Empfehlung mit Vorbehalt

Georgien

Irgendwas mit Hunden. Und den Sardinen und den Fischern mit ihren Angeln und sonst nicht viel zu tun. Das wär Batumi gewesen.

Da steht sie, die Medea. Quasi noch daheim, bevor man sie über s Schwarze Meer in die Fremde mitgenommen hat. Und weil sie wusste, dass es drüben kühl wird, nimmt sie sich ein Fleece mit. (Im Gegensatz zu mir/Der ich frier.)

Und dann das Nicht-Schlafen-Können, das nächtliche Aufwachen und die Geschichte mit den Gelsen in der Nacht. Wo ich dann nicht einfach zum Buch greifen kann, weil ich hab mich zwar im Großen und Ganzen an den Stephen K. gewöhnt, aber ich bin immer noch nicht wirklich bereit, mitten in der Nacht mich auf IT einzulassen. Da kann ja irgendwas kommen. Und wenn das jetzt auch schon ein bisschen her ist, dass etwas war, was mich wirklich gegruselt hat, hinterlässt mich s manchmal doch in einer Stimmung, in der ich dann nicht besser einschlafen kann als ohne.

Letztlich war s wahrscheinlich einfach das, dass ich kein Fenster hab und da in meinem Zimmerchen sozusagen die Sinn… wie heißt das? Wenn sie einem die Reize wegnehmen und man mit seinen Sinnen nur noch ins Leere greift. Reizreduktion? Erlebnisvakuum? Erfahrungsnichts? Sinnesentzug! Da lieg ich und hab schnell kein Gefühl mehr dafür, wie spät es ist. In der Nacht hab ich eher Gelsen gejagt, weil da waren ein paar, die haben mich einfach verrückt gemacht und schnell hatte ich einen Dippel am Finger und dann hat s mich eh schon überall gejuckt. Und dann hab ich immer ein paar erwischen müssen, bis ich das Gefühl hatte, jetzt hab ich sie alle erwischt.

Wenn ich dann mal einschlaf, zwischendurch, wach ich eine Stunde später wieder auf, weil mir so ein Biest über s Ohr fliegt und bazoom! ich bin wieder wach. Und dann bin ich so wach gewesen, wie man halt wach ist, wenn man wach ist. Hab ich ein paar Gelsen erschlagen und dann bin ich irgendwann auch wieder eingeschlafen, bis sich das ganze nochmal wiederholt hat. Und dann nochmal. Und immer sofort ins volle Bewusstsein hinein. Da hab ich mir noch gedacht, ob das der Kaffee ist, den ich in dem Australischen Kaffeegeschäft getrunken hab. Aber das war dann auch schon wieder zehn Stunden her gewesen und überhaupt reagier ich doch gar nicht so auf Koffein. Vielleicht war ich aufgeregt, hab ich mir zwischendurch gedacht. Weil ich ja doch, ich mein, immerhin. Weil ich ja doch auf die Fähre und ich hab ja keine Ahnung, wie das wird.

Letzten Endes war das Hotel sehr herzig. Weil halt grad gar nicht so recht Saison zu sein scheint und Batumi ist doch auf jeden Fall eine Strandurlaubsstadt, auch wenn der Strand nicht nur Kies sondern ganz schön grober Schotter ist. Aber im Schwarzen Meer gibt s halt keine Korallenriffe und keine Papageienfische die seit dutzenden Jahrtausenden Korallen in Sand zerkleinern. Und mit ein bisschen Kommunikationsschwierigkeiten in denen ich mich dann sogar an die Übersetzungssoftware gewendet habe, hab ich mein Gepäck für den Tag im Hotel gelassen, no problem. Beim Abholen hat der junge Mann an der Rezeption sich dann wirklich lieb verabschiedet und mir eine Happy road! gewünscht.

Fähre

Das hat dann gar nicht so lang gedauert. Trotzdem war ich natürlich ein bisschen nervös dann mit der Zeit.

Es ist sehr beeindruckend, wie groß alles ist ist. Ich mein, wir haben Züge auf der Fähre. Und LKWs noch und nöcher und jetzt, wo wir unterwegs sind, endlich unterwegs sind, spürt man eigentlich gar nichts. Gut, das Meer ist auch außerordentlich still, da tut sich nichts.

Ich war etwa um fünf an der Fähre. Ich hab die Kaunas schon im Hafen liegen sehen und war deshalb am Nachmittag schon aufgeregt und vorfreudig. Um sechs hat s geheißen, dass die Passagiere eingeschifft werden. Jetzt also eine Stunde früher dort. Und dann erst einmal ein bisschen gewartet. Viele waren wir nicht, eine Bank, darauf eine Handvoll Leute. Aber viele LKWs, die sich langsam unter der Brücke durchschieben und am Schranken ihre Papiere kontrolliert bekommen. Und was das dauert! Wir paar Passagiere sind da sicherlich eher die Ausnahme gewesen und sicherlich nicht oben auf der Prioritätenliste. Die Fähre, hab ich später festgestellt, sieht sich sicherlich nicht als Konkurrenz zu anderen Fortbewegungsmethoden. Die haben ihre Nische und die Nische ist LKWs und Waggons von Georgien nach Ukraine zu bringen ohne durch Russland zu müssen. So sind wir dann erst einmal länger gesessen und weil neben mir zumindest Leute waren, die die Sprache verstanden haben, in der die Polizei ihre Bemerkungen gemacht hat, hab ich darauf vertraut, dass das schon passt. Kein Problem. Inmitten dieser — wie ich annehmen durfte — Mitreisenden, vertrau ich darauf, nicht sitzen gelassen sondern vielmehr vom gemeinsamen Aufbruch mitgetragen zu werden. Und wenn da die riesige Kaunas im Hafen steht, dann wird die schon nicht abzischen, ohne dass ich s mitbekomme.

Selbstportrait mit Rucksack und Fähre

Um dreiviertel sieben hab ich dann mal bei der Polizei gefragt, ob denn, wie denn das sei, ob wir jetzt zuerst einmal alle LKW an Bord haben wollen oder was. Und da sind sie mir schon ein bisschen ausgewichen, ich glaub mehr, weil ich da mit dem Englisch daherkomme, weil ich mach ja sonst keinen besonders bedrohlichen Eindruck, ist ein Eindruck. Aber einer hat dann zumindest gesagt one hour und ich hab mir gedacht: super. Also nicht „super“-super. Aber zumindest ein Plan, eine Perspektive. Kann ich mich hinsetzen und ein bisschen lesen. Auch wenn s dunkel ist, ich bin ja nicht allein.

