Ich bin heute den halben Tag im Zug gesessen, von Tokio bis ans untere Ende von Kyushu. Von Insel zu Insel ohne dass ich s gemerkt hätte. Das sind irgendwo um die tausendvierhundert Kilometer und das ist sich in sieben Stunden ausgegangen. Das lob ich mir schon. Ich find s auch faszinierend, dass in Japan tatsächlich nach wie vor daran gearbeitet wird, das Streckennetz auszubauen, also vor allem für den Shinkansen, den flotten Zug, mit dem ich heute unterwegs war. Das ist schon toll. Und gemütlich ist es auch, weil es ist wesentlich mehr Beinfreiheit verfügbar und am allersteilsten finde ich mal wieder, dass es Raucherzonen im Zug gibt. Irgendwie sind sie da ganz wo anders als Mitteleuropa. Mit schelmischer Freude hab ich nach meiner Ankunft in Kagoshima (Ka-Gosch-Imma) einen Bierautomaten gefunden, aus dem man sich möglicherweise vierundzwanzig Stunden jederzeit eine bis mehrere Dosen Bier ziehen kann.
Aber auch sonst habe ich mich in Kagoshima gleich einmal ein bisschen mehr willkommen gefühlt. Ich mag Tokio schon, aber ich war zu oft einfach nur verloren und irritiert weil ich es als wahnsinnig konsumistisch erlebt habe. Und das beste Beispiel ist vielleicht wie diese ganze Anime-Subkultur in einem klassisch-kapitalistischen Schachzug vollkommen aufgesogen wurde und als enorme Geschäftemacherei explodiert ist. Gut, ich mein, das sag ich auch, weil ich den Inhalt nicht versteh und die Begeisterung darüber schon gar nicht.
Anyway. Kagoshima hat schon gut angefangen, weil ich die Hosteldame ein bisschen überrascht hab. Ich war unabsichtlicherweise ausgesprochen leise beim Hostelbetreten, während sie gerade irgendwo hinter der Kaffeemaschine am Wischen war. Und dann ist es mir schon unangenehm aufgefallen, aber das mit dem Räuspern ist mir erst nachher eingefallen. Und da war sie etwas überrascht, als sie mich plötzlich einen Meter vor ihr erblickt hat. Und das hat uns eine gute Ebene gegeben, weil wir beide wussten, was sie sagen möchte, aber ihr Hostelvermietungsenglisch hat ihr dabei nicht geholfen und mein Japanisch, ich mein… eben. Aber manchmal ist so ein ungesagter Satz ganz hilfreich, weil er uns trotzdem eine Gesprächsebene geboten hat, auf der wir zwar einander nichts sagen konnten, aber doch wiederholten mit hilflosen Gesten und ratlosem Lachen einander zu verstehen gegeben haben, dass wir wissen, was wir sagen würden, wenn wir wüssten wie. Da war ich schon einmal gerne hier.
Und in meiner abendlichen Erkundung der Stadt hab ich dann doch ein bisschen mehr Blickkontakte aufgefangen als ich das in einer Woche Tokio zusammenaddieren hätte können. Das hat mich immer ein bisschen bedrückt, die letzten Tage, dass die Leute so ernst herumlaufen, niemand lacht und keine lächelt und nicht nur, dass viele auf ihre Telefone kucken (ich muss ja, weil ich sonst nicht meinen Weg find!), die anderen schauen jetzt auch nicht gerade anderen Leuten ins Gesicht und wenn, dann sicher nicht einem abgerissenem Goyim wie mir. Nein, das ist das andere: Gaijin. Aber hier hab ich möglicherweise sogar ein Good Evening nachgerufen bekommen, während ich durch den Park spaziert bin. Aber erstens ist weder sicher, dass es an mich gerichtet war oder dass es überhaupt Good Evening geheißen hat. Aber bis ich das überhaupt in Erwägung gezogen hatte, war ich schon wieder drei Schritte weiter und dann natürlich ist das ja immer auch etwas unangenehm, Begrüßungsformeln an den Hinterkopf gerufen zu bekommen. Aber im Gegensatz zur Tokioer Schweigsamkeit war auch das eine willkommene Abwechslung.
