Das Wetter ist besser geworden. Es regnet nicht mehr so viel, die Flüsse sind nicht mehr über alle Ufer und in Townsville muss man sich beim über die Straße gehen auch nicht mehr vor den Salzwasserkrokodilen in acht nehmen. Dass das Unwetter seine Spuren hinterlassen hat sehe ich persönlich nicht, auch wenn ich einige Tage später durch Townsville selbst fahre. Die Menschen haben Mobiliar auf die Straße geschafft – zum Trocknen oder zum Wegschmeißen weiß ich nicht. Aber die toten Kühe und die ruinierte Infrastruktur, das krieg ich nicht mit. Im Gegenteil, in Townsville schneiden sie munter den Rasen in den öffentlichen Parks und alles glänzt und blinkt vor Sauberkeit.
Aber da bin ich schon am Weg nach Cairns. Davor war ich eine Woche in Hervey Bay. Das ist zwar jetzt auch nicht eine Stadt in dem Sinn, aber es gibt Kaffeehäuser und zumindest ein hippes japanisch Lokal. Stadtplanerisch gibt s eine Straße, an der Ferienhäusern, Hotels und Wohnwagensiedlungen aneinandergereiht sind. In Hervey Bay scheinen auch die meisten der hiesigen AustralierInnen auf Urlaub zu sein.
Dass ich auf der Straße einfach so angesprochen werde, bleibt hingegen so. Das hat offenbar wenig mit der Ortsgröße zu tun. Die unterhalten sich einfach gern, die AustralierInnen, bloß so: Einander fremde Leute reden sich auf der Straße an und erzählen sich was. Und ich merke, mein kultureller Hintergrund ist eher der, wo sich drei Chinesen ob einer öffentlichen Unterhaltung schon der Ruhestörung verdächtig machen. Der Kontrabass dabei eher sekundär. Deshalb bin ich es so überhaupt nicht gewohnt, einfach so angesprochen zu werden. Weil – ungelogen – meine erste Reaktion ist: Was hab ich falsch gemacht? Sofort denke ich einen Fehler oder anderweitige Übertretung begangen zu haben, auf die ich im Sinne der Ordnungserhaltung aufmerksam gemacht werde.
Jetzt rechne ich aber immer noch nicht damit, unprovoziert erzähltzu bekommen, dass ein Bruder eine Sheila in Kanada geheiratet hätte, und dass es dort wohl kalt sei. Ok, aha, danke? Eine andere bestätigt mir tags darauf ungefragt, dass sie jetzt surfen geht und dass sie das gerne macht. Und der ältere Herr im Park, nun, da bin mir bis zuletzt nicht sicher, ob mir der gesagt hat, wo s wieder raus geht oder mir eine Frage gestellt hat, die ich wohl lächelnd nickend unbeantwortet gelassen habe. Verschwitzt war ich und mag verloren gewirkt haben.
Ganz ehrlich, ich finde das ganz super. Also die Fähigkeit, die Aufmerksamkeit mit der man hier auf der Straße seinen Mitmenschen begegnet. Ich komm aber praktisch einfach schwer damit zu recht. Als Angesprochener fühle ich mich zunächst nach wie vor ertappt. Und dann verstehe ich ja wirklich oft nicht, was man ich da aus heiterem Himmel gesagt bekomme. Zweimal frag ich nach, aber dann ein freundlichen Nicken und ab.
Am zweiten, dritten Tag hab ich mir ein Fahrrad ausgeborgt und hab mir gedacht, ich fahr jetzt einmal ins Zentrum. Das war natürlich ein Irrtum, weil wir wir wissen, ist Hervey Bay in der Geographie eher eindimensional. Aber ich bin eh ganz in meinem Mantra „links, links, links“ aufgegangen und wie ich an der Esplanade dann den Radweg entdeckt habe, war ich froh, einfach einmal 20 Minuten lang geradeaus zu fahren. Fun Fact: Alle Busstationen entlang der Esplanade heißen „Esplanade“. Ich mein, da war entweder jemand sehr lustig in der Abteilung oder irgendjemand hat eine Weisung ausgeführt, die möglicherweise überdacht gehört hätte. Oder es war einfach wurscht, weil man muss schließlich irgendwas draufschreiben.