Kaum eine halbe Stunde später hat s dann geheißen, tschopp-tschopp!, auf geht s. Also, nicht dass es das wirklich geheißen hat. Aber die um mich sind aufgesprungen und haben ihre Gepäcksstücke zum Schranken gezerrt. Also ich auch auf und Schranken, hallo, Pass, Ticket, Austria, ja, ja, vielen Dank. Und durch die Schranke. Aber natürlich wiederum nicht unbedingt die Passagierfähre in erster Linie und so stapf ich quasi durch s Industriegelände. Und dann neben den meterhohen Waggons vorbei, die schon in die Fähre geschoben worden sind durch zum Lift und ding! steh ich in einer Hotelrezeption, dass man fast vergessen könnte, das wir auf einem Schiff sind. Bisschen niedriger vielleicht, als man s gerne bauen würde. Aber insgesamt hübsch. Und da kriegen wir alle unsere Zimmer, wir kriegen eine Nummer auf den Pass und eben eine Schicht und einen Tisch zugeteilt.

Da liegt das Meer so vor einem, wir pflügen gleichmäßig und scheinbar anstrengungslos durch s Wasser. Die Oberfläche ist dunkel wie Tinte und es ist keine Überraschung, dass das hier den Namen Schwarzes Meer bekommen hat. Aber dann sehe ich plötzlich eine Form unter der Wasseroberfläche und zuerst ist das erstaunlichste einfach, wie klar das Wasser ist, das eben noch wie dicke, schwarze Flüssigkeit gewirkt hat. Das Gehirn sucht nach einer passenden Reaktion als ich die Form als Delfin identifiziere. Irgendwas mit Freude und Glück, bitte. Tatsächlich springt da ein Delfin neben dem Schiff aus dem Wasser, der von unter dem Boot heraufgetaucht ist. Mit der Rückenflosse das Wasser schneiden und dann ein Sprung aus dem Wasser, noch ein Sprung und dann verliere ich ihn schon aus den Augen, weil er dorthin abdriftet, wo die Spiegelung der Sonne einen Blick auf s Wasser fast unmöglich macht. Im letzten Moment greife ich noch nach dem Telefon, aber mein Fingerabdruck wird nicht erkannt und da ist es eh schon, wie gesagt. Ich bin immer noch etwas verwirrt, wie ich auf diesen Moment reagieren möchte. Nochmal ein Delfin, denke ich. Und: es ist schon super, auf einem Boot, was ist es es wer, das gegen Im-Büro-Sitzen einzutauschen?

Schönes Wetter, Schwarzes Meer

Der Delfin war kaum einen Meter groß und ich glaube, er hatte einen klar abgesetzten hellen Bauch. Während ich so brüte, kommen noch zwei Delfine von backbord auf die Fähre zugeschwommen. Die Rückenflosse teilt das Wasser, dann ein, zwei Sprünge und sie tauchen unter der Fähre durch. Kein Sinn zu versuchen, auf die andere Seite zu laufen, da ist zu viel Fähre dazwischen. Aber ich schau noch ein bisschen auf das Schwarze Meer und denke an die Antike oder die Zukunft. An Delfine und Tauchen und auf einem Boot sein. An die warme Sonne auf meinem Gesicht und daran, dass ich noch einmal die Flip-Flops herausgeholt hab, obwohl ich mich von denen am Flughafen in Bangkok schon für den Winter verabschiedet hab.

Das Essen ist ok. Es ist eine Überraschung in erster Linie, dass wir zu essen bekommen. Ich hab extra noch ein Geld abgehoben gehabt, aber das muss ich jetzt wohl irgendwo wechseln. Wir essen in zwei Schichten, das wird ausgerufen. Die erste Schicht wird auf russisch und englisch ausgerufen. Ich bin mir nicht sicher, ob es überhaupt eine zweite Schicht gibt, weil die wird nur noch auf russisch ausgerufen und das versteh ich nicht. Kann auch ukrainisch sein, muss ich zugeben, weil wie gesagt, ich versteh s nicht und da könnte es beides sein. Aber in der ersten Schicht sind wir vier Ausländer. Zwei Amerikaner, der Koreaner, mit dem ich das Zimmer teile und ich.

Überraschenderweise haben sie mich in ein Doppelzimmer hochgestuft. Ich hab mich aus Kostengründen für das Dreierzimmer entschieden, aber sie scheinen da die Ausländer zusammenzutun oder vielleicht liegt eine andere Motivation dahinter, die sich mir nicht erschlossen hat. Auf jeden Fall sitzt in meinem Zimmer schon L., der Koreaner, der seit März in Osteuropa unterwegs ist und Anfang Dezember wieder nach Seoul zurückfliegt. Es ist eigentlich eh ganz nett, dass sie uns da zusammengesteckt haben. Insgesamt ist es nicht unwitzig, der Koreaner, der ein halbes Jahr durch Osteuropa getingelt und der Österreicher, der ein halbes Jahr durch Ostasien getangelt ist. Wir sind nicht ständig am Quatschen, aber wenn, ist s ganz interessant, so ein bisschen gegenseitig die Eindrücke abzutesten.

Schade aber, denk ich, dass ich nicht irgendwelche koreanischen Spezialitäten einstecken habe, das hätte ihm vielleicht eine Freude gemacht. Lustig auf jeden Fall, wie KoreanerInnen oft eher mit Erstaunen darauf reagieren, wenn ich sage, dass ich in Korea war. Ich sei vorher in Japan gewesen. Ah, sagt er, dann macht das schon mehr Sinn. Als ob Korea nicht einen Besuch wert wäre. Und wie lang? Nun, kaum eine Woche in Seoul. Das reiche dann aber auch schon wieder, sagt er. Naja, sag ich, es dauert schon, dass man die Kultur verstehen lernt. Oder überhaupt erst zu erkennen.

