreckt und viel davon auch viel mehr Park ist als sonst was. Aber dann wiederum haben sie dort so ein Glashaus, in dem eine Ausstellung zu fleischfressenden Pflanzen gewesen ist, wiederum ganz schön gemacht, fand ich. Klein zwar, aber natürlich bei freiem Eintritt, nur immer wieder mal eine Spendenbox aufgestellt. Das ist mir schon aufgefallen, dass nicht nur beim Eingang eine Spendenbox stand, sondern auch in der Ausstellung und beim Ausgang. Und man mag jetzt sagen, dass das viele Spendenboxen sind. Ja, schon. Aber ich hab nett gefunden, dass es Spendenboxenpositionen gibt, wo nicht ein Personal daneben steht. Man kann dann besser anonym vielleicht nur einen Dollar oder was einwerfen, ohne dass man jemandem gegenüber steht, vor dem man sich vielleicht dafür rechtfertigen möchte. Wär witzig, einen Blick in die Boxen zu werfen um zu sehen, ob die sich deutlich im Münz-Scheinverhältnis unterscheiden…

Besondere Beachtung bitte den Hintergrund, wo einfach ein paar Meter in die Senkrechte begrünt und beblumt und bemustert wurde.

Langsam geht die Sonne unter und ich liege auf der Wiese und schaue mal in den Himmel, mal auf mein Telefon, weil ich Nachrichten nachhause schreibe. Daneben höre ich den Vögeln zu und beobachte dann und wann auch, wenn einer um mich herumhüpft und vielleicht ein Käferchen aus der Wiese pickt. Es ist gemütlich und ikonisch mit dem Sydneypanorama vor mir.

Ja… ich mein. Blau halt. Das haben sie schon hübsch gemacht…

Tags darauf hatte ich keine großen Pläne, weil ich schon in der Vorbereitung von meinem Sydneyaufenthalt eine Karte für die Madama Butterfly gekauft hatte. Deshalb bin ich am Vormittag nur einmal Richtung Westen geschlendert, um abseits meiner Nord-Süd-Achse, auf der ich von meinem Hostel in die Innenstadt gehe, auch ein bisschen Sydney zu erkunden. Latent hatte ich das Aquarium und den Fischmarkt im Kopf. Fischmarkt irgendwie immer was aufregendes und bietet um kein Geld eh ein ähnliches Abenteuer wie das Aquarium. Ich war nicht darauf vorbereitet, was da im Fischmarkt los war. Ich hab gedacht, da wird eine große Markthalle sein und drinnen sind die Standler und ich lauf da ein bisschen durch, als einer von wenigen, die nicht hier sind, um sich einen Fisch zu kaufen. Nun. Es ist dann zwar eine große Markhalle gewesen, aber ziemlich durchorganisiert. Da waren drei oder vier Fischgeschäfte drinnen, die alle etwa gleich strukturiert waren. Für mich am aufregendsten und vielleicht auch Grund für viele von den AsiatInnen und asiatischstämmigen AustralierInnen, denen ich hier begegnet bin – nämlich sicher acht von zehn Leuten, die im Fischmarkt unterwegs waren – war, dass jedes Geschäft eine Sashimibar hatte. Oh yeah. Da geht man dann hin und sagt, das und das und das. Und sie sagt: aufschneiden. Und ich sag: ja bitte. Und dann hab ich einfach eine Tasse mit meinem rohen Fisch bekommen, ein Töpfchen Sojasauce mit Wasabi drin und kein Reis und nix sonst. (Da hab ich mir noch einen chinesischen Algensalat gekauft, der war sehr gut.) Damit hab ich mich in die Sonne gesetzt und das war wirklich sehr gut. Auch nicht viel billiger, als der Eintritt in das Aquarium gewesen wäre. Ich hatte zwei Ich-glaub-Jakobs-Muscheln, die sie horizontal halbiert hat, die waren ein Traum. Nein, das war sehr gut, wenngleich es mir schon ein wenig absurd vorgekommen ist, dass ich tatsächlich einfach einen Teller voll ungewürztem, rohem Fisch esse. Es hat schon was faszinierendes, auch wenn ich Sushiessen jetzt nicht unter der dubiosen Kategorie Exotisches einordnen würde. Auf die Austern hab ich dann verzichtet, weil ich mich tatsächlich ganz gut angegessen hatte, mit meinem Sashimi. Das tut mir schon ein bisschen leid, auch wenn ich wahrscheinlich auch das Gefühl hatte, dass das ein bisschen eine soziale Unternehmung sein sollte und allein Austern essen irgendwie… weiß nicht. Ich glaub, die Idee, sich an Austern satt zu essen kam mir ein bisschen unziemlich vor, von wegen Luxuskonnotation und so. Und es hätte noch viele Alternativen gegeben gegrilltes, gebratenes, überbackenes…