Jetzt bin ich irgendwann einmal nach rechts, mit dem Ziel da ein bisschen in die Urbanität abzubiegen. Nichts da. Da hat s dann erst wieder ausgeschaut wie in TCB: Häuser mit großzügigen, grün-gelben Vorgärten. Also bin ich stehengeblieben und hab auf den Plan geschaut. Nachdem auch da die Gehsteigtechnologie eher noch in den Kinderschuhen steckt, bin ich auf jemandes Rasen abgestiegen. Während ich wische (Schweiß, Stadtplan) und zoome (Stadtplan), höre ich einen offensichtlich aufgeregten Hund hinter den Palmwedeln. Ein schöner, großer, viel zu großer und lauter werdender Boxer, schält sich aus dem Geäst heraus. Einen Moment lang erhebt sich in meinem Kopf ein Zeigefinger, der mich darauf aufmerksam machen möchte, man müsse doch Hunden gegenüber Standhaftigkeit beweisen, keine Angst zeigen, verdeutlichen, wer hier anschafft und das sei immer noch der Mensch. Aber das war mehr so eine Begleitungerscheinung, mein Körper reagiert währenddessen ganz brav ohne viel auf das Ergebnis meiner Kontemplation zu warten. Telefon in die Tasche und über blödes Fahrrad mit Rücktritt ärgern, wo die Pedalstellung sich beim Stehenbleiben immer so ungut ergibt, dass das Pedal nicht ganz über den Zenit ist. Also ein bisschen holprig antauchen, das Pedal weiterschieben und dann endlich zum Treten beginnen und laaaaaangsam beschleunigen.
Aus dem Augenwinkel stelle ich fest, dass mit Zähmung des Biests durch die Herrschaften HundebesitzerInnen nicht zu rechnen ist. Zum Glück immerhin großzügiger Vorgarten und der Hund braucht ein bisschen bis er bei mir ist. Mittlerweile hab ich durch meine offensichtliche Flucht auch alle Ambivalenz der Situation vernichtet, quasi Schuldeingeständnis, der Hund darf sich in seinem Angriff bestätigt fühlen. Mein Rad und ich gewinnen nur langsam an Geschwindigkeit, dank Linksverkehr, muss ich auf der Hundeseite der Straße bleiben. Schon ganz hübsch anzusehen, so ein Muskelpaket. Mittlerweile lassen sich ja einzelne Muskelpartien erkennen, die sich unter dem kurzen, milchkaffeebraunen Fell zusammenziehen und wieder entspannen. Nicht die beste Situation irgendwie, aber warum nicht auch ein bisschen das Schöne an der Situation genießen, jetzt wo es nicht mehr über die Möglichkeit des Keine-Angst-Zeigens reflektiert, wird mein Hirn eh nicht wirklich gebraucht. Meine Beine treten, meine Arme klammern sich an den Lenker.
Aber ich hab natürlich überlebt. Während ich mich mit der Gelassenheit eines Todgeweihten die Ästhetik der wirbelnden Hundesmuskulatur hingebe, merke ich, dass der Hund nicht auf die Straße springt, sondern mich parallel durch die Vorgärten der NachbarInnen verfolgte. (All animals are equal but some animals are more equal than others…). Nichtsdestotrotz beschleunige ich nach besten Kräften bis der Hund mein Bemühen anerkennt und stehen bleibt. Well played, everyone, let’s go home. Ich sag nur, es ist nicht so, als ob er mich nicht erwischt hätte, hätte er wollen. Aber daran erkennt man wohl einen guten Wachhund.
Hervey Bay ist großzügiger mit den Attraktionen als TCB, wobei das wichtigste, wie fast überall hier, erstens Strand und dann eventuell noch Natur sind. Fraser Island heisst K’gari in der Sprache der Butchalla, die hier früher gewohnt haben – quasi Paradies. Während die Sprache selbst ausgestorben ist, bzw. während jene Menschen, die diese Sprache gesprochen haben, alle tot sind, gibt es – laut einer Erhebung von 2016 – noch 24 Personen, die einen Dialekt davon sprechen. Heute kann man in einer Autokaravane durch das Paradies brausen, Dingos anschauen und in den Süßwasserseen der Insel planschen. Es ist die größte Sandinsel der Welt und seit 1992 UNESCO Weltkulturerbe. Hab ich auslassen.
Aber ich war im Aquarium. Als erstes ist auffällig, dass es seinen Charme total vom Haus des Meeres abgekupfert hat. Also vom Haus des Meeres ca. 1992, weil später war ich eigentlich nicht mehr. Alles schön in Beton gehalten. Und dann halt Aquarien und Fische drin. Und da geht man dann eine Runde und irgendwie denkt man sich, das war s jetzt eigentlich schon. Ist schon ganz ok, da ist ein Hai und ein Rochen und schau, eine Seegurke und ein Feuerfisch. Und hier, lauter Steinfische, wie viele findest du?
