Get Packing

Und so mache ich mich wieder auf den Weg. Die (sechs!) Wochen in Melbourne sind schnell vergangen und während ich zum dritten und voraussichtlich vorerst letzten Mal im SkyBus zum Melbourner Flughafen fahre, denke ich daran, wie gemütlich die letzten Wochen waren. Nämlich nicht nur eben die Faule Haut in Melbourne, wo ich in Privatsphäre und Rückzugsmöglichkeit stellenweise untergegangen bin, auch in Indonesien hatte ich immer noch den Einzelzimmerluxus. Ja, daran denke ich vor allem, dass ich jetzt wieder in Stockbetten schlafen werde, auf jeden Fall solange ich noch in Australien unterwegs bin.

Einmal werd ich hier noch wach: Der Blick aus meinem Melbourner Schlafzimmer auf den unerwartet blauen Himmel und einen Hinweis auf eine zeitlicher aufstehende KranlenkerIn.

Ich mache mich auf den Weg für ein paar Tage Tasmanien und dann noch ein bisschen Sydney, bevor ich Australien insgesamt hinter mir lassen werde. Hat s mich doch noch gelockt, die Empfehlungen, mir doch unbedingt noch Tassie anschauen zu müssen und danach noch einen Blick auf die zwei meistfotografierten TouristInnenattraktionen Australiens zu werfen, praktischerweise direkt nebeneinander: Sydneyer Opernhaus und selbigens Harbour Bridge. Ich bin etwas besser vorbereitet als sonst, hab nochmal den dicken Australien Lonely Planet hergenommen und mir ein bisschen eine Reiseroute zurechtgelegt. Ich hab zwar auch meine Fehler gemacht und einen Flug gleich mal verfallen lassen, weil umbuchen einfach teuer gekommen wäre. Aber das hat man halt, wenn man einen Plan macht. Nur wer nicht plant, verplant sich nicht.

Sonst zeigen die Vorbereitungen, dass es insbesondere auf Tasmanien wieder einmal am gschicktesten wäre, ich würde mir ein Auto nehmen, weil es ja hier auch um ein bisschen Wildnis geht, die man sucht. Ich aber plane meine Route wieder entlang des öffentlichen Verkehrs, ich mein, ja, besser als nicht und ich bin eh kaum eine Woche da. Meine Lieblingszeile im Reiseführer bezieht sich auf den Mole Creek, wo geschrieben steht, dass man mit etwas Glück in der Morgen- und Abenddämmerung Schnabeltiere in den Wasserwegen beobachten kann. Hm… Wasserweg? Da ist schnell einmal mein Interesse geweckt, nachdem ich Anfang der Woche eine halbe Stunde in der Dunkelheit des Schnabeltierhaus im Zoo gestanden bin und dort erlebt hab, wie herzig, wie unglaublich herzig, diese Tiere sind. Was auch witzig war, dass ich halt doch lange in dem dunklen Zimmer gestanden bin und die Augen sich immer mehr an die Dunkelbheit gewöhnt haben. Und dann kommen neue BesucherInnen herein und suchen das Schnabeltier in seinem Aquarium, während ich sehe, dass es direkt vor ihnen schwimmt. Das sind fast ein bisschen SuperheldInnenfähigkeiten, die ich da erlebt hab. Und so klein sind sie! Ich glaub, dass ich mir die immer zumindest einen Meter lang vorgestellt habe. Vielleicht dass meine Kinderaugen da irgendwo ein Bild in einem Buch gesehen habe oder dass in Videoaufnahmen die Größenverhältnisse nur so schwer feststellbar sind. Aber sie sind ja nur dreissig, vierzig Zentimeter lang. Und so der Körper von einem Otter (ich mein, nein, aber am ehesten), mit den Watschelfüssen und der Entenschnabel, das ist schon sehr süß von den Voraussetzungen her.

Kinder und Erwachsener kommentieren ihren Erfolg, das nachtaktive Schnabeltier im dunklen Aquarium zu finden.

Jetzt denk ich aber auch ein bisschen daran, was Melbourne mit mir gemacht hat, dass ich, kaum, dass ich am Weg zum Flughafen bin, mich wieder an die Klaviatur meines Notebooks setze, während mir das jetzt geschlagene sechs Wochen lang einfach nicht in den Sinn gekommen ist, ja mich mit Überwindung konfrontiert hat, die ich nicht aufgebracht hab. Letztlich ist das schwierig, aber ein Kernproblem. Es hat irgendwas mit Sinnhaftigkeit zu tun, mit Perspektive und so. Aber auch mit dem Gefühl einfach untertauchen zu können und aus der Welt in mein Zuhause verschwinden zu können, in der Unübersichtlichkeit der ungreifbaren Endlichkeit. In dem Moment, wo ich anfangen habe, mich wieder damit auseinanderzusetzen, nur noch zehn Tage, eine Woche, achtundvierzig Stunden hier zu sein, habe ich wieder eine Dringlichkeit gespürt, die mir dazwischen abgegangen ist. Das Gefühl, von der Welt eine Pause nehmen zu wollen – und trügerischerweise das begleitende Gefühl, das auch tun zu können – ist ja etwas, was ich aus dem Wiener Rhythmus gut kenne und was eines der Hauptmotive war, mich in den Flieger zu setzen. Und wenn ich von Busfahrt zu Busfahrt denke, dann läuft das auch gut. Mit den zur Hand seienden Rückzugs- und Auseinandersetzungsverweigerungsmöglichkeiten verantwortungsvoll umzugehen, das hat mich vielleicht ein wenig überfordert. Wenn ich dann doch einmal einen Ausflug in die Stadt oder eben in den Zoo gemacht habe, hat sich das schnell gelegt. Mit Menschen in Kontakt sein, das ist da eigentlich immer hilfreich. Aber wenn der Zweifel nagt, dann ist das leichteresagtalsgetan…

Na, wenn ich den Zoo nochmal erwähne, dann leg ich da gern auch noch ein Zoobild bei. Bei dem blauen Himmel darf man nicht Kausalität und Korrelation verwechseln! Ich hab das Bild hochgeladen, weil das Licht gut ist. Ausnahmsweise einmal. Und: Ich hab schon so lang keine Giraffen mehr gesehen, ist mir aufgefallen, sind die Schönbrunnernen schon in ihr neues Haus gezogen?