Ich bin ja dagegen, sein Essen zu fotografieren: deswegen gibt s leergegessenes Sashimigeschirr.

Am Abend gab s dann dann die Madama Butterfly. Erstens hat s mir wirklich gut gefallen. Ich mein, das ganze Setup war ein bisschen ungut, weil die Übertitel nur wenige Meter näher an der Bühne waren als ich und ich mich ziemlich hab winden müssen, um lesen zu können, was gesungen wird. Auf der anderen Seite, quasi zweitens, ist die Sydneyer Oper sehr bemüht und nicht nur dass sie mir eine Woche vorher Hintergrundinformationen per Mail geschickt haben, hat auch jede BesucherIn ein Programm bekommen in dem einige Informationen enthalten waren, nicht zuletzt eine Übersicht über die Handlung der drei Akte. Insofern war der Handlung durchaus zu folgen. Vor mir ist eine Sagen-wir-Achtjährige mit ihren Eltern gesessen, ich glaub, für die ist sich der Blick auf die Übertitel nicht mehr ausgegangen. Die hat sich dann auch bald einmal schlafen gelegt. Aber die Eltern haben trotzdem interessiert geschaut und es war ja auch schön gesungen und man hat doch noch das meiste gesehen, was auf der Bühne passiert. Ja, es gibt auch billige Plätze im Joan-Sutherland-Theatre. Außerdem gibt s geförderte Sitzplätze, das hab ich schon auch wieder gut gefunden. Da gibt s Sponsoren, die dann verschiedenen benachteiligten Gruppen Zehn-Dollar-Plätze ermöglichen. Aber ja, ich hatte nicht ideale Sicht, aber immerhin keine Säule, wie ich befürchtet hab. Ich glaub, es gibt da gar keine Säulen, so modern ist die Oper.

Als Opern noch aus Beton gegossen wurden.

Gutes Programm ansonsten auch, weil es in Australien, mit dem großen Anteil an asiatischstämmigen EinwohnerInnen vielleicht ein bisschen sensibler ist, diese Geschichte zu erzählen, von der Japanerin, die im All-Inclusive-Deal mitsamt dem Haus an einen Amerikaner verkauft wird, um dann von ihm stehengelassen zu werden wie die reinste Medea. Weil an die hab ich schon immer wieder mal denken müssen. Und in diesem Vergleich mit Medea ist es natürlich auch nochmal mehr eine Kolonialisierungsgeschichte. Ms Pinkerton gibt übernimmt die amerikanische Kultur, was in erster Linie heißt, dass sie zum Christentum konvertiert und amerikanisches Eherecht für sich in Anspruch nimmt. Aber wurscht, weil sie trotzdem ignoriert wird. Tragischer vielleicht als Medea, weil die sich in ihrer Verzweiflung zumindest wehrt während sich Cio-Cio-San (Ms Butterfly ist ja wohl ihr Sklavenname) begegnet ihrem Schicksal mit Autoaggression, d.h., sie schafft lieber sich selbst aus dem Weg statt der Familie. Und als in der allerletzten Szene, als sie sterbend daliegt, noch der Herr Pinkerton bei der Tür reinkommt und sie in den Arm nimmt, da wär es schon gut gewesen, wenn ihm wer was an den Kopf wirft. Nicht mal allein sterben darf sie sondern muss noch mit dem Schuldgefühl von ihrem blöden Gatten konfrontiert werden. Da war ich schon aufgewühlt. Aber diesmal halt im Gefühl statt im Magen.