Jetzt ist es mir fast unangenehm, weil ich den Delphinen gegenüber noch ein bisschen abfällig gewesen bin. Aber die Attraktion ist ja dann, dass es die Tiere zum Füttern gilt. Um 11:00 füttern wir einmal die Schildkröten. Die großen Wasserschildkröten planschen in ihrem Außenbecken vor sich hin. Der sehr nette, weil so nuschelige Typ, der das sich im Familienbesitz befindliche Aquarium schupft, erklärt, dass da zwei Männchen und ein Weibchen sind und wie man sie unterscheidet und dass nur das eine, ältere Männchen, das so Mitte 60 ist, geschlechtsreif sei. Während die anderen zwei so Mitte 40 sind. Das Weibchen, hebt er hervor, hätte noch gute 10 Jahre, bevor man sich was was überlegen muss, ob sie, wo sie, wie sie vielleicht einmal Eier auch legen kann. Das allein ist schon recht scharf, wenn man erst mit 50 in die Pubertät kommt. Alles vielleicht auch ein wenig entspannter.
Und dann geben wir ihnen Salat. Die drei Schildkröten bekommen gemeinsam ca. einen halben Kopf Eisberg am Tag. Das wirkt nicht viel und ich denke mir, dass es schon seine Vorteile hat, wenn man nicht dauernd selbst dafür zuständig ist, seine Körpertemperatur zu regeln. Jetzt, das Blatt immer schön am Ende halten und leicht ins Wasser hängen lassen, nicht zu knapp und ja, schau – schnapp! Spaßig, wie sie durch die Nasenlöcher das Wasser aus dem Mund pressen, zwei kleine Springbrunnen. Aber natürlich hätten die sonst während ihrem Frühstück das halbe Becken schon leergetrunken. Und man will ja auch nicht den ganzen Mund voll Salzwasser haben. (Kleine Fußnote am Rande: Nachdem ich vorgestern beim Schnorcheln am Riff doch relativ viel Salzwasser getrunken habe, ist das Taubheitsgefühl in meinem Mund bereits gut abgeklungen.)
Dann war erst einmal Pause, aber am Nachmittag ging s weiter, da werden die Haie und die anderen Rifffische gefüttert. Da finden wir uns wieder ein und die Mehr-oder-weniger-Freiwilligen bekommen – zack! – eine Hand voll Fischköpfe in die Hand gedrückt. Rauf auf die Leiter und „sprinkle it over the water, like so.“ Der aufgeregte Rochen schießt die Aquarienwand hoch und ist ein bisschen unheimlich. Aber der hat den Mund quasi auf den Fußsohlen und hat halt besondere Bedürfnisse bei der Nahrungsaufnahme. Die großen Barsche kriegen ihr Futter mit Unterdruck in den Mund serviert, die müssen angesichts so eines Fischkopfs nur den Mund aufreißen und – schwupp! Schon sehr cool. Einzelne Fische, die bei den amateurhaften Fütterungsmethoden der TouristInnen keine Chance haben, bekommen ihre Fischköpfe an einem Stecken serviert. Der Katzenhai verbeißt sich brutal in den Spieß, dass ich mir sofort Sorgen mache. Aber der nuschelnde Besitzer weiß: da geht nur Gewalt, der lässt nicht los. Der Andere Hai hingegen will seinen Fischkopf nicht angreifen. Der rieche das Metall durch, heißt s.
Dann werden auch die Fische im Freibecken gefüttert. Die Haie werden nervös, sagt der Chef, wenn sie nicht zur gewohnten Zeit ihre Mahlzeit bekommen. Außerdem müssen sie sich dauernd bewegen, man muss ihnen also das Futter geschickt einen Meter vor die Nase werfen, sonst sind sie schon wieder vorbei, grad dass sie s bemerken. Da sind sie gar arme Hascherl, so schüchtern und nur schlecht an ihr Essen kommend. Die Barsche stehen (dank Schwimmblase) gelassen im Wasser und schnappen sich das Zeug einfach. Und dann kommen auch nochmal die Schildkröten, die vielleicht den Salat vom Vormittag schon verdaut haben, die holen sich auch noch ein Sushi.
Das war schon ein Abenteuer. Ich frag mich natürlich, wie die jemals überleben können, mit ihrem kleinen Aquarium. Wir waren vielleicht 15 Leute, Kinder ausgenommen. Aber vielleicht werden wir mit unseren Fischkopffingern auch subventioniert von denen, die nur in der Früh einmal reinkommen und ohne Fütterung wieder von dannen ziehen.
Die andere Attraktion, die Hervey Bay zu bieten hat, ist der Urangan Pier (nämlich so wie der Stadtteil). Das ist so das Programm für die kulturell-historisch Interessierten – die sich aber trotzdem nicht von einem Genozid den Badeurlaub vermiesen lassen wollen. Der ist 1917 fertiggestellt worden und damit immens historisch. Und 868 Meter von einem Ende bis zum anderen. Also, wohl nur ein Ende, also vom Anfang bis zum Ende. Und dort ist ein Zaun, dass man vor lauter Geradeaus nicht noch am Schluss einfach über die Planke läuft. Noch dazu ist das noch nicht so lange her, da wer der Pier noch über einen Kilometer lang und jetzt ist da ein Zaun, ein Fahnenmast und eine Aussicht.