Anyway. Ich hab mir neue Schuhe gekauft und weil fünf Paar Schuhe zu viel sind – I guess das war auch irgendwo Teil der Überlegung als ich in Indonesien so lange gezögert habe, mir Flip-Flops zu kaufen bis ich dann keine gekauft habe – habe ich die Sportschuhe in Coburg gelassen. Das ist ein Euphemismus für Weggeschmissen. In Wirklichkeit haben die auch schon derart gerochen, dass es mir teilweise unangenehm war, sie in der Gegenwart von anderen auszuziehen. Und wenn man, siehe oben, in Hostels wohnt, dann wird viel vor anderen Leuten ausgezogen. Vor allem auch Schuhe. Und selbst Schuhe kaufen ist nett. Ich hab das auch mit der V. besprochen, die Leute sind ein bisschen bewanderter darin, das ganze Verkaufen nicht zu einer mühsamen Erfahrung zu machen, weil sie… nun. Ich weiß natürlich nicht wirklich, wie das ist. Sie sind einfach besser im miteinander reden, kommt mir vor und die Schuhverkäuferin ist mir so auch authentischer vorgekommen. Natürlich: vorgekommen. Ich hab da noch ein bisschen nachgedacht, weil sie, als ich mich dann entschieden hatte und es mit dem Zahlen ans Ende der Transaktion gegangen ist, gesagt hat, ja, auch ihr gefallen die olivgrünen besser als die schwarzen, gegen die ich mich zugunsten der olivgrünen entschieden hab. Und sagt sie das vielleicht einfach so, weil man das sagt, um die KäuferIn in dem Gefühl zu bestärken, sie habe da gerade eine gute Entscheidung getroffen? Weil oft kippt man ja schnell einmal in eine Post-Konsum-Depression, dass man schon wieder Geld ausgegeben hat und schon wieder ein Klumpert mehr hat. Und dann hilft das, ob authentisch oder freundlich ist in der Wirkung recht ähnlich.

Too many shoes on the dance floor!

Meine Sorge ist mehr, dass die olivgrünen Schuhe mit der beigen Hose und dem sandfarbenen Sakko um Aufmerksamkeit ringen, wer wohl den Ton am besten getroffen hätte, weil alle drei können nicht recht haben. Da hab ich auf jeden Fall eine Lektion gelernt, weil meine Garderobe nur beschränkt intern kompatibel ist: Da sind die Brauntöne, die ich nicht miteinander kombinieren kann und dann gibt s auf der anderen Seite die Jeans und den Pullover, die mich gemeinsam in Dunkelblau tunken. Was blöd ist, weil beides zusammen einfach mein wärmstes Outfit darstellt und ich bin schon wieder so weit im Süden, dass es hier so kühl ist, dass ich immer noch jedes Mal überrascht bin, wenn ich feststelle, welches Monat ist. Jetzt schau ich drauf, dass ich den Pullover mit der beigen Hose trage, dann tendiere ich aber zur weniger warmen Jacke… es ist alles nicht so einfach. Es ist etwas besser, wenn s warm ist. Das Grün meiner kurzen Hose schlagt sich nur mit zwei, drei T-Shirts aber da hab ich zum Glück eines meiner wenigen schwarzen Kleidungsstücke zur Alternative.

Wie dem auch sei, ich hab neue Schuhe und die sollen halbwegs wasserdicht sein, sie sind angenehm zu tragen, hübscher als die schwarzen und außerdem etwas leichter und weil sie insgesamt doch weniger stabil als die Laufschuhe sind, sind sie auch etwas besser einzupacken weil besser flachzudrücken, was ja auch kein Fehler ist. Eigentlich könnte ich fast auf die rauhledernen verzichten… aber dann wiederum hab ich im Südpazifikreiseführer einen Satz über französische Cafés gelesen, in denen ich auf Tahiti sitzen werde und dem regen Treiben im Hafen zuschauen werde. Dafür sind die rauhledernen vielleicht nicht schlecht.

Den Rucksack neu zu packen hat mir doch ein bisschen zu denken gegeben. Ich würde das wohl heute anders machen als vor einem halben Jahr. Da hab ich zumindest was gelernt. Gestern ist mir der Rucksack dann zunächst auch so leer vorgekommen, grad halb voll mit meinem Gewand und so… Am Weg zum Flughafen heute hab ich dann gemerkt, dass ich auch mein Handtuch in Coburg gelassen hab, was jetzt allerdings kein Euphemismus ist, sondern ein Unglück, das mich mental die Hände über dem Kopf zusammenschlagen lässt. Ausgerechnet das Handtuch vergisst er… Es ist so komisch, weil ich heute in der Früh noch die Zimmer kontrolliert habe, ob ich irgendwo was liegen gelassen habe: Strategisches Ausziehen, ein Zimmer nach dem anderen: Schlafzimmer – Check!, Badezimmer – Check!, Wohnzimmer – … mnja, bisschen komplizierter, weil ich da noch den Mist rausbringen muss. Aber als ich nach dem Badezimmercheck die Stufen ins Erdgeschoss runtergestiegen bin, hab ich mir echt gedacht, es ist so seltsam, dass ich das so mache, weil ich seh doch gar nicht richtig, was ich da anschaue, weil mir diese Zimmer so vertraut geworden sind, sie so von mir in Beschlag genommen worden sind, dass ich das gar nicht wirklich sehe, wie sie anders sein sollten, ohne mich. Oder was in der Art, ganz genau kann ich den Gedankengang jetzt nicht mehr rekonstruieren. Aber ich hab auf jeden Fall darauf reflektiert, dass ich hier die Zimmer checke und irgendwie muss ich auf irgendeiner Ebene festgestellt haben, dass ich das nicht ordentlich mache, weil ich da gerade mein hängendes Handtuch übersehe, während ich glaube, kontrolliert zu haben, nichts vergessen zu haben.

They didn’t even call the flight, did you hear them call the flight?“ Nicht nur, dass der Flug nicht ausgerufen wurde, das Gate war auch gesperrt, während wir geboarded sind. Haben. Eingestiegen sind.

Und jetzt bin ich sans Handtuch in Tassie. Auf der anderen Seite, abgesehen davon, dass das Handtuch liegen zu lassen für einen Reisenden schon ein schlechtes Omen ist, ich hatte auch schon seit einiger Zeit vor, mir ein anderes Handtuch zu kaufen. Weil es da diese leichten Handtücher gibt und während ich zwar oft einmal finde, dass ein Handtuch gar nicht so schwer ist, vor allem ein trockenes, sind diese leichten Handtücher doch deutlich, naja, leichter und insgesamt platzsparender. Und trocknen tun sie letztlich auch flotter. Als doch recht konservativer Adopteur von Innovation, hab ich halt einfach irgendwo ein normales Handtuch lieber als so eines aus irgendwelchen Weltraumfasern und halte sie deshalb ein bisschen für Unfug, eine Spielerei für überausgerüstete, ein Accessoire für Am-Puls-der-Zeit-Reisende, ein Gimmick.

Ausgerechnet das Handtuch.

Nevertheless. Ich werde jetzt einmal in den Outdoorshop gehen und mich nach einem Spaceagehandtuch umsehen.