Zwar hat das Gebäude zunächst schon eng gewirkt, aber da wird sich der Architekt was gedacht haben, weil nachdem s aus war, sind wir in nullkommanichts draußen und zerstreut quasi auch schon gewesen.

Anyway. Die Cio-Cio-San ist von einer Asiatin gespielt worden, während viele in ihrem Stab von EuropäerInnen dargestellt wurden, jetzt: phäno– und idealtypisch. Zuerst hab ich gedacht: das ist schon ok. Dann hab ich gedacht: muss wohl jede asiatisch aussehende Sopranistin die Cio-Cio-San spielen? Ist nicht so einfach… Wahrscheinlich haben sie s ganz gut gelöst, dass die Verwandtschaft und sonstige japanische Bevölkerung mehr durch ihre Kleidung als durch ihre Gesichtszüge als solche erkennbar gemacht wurden.

Na und sonst hat mir auch das Bühnenbild ganz gut gefallen. Nicht wirklich was besonderes, also, hat man alles schon gesehen: sich drehende, asymmetrische Plattform von einem weiteren, sich drehenden Ring umgeben. Und von den Wänden große Projektionsflächen, die je nachdem eine abstrakt die jeweilige Umgebung und/oder Stimmung dargestellt haben. Auch hier gab s natürlich so einen Moment, wo dann japanische Schriftzeichen herumgeflogen sind und ich hab mir gedacht, die können sich hier wohl kaum leisten, hier einfach nur für ein exotisches Flair zu sorgen, das muss schon auch eine Bedeutung haben, wenn die da so aufgereiht, anscheinend in Sätze geformt über die Leinwände driften.

Ich mein, es ist schon ein bisschen ein TouristInnenprogramm, natürlich. Aber dafür hatten sie im Eingangsbereich auch eine Weltkarte aufgestellt, wo man sich mit einem Pickerl hat eintragen können, woher man kommt. Und wenig überraschend haben wir wenige Gäste aus Afrika, Zentralasien oder Südamerika da gehabt. Hingegen war Europa, Japan oder auch die Pazifikküste der USA ziemlich zugestickert. Aber auch Australien und vor allem Neuseeland. Vielleicht gehört das dazu, dass ich hier ja selbst in der BesucherInnenrolle war, aber ich fand s aufregender, als das eine Mal, als ich in der Staatsoper in TouristInnenbegleitung Fidelio gesehen hab.

Wer ganz genau aufpasst, kann hier das Kreuz des Südens über dem Dach der Oper erkennen: etwa ein Drittel von links rein und bisserl über der Hälfte. Man sieht einen Stern gut, einen eher gut, einen eher schlecht und einen schlecht. Und für ein fünfteiliges Kreuz wie auf der Fahne sieht man einen weder/noch.

Den letzten Tag in Sydney hab ich dann auf der Post, im Park und im Zaubermuseum verbracht. Eigentlich hätte es andersherum sein sollen, aber als ich kurz vor der ausgemachten Zeit vor dem Zaubermuseum stand, war da nichts. Also nicht gar nichts. Ein bisschen hab ich zwar schon gedacht, ah, der wird jetzt um halb punktgenau in einer Staubwolke erscheinen. Oder sowas in der Art. Aber war nicht. Fünf vor halb hat mich die Bürokraft angerufen und gefragt, ob ich auch den Abendtermin wahrnehmen könnte, dem Zauberer geht s nicht so gut. Hab ich gesagt nein, das nicht, aber wenn sie s verschieben will, das ist mir recht. Also haben wir s verschoben und ich hab zuerst meinen Reiseführer heimgeschickt, was mich mehr kostet, als der wert ist, aber für irgendwas muss ich meine Scheine ja ausgeben. Und den wollte ich wirklich nicht mehr mit mir herumtragen.

Und dann war ich total gute Ramen essen, an der Bar und überhaupt, das hat sich schon gut authentisch angefühlt. Auch weil zum Beispiel auf der Speisekarte zwanzig Suppen abgebildet (und trotzdem hat sich s authentisch angefühlt!) waren, die sich optisch eigentlich kaum unterschieden haben. Auch erwähnenswert ist, dass ich mich nicht angepatzt hab und das ist ein bisserl ein First für mich und meinen Ramenkonsum.