Aber natürlich bin ich auch mit einer ähnlichen Einstellung nach Seoul geflogen, dass das reichen müsse. Und jetzt hab ich immer ein bisschen ein… nicht gerade ein schlechtes Gewissen. Aber das Gefühl, dass ich Korea nicht wirklich gesehen hab. Es ist mehr so um eine Idee zu bekommen. Aber vielleicht ist es eh nie mehr als das. Immer nur eine Vorbereitung für den nächsten Besuch.

Dank GPS hab ich ab und zu mal geschaut, wo wir uns zirka befinden und so unsere Route grob dokumentiert

Und wir haben eine eigene Schiffszeit. Das ist witzig irgendwie. Letztlich ist das Schiff, auf dem ich die meiste Zeit verbracht hab, die USS Enterprise 1701-D und immer wenn ich irgendwelche Schiffsspezifika lerne, ordne ich die in meine Raumschiffkonzeption ein, weil das immer noch die ausführlichste vergleichbare Vorstellung von so etwas ist. Natürlich braucht s eine eigene Zeit auf dem Schiff, wenn man zwischen zwei Punkten mit verschiedenen Zeiten unterwegs ist.

Um zwei in der Früh (ich glaube Schiffszeit, also vier Uhr in Batumi, da lagen wir noch im Hafen) sagt die Dame mit der netten Stimme über die Sprechanlage, dass wir bitte zur Passkontrolle in die Bar runterkommen sollen. Leicht grummelig zieh ich mir Hosen an und rutsche von meinem Stockbett herunter. Wir sind die letzten in der Schlange. Vielleicht weil die Durchsage zuerst auf russisch gemacht wird und dann auf englisch wiederholt? Oder weil unser Zimmer das letzte am Ende des Gangs ist? Oder einfach weil wir keine Ahnung haben, wie da der Ablauf ist und die anderen alle LKW-Fahrer sind, die diese Strecke regelmäßig zurücklegen?

Was wir nicht die letzten in der Schlange sind, werden wir „überholt“. Die Leute hier am Schiff, die sind irgendwie nicht so gut mit dem Anstellen, das ist irgendwie was, da fehlt ein bisschen die Disziplin oder wie man das auch nennen will. Ist oft einmal, dass sich wer vordrängt, aber dann wiederum so nonchalant dass es so scheint, als bestünde da gar kein Unrechtsbewusstsein. Zum Beispiel der ältere Herr, der sich von hinter mir in der Schlange vor mir auf die Bank setzt, denk ich mir, der will sitzen. Aber er steht dann tatsächlich auf, als die Person vor mir fertig ist und lässt seinen Pass stempeln. Das fand ich schon frech. Aber soll ich mich jetzt echauffieren über sowas? Da konnte ich schnell loslassen. Viel schneller als das eine Mal in Armenien, als mir der Typ hundert Dram zu wenig rausgegeben hat für mein Brot, was jetzt keinen Unterschied machen würde, weil der Gegenwert so gering ist, aber das Brot hat nur hundert Dram gekostet und dann war das also doppelt so teuer und er reicht mir eine Handvoll Zwanzigdrammünzen auf meinen Fünfhunderter und natürlich zähl ich die nicht, aber…

Auf der anderen Seite dauert das bei den LKW-Fahrern doppelt und dreifach so lang, weil die nicht nur einen Pass gestempelt sondern auch ihre Fahrtpapiere kontrolliert bekommen müssen. Und trotzdem gelassen, fast gleichgültig gegenüber dem Vordrängen. Nicht nur, weil da so viele große LKW-Fahrer sind, die har-har-har lachen, Jogginghosen tragen und deren säuerlicher Körpergeruch selbst Schweißfüße hat. Da komm ich ein bisschen ins Nachdenken über Männlichkeitskonzepte und darüber wie sehr anderen den Platz geben, diese anderen in dem Gefühl bestätigt, sie könnten sich schon nehmen, was sie wollen. Wer bin ich, dass ich anderen Leuten Grenzen setzen soll, wo s mir doch bei mir selbst schon so schwer fällt, hier mit Augenmaß vorzugehen, rechtfertige ich meine Passivität. Und überhaupt, wir kommen ja eh erst los, wenn alle erledigt sind. Literally: alle im selben Boot. Erst wenn der letzte Pass gestempelt ist kann die Grenzpolizei von Bord und erst dann können wir loslegen. Und ob ich jetzt in meinem Stockbett liege und warte oder irgendwo steh und warte, kommt ja auf s gleiche raus, ganz ehrlich.

Angeblich sind wir um fünf dann los, da bin ich schon längst wieder im Bett gelegen. Hab ich nichts bemerkt. Der gesprächigere von den zwei Amerikanern, die mit uns am Tisch vierzehn (erste Schicht) gesessen sind, hat das erzählt. Aber ich hab nicht gefragt, ob das Schiffszeit oder Batumizeit war. War nicht so wichtig. Wir sind jetzt erst einmal unterwegs gewesen und das hat gedauert. Am ersten Tag war s Wetter noch hübsch und die Delfine unterwegs. Am zweiten Tag war das Wetter dann schon mehr so, wie s mich dann in Odessa auch empfangen hat. Also mehr so bisschen diesig und nicht so schön, windig, bewölkt, kühl. Da bin ich aber ganz schön weiter gekommen, in meinem Stephen King.

Zwischendurch halt immer mal eine Mahlzeit. Drei Mahlzeiten am Tag! L. und ich bekennen einander, dass wir schon lange nicht mehr mit so einer Regelmäßigkeit oder vielmehr mit so einer Häufigkeit gegessen haben. Lachend und mit Schwung springe ich auf die Stimme über die Ansagenanlage von meinem Bett und schlüpfe in die Schuhe. Sicher zwei,-, dreimal mit der Bemerkung, dass es nichts anderes zu gäbe, als Essen und Schlafen. Wie bei den Großeltern. Auch das funktioniert zwischen Seoul und Wien. Wir warten immer die englische Übersetzung ab, auch wenn ich anhand einiger Schlagworte aus der russischen Durchsage bereits die Einladungen zum Essen erkenne. We wish you bon appetit. Please don’t be late.

Schlechtes Wetter, Schwarzes Meer. Sicher zwei Drittel der Decks waren auch einfach abgesperrt. Man konnte weder am Heck stehen und in die Spur starren noch im Bug stehen und sich gestreckter Arme als König der Welt ausrufen.