über Stock und über Stein

In Wirklichkeit hab ich mich ganz flott an Medan gewöhnt. Nein, das ist nicht einmal richtig, ich würde sagen, ich habe eigentlich ganz flott gelernt, einiges in Medan lieb zu gewinnen, sodass es mir heute fast leid getan hat, dass ich etwas verfrüht abgerauscht bin. Aber ich hab dann eine etwas günstigere Mitfahrgelegenheit bekommen, um in den Urwald zu kommen. Und stell dir vor: ich bin jetzt im Urwald. Also, nicht so richtig, weil ich hab Internet und wohne in einem Haus mit Dusche und einem Ventilator. Aber es sind Affen auf meinem Dach und der Wald ist hinter mir.

Es sind Affen auf meinem Dach!

Aber ja, Medan. Ich war gestern einmal spazieren in der Stadt. Das schwierige ist, dass es so wenig zum Niederlassen einlädt. Also, es sitzen schon Leute auf der Straße herum, wie gesagt, auch in der Stadt sind die IndonesierInnen große FreundInnen des Rumsitzens. Aber ich stech so heraus aus dem Ganzen, dass ich mir das einfach nicht gemütlich vorstelle. Aber immerhin, das Rausstechen ist schon auch das Gute. In den letzten zwei Tagen bin ich doch ein bisschen aus meinem Hotelzimmer und aus mir selbst heraus und sei s nur, um meine Geschäfte zu erledigen: Hier ein Huhn mit Reis, hier zwei Flaschen Wasser, hier eine Obstmischung. Und die Auseinandersetzungen sind eigentlich total lieb. Die Unterhaltungen. Aber oft ist halt nicht genügend Englisch, geschweige denn Indonesisch zur Verfügung. Aber weil sie gemeinsam rumsitzen, wird oft einmal jemand zur Hilfe herangezogen, die dann zwei Wörter übersetzt. Oder wir sagen einander einfach solange in unseren jeweiligen Sprachen, was wir von einander wollen, mit der Unterstützung von Händen und Füßen, bis wir verstehen, was geht.

Rausstechen schaut dann übrigens so aus: Im Supermarkt werde ich geheim von zwei Mädels gefilmt (aber schlecht geheim). Im Hühnergeschäft lass ich auf Wunsch Selfies mit mir machen – das Wort ist längst ein Synonym für Foto. Dabei werde ich übrigens zum Lächeln aufgefordert und merke, wie wenig ich Zähne zeige und wie schnell mir das Gesicht einfriert, wenn ich mich bemühe, Zähne zu zeigen. Insgesamt finde ich das schon charmant, aber ich komm mir natürlich auch komisch dabei vor.

So gern ich fotografiert werde, so schüchtern bin ich hier beim ersten Mal im Hühnergeschäft beim Fotografieren aus der Hüfte. Aber wie man sieht ist einiges los, die Leute stehen an für ihr Huhn. Dementsprechend war das Schäkern da auch auf Minimum.

Aber sonst, ja, ich mag das schon, das sind so ein paar Momente, wo ich das Gefühl habe, Leute freuen sich einfach, mich zu sehen, sind auf eine seltsame Art und Weise von mir fasziniert – ist ja in Wahrheit schwer vorstellbar für den Herrn von Welt und dementsprechnd plump ist hier die Beschreibung meines Gefühls dazu. Natürlich schmeichelt mir das, aber letztlich weiß ich kaum damit umzugehen. Wenn mir die eine Standlverkäuferin beim Vorbeigehen so offen zulächelt, dann reißt mich das heraus aus meiner allgemeinen Überforderung mit der Stadt. Aber es irritiert mich natürlich, nicht zuletzt, weil ich so viel über Weißes Privileg gelesen hab in V.s Dissertation.

Aber natürlich ist nicht jeder Kontakt auch eine Freude, nicht zuletzt weil s da auch noch eine Tendenz zum Genderbias gibt. Von den Männern hab ich öfter so ein Hey, Mister von der Seite oder sogar erst hinterher gehört. Und da weiß ich echt nicht, was ich damit tun soll. Oft ein Hey, Mister, manchmal ein Sir, einmal wohl ein Monsieur und von einem alten Mann, der in einer Schubkarre gelegen ist ein Hello friend. Aber es geht mehr darum, so von hinten angesprochen zu werden, what gives, oida! Und von dem einen Typen bei mir aus der Gasse, der hat mich wohl gefragt, ob ich Hunger habe, aber die Geste, die er dazu gemacht hat, wo er mit der flachen Hand vor dem Gesicht Kreise gezogen hat und und sich dann an den Mund fasst, das war eher seltsam als einladend.

Ach ja, Indonesien, das Land mit der größten muslimischen… das größte muslimische… die meisten MuslimInnen in einem Land.

Aber ich war heute quasi noch für ein Frühstück bei meinem Hühnerstand, wo man mich fröhlich begrüßt hat und ja, ich denk mir, schade eigentlich, diese zehn Minuten, die ich auf mein Essen warte, da komm ich ein bisschen ins Sozialisieren, da freu ich mich gemeinsam mit anderen über gelingende Kommunikation und über Wertschätzung. Ich mag das Essen und sie mögen, dass ihnen ein exotischer Ausländer im Geschäft steht. Das ist ein schöner Moment, das kann mir abgehen, das wäre eventuell ausbaufähig. Und tatsächlich hab ich s auch mit dem Obstmann, zwanzig Meter weiter ganz lustig, auch wenn wir gar keine Wörter haben, um einander zu verstehen. Es sind Menschen, die mich ein bisschen aufgefangen haben in meinem Verlorensein. Und ich werde sie nie wieder sehen.

Hier der Blick von der Terrasse über meine Gasse. In meiner Annahme, der Name des Hotels ließe auf westliche Touristen schließen, hab ich mich geirrt, auch in Indonesien ist Englisch einfach cooler.

Ich werde abgeholt und wir fahren nach Bukit Lawang. Im Auto sitzen K. und D. aus Deutschland, die gerade zwei Tage in Kuala Lumpur verbracht haben und ein bisschen Indonesienurlaub vor sich haben. Der Verkehr ist ein Wahnsinn, die Hupe klingt dauernd um jedes Überholmanöver anzukündigen und da sind viele Überholmanöver. Dann wiederum fahren wir zehn Minuten im Schritttempo, weil wir Schlaglöchern ausweichen müssen. Und wir stehen eine halbe Stunde in der Tankstelle, weil Effizienz im Handel hier einfach klein geschrieben wird. Selbst im Supermarkt dauern zwei Flaschen Wasser und ein Sackerl Bohnensnacks eine Minute und länger, obwohl man die scheinbar auch nur über den Scanner ziehen muss. Aber ich hab ja keinen Stress.