Im Park gibt s zum Abschied einen Ibis und ein Opossum im Baum (nicht im Bild)

Der Zauberer ist dann zum neuen Termin aus seiner Tür gestiegen, ohne Rauch, ohne Tricks, ohne alles. Und dann hat er gesagt, ich bin der einzige und dann hab ich schwören müssen, nichts weiterzusagen, von dem, was ich in der nächsten Stunde lerne. Und weil das der Magierschwur war (so oder so ähnlich), bin ich jetzt, glaub ich, streng genommen ein Zauberer.

Jetzt die Tour. Es ist ja so, dass man sich dafür anmelden muss, es ist jetzt nicht ein Museum, wie man sich das vielleicht vorstellt, wo man vorne reingeht, dann bisschen rumgeht, eine Handvoll tolle Sachen hinter Glas sieht, teuer an die Wand geklebte Beschriftungen liest und dann im Giftshop lange witzigen Schrott anschaut bevor man maximal eine Ansichtskarte kauft. Es ist eine individuelle Führung, wo er zwischendurch zwei Tricks gezeigt hat und dann erklärt bisschen und fundamentale Prinzipien und ein bisschen Geschichte und Showbusiness und dann noch zwei, drei aufwendige Bühnentricks erklärt. Und zwischendurch hat er manchmal ein bisschen geschimpft auf VeganerInnen, die keine Ahnung haben, aber das nicht ok finden, wenn ZaubererInnen mit Tieren arbeiten. Oder PolitikerInnen, die die Aufmerksamkeit der Menschen misdirecten würden, wohingegen ZaubererInnen dieselbe bloß guideten. Interessant fand ich, dass er gemeint hat, Zauberei sei sehr stark eine Sache des Gefühls, viel mehr als des Geistes, dass er schnell ein Gefühl für s Publikum gewinne, in der Lage sei, schnell Sympathien und Widerstände und dergleichen zu erfassen. Oh-o, hab ich mir gedacht, ich will jetzt aber nicht, dass er erkennt, dass ich ihm als Person langsam ein bisschen skeptisch gegenüberstehe, so wie er vor sich hinredet.

Nah, ich glaub, das war schon ganz ok und einiges wirklich interessant. Und wir waren dann ein bisschen schneller fertig als geplant, ich hatte den Eindruck, meine Fragen und Anmerkungen gehen an ihm ein bisschen vorbei, er redet lieber über seine Sachen. Aber ja, ich mein, er hat sich nicht so gut gefühlt und hat dann für eine Person seine Tour gemacht. Und ich bin offensichtlich nach wie vor nicht jemand der sich da aufstellt beziehungsweise einen Aufstand macht, wenn der Konsum nicht so läuft, wie ich mir das vorstelle. Und vielleicht auch ein bisschen verwöhnt von der Museumskultur hier im allgemeinen, dass ich dann so schnell ins kritisieren komm, wenn ich mal für was Eintritt gezahlt habe.

Keine Fotos im Zaubermuseum. Und mir ist erst ganz am Ende eingefallen, dass ich letzten Winter dieses Video mehrere Mal durchgeschaut hab, wenn der Arbeitstag grad etwas zu lang schien. Aber so hatte ich s nicht als Argument parat, als er gesagt hat, man könne nicht nur Kartentricks zeigen, das Publikum würde sich langweilen. Unter uns: alles andere, was ich von Lennart Green bisher gesehen hab ist ziemlich mies. Aber eine halbe Stunde Kartentricks, da bin ich voll dabei.

Und dann war ich ratzfatz im Hostel und ratzfatz am Flughafen und ein letztes Mal hab ich noch der Versuchung widerstanden, ein Stoffschnabeltier zu kaufen. Ich mein, in Wahrheit hab ich das beste Stoffschnabeltier im Zoo-Shop vom Melbourner Zoo gesehen, weil das war schön und es war eine Handpuppe auch. Das war super. Und das zweitbeste hab ich dann ab und zu mal gesehen und das hätte es sogar noch am Flughafen gegeben, hat aber dort zehn Dollar mehr gekostet, als ich noch hatte. Also hab ich jetzt meine Dollar mit ins Ausland genommen und jetzt kein Stoffschnabeltier im Gepäck.