Am zweiten Tag, noch vor der vierzigsten Stunde, die wir auf… ab wann ist es „hohe“ See? Auf jeden Fall leuchtet uns Odessa entgegen. Also zuerst sieht man den Himmel schimmern, die nächtliche Helligkeit Odessas, die die darüberliegenden Wolken in gelb-rosa Schimmern taucht. Nehm ich an, weil wir sitzen beim Essen, als nach und nach Telefone zu Klingen beginnen. Wir kommen wieder in Reichweite der Telekommunikationsnetzwerke! Und tatsächlich leuchtet dann nicht nur der Himmel sondern bereits auch erkennbare Lichter am Horizont. Und es ist nicht Odessa, auf das wir zusteuern sondern Chornomorsk. Weil da ist der Hafen, an dem die LKWs von Bord wollen und die Waggons eine Lokomotive finden, die sie wieder durch das Bahnnetz zieht. Hurrah, sag ich, das geht sich ja super aus. Weil ich hab schon gefürchtet, erst im Morgengrauen anzukommen und dann erst recht verloren ins Land blickend am Ufer zu stehen. Aber jetzt, jetzt wird sich das locker ausgehen, dass wir um zehn im Hostel sind.

Chernomorsk am Horizont

Ukraine

Ist natürlich ein Irrtum. Als ob ich den langwierigen Eincheckprozess von vor kaum eineinhalb Tagen komplett vergessen hätte. Weil erst einmal dauert s natürlich, bis das Riesenschiff in die Hafeneinfahrt ist und dann umdrehen und rückwärts in die… Bucht. Was auch immer. Und langsam, so langsam. Das ist schon beeindruckend, da könnte ich stundenlang zuschauen und hab ich wohl dann auch. Auf dem Meer, denke ich, auf dem Meer merkt man ja nicht so, was für ein Riesentrumm diese Kaunas ist. Aber am Ufer dann, relativ zu den Hafenanlagen gleich wieder enorm riesig. Und da muss man natürlich langsam vorgehen. Ich denke wieder an Star Trek oder vielmehr an Perry Rhodan, wo die Anlegemanöver immer Stunden gedauert haben und ich mich immer gefragt hab, was die da machen, stundenlang. Weil eben in Star Trek haben sie die Zeit nicht, selbst in der Space Odysee geht das relativ flott. Aber in so einem Roman schreibt sich natürlich schnell einmal, dass sie acht Stunden später wieder terranischen Boden unter den übergroßen Mäusefüßen hatten. Mit was für einer Vorsicht und Geduld eben.

Die aufregende letzte Minute des Anlegemanövers. Das Betonerne ist das Dock, das Blaue ist die Kaunas. Und ein bisschen überraschend, dass es kein Geräusch macht, wenn so ein Schiff stehen bleibt. Kein Klatschen, kein Zischen… Nicht mal das langsame Abklingen der Motoren folgt dem Stillstand.

Eben Geduld. Aber das sind mechanische Notwendigkeiten oder kann ich als solche verstehen. Dass wir dann schon wieder stundenlang Schlange stehen, weil die ukrainische Grenzmiliz natürlich auch nicht irgendwen ins Land lassen will und schon gar nicht irgendwelche LKWs, das ist eher nervig. Diesmal haben sie s nicht mal mehr auf Englisch durchgesagt und wir finden das nur zufällig heraus, während wir mit sich reduzierender Aufregung über die Decks laufen, dass die Leute da zur Passkontrolle anstehen und nicht in den Startlöchern um in ihre Autos zurückzudürfen.

Mein Milizbursche dreht und wendet meinen Pass in der Hand. Vielleicht ist das vis-a-vis Nationalstolz und sowas schwer, aber ich würde ja raten, auf die Vorderseite des Passes bereits das Wort Austria zu schreiben. Niemand weiß woher der Pass kommt. Groß Austria und Europe. Und dafür den hässlichen Feudaladler weglassen mit diesem furchtbaren Kommunismus-überwunden Relikt. Das hilft. Man muss es sich ja nicht gegenseitig schwer machen. Oder halt den jeweiligen Grenzkontrollen. Vor allem, wenn man sagt, dass das ein verhältnismäßig guter Pass ist, in dem Sinne, dass er einem viele problem- und manche visafreien Eintritte erlaubt. Dann soll man doch bitte das auch im Design vielleicht erkennbar machen.

So dreht und wendet er den Pass, fragt mich, ob ich Russisch spreche, was ich verstehe, aber auf Englisch verneine. Ich glaube, ich hab meine Russischkenntnisse sogar auf Spanisch ausgedrückt, um mich möglichst weit von einem russischen Interview zu distanzieren. (Und ja, ich verwende hier überall schon Russisch als Synonym für Ukrainisch. Ich kann s nicht unterscheiden. Und der Grenztyp hat mich sicher nach Russisch gefragt, also was soll s.) Wendet er sich an seine Kollegin, die hinter ihm irgendwas in einen Computer tippt. Die nimmt den Pass, er sagt ihr schon Austria, was er auf der zweiten Seite schon herausgefunden hat. Sie blättert den Pass durch, mit dem Daumen, so man offenbar in der internationalen Grenzadministrationsschule lernt, einen Pass durchzublättern. Schrubb-schrubb-schrubb-schrubb-schrubb. Wo ich hinfahre, fragt sie mich. Ob ich allein reise, fragt sie mich. Das versteh ich allerdings nicht sofort: You travel one? Ah, sag ich, als sie mit girlfriend, friend Beispiele für Nicht-Allein-Reisen nennt. Ja, alone. Schulterzuckend gibt sie den Pass dem Kollegen zurück, der eine leere Seite sucht und seinen Stempel setzt. Welcome to Ukraine, leidenschaftslos.

Das war noch halbwegs lustig. Dann verlassen wir das Schiff und die Pässe werden nochmal kontrolliert. Bus, werden wir zu einem Bus verwiesen. Ich bin mir sicher, dass der nur um die Ecke fahren wird, sag ich zu L. während wir im Bus auf s Losfahren warten. Nach zehn Minuten fährt der Bus nicht einmal drei Minuten um die Ecke zur nächsten Kontrollstation. Hier betreten wir ein Haus, in dem wir erst einmal wieder fünf Minuten vollkommen alleingelassen herumstehen. Mit uns wartet auch eine Familie, die wirkt, als ob sie von Georgien nach Ukraine übersiedeln würden. Zusätzlich zu ihren Koffern bringen sie säckeweise Klumpert und sogar eine in ein Plastiksackerl eingewickelte Topfpflanze mit sich. Ich weiß nicht, ob sie besser wissen, wie der Immigrationsprozess abläuft, sprachlich sind wir einander nicht erschließbar.