Bukit Lawang (je öfter ich den Namen schreib, desto eher merke ich ihn mir jetzt einmal…) ist im Urwald. Zumindest auf einer Seite, weil die letzte halbe Stunde sind wir durch Palmölplantagen gefahren. Das hat zuerst ausgeschaut wie Urwald, aber dann ein bisschen zu ordentlich, zu wenig Busch. Und ich hab mich die längste Zeit gefragt, mit was die großen Trucks beladen sind. Adieu, cher Regenwald. Aber deshalb gibt s ja auch den Nationalpark. Und der Nationalpark beheimatet gut fünftausend Orang-Utans und auch darüber hinaus plenty of wildlife, aber die OUs sind die Stars. Und die geh ich mir dann anschauen, ab Montag. Jetzt einmal „nur“ die Affen, die hier herumturnen. Was ist das, Gibbons? Aber das ist schon sehr cool, Affen auf dem Dach. Cooler als Papageien in den Bäumen? Schwer zu sagen. I guess frei fliegende Papageien sind sogar lässiger, weil die Affen sind letztlich nicht viel anders als die auf der Affeninsel in Schönbrunn. Aber ist ja kein Wettbewerb!

’s sind übrigens Makaken. Auf der Affeninsel sind s Gibbons, deswegen wahrscheinlich… Und jetzt drehen mir echt alle den Rücken zu, wenn ich ein Foto mach!

Insgesamt bin ich allerdings erschöpft. Ich weiß nicht genau: der Kulturschock? Das Essen? Die Luft? Ich bin nicht ganz auf der Höhe, merke ich, bisschen Kopfweh, bisschen einfach überanstrengt, obwohl ich kaum was unternommen habe, die letzten Tage. Vielleicht ist es auch, dass ich seit drei Tagen keinen Tee getrunken hab.

The one where he talks about birds – again

Ich glaub, Neuseeland ist eine zweite Vogelfolge wert. Immerhin waren Vögel ja die dominante Lebensform, bevor die ersten Menschen ihre Fußstapfen in den Sand getreten haben. Und erst die Europäischen EinwandererInnen (Pākehā) haben ihre Säugetiere mitgebracht: Den einen haben sie die einheimische Flora großflächig umgestaltet, nämlich Schafen und Kühen – für die ganze Landschaften mit europäischen Gräsern bepflanzt wurden –, die anderen haben von sich aus die vorhandene Fauna aufgemischt. Letzteres in erster Linie Ratten, Mäuse, Katzen, Hunde, Opossums, Frettchen und Marder. Und weil die neuseeländischen Vögel zum Teil nicht einmal ihre Nester in den Bäumen gebaut haben, haben sich eingeschleppten Allesfresserchen und die ihnen nachgeschleppten Jäger über das Federvieh hergemacht, dass es buchstäblich die Hälfte auch getan hätte.

Es gibt dieses hübsche Poster neuseeländischer Vögel. Besonders witzig ist, dass in der Legende auch die Größenverhältnisse angegeben sind.

Und weil der Mensch lernt oder zumindest angesichts der ausgerotteten Tier- und Pflanzenarten eine gewisse Reue an den Tag legt, versucht man heute, Reservate zu schaffen, zu denen die Vögeltöter keinen Zugang haben. Das Paradebeispiel ist die Geschichte von „Old Blue“, die Anfang der Achtziger das letzte Weibchen einer kleinen Vogelart (Petroica traversi) auf Chatham Island war und die, dank enormer Bemühungen, zur Stammmutter von heute etwa zweihunderfünfzig Chatham-Schnäppern wurde. Das gelingt weil Neuseeland ja viele Inseln ist, die mehr oder weniger gut kontrollierbar sind und da macht man ein Reservat quasi nach dem anderen und schafft den Vögeln dort Lebensraum. Und sie ist man in Neuseeland auch durchaus stolz auf die lokale Vogelwelt, die ja doch in vieler Hinsicht was besonderes, was eigenes und was herausragendes ist. Quasi: die Beuteltiere Neuseelands. Und man kann dementsprechend kaum irgendwo um die Ecke gehen, ohne irgendwo schemenhaften Kiwiabbildungen gegenüberzutreten.

Einer der imposantesten und sicherlich für die frühe Besiedelung durch die Māori nicht unwesentlichen Vögel, ist der Moa (Dinornis). Zur (unmerklichen) Schonung des gesamteuropäischen Karmas, waren sie leider schon ausgestorben, bevor Abel Tasman hier sechzehnzweiundvierzig seinen europäischen Fuß an Land gesetzt hat. Ach, hätten wir doch bloß heute noch eine Handvoll Moas bei der Hand, würde die ganze Diskussion über die Lächerlichkeit gefiederte Dinosaurier nur ein halbes Gespräch und einen deutlichen Fingerzeig dauern. Ein drei Meter großer Vogel mit Horrorklauen sollte jedeR SkeptikerIn zumindest das lächerliche Argument des „gefiederten Huhns“ entkräften.

Die feinen Illustrationen urzeitlicher Tiere Heinrich Harders.

Im Museum von Christchurch lerne ich, dass man Moas heute in sechs bis neun Arten unterscheidet, die aber allesamt vor vierhundertfünfzig Jahren ihre jeweils letzten Eier gelegt haben. Interessant ist außerdem, dass wie so oft Unklarheit über die Verwandtschaftsverhältnisse besteht. Ich höre immer wieder, dass die nahen Verwandten der Moas die Kiwis und der Strauß sind. Und ich stelle mich und meine Behauptungen einmal mehr auf die wackeligen Beine, eines welchen, der sich in seinen Quelle auf Wikipedia beschränkt: Die nächsten Verwandten der Moas, so sagt man heute, wohnen in Mexiko und nennen sich Steißhühner (Tinamiformes). Das Lesen des Artikels macht sich vor allem für jene bezahlt, die gerne ihr Wissen über ausstülpbare Vogelpenisse erweitern möchten. Hingegen sind Kiwis, Emus, Kasuare und gar der Vogel Strauß, eher Cousinen als genetische Geschwister der Moas.

Die ersten Tage in Neuseeland bekomme ich außer den allgegenwärtigen Stockenten (Anas platyrhynchos) ehrlicherweise nicht viele Vögel zu Gesicht. Vielleicht, dass ab und zu einmal einem Paradieskasarka begegne, der auf Māori Pūtangitangi (Tadorna variegata) heißt. Ein Kasarka, das ist im Wesentlichen etwas zwischen Gans und Ente. Die Weibchen sind mit ihrem weißen Kopf eher die auffälligen, wohingegen mir die dunkel gehaltenen Männchen mir wahrscheinlich kaum aufgefallen wären. Wenn also überhaupt, dann hab ich wohl mal ein vereinzeltes Pärchen gesehen oder was. Meine erste größere Gruppe hab ich am Strand von Oban auf Rakiura (Steward Island, aber ich hab so lange gebraucht, bis ich mir den Māori Namen gemerkt hab, dass ich den jetzt verwende) gesehen, dort sind sie gemeinsam am Spielplatz gelegen, bevor sie sich daran gemacht haben, vom Rasen zu naschen.

