Ich bin schon wieder mit allem hinterher kommt mir vor. Das ist auch, weil ich so viel unterwegs bin. Einmal mit den Mädels, jetzt schon wieder länger on my own, aber ständig einchecken, auschecken… Ich setz mich ab und zu hin und schreib was, wenn s dringend ist, weil vieles ist einfach nur zu erleben und da tun die ganzen Fotos und selbst die Audioaufnahmen, das geht alles ein bisschen am Gefühl vorbei. (Manchmal denk ich mir, ich würde gerne den einen oder anderen Geruch einfangen.)
Ich mag Indonesien sehr. Es ist eine ambivalente Sache, das auf jeden Fall. Gestern bin ich in Surakarta angekommen, eine Stunde mit dem Zug nach Nordosten von Jogja. Auch hier haben die coolen Kids einen eigenen Namen für: Solo. Und weil man sofort merkt oder vielleicht weniger definitiv: weil ich sofort einmal den Eindruck hatte, dass mich Jogja wohl ein bisschen verwöhnt hat und eine Seite von Indonesien gezeigt hat, die nicht so sehr Java (im Gegensatz zu Sumatra) entspricht sondern sehr Jogja ist. Da ist mehr Tourismus (weil man von dort seinen Borobudurausflug macht) und überhaupt, so hat mir die junge Frau in ihrem ziemlich lässigen Kaffeeladen („I only have black coffee“) verraten, dass Jogja ein bisschen das San Francisco, der siebte Bezirk oder auch das Melbourne von Indonesien ist, sprich: die coolen Kids ziehen hin und gentrifizieren das muslimische Äquivalent der Unterwelt aus der Stadt. Naja, und der Tourismus bringt wohl auch Geld rein.
Jedenfalls hat mich Solo gleich mal wieder ein bisschen erschreckt und ich bin gestern Abend eine Stunde herumgelaufen, weil ich abends tatsächlich kein Restaurant gefunden hab. Also gut: eines hab ich gesehen, aber das hat so fancy ausgeschaut, da wollt ich nicht rein. Und einen McDonald’s hab ich auch gefunden. Und x Standln auf der Straße, die die BesucherInnen dazu eingeladen haben, auf den Teppichen, die sie am Gehsteig ausgebreitet haben, zu sitzen. Zugegeben, das hat auch ein bisschen gedauert, bis ich das entschlüsselt hab. Dafür riesige, hell beleuchtete Telefongeschäfte mit eigenem Parkwart davor. Was sind eure Prioritäten!, wollte ich gern ausrufen, meinen grummelnden Bauch übertönend. Ich hab mich dann in einem Sateladen neben meiner Gasse hineingesetzt. Weil der hatte ein paar Tische und Sesseln. Und das war dann eh schon wieder total nett. Die Tür in die Wohnung stand halb offen, in der die Tochter hin- und hergelaufen ist, während ich meine Spießchen gegessen hab.
Kann sein, dass das Huhn nicht ganz dort war, wo man es haben will. Ich hab mich in der Nacht ein bisschen hin- und hergewälzt, und im Traum bin ich darauf aufmerksam gemacht worden, dass ich Blutflecken auf der Hose hab. Also hinten. Hat sich aber herausgestellt, ich hatte mich, wenn überhaupt, wo hineingesetzt. Halb so schlimm also… Als ich um halb fünf vom Muezzin von nebenan aufgeweckt worden bin (letzte Chance für Frühstück!), hat der Bauch dann auch ein bisschen gejammert. Aber ich hab dann noch ein bisschen geschlafen und da war s dann total ok.
Und nachdem ich dann heute Vormittag mehr mit Selbstorganisation verbracht hab – laut meiner ehemaligen Arbeitszeitaufzeichnung eine häufig notwendige Tätigkeit –, hab ich mich am Nachmittag auf einen ausführlichen Spaziergang hinausgewagt. Im Dunklen gestern hab ich ganz ehrlich nicht so viel mitbekommen, auf einer kleinen Verirrung hab ich mich für einen Moment sogar etwas unwohl gefühlt. Was ich sonst eigentlich nicht empfinde, wirklich nicht. Und im Hellen war s dann auch gleich was anderes. Und das beste an Indonesien sind e die Leute.
Ich hab mir das überlegt und einerseits wirke ich wie ein alter Mann, wenn ich mich jetzt gleich über die lachenden Kinder auf der Straße freue, die mich aus der Entfernung schon beäugen (oder auch nicht, in der Hälfte der Fälle spielen sie ohne Irritation weiter) und mir ein Hello! zurufen oder mich auch nur aus ihren dunklen Augen anschauen. Und andererseits überhaupt: dunkle Augen und was für eine eurozentristische Exotik lege ich hier den Leuten auf. Aber es wäre gelogen, würde ich meine Freude über diese Aufmerksamkeit leugnen. Ich war heute zum Beispiel bei der Statistikzentrale, weil ich die zufällig auf der Karte entdeckt hab und mir gedacht hab, das ist witzig. Und grad wie ich davor stehe, fährt eine Frau auf ihrem Moped raus und wir schauen uns an und auch wenn ich ihr Gesicht kaum gesehen hab (weil sie eine Atemmaske aufhatte) lächelt sie mir zurück, das sieht man ja auch in den Augen. Weil ich glaub, dass ich hier viel mehr mit einem Lächeln unterwegs bin als jemals irgendwo. Zum Teil ist es sicherlich einfach eine Maßnahme, um freundlich zu wirken, weil ich ja die Worte nicht wirklich hab. Und ich mein, ich such nicht ständig den Kontakt, ich bin schon viel auch wie e und je am Blickkontakt vermeiden. Wenn ich aber tatsächlich mal einen längeren Augenkontakt halte mit Leuten, krieg ich allerdings ein Lächeln öfter zurück als nicht.