Ein letzter Blick zurück in den Ladebereich der Fähre. Da gehen, wie man sieht, die Geleise hinein und da waren ja auch tatsächlich Eisenbahnwaggons geladen. Darüber war noch eine zweite Ebene, auf der die LKWs gestanden sind.

Irgendwann werden wir ins nächste Zimmer geleitet und dann wieder hinausgescheucht: Bitte Abstand zu halten, hier wird geröntgt, hier arbeiten Professionelle, bitte das ernst zu nehmen. L. steht günstig und ist schnell erledigt. Ich stecke in der Familie fest (typisch!) und die Gleichgültigkeit gegenüber effizienten und geordneten Verwaltungsprozessen zeigt sich auch, wie ich finde, darin, dass niemand von ihnen sagt, da, geh vor, das geht schneller. Und ich tu ihnen unrecht. Weil einer der Söhne deutet mir kurz darauf, da, geh vor, das geht schneller. Danke, nicke ich, durchaus etwas schuldbewusst. Ich hatte gerade genug Zeit, mich in dieser diagnostizierten Gleichgültigkeit ein bisschen hochzustrudeln, dass ich mich fast geärgert habe darüber, dass sie mir nicht anbieten, doch schnell vor ihnen durch die Kontrolle zu huschen. Ohne natürlich von meiner Seite her auch nur irgendwie anzudeuten, ob ich nicht…

Na und dann stehen wir in einem Industriehafen. Oder wie auch immer man das nennen möchte. Wir stehen im Nichts. Vor uns steht ein Großraumtaxi aber wir haben beide kein Geld. Immerhin haben wir einander, denk ich mir und überlege, dass ich dank L. weiß, dass es einen Bus gibt, dank L. überhaupt einen Plan habe, weil ich vergessen habe, mir den auf s Telefon zu laden und… und was hab ich zu bieten? Auf jeden Fall ist es um halb elf in der Nacht in einem fremden Land angenehm, jemanden dabei zu haben, ob sich der jetzt auskennt oder nicht. Und wir beschließen einmal zur Busstation oder zumindest zur „großen Straße“ zu gehen, dort finden wir dann vielleicht…

Als erstes stellen wir fest, dass die „große Straße“ eine Brücke ist, auf die wir rauf müssen. Das ist ein bisschen ein Umweg, vor allem, weil wir den kurzen Weg erst von oben erkennen, erst erkennen, nachdem wir die Ziegenherde umrundet haben, die hier in der Nacht grast. Über die Brücke, den Lichtern entgegen. Das schaut ja nicht so schlecht aus. Und es ist nicht soooo kalt. Und es regnet nicht. Auch wenn s auf elf zugeht, wir sind optimistisch. Das Licht ist eine Tankstelle und dahinter ist eine Bar, die ein bisschen an From Dusk Till Dawn erinnert, aber das ist nicht überraschend, weil immerhin ist das alles eher Truckerland. Auch wenig überraschend ist, dass da heute kein Bus mehr zu fahren scheint. Zugegeben, es wirkt ein bisschen trist. Noch zur nächsten Tankstelle, frage ich? Vielleicht können wir dort ein Taxi rufen, wenn wir keins finden. Aber da hat L. schon die Hand ausgestreckt und das nächste Auto blinkt und fährt auf uns zu… um dann doch nicht stehenzubleiben. Aber schon das nächste, ein VW-Bus, ein vielleicht roter VW-Bus bleibt stehen. Odessa?, fragt L. in den Bus hinein. Sicher, sagt der Fahrer, steigt s ein. Er sagt das auf Russisch. Die Verständigung beschränkt sich auf ein Minimum, aber wir kommunizieren dank Telefon, wo wir zirka hinmöchten. Ziemlich sicher, dass der Fahrer dort nicht hinmusste, das war einfach nur eine mich nach wie vor erblassen lassende Freundlichkeit, dass uns der zum Bahnhof geschupft hat. Aber er hat uns geschupft. Und während ich anfangs mit meinem GPS ein bisschen gecheckt hab, ob uns der eh nicht auf seine Organfarm entführt, hab ich mich irgendwann auch genug entspannt um zu finden, dass die Musik im Radio genauso klingt wie die Elektropop-CD, die ich 1996 in Moskau gekauft hab. Oder vielleicht hat mir die Vertrautheit der Musik auch die Sicherheit vermittelt.

Es ist nicht mal halb zwölf und wir stehen wir dank the kindness of strangers in Odessa am Bahnhof. Und dann gibt s noch ein Internet und ich krieg die Straßenkarte von Odessa auf mein Telefon und eine Wegbeschreibung und alles picobello. Danke, sag ich, das hätte ich nicht geschafft. Und wir verabschieden uns in verschiedene Richtungen. Meine Sorge ist jetzt nur noch, ob das Hostel noch offen hat und ich beeil mich ein bisschen, um vor Mitternacht da zu sein. Oder auch, weil das alles ein bisschen märchenhaft glatt gelaufen ist und ich Gefahr laufe, dass sich meine gläsernen Schuhe in Luft auflösen. So laufe ich mit meinem Rucksack durch s nächtliche Odessa und finde alles eigentlich sehr ansprechend. Der Boden ist uneben, aber die Lichter freundlich und die Luft gerade erfrischend genug, nicht kalt zu sein. Das Monument von Peter und Gavrik weist mir den Weg nach links und wie ganz viele meiner Gespräche, die ich mit Leuten hier führe, antworte ich auch der Stimme durch die Hostelgegensprechanlage mit sorry. Weil es ist ein bisschen spät, aber ich hätte da diese Reservierung. Sicher, kein Problem.