Die sind so herzig, weil sie so pausbackig-verschmitzt dreinschauen!

Dann ist mir ein Purpurhuhn namens Pūkeko (Porphyrio melanotus) über den Weg gelaufen. Die sind, wie ich lerne, bekannt für ihre Hinterhältigkeit, zumindest in der Māori Mythologie. Nachdem ich jetzt ein bisschen darüber nachgedacht hab und mir das von der Verbreitungslandkarte bestätigen habe lassen, werde ich mein erstes Pūkeko wohl noch im botanischen Garten in Melbourne gesehen haben. Das hat bei mir schon Faszination ausgelöst, weil schön sind die eigentlich nicht, aber halt doch fantastisch, kann ich mir nicht helfen. Mittlerweile hab ich auch hier das eine oder andere rumstaksen gesehen und ich mag die Rumstaksevögel ja gern.

Tatsächlich in Neuseeland habe ich einen Gelbaugenpinguin (Megadyptes antipodes) gesehen. Einen. Das war in Oamaru und ich hab mir einen Sonnenbrand dabei geholt. Zuerst waren wir auf der Suche nach den Zwergpinguinen (Eudyptula minor), aber für die haben sie Eintritt verlangt. Und für beide Pinguinarten hat gegolten, dass sie tagsüber im Meer unterwegs sind und am Abend nachhause kommen um sich in ihren Höhlen zu verstecken. Wir sind dann über den Berg drüber geklettert – mehr ein Hügel tatsächlich, darauf hat die Innsbruckerin bestanden – um auf der anderen Seite den Strand der Gelbaugenpinguine zu finden. Was wir dort gefunden haben waren Paua Muscheln und ich habe in der Elster (Pica pica) mein Totemtier entdeckt: Ich hab s einfach nicht geschafft, diese Muscheln liegen zu lassen, und es ist wirklich mehr gewesen, weil sie so hübsch perlmuttern schimmern. Ein gutes Dutzend hab ich gesammelt, wie Römerhelme ineinander gestapelt und bald einen parallel laufenden, internen Konflikt aufgerissen, weil es gibt nichts wenig unsinnigeres, als beim Backpackern Muscheln mit sich herumschleppen. Ich sammel ja auch regelmäßig mal Federn auf, aber die sind wenigstens von berufswegen leicht und selbst die schmeiß ich regelmäßig weg, wenn ich wo eine finde, die ich nicht mehr zuzuordnen weiß. Gerade für die Paua Muscheln gibt es ja als warnendes Vorbild jenes ältere Paar, das ganze Haus voll hatte, das sie dann nach Christchurch ins Museum gestellt haben. So hab ich wenigstens immer vor Augen gehabt, wohin das führen würde, sollte ich nicht in der Lage sein, die Dinger liegen zu lassen. Letzten Endes hab ich zuerst ein paar und dann die anderen auch noch liegen gelassen. Und die eine, die ich seit dem bei mir trage, stinkt so sehr, dass ich sie eh öfter bereue als nicht. In den Bergen hab ich die Gelegenheit, das ganze Hostel für mich selbst zu haben, einmal genutzt, um sie auszukochen. Aber nach dem vierten Mal hat sich immer noch nicht allzu viel getan, bis auf dass die Außenschale jetzt hässlich ist.

Fred und Myrtle in ihrem Muschelhaus

Am Gelbaugenpinguinstrand haben wir außerdem einen Haufen Seehunde Seelöwen (Phocarctos hookeri) angetroffen, die gerade dort in der Sonne herumliegen. Angeblich sind die auch am Land mitunter schneller als ich, aber das hab ich erst nachher gelernt und zweifle ich seit dem auch an. Es ist einfach schwer vorstellbar, dass Tiere, die so gut in Gemütlichkeit zu sein scheinen, insgeheim SprinterInnen sein sollten. Was sie auf jeden Fall haben, sind ziemliche Klauen an den Hinterbeinen. So nah dran waren wir dann doch. Hätten wir nicht sein sollen, hat die Dame uns gesagt, die um dreiviertel Vier gekommen ist um uns zu sagen, dass wir seit halb eigentlich nicht mehr da sein sollten. Weil nämlich: wenn die Pinguine sich nicht sicher fühlen, dann kommen sie einfach nicht nachhause. Und das sind sie dann auch nicht, zumindest nicht innerhalb der neunzig Minuten, die wir in der Nachmittagssonne gestanden sind, über die faulen Robben Seelöwen lästernd, denen wir die vermeintliche Angst der Pinguine in die Schuhe geschoben haben.

Hier wird gewarnt, wo wir gesucht haben.

Wirklich mit den Vögeln hat es dann erst auf Rakiura angefangen. Rakiura ist im Süden von Neuseeland, die „dritte Insel“, wie einige Lustige sagen, aber viele dürften das nicht sein. Insgesamt wohnen nicht einmal vierhundert Leute in Oban, dem einzigen Ort der Insel, kaum sechshundert insgesamt auf der Insel. Dafür gibt es aber große Bemühungen, den Ratten, Opossums und was sonst noch am Vogeltöten und Eierpecken ist, auf der Insel den Garaus zu machen. Ich war etwas überrascht, dass es im Supermarkt so viel Katzenfutter zur Auswahl gab, aber hey!, sollen sie zumindest gut gefüttert sein, vielleicht gehen sie dann weniger auf die Vögelchen.

Der erste Vogel, dem ich auf meiner Dreitageswanderung begegnet bin, war ein Tūī (Prosthemadera novaeseelandiae). Und eigentlich hab ich ihn zuerst gehört und erst dann gesehen. Der Tūī ist ein Honigfresser, die kennen wir noch aus Australien. Und er hat – sehr witzig – ein weißes Federbüschel am Hals hängen, bisschen wie ein aufwendiges Mascherl. Und er singt ausgiebig und eindrucksvoll. Ich bin vor dem Baum gestanden, in dem er auf und ab gehüpft ist und war natürlich ganz hin und weg: drei Tage Wanderung vor mir und dementsprechend viel Energie, Enthusiasmus und Trockenheit in den Schuhen. Da ist jedes Naturerlebnis gleich noch einmal so erlebnisreich.

Tūī y yo

Auf Māori Beach bin ich dann meinen ersten Austernfressern (Haematopus finschi) begegnet. Nachdem auch diese Vögel Staksen zu ihrer vornehmlichen Fortbewegungsmethode ausgewählt haben, sind sie mir natürlich von vornherein nah am Herzen. Außerdem haben sie einen sehr roten Schnabel und ein im Vorbeigehen durchaus beobachtbares Sozialleben. Während ich ihnen zugeschaut hab, ist der eine eindeutig dem anderen ständig leicht unterwürfig hinterhergelaufen, hat nie den Schnabel in den Sand gesteckt, wo nicht zuerst der andere schon gebohrt hatte. Und dann ist er auch noch lautstark verjagt worden, weil laut können sie auch werden.