Nachdem ich ein bisschen herumgeirrt bin, hab ich mich dann kurzerhand in ein kleines Lokal hineingeschwungen. Ich weiß nicht genau, was da ausschlaggebend war, ich glaub, der Typ der vor dem Lokal für s Lokal geworben hat, hat mich mit seiner Schlacksigkeit und seinem Kapperl an einen jungen Keanu Reeves erinnert. Und ich wusste gar nicht so genau, was ich da jetzt zur Auswahl hab, stellt sich heraus, es ist eine Yakitoriarei. Ich hab das jetzt immer ein bisschen vermieden, mich in so ein Spießchenlokal hineinzusetzen, weil irgendwie ist das nicht so aufregend. Da hab ich doch sogar so eine Colawerbung unlängst irgendwo gesehen, wo multikulturelle FreundInnen bei einer Grillparty zusammensitzen und eine jede leicht-aber-nicht-bis-zur-Undeutlichlichkeit-vom-Klischee-abweichende VertreterIn verschiedener Nationalitäten sagt, wie sie Fleischspieße nennt und dass die jeweils eigenen nationalen Grillspießchen natürlich denen der anderen, minderwertigen Nationalitäten überlegen sei. Also alles fröhlich und mit einem Lächeln über den blitzenden Modelzähnen. Ein neckischer Nationalismus. (Bis eine weint!) Zum Glück gibt s Cocacola, weil darauf einigen sie sich dann noch, dass Hauptsache die große post-nationale MegaCorp. Peace by Brand-Identity.
Ich bin dann ein bisschen ins Bestellen gekommen. Angefangen hab ich mit einer leicht eingelegten Gurke. Geschmeckt hat es, als wäre sie in einem Schinkenwasser gelegen. Ist das Absicht?, frag ich mich und knusper mich durch die Gurkenstückchen. Ist das gut?, frag ich mich dann noch. Aber da war ich schon fertig. Und dann hatte ich frittierte Hühnerhaut bestellt, aber bekommen hab ich Hühnerknorpel. Und ich weiß noch, wie ich auf das Bild im Menüheft gedeutet hab und ich sag Chicken Skin. Und sie sagt Chicken Skin und tippt in ihr Telefon. Und dann sind s halt die Knorpel geworden, die waren in der Speisekarte direkt daneben. Aber warum auch immer, ich freu mich eh, weil ich war jetzt schon ein paar mal zu feig mir die interessantere Option (Salted Squid Guts!) zu bestellen. Und dann hab ich dank des Misserfolgs einer japanischen EnglischlehrerIn halt doch einmal das aufregendere bekommen. Frittierte Hühnergelenke. Und das war ebenfalls nicht so schlecht, auch wenn ich sagen muss, dass es vor allem für die Haptik ist, also für die Textur. Nach viel schmecken tut s nicht. Aber es kracht halt lustig, wenn man Glück hat. Und kalt werden sollt man s nicht lassen, wie das meiste aus der Fritteuse, werden auch die Knorpel nicht besser. Dann hab ich einen Reis bestellt, weil ich ein bisschen mit Hunger angekommen bin. Einen Reis mit rohem Ei, stand auf der Karte. Da war dann noch ein bisschen Hühnerfleisch drin und Zwiebel und das Ei war sogar schon ein bisschen erhitzt, das war gar nicht mehr ganz roh, als ich s in die Schüssel bekommen hab. Und dann meine Yakitori: Ich hab bekommen ein Huhn, eine Hühnerleber, ein Hühnerherz, einen Schweinebauch (hat ein bisschen mit dem Thema gebrochen) und einen grünen Paprika. War alles gut. Das Huhn war tatsächlich nur angegart und innen roh. Und das war total mit Absicht, da hat er mich noch vorgewarnt. Sie hätten nämlich sogar auch ein Hühnersashimi auf der Karte gehabt. Aber das war dann so zart und butterweich, dass ich gar nicht sagen kann, was die da tolles mit dem Huhn angestellt haben, dass das so daherkommt. Vor der Salmonelle darf man sich halt nicht fürchten in Kagoshima.
Und zum Abschluss hab ich dann noch den lokalen Wein getrunken. Also ist kein Wein in dem Sinn, ist ja gebrannt. Mit seinen 25% will der Shōchū aber nur spielen. Ich hab zuerst gedacht, hm, schmeckt ein bisschen nach einem Tequila, aber ich glaub es hat einfach nur nach ein bisschen fuseligem Alkohol geschmeckt. Jetzt war das nicht der einzige Grund, warum ich den Heimweg lang mit einem Ohrwurm zu kämpfen hatte. Ich glaub, dass sich der John Lennon seinerzeit vielleicht auch einmal einen Becher von diesem Sommergetränk gegönnt hat und sich daraufhin den Refrain für Come Together hat einfallen lassen: Shōchū!, d’d’d’dmm-dmm. Shōchū, d’d’d’dmm-dmm…