Am nächsten Morgen wecken mich die Kinder, die im Hof in ihren Jacken und Mänteln Volleyball spielen, von einem weißhaarigen Trainer begleitet, der ab und zu in seine Pfeife bläst. Wunderbare Osteuroparomantik.

back to work

Von den sicherlich vielfältigen Möglichkeiten back to work zu zitieren, denke ich an Amy Winehouse, während der Satz aus dem Kopf in meine Finger fließt. Und das ist ja nicht einmal ein echtes Zitat, work passt ja kaum dorthin, wo sie black gesungen hat. Und eigentlich ist es auch gar nicht so finster gewesen, mich wieder ein bisschen mit Arbeit zu beschäftigen. Im Gegenteil war das eine hübsche Abwechslung und so viel hat sich in einem Jahr auch wieder nicht getan, dass ich nicht überall sofort einen Anschluss gefunden habe. Unabhängig von was sich in den nächsten Monaten tun wird, so hab ich quasi schon wieder versprochen, das nächste Treffen in Padua, da wird man mich sicherlich zu sehen bekommen. Ist ja nur um s Eck, ist ja kein Aufwand, ja ja, wir verlieren uns nicht aus den Augen…

A. sagt, sie hat nach der Konferenz das Gefühl, employable zu sein. Auch A. hat ihre Krisen und es ist nicht so einfach einen Job zu finden, in dem man Anerkennung findet, Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung, ein angenehmes soziales Umfeld, Freude an der Arbeit und die Fähigkeit, die Sachen auch liegen zu lassen, wenn die Glocke läutet. Ist das zu viel verlangt? Es ist interessant, wie die Anerkennung für die Arbeit einmal für ein Jahr liegengelassen zu haben, einen Schritt heraus gemacht zu haben, in vielen meiner vertraulicheren Gespräche im Vordergrund steht. Aber wie sehr will man sich wirklich anhören, was ich über Tahiti zu erzählen habe, über Papayapalmen, Bananenbüschel und kübelweise Karambole. Oder vielleicht fallt s mir mehr auf, weil es auch für mich letztlich das interessantere ist, darüber zu reden, wie ich nur langsam zur Überzeugung gefunden habe, dass das eine gute Entscheidung gewesen ist. Und es ist auch… ich will nicht sagen, dass alles noch da ist, das alles auf mich gewartet hat, dass ich überall sofort den Anschluss parat habe. Sicherlich muss ich einige Fragen nachlesen und Variablen herauskramen, die ich vergessen habe. Keine Ahnung, wie wir das im österreichischen Bericht behandelt haben. Aber so fremd ist das auch wieder alles nicht.

Hat mir gut gefallen, dass im Konferenzhotel die Räume nach Woody Allen Filmen benannt waren

Ist das also gut, dass ich sofort wieder drin bin? Weil ich bin andererseits auch in der Situation, dass es schwierig ist, etwas beizutragen. Ich arbeite eben nicht mit den Daten, ich habe keine Möglichkeit in den Arbeitsgruppen etwas beizutragen, wenn wir über Validierungen sprechen oder die Arbeit an internationalen Vergleichen zu unterstützen. Auf der anderen Seite war das noch nie der Fall und war vom ersten Treffen an ein Moment der Enttäuschung, dass ich den Enthusiasmus und die Neugier, die auf so einer Konferenz entsteht nicht in den Arbeitsalltag mitnehmen konnte, weil dort die Zeit und das Interesse dafür schlicht nicht bestand. Man könnte meinen, es wäre jetzt sogar einfacher, wo ich zumindest die Zeit hab.

Trotzdem.

Ansonsten hab ich verhältnismäßig ruhige Tage verbracht. Nachdem ich meine Erkältung hörbar vor mir hertrage, habe ich viele von den Abendveranstaltungen kurz gehalten. Es ist einfach wenig aufregend mit verstopften Ohren und verstopfter Nase Unterhaltungen in lauten Umgebungen beizuwohnen. Die Beteiligungsmöglichkeiten sind begrenzt und mein Stolz kränkt unter der leider notwendigen Mundatmung. Also geh ich nachhause und schlaf mich aus.

Währenddessen gibt mir eine der Hostelmitarbeiterinnen einen Löffel Honig zu meinem Frühstück. Nicht in den Tee, nach dem Essen, nach dem Tee, betont sie. Ich weiß nicht, ob s hilft. Aber es ist erstaunlich ungut, puren Honig zu essen. Einerseits merke ich, wie ich von der Großzügigkeit überrascht bin und frag ich mich sofort in der Umkehr, woher meine Sparsamkeit mit dem Honig kommen möge. Aber ich nehme noch einen zweiten, dritten und vierten Löffel. Es geht tatsächlich etwas besser, vor allem im Laufes Tages. Aber Ursache und Wirkung und solche Dinge… Ich bin aber superdankbar, weil ich das einfach eine total nette Geste finde.

Außerdem war ich ja bereits Tag vier

Das ist ja das. Mit den Gesten. Ich erlebe die ArmenierInnen schon stark als Leute, die s nicht besonders lustig zu haben scheinen. Lächeln ist nicht etwas, was Alltagsinteraktionen notwendigerweise begleitet. Aber vielleicht verstärkt das mein Dankbarkeitsgefühl, dass ich dann oft empfinde. Im Café, aber das ist ja fast schon wieder was anderes, werden wir dermaßen freundlich bedient, dass es schwierig ist, das anzunehmen. Weil sich selbst freundlich nicht unbedingt in äußerlichen Emotionsdarbietungen der Caféangestellten spiegelt. Sie ist einfach immer da und sie sagt viele Worte mit Danke und Bitte und viel Verständnis und ich bitte hoffen zu dürfen, dass sich für die werten Damen und Herren alles zur vollsten Erfüllung persönlicher Glückspotenziale zugetragen habe und was einem nicht so alles in den Sinn kommt, wenn man einen Kaffee serviert. Das war im Café Central.