Ebenfalls mir bereits aus Australien bekannt ist der Fantail, zu Deutsch kompakt Neuseelandfächerschwanz (Rhipidura fuliginosa) genannt oder halt auf Māori Pīwakawaka. Und die gewinnen fast im Herzigsein. Den ersten hab ich auf einem Parkplatz in Cairns gesehen, wo er minutenlang vor mir auf und ab gehüpft ist und – nomen/omen/etc. – den Schwanz wie ein ganz ein kleiner Pfau aufgefächert hatte und damit hin- und hergewippt hat. Witzig auch, und da ist der neuseeländische nicht viel anders, dass Willie Wagtail (Rhipidura leucophrys – und interessant, weil die wagtails sind eigentlich Stelzen, der Name also nicht nur ein fahrlässiger Ausflug in den Kolloquialismus, eine falsche Zuschreibung auch noch!), wie der australische Fächerschwanz heißt, auf dem ansonsten dunklen Kopf deutliche weiße Streifen über den Augen hat. Wie man vom Orca und dem Marienkäfer weiß, verwechselt man dadurch leicht einmal, wo tatsächlich die Augen sind und es gibt ihm eine gewisse, wie ich finde, Strenge. Vielleicht sehe ich mehr buschige Augenbrauen als Augen…

Auf Rakiura gibt es dann noch – ich bin ganz offenbar in der Herzigkeitsabteilung der neuseeländischen Vogelwelt gelandet – den South Island Robin (Petroica australis). Und jetzt reicht s mir schon langsam mit den blöden deutschen Namen! Weil, natürlich war ich jetzt gespannt, wie der bei uns genannt wird, nachdem ein Robin ja ein Rotkehlchen ist. Und man sieht ihm natürlich sofort die Ähnlichkeit zu unserem Rotkehlchen an, auch wenn ihm die bezeichnende Kehlchenfarbe fehlt. Und ja, auf deutsch wird er Langbeinschnäpper genannt. Unsexy! Aber korrekt. Weil wie uns Wikipedia.de lehrt (ja, übrigens, wider den Uploadfilter und all das!), dass „[d]ie Schnäpper […] nicht […] mit den auch in Europa verbreiteten Fliegenschnäpper [zu denen das Rotkehlchen gehört, Anm.] (Muscicapidae) [zu verwechseln sind], mit denen Sie [sic!] nur fern verwandt sind.“

Kleiner, neugieriger Kakaruai.

Auf jeden Fall hatte ich einige sehr nette Begegnungen mit – nennen wir sie bei ihrem Māori Namen – Kakaruai. Insbesondere auf Ulva Island, wo ich nach meiner Dreitagstour einen Ausflug hingemacht hab. Da hat uns schon der sympathische Skipper Peter darauf aufmerksam gemacht, dass, wenn wir uns langsam bewegen, regelmäßig stehenbleiben auf unseren Spaziergängen, dann kämen die Vögel zu uns, weil sie in uns eine Nahrungsmittelquelle sehen. Und sie seien nicht hinter unserem lunch her, sie sind hinter den Insekten her, die wir aufscheuchen, wenn wir beim Gehen den Boden aufwühlen. Das war dann auch so, dass da einmal drei kleine Kakaruai um mich herum gehüpft sind und hinter mir im Boden gepickt haben. Natürlich ist jede Bewegung zu viel und der Griff nach der Kamera ist unmöglich, ohne sie zu verjagen. Insofern steh ich dann und schau und freu mich. Eine Führerin hat etwas später einen Kakaruai angelockt, indem sie diese Zigaretten-austreten-Bewegung gemacht und damit ein leckeres Würmchen freigelegt hat.

Auf dem Boot in Richtung Ulva Island kann man schon aus einer gewissen Distanz die Māori-Fruchttaube oder Kererū (Hemiphaga novaeseelandiae) erkennen, die in hohen Bögen aus dem Wald herausfliegt und sich dann wieder in denselben fallen lässt. Ich hab keine Ahnung, was sie dabei machen… Auf der Wanderung ist mir allerdings einmal eine mitten am Weg gesessen. Riesiges Ding. Wir schauen uns kurz an, bevor sie sich auf den nächsten Baum gehievt hat. Dabei wirkt sie wahnsinnig sauber. Weil halt weiße Federn machen schnell einmal den Eindruck, dass es sich umein besonders sauberes Tier handelt und dann der bunt schillernde Kopf, auch ziemlich cool. Sie machen ein ziemlich lautes Geräusch beim Fliegen, wobei ich mir nicht ganz einig war gemeinsam mit einem fellow Tourengeher, ob sie das Geräusch einfach mit den Flügel machen oder tatsächlich irgendwie aus dem Schnabel heraus.

Schwer vorstellbar, die Innenstadt voll mit diesen Vögeln. Aber wie so oft finde ich, es wäre einen Versuch wert…

Nachdem mich der Mitwanderer eines Abends auf die Geräusche einer Eule aufmerksam gemacht hat, die wir allerdings nur zu hören bekommen haben, bin ich natürlich versucht, ihm zu glauben, dass das tatsächlich ein Laut ist, den die Taube macht. Andererseits gibt s nur eine Eule in Neuseeland und dass da draußen eine Eule zu hören war, das hätte ich vielleicht auch knapp so erraten. Allerdings nennen sie ihre Eule Morepork (Ninox novaeseelandiae), was sie onomatopoetisch erklären. Ist interessant, weil man möchte das ja gerne für indigene Namen annehmen, aber die Māori nennen sie Ruru. Mit etwas Fantasie und wenn man sich nicht abends über einen Vogel amüsieren möchte, der mehr Schweinefleisch verlangt, dann geht sich für Ruru allerdings auch eine mehr oder weniger onomatopoetische Erklärung aus. An ihrem deutschen Namen lässt sich dann auch erkennen, dass es sich natürlich gar nicht um eine Eule sondern um ein Kauz handelt. Einen Neuseeland-Kuckuckskauz. Und jetzt halt dich fest: „Sein tiefer zweisilbige [sic!] Ruf ‚buh-buk‘ erinnert an einen Kuckuck.“ Meine like-the-city-Bemerkungist leider von niemandem aufgegriffen worden. „Was bis du für eine software engineer, wenn du deine Scheibenweltreferenzen nicht parat hast?“, hab ich nicht gesagt.

Morepork in Terry Pratchetts Wappen.