Und so komm ich heute Abend in mein komisches Hotel zurück (um den Geruch im Bad ist s nicht schade, dass ich ihn nicht mitbringen kann, auch wenn er das Attribut komisch ansatzweise erklären würde) und bin schon wieder weitgehend versöhnt mit Solo, das mir gestern einen Schreck versetzt hat mit seinen Baustellen und seinen Straßenstandeln und das dadurch insgesamt erst einmal wieder fremder und unnahbarer gewirkt hat.
Noch eine Erinnerung: In Jogja war ich in einem Antiquitäten- und Kunstgeschäft und hatte dort ein längere Unterhaltung mit R., der Besitzerin. Ich wollte zuerst nur einen Blick auf die Masken werfen, die ich von draußen gesehen hab, weil ich mag das sehr, merke ich, diese javanesische Art. Ich hab das schon beim Löwen gesagt, aber diese Schattenspielfiguren und die Masken. Wobei, die sind schon unheimlich – und das war dann auch tatsächlich ausschlaggebend dafür, dass ich keine gekauft habe (so mühsam das auch gewesen wäre, die heil heimzubringen), aber ich hab das Gefühl mit so was an der Wand, muss ich auf Besuche meiner Nichte verzichten.
Das war s jetzt aber gar nicht. Ich mein, es war ein interessantes Gespräch darüber, dass sie dreisprachig aufgewachsen ist mit Indonesisch, Javanesisch (oder ihrem spezifischen Dialekt davon) und Arabisch. Und dass sie arm gewesen ist, aber dass (zumindest rückblickend würde ich ergänzen) kein Problem gewesen sei, weil sie das soziale Netzwerk hatte und sie geteilt haben und sich gegenseitig unterstützt und pipapo. Sie sei ihren Eltern zeitweise durchaus böse ob der familiären Armut gewesen, aber sieht das heute anders und kann heute dementsprechend froh darüber sein, die Erfahrung der Armut gemacht zu haben. Immerhin war s kein Hindernis, dass sie zum Beispiel auf die Universität gegangen ist. Als ich sie frag, ob ihr da der Islam irgendwie im Weg gestanden ist, als Frau und selbstständig und so… Das versteht sie s gar nicht wirklich: nein, nein, die Religion, das ist für sie sehr privat, Gott, das ist neutral für sie, sie müsse sich mehr vor sich selbst rechtfertigen.
Aber als ich zwei Tage später nochmal da war, dass ich doch noch was einkaufe von den schönen Sachen, ist sie nicht da, stattdessen sitzt eine kleine, bekopftuchte Frau in dem Geschäft, die sie entschuldigt. R. käme morgen wieder, am Nachmittag. Aber da bin ich dann schon weg, sage ich. Na, sie nimmt meinen Namen auf und dann reden wir halt ein bisschen und dann fange ich an, die Batiktücher näher anzuschauen. Und ich muss das mit dem Kopftuch immer noch und immer wieder betonen, weil das hier so eine andere Wirklichkeit macht. Weil das ist schon ein ordentliches, wo keine Haare sichtbar sind. Aber es macht für den Alltag nicht wirklich was aus, so scheint es mir. Weil diese kleine Frau ist fröhlich, lacht über ihre eigenen Witzchen und zupft an mir herum, als ich versuche, das eine oder andere Tuch als Sarong zu tragen. Und es ist im Kontext meiner Vorurteile eine fast surreale Situation.
Oder als ich mein Ronde noch bekommen hab (muss eine Empfehlung gewesen sein) und der Besitzer A. ganz unterhaltungslustig ist, damit ich seinem Standl, dass er da abends am Straßenrand aufstellt, eine Bewertung auf den Social Medias gebe. Oder bei denen, bei denen ich meinen Borobudurausflug gekauft hab, wo sich die eine darüber abhaut, als sie mir sagt, ich kann ja ohne Hemd gehen, wenn ich kein weißes hab (was für den Abend am Weisakfest ideal sei). Oder der Standlverkäufer von gestern Abend der seiner Frau belustigt dabei zuschaut, wie sie mich ohne Englischkenntnisse abkassiert und der mir heute wieder zugewunken hat, als ich vorbeiging. Es sind so kurze Momente, die sehr viel ausmachen in meinem Gefühl, wie ich auf den Tag zurückblicke. Und ich weiß schon, ebensowenig wie die Armut meiner Batikverkäuferin sollte ich meine Rolle hier romantisieren, ein bisschen mag ich es wohl einfach, reich zu sein und exotisch.
Naja, aber eigentlich ist das nur zwischendurch, weil in Wirklichkeit hab ich ein paar längere Texte zu den letzten zwei Wochen. Nur dass ich in den letzten zwei Tagen so gefordert war und zwischen dieses Land nicht verlassen und andererseits mich verkriechen wollen hin- und her bin, dass ich das kurz festhalten wollte. Es ist eh schon wieder kaum gelungen, weil auch wenn s vielleicht besser funktioniert als mit Fotos und Geräuschen, die ich auch mit Worten nicht festzuhalten imstande bin.