Und eigentlich wollte ich ja noch etwas zu dieser Russischsituation sagen, die ich nicht so ganz zu greifen bekommen habe. Es ist ja so. Armenien hat eine sehr entspannte Beziehung zu Russland. Scheint zu haben. Da gibt s keinen bösen Blick auf eine Kolonisierung oder eine Unterwerfung oder so was. Das hat viel damit zu tun, dass man in Armenien oft einmal das Wort Genozid zu hören bekommt, wenn man die Stadt besichtigt oder durch eine Teppichmanufaktur geführt wird. Da ist Russland die freundlichere Nachbarin. Aber unabhängig dessen steh ich dann oft einmal da und formuliere ein thank you wo es doch ein s’pasiba auch tun würde. Aber bevor ich zum Russisch greife, schießt mir halt durch den Kopf, dass wenn ich mich schon einer Fremdsprache bediene, dann könnte ich doch gleich lernen, meine Dankbarkeit gleich auf Armenisch auszuformulieren. Aber ja, das läuft da alles zusammen irgendwie mit meiner Unkenntnis der politischen Situation und daraus resultierender Unsicherheit und einem vielleicht seltsamen Verständnis von Englisch als einer neutraleren Sprache. Oder vielleicht auch, dass ich auf eine russische Antwort nicht vorbereitet wäre und niemand mir eine armenische Antwort geben würde.

Jetzt bin ich in Georgien und da ist zumindest die Politik auf der Seite meiner Vorsicht. Aber letztlich ist auch hier Russisch wesentlich gebräuchlicher, deutlich verbreiteter und etwas selbstverständlicher ist, als Englisch. Ich hab mir auch schon Danke auf Georgisch sagen lassen, aber obwohl ich das zwei Minuten lang im Mund hin- und herfließen habe lassen, hab ich s bald einmal wieder vergessen. Zuerst die zweite Silbe. Dann die erste Silbe. Plopp.

Hab ich gesagt, wie wild gebaut wird, in Eriwan? Vielleicht, meint eine Kollegin, für den Fall, dass die Diaspora über Nacht nachhause kommen will

Hat mich die Arbeit also gleich wieder in ihren Bann gezogen. Weil es interessiert mich schon und ich hab schon einen Spaß dabei, mit den Leuten aus der Welt über Policies und Prozesse nachzudenken. Und so tuckel ich noch ein bisschen durch dieses Eck der Welt, mit seiner jahrtausendealten Geschichte und seinen jahrhundertealten Konflikten und dem guten Obst und den schönen Nüssen; aber im Kopf bin ich oft schon ein bisschen weiter, da denk ich schon eher nach, wo ich meine Füße in den Sand setzen möchte. Auch in die Freude auf Freundinnen und Freunde mischt sich eine Ahnung von fachlichen Unterhaltungen, deren Eckpunkte ich mal nebenher auf einer Serviette notiere…

So ernst ist es gleich wieder, dieses Europa.

Ein eriwanster Eindruck

Gleich von Anfang an hab ich s schon gern. Ich will s natürlich auch gern haben, so ist das nicht. Und so geht s, gleich von Null weg. Und es ist gleich wieder so viel Europa. Warum, frag ich mich, ist das so viel Europa? Vielleicht ist es nur, dass die Architektur ein bisschen geradliniger ist, deutlich massiver, die Häuser Barrikaden gegen das kalte Wetter. Und wahrscheinlich stimmt das auch, dass es eh nicht viel anders ausschaut als manchmal auf Hokkaido. Und die Luft ist klar und der Himmel blau und die Berge hoch. Der Anflug war ziemlich imposant eigentlich, weil wir so über die Eben fliegen und am Horizont schießen mit einem Mal die Berge weit über die Schneegrenze. Aber Eriwan selbst: alles flach.

Gefällt mir gut, aber nicht zuletzt weil der Himmel aber so schön ist.

Weil ja, der Winter. Ich hab sofort den Eindruck, dass Eriwan im Sommer noch einmal eindrucksvoller sein könnte. Irgendwie ist das ja auch sowas, was in meinem Kopf nicht ganz präsent ist: diese Gegenden, in denen es im Sommer sehr heiß ist und im Winter trotzdem sehr kalt. Ich war ja seinerzeit auch in Rumänien schon etwas überrascht, dass die im Sommer locker in die Mittdreißiger kommen, aber es im Winter trotzdem friert. Aber ja, mittlerweile haben wir das ja in Wien ebenfalls. Der Süden kommt zu uns, ob wir ihn reinlassen wollen oder nicht. Na und hier stehen halt bereits viele abgedrehte Springbrunnen, ausgelassene Kunstteiche herum. Aber es ist warm genug, dass die Menschen auf den Parkbänken sitzen. Oder auf der Straße und Obst, ähm, feilbieten: Die Granatäpfel sind aufgestapelt, aber auch Pfirsiche, Zwetschgen, Äpfel und Sharon gibt s zuhauf, außerdem Walnüsse, oh, Walnüsse, säckeweise. Und das kann man alles direkt auf der Straße kaufen, aus Säcken, manchmal aus einem Auto. Man kann das aus einem kleinen Geschäft kaufen, in dem mich der Mann mit seinem fehlerfreien Englisch überrascht hat, oder man kann das im großen Supermarkt kaufen, in dem ich heute war. Der aber wirklich wiederum ein Supermarkt ist, so wie man sich das vielleicht vor hundert Jahren vorgestellt hat: Man kann ganz viel offen kaufen, Obst, Gemüse, Brot sowieso. Auch Käse, Fleisch und Wurst, ein paar Aquarien mit Forellen drin oder Garnelen. Aber es stehen eben auch Bottiche mit Kaffeebohnen (die man daneben dann mahlen kann), Reis, verschiedene Nudeln, Mehl und sogar manche Gewürze: Zimt erkenn ich, was gelbes, was rotes… steht offen herum und ist in kleine Säckchen abzufüllen. Hat mir sehr gut gefallen. Beim Käse hab ich außerdem eine riesige Maschine gesehen, ich glaub, die machen selber Käse im Supermarkt. Und was bleibt dann noch? Nun, ein Drittel des restlichen Supermarkts ist die Alkoholabteilung. Als ich an der Kassa die Frage nach einem Sackerl – scheinbar – verneine, stellt sie fest, gut, kein Sackerl und nimmt dann doch ein Sackerl für meine kleinen Einkäufe (Schokolade, Zahnpasta, Thymiantee). Immer noch verdutzt, was sie wohl mit ihrer ersten Frage gemeint hat, wenn sie mir dann erst ein Sackerl gibt.

Der ausgelassene Schwanensee. Ich weiß nicht, ob der nach dem Ballett benannt ist. Derzeit jedenfalls: no swan. no lake. Dafür Herbstsonnenuntergang in den Wolken.

Ja, ich kauf mir einen Thymiantee für den Hals. Kaum hab ich den Herbst eingeholt, erwischt mich die Verkühlung. Es gibt da verschiedene mögliche Ursachen und wahrscheinlich spielt das alles zusammen. Ich sag gern, dass es wohl damit zu tun hat, dass ich ja zum Arbeiten hier bin und das ist vielleicht jetzt unzutreffend, aber in den letzten Jahren hat mich mein durch die Arbeit strukturierter Lebensrhythmus und dazugehöriger Stress ganz sicher in zwei, drei Verkühlungen pro Jahr getrieben. Aber natürlich sind auch die gefallenen Außentemperaturen eine Überraschung für den Körper. Und noch spezifischer bin ich ja zuletzt elf Stunden lang in Novosibirsk herumgelegen, während ich auf meinen Anschlussflug gewartet hab und das ist vielleicht auch gar nicht so ohne. Überhaupt, das viele unterwegs sein diese Tage. Und in Bangkok hat vielleicht auch diese überraschende Feier ein bisschen beigetragen, mit dem vielleicht nicht ganz durchgegarten Huhn, auch das hat den Organismus etwas angestrengt.

Auf jeden Fall bin ich die ersten paar Tage in Armenien gleich einmal relativ viel daheim herumgelegen, mit dem Versuch mich zu schonen. Dann wiederum hab ich auch versucht, meinen Körper in Schwung zu bekommen und der Erkältung mit einer Aktivierung von Kreislauf und Immunsystem zu begegnen. Ich mein, ja, funktioniert beides entweder nicht oder aber was die eine Taktik funktioniert, kränkt mich die andere, so dass ich da eigentlich relativ in der Stabilen verharre. Es ist ja auch so, dass Krank-Sein nicht so einfach ist, zwischen Sich-Spüren und Konsequenzen für den Alltag daraus ziehen… Hat ja letztlich auch viel mit Verantwortung-für-sich-Übernehmen zu tun und ich merk bei mir die naheliegendste Reaktion ist immer noch, dass ich ja wohl damit heute nicht in die Schule muss.

Aber was ich seh von Eriwan gefällt mir wirklich. Da ist der verschwenderische Umgang mit Granatäpfeln, was mich zugegebenermaßen bezaubert. Da ist die märchenhafte Schrift, die aussieht, als hätte sich die DesginerIn auf den Buchstaben U beschränken wollen. Nein, es hat alles so einen Charme, den ich wohl rustikal nennen muss, weil es nicht genügend andere Wörter in meinem Wortschatz gibt. Steckt das Wort Rost im Wort rustikal? Es ist alles ein bisschen abgenutzt, abgewischt, eingezwickt. Wäsche in den Hinterhof hinaus. Manches wirkt vielleicht ein bisschen nach Sowjet-Chic, aber anderes wirkt auch älter oder ist das Neo-Jugendstil? Es gibt große, breite Straßen und Prunkplätze, es ist aber auch alles wieder mit Autos zugeparkt. Und wenn mitten im Zentrum gerade erst Anfang des Jahres ein großer Park zum zweitausendachthundertjährigen Jubiläum von Eriwan eröffnet wurde, dann wirkt das, als ob da noch einiges im Fluss wäre. Ja, es gibt hier auf jeden Fall die eine oder andere Tradition.

Das Außenministerium. Und davor steht Stepan Schahumjan (1878-1918), seineszeichens armenischer Revoluzionär. Nicht der einzige Bolschewist ist, dem im Zentrum Eriwans ein Denkmal gebaut ist (und schaut aus wie verhältnismäßig unlängst…). Plus, sein Wikipediaaufsatz (naja, der englische zumindest) erzählt uns, dass er gerne friedliche Lösungen für Konflikte gesucht habe.

Jetzt, die Leute, da hab ich mir schon in Novosibirsk gedacht, dass das schon ein massiver Unterschied zu den ThailänderInnen ist. Da sieht man dann oft einen Russen, der doppelt so viel Schultern, doppelt so viel Hals hat und bei den Armeniern ist das nicht viel anders. Und natürlich bin ich da beschämt, mit welcher Leichtigkeit ich die Armenier mit Cartoon Bösewichten assoziiere. Ich mein, das sind jahrelange mediale Wiederholung, die das tief in mich eingegraben hat! Aber mit ihren Lederjacken und den Jogginganzugshosen und den Drei-, Viertagesbärten und den Sonnenbrillen und den Kaugummis und und und

Was ich nicht ganz heraußen hab, ist die Beziehung zu Russland. Ich mein, klar, Teil der Sowjetunion und solche Sachen. Aber jetzt wird hier ja viel Russisch gesprochen auf der Straße und vieles ist in Russisch angeschrieben – ich fand das zum Beispiel relativ amüsant, dass im Englischen Garten die Wegweiser zu den Toiletten nur auf Russisch angeschrieben waren. Und ich werde auf Russisch angesprochen, weil von dort kommt der Tourismus offenbar in erster Linie. Und zu meinem Erstaunen muss ich sagen, diese russischen Einstiegsfragen versteh ich ja sogar oft, weil da ist ja auch der Kontext und da weiß ich schon zirka. Antworten kann ich dann allerdings nicht und so steh ich dann manchmal ein bisschen verloren, wo ich in der Rolle bin, eigentlich jetzt eine Antwort zu geben, aber ich kann meine Antwort halt nicht formulieren (oder bin mir auch gar nicht sicher, ob ich jetzt wirklich verstanden hab, kommt schon auch vor). Und dann muss ich erst wieder irgendwas auf Englisch stammeln. Weil lustigerweise stammel ich ja trotzdem auf Englisch. Ich weiß nicht, vielleicht wäre auf Deutsch stammeln gar nicht so verkehrt. Obwohl, die Jüngeren tatsächlich gut mit englisch sind, quasi die unter vierzig (o mei, wie sich die Bedeutung von die Jüngeren wandelt, auf dem eigenen Marsch durch die Lebensalter). Oder man macht halt das, was die JapanerInnen auch gern eingesetzt haben und lässt sich die Konversation vom Computer übersetzen. Mit meinem Taxichauffeur hatte ich so fast eine Unterhaltung. Ist wie Telefonieren, aber halt nur mit einem Telefon.