Was wir nicht gesehen haben, ist der Kiwi (Apteryx). Also, ich hab ihn nicht gesehen. Der anstrengende Deutsche hat einen gesehen und vielleicht der eine oder die andere WandererIn ebenfalls. Aber die tragen auch nicht das Attribut anstrengend vor sich her und haben deswegen auch weitgehend ihren Schnabel ob diverser Kiwisichtungen gehalten. Ich hab einen gehört, mitten in der Nacht und in Folge die Hälfte der BettenlagerliegerInnen aufspringend und sich Kiwigeräuschbestätigungen zuraunend erlebt. Aber raus sind tatsächlich nur wenige mit ihren roten Lampen. Und soweit ich das im Halbschlaf mitbekommen hab, haben die auch keine Kiwis erwischt. Ich hab in der selben Nacht ein Reh (Odocoileus virginianus) gesehen, als ich auf einen Sprung meinen Urin raustragen war. Die haben sie dort ausgesetzt, damit die JägerInnen was zu schießen haben. Anschließend hatte ich tagelang Sting im Kopf, weil mein Unterbewusstsein der Meinung gewesen war, dass es unsinnig sei, mit dem roten Licht den Kiwis hinterherzujagen. Letztlich eignet sich Roxanne aber eh schlecht für einen Ohrwurm, so melodiös ist das wirklich nicht.

Kiwidarstellung am Infoboard der Bunkers Backpackers in Oban

Während man auf Rakiura auf Schritt und Tritt Rattenfallen findet, ist es auf Ulva Island bereits gelungen, die Jäger auszurotten und deshalb ist das dort ein ziemliches Paradies für Vögel. Es ist nicht ganz so abgesichert, wie Codfish Island, das westlich von Rakiura liegt. Dort gibt es eine von zwei übriggebliebenen Kākāpō Populationen (Strigops habroptila). Ich habe ähnliche Sicherheitsvorkehrungen für Ulva erwartet, aber letztlich war ich nicht unglücklich, dass außer dem Hinweis, dass wir bitte unsere allfälligen Ratten auf Rakiura lassen sollen, keine besonderen Maßnahmen getroffen wurden. Ich hab sogar einen Apfel mitgehabt, obwohl wir auch keine Samen auf die Insel mitnehmen sollten. Aber dann wiederum lässt sich aus einem Industrieapfel wohl eh kaum ein echter Setzling ziehen, oder irr ich mich? Vorauseilend wie eh und je habe ich den Apfel jedoch unangebissen wieder zurückgebracht.

Hier ist die Kakapo-Folge von Last Chance to See, in der ich zum ersten Mal von dem Vogel gehört hab (und die unheimlichen Wetas, riesige neuseeländische Insekten, ca. 17:15). Last Chance to See, nur zur Ergänzung, hat neunzehnneundundachzig als ein Projekt von Douglas Adams und Mark Carwardine angefangen, in dem er dem Aussterben-nahe Tiere aufgesucht hat. Stephen Fry hat sich zwanzig Jahre später mit Mark und einem BBC Budget auf seine Spuren begeben. Ich beginne hier ca. bei der Hälfte, wo sie sich aus Invercargill nach Codfish aufmachen.

Auf Ulva hab ich noch eine Wekaralle oder einfach Weka (Gallirallus australis) gesehen. Kann man leicht mit einem Kiwi verwechseln und so lange hab ich mich dann doch damit beschäftigt, der Weka beim Baden zuzusehen, um ihren Schnabel ins Bild zu bekommen – in meinen Augen der einzige sichere Test, ob es sich nicht doch um einen der dreißig bis vierzig Kiwis handeln sollte, die auf Ulva leben. War nicht. Und dann springt die Weka auf und ratz fatz in den Busch. Und aus dem Geäst fliegt mir ein Kākā entgegen. Oh ja, großer, dunkler Kākā (Nestor meridionalis), der sich eineinhalb Meter mir gegenüber auf einem Ast niederlässt und mich mit seinen schwarzen Augen mustert. Das war schon beeindruckend, irgendwie hatte ich doch ein anderes Gefühl von Intelligenz in Anbetracht dieser Augen, als wenn mich, sagen wir, ein Fliegenschnäpper betrachtet. Ist auch herzig, aber das ist fast eine Begegnung.

Sie haben schon ein schönes Federkleid, die Wekas, ganz ehrlich. Viel zu sehen gibt s trotzdem nicht.

Natürlich, der Name, das ist schon schwierig. Auf Rakiura bin ich auf einen Aussichtshügel gestiegen und da kommt mir eine vielleicht Sechsjährige entgegen, die mir mitteilt, dass weiter vorne ein guter Ausblick ist und dass da Bänke sind und ihr Vater. Und ich war gerade dabei, in den Bäumen zwei Kākās zu finden, die ich an ihrem Flügelschlag und Gekrächze dort vermutete. Und in dem Moment seh ich auch den einen und sag zu ihr, dass da oben, also, wenn sie von hier da rauf schaue… Es ist nicht so einfach – insbesondere einem Kind gegenüber – festzustellen, dass da in den Bäumen ein Kākā zu sehen sei. Noch dazu war ich mir zu dem Zeitpunkt gar nicht sicher, ob s da nicht verschiedene Unterarten gäbe, ich dachte, das irgendwo auf einem Poster gelesen zu haben. Und man will ja einer Sechsjährigen keinen Unsinn erzählen. Bin mir nicht ganz sicher, ob sie sie gesehen hat, aber ich bin mit Vater und Tochter am Nachmittag auf der Fähre gewesen und da hat sie auch noch gerne mit mir geplaudert.

Die zwei Kākās in den Ästen über mir waren schon toll, aber natürlich, dass ich zwei Stunden später einem im Wald gegenüberstehen würde, das hab ich mir da noch nicht gedacht. Und es war auch nur ein Moment, weil mit zwei drei Sätzen ist der der Vogel dann von Baum zu Baum gesprungen und so schnell konnte ich mich gar nicht umdrehen ist er auch schon wieder in den Wald entflogen gewesen. Deshalb heißt er wohl auch Waldpapagei.

Bittersüßer Schmerz, wenn die Begegnung mit einem Kākā zu Ende geht

Im Wald von Ulva hab ich auch noch einen Schwarm Ziegensittiche gesehen, die durch das Geäst geflogen sind, Kākāriki (Cyanoramphus novaezelandiae). Während die Bedeutung des Māori Namens wie die des englischen Namens sich darauf beschränkt, den roten Tupfer hervorzuheben, bezieht sich die deutsche, tendenziell uncharmante Bezeichnung auf ihre Laute, die angeblich an meckernde Ziegen erinnern. Kann ich nicht sagen, ich hab sie wohl bisher nur das eine oder andere Mal auf Bäumen gesehen, hauptsächlich im Flug eigentlich.

Als ich mich schließlich von Rakiura wieder verabschiedet hab, hab ich vom Pier aus noch einen Albatros (Diomedea epomophora) im Wasser schwimmen gesehen und es war ein bisschen eine Epiphanie, was so dieses Größenverhältnis zwischen Möwe und Albatros betrifft. Es war ein bisschen wie den Raben oben an der Devil’s Staircase zu sehen, der mir so deutlich den Unterschied zwischen Krähe und Rabe reingedrückt hat. Der Albatros hat s dem Fischer schwer gemacht, dessen Köder der Albatros sofort hinterher geschwammflattert ist – so mit Hilfe seiner Flügel an der Wasseroberfläche entlanglaufend. Und dann sitzt der Albatros geduldig, bis der Herr Fischer den Köder wieder aus dem Wasser zieht und dann ist er wieder zur Stelle. Als dann ein relativ großer Hai von unter dem Pier hervor geschwommen ist, hat s dem Albatros allerdings schnell gereicht und er hat sich auf weiteres aus dem Wasser erhoben.

Im Gegensatz zu Sting macht J. Cleese aus einem einzigen Wort einen Ohrwurm

Die letzten Beobachtungen hab ich dann in Arthur’s Pass gemacht. Zurückblickend war die Aussicht, dort Keas (Nestor notabilis) zu sehen wohl mindestens zu fünfzig Prozent dafür ausschlaggebend, dass ich mir den Aufwand gegeben habe, dorthin zu kommen. Interessanterweise hab ich noch sehr gut in Erinnerung, wie gleichgültig ich den Keas in Schönbrunn gegenüber gewesen bin, als ich sie dort zum ersten Mal gesehen hab. Sie kommen wohl nicht ganz dorthin, wo meine Papageienerwartungen sie gerne empfangen hätte. Mal angefangen damit, dass sie farblich nicht irrsinnig aufregend sind, leben sie in den Bergen, tun sich auch mit Schnee ok und sie sind am Ende auch noch Aasfresser. Also, wenn sich die Gelegenheit bietet, ich glaube, sie sind sehr opportunistische Esser. In Schönbrunn war dann diese Plakette, wie intelligent sie sind und dass sie zusammenarbeiten, um Probleme zu lösen und all das. Hat mich alles wenig beeindruckt. Aber seit dem hat sich wohl doch einiges getan. Meinem ersten Kea bin ich am ersten Abend über die Straße gefolgt und halb in einen Busch gekrochen, bis ich mir überlegt habe, was allfällige Passanten über mein wirres tun im Halbdunkeln denken mögen. Ich hab den Kea in dem Busch auch nicht mehr gefunden, aber ich nehme an, er ist irgendwo belustigt auf einem Baum gesessen.

Von der Qualität spielt diese Aufnahme in der Kategorie meiner Versuche, Wasserfälle aufzunehmen. Aber der Ruf des Keas ist doch so eigenartig, dass es sich auszahlt ihn zwischen dem abendlichen Gezwitscher, dem allgemeinen Rauschen und der einen oder anderen Windbö herauszuhören.

Zu hören sind die Keas schnell einmal gewesen, vor allem abends, aber auch tagsüber hat man immer wieder ihre Rufe gehört. Beim Spazierengehen ist dann einmal einer einige Meter über mir vorübergeflogen, so dass ich die rote Musterung an der Flügelunterseite zu sehen bekommen habe. Und am zweiten Abend hab ich dann einen ganzen Schwarm beobachtet. Jemand hatte geschnittene Äpfel auf einem Rasen ausgeschüttet und das ist eigentlich gar nicht ok. Don’t feed the kea!, informieren einen die Schilder. Und wer sich die Mühe macht kann auch die rezente Geschichte eines mit Lebensmittelvergiftung eingelieferten Keas lesen, der glücklicherweise unlängst wieder in die Freiheit entlassen werden konnte.

Reines Glück, den Kea mit den offenen Flügeln erwischt zu haben. Ein Handytelefon ist wirklich nicht dafür geeignet, im Halbdunklen Fotos von Vögeln zu machen.

Für mich war das natürlich trotzdem nicht so schlecht, weil das ein gutes Dutzend Vögel angelockt hatte, die jetzt vor mir durch die Wiese spaziert sind, um sich die besten Apfelstücke herauszupicken. Wiederum am eindrucksvollsten war es, als ein relativ großes Exemplar einen Meter neben mir gelandet ist. Das ist einfach ein witziges Erlebnis, wenn man so mittendrin ist, dass die Vögel auf einen zu kommen oder zumindest einen soweit ignorieren, dass sie einen dann erstaunt, weil ebenfalls entsprechend unerwartet, beäugen.

Bei meinem Spaziergang den Pass entlang war aber vor allem ein Vogel präsent und der zunächst auch mehr über seinen Gesang. Und wer versteckt sich da im Gäst? Der Maori-Glockenhonigfresser (Anthornis melanura). Ein Gefühl für Namen, die deutschen BiologInnen. Vielleicht sollte man das mal den SprachverteidigerInnen unter die Nase halten, dass das Deutsche immer schon weniger auf Ästhetik denn auf Exaktheit Wert gelegt zu haben scheint. Denn immerhin, soviel muss ich ihnen lassen, weiß ich anhand des Namens, dass ich hier wieder einen Honigfresser zu Gesicht bekommen habe. Das weiß ich natürlich bei Bellbird ebensowenig wie bei Korimako, wie er auf Māori genannt wird.

Ich hätte die Honigfresser ja insgesamt mehr nach ihrem Gesang benannt und nicht nach ihrer Lieblingsspeise. Der Korimako hat wenigstens die Glockerl in seinem Namen.

Zwei hab ich noch, abschließend, nämlich aus der Raubvogelkategorie. Da gibt s den Maorifalken (Falco novaeseelandiae) – die oben erwähnten BiologInnen scheinen da wesentlich öfter zum „Maori“ als zum „Neuseeland“ Präfix gegriffen zu haben. Das ist der einzige neuseeländische Falke und damit hab ich sicher ab und zu einen gesehen. Den Blick aus dem Autobus hab ich nämlich immer wieder etwas raubvogelartiges über den Wäldern und Feldern kreisen gesehen. Nie wirklich aus der Nähe, aber vom Verhalten her halt eindeutig Raubvogel.

Leider ausgeschlossen ist, dass ich ihn mit dem Haastadler (Harpagornis moorei) verwechsle, weil der hat sich gemeinsam mit den Moas bereits vor einigen Jahrhunderten aus unserer Welt verabschiedet. Der größte Greifvogel der Neuzeit mit einer Flügelspannweite von drei Metern, bis zu achtzehn Kilo schwer… Eine der Wandernden hat gemeint, think Gandalf. Weil im Gegensatz zum Herrn Pratchett sitzen die Herr der Ringe Referenzen hier ganz locker.

Zur besseren Veranschaulichung der Größe des Haastadlers muss man sich hier wohl die beiden Leute aus dem obigen Moabild mit hineindenken. Sonst gefallen mir die Moas vom Herrn Harder ja besser, mit ihrer statischen Körperhaltung, ihren strammen Beinen und ihren Sockenpuppenköpfen.