Alles in allem muss man ihn wohl nicht gesehen haben und sicherlich muss man nicht den ganzen Pier entlanggelaufen sein. Das aufregendste sind die links und rechts Hervey BayerInnen mit ihren Angelausrüstungen. Aber ich hab meinen Pierspaziergang zufällig gemeinsam mit einer jungen Frau begonnen und wir haben einander auch, na sagen wir: anerkannt. Man lächelte einander zu, vielleicht sogar unter Zuhilfenahme von abgenommenen Sonnenbrillen. Und dann sind wir da gegangen, mal nebeneinander, mal versetzt, weil der Weg ist sehr klar abgesteckt und ja nur so zweieinhalb Meter breit. Und man geht schon eine Weile, gute zehn Minuten, und wir hatten es ja auch nicht eilig. So ab der Hälfte war klar: wir gehen da jetzt bis ans Ende – all the way. Auch etabliert hat sich langsam, dass wir einander schweigend folgen. Jetzt unter dem Eindruck des Wortlos-hinter-einander-Herlaufens hab ich uns stellenweise schon eher so erlebt, wie wenn man sich auf einer gemeinsamen Reise vielleicht ein bisschen in die Haare gekommen ist. Dann probiert man sich einmal dadurch auszudrücken, dass man einander leicht trotzig hinterherschleicht.
Und vielleicht war das schon ein bisschen vorgegriffen, weil am Ende angekommen hab ich mich dann auf Anhieb mehr mit der Aussicht beschäftigt, als dass ich einen Kontakt her- und etwa einen Kaffee in Aussicht gestellt hätte. Ob sie da jetzt wirklich etwas beleidigt gewesen ist und so mein Eindruck zuvor sogar prophetisch gewesen sein mag, das wird schon auch ein bisschen eine Projektion sein. Im Sinne von: Wenn wir von diesem Spaziergang etwas gemeinsames mitnehmen, dann die Enttäuschung, dass nichts aus diesem Gespräch geworden ist, auf das wir uns die letzten 868 Meter vielleicht beide jetzt schon ein bisschen gefreut haben.
Letztlich hat mich meine Sprachlosigkeit nicht überrascht und die 250 Meter, um die er seit 1985 kürzer ist, hätten mich da auch nicht rausgerissen. So kumuliert die Hervey Bay Erfahrung wohl in der Feststellung, dass sich die einen leicht tun damit, Unbekannten von ihren Schwägerinnen oder Leidenschaften für s Wellenreiten zu erzählen, während andere ihren diesbezüglichen Spielraum mit gemeinsamer Enttäuschung über eine nicht stattgefundene Unterhaltung schon ganz gut ausschöpfen.
Aber ich verbringe eine gemütliche Woche der wirklich netten Jugendherberge, liege in der Hängematte und lese Wolf Haas. Ich mache meine täglichen Ausflüge und Spaziergänge. Die BackpackerInnen kommen und gehen währenddessen, außer mir bleibt kaum jemand länger als ein, zwei Nächte. Da ist der, der mit dem Fahrrad von Sydney hochgefahren ist und ein paar Tage lang seine Energien sammelt; da sind die, die von hier aus schick zum Tauchen auf Lady Elliot Island weiterfahren, von denen ich ein You’re still here? bekomme, als sie auf ihrer Rückreise noch einmal Station machen. Für mich ist, meinen Tee unter Papageien zu trinken, nach wie vor eines der größten Abenteuer.
Das Essen wird weggesperrt damit das Opossum nicht kommt, obwohl ich eigentlich gern einmal gehabt hätte, dass das Opossum kommt. Sonst kriechen abends die Kröten aus ihren Löchern und die Flughunde beginnen pünktlich mit Sonnenuntergang über uns hinwegzuziehen. Sie haben ihre Höhle ein Stück nördlich und fliegen abends gemeinsam aus. Ich hab so viele Fragen dazu, wie die sich organisieren, dass sie so einen nicht abreißen wollenden Schwarm hinbekommen. Ein Strom riesiger Fledermäuse, die langsam durch die Luft… segeln? Auf den ersten Blick erinnern sie gar nicht an Fledermäuse, und auch ihre Laute lassen mich am ersten Abend eher an Gänse als an Säugetiere denken. Aber auch hier: keine Besonderheit. Flughunde sind australischer Alltag, zumindest hier an der Küste. Und machen auch Probleme und Krach. Aber für mich natürlich trotzdem Höhepunkt der